Live: Rammstein – Olympiastadion München – 07.06.2023


Auf dem Weg zum Olympiastadion kommt von irgendwoher ein Sprechchor. Ein paar Schritte weiter wird er dann bemerkbar, von wirklich sichtbar kann nicht die Rede sein. Gut abgegrenzt von den Konzertbesuchern oder denjenigen, die zum Kino oder einfach nur durch den Olympiapark flanieren wollen, stehen in einer Senke neben der Olympiahalle die Demonstrantinnen. Vielleicht sind auch Männer dabei, ich hab keinen gesehen. Die Fans scheren sich nicht darum, warum auch, jeder hat sein Recht, auf Demonstration, seine Meinung, ein faires Verfahren, nicht vorverurteilt zu werden. Von den Massen, die ihre Tickets zurückgeben, ist dagegen nichts zu sehen. Wie immer ist es chaotisch. Die Security wirkt wie tausend hilflose kleine Wichtel, die zwar keine Ahnung haben, aber meinen, endlich mal etwas sagen zu dürfen und werden sofort handgreiflich. Deeskalieren oder auch nur eine normal gestellte Frage ruhig zu beantworten, darauf steht Munich Security nicht. Brav fummeln die Frauen an den männlichen Besuchern herum, die männlichen Securitys begrabschen Frauen, wo sie nur können, wann sie nur können mit fadenscheinigen Begründungen. Aber darum geht es nicht, schließlich steht das Monster ja bald auf der Bühne, da kann davor getan werden, was man möchte – noch dazu als Sicherheitspersonal. Save Points und besondere Ansprechpartner, wenn einem im Gedränge ein anderer Besucher mal auf den Fuß steigt oder mit dem Ellenbogen beim Bierbalancieren den Busen streift, soll es geben. Ich hab keinen einzigen gesehen. Und Sicherheit: Trotz sichtlich ausgebeulter Hosentaschen, werde ich einfach durch die Kontrolle gewunken, der Mann neben mir muss seinen Rucksack zwar abnehmen, hineingeschaut wird nicht. Ehrlich, ich halte die Munich Security seit Jahren für eine absolute Fehlbesetzung und für viel gefährlicher als Weinstein, Lindemann und Co, weil sie auch eine ganz andere Verantwortung haben. Das noch vorweg, wenn man aus dem Innenraum die unzähligen Stufen hinaufklettern muss und man nicht gerade der Marathonläufer vor dem Herrn ist, möchte man vielleicht einfach mal kurz stehenbleiben und Luft holen, weil man das muss. Ein brüllender Security mit mangelnden Deutschkenntnissen ist da vielleicht auch nicht die richtige Besetzung – nur: Mich brüllt niemand an und mich fasst keiner an wegen sowas. Man hätte einfach auch schon gegen Ende des Konzerts mehr als nur zwei Treppen nach oben hin öffnen können, aber gut, dazu bräuchte es etwas mehr Intelligenz.

Das Stadion füllt sich, vier Konzerte sind ausverkauft und egal, was man vorverurteilend schmierfinkt, die Fans gehen hin, manche glauben es nicht, manchen ist es egal und manche verstehen, dass es eine Unschuldsvermutung gibt bis zur Urteilsverkündung. Aber die Medien brauchen immer eine Sau, die sie durch’s Dorf treiben, so etwas hatten wir vor 90 Jahren schon mal, und das hier ist wenig anders (übrigens egal, ob es um Lindemann geht oder einen anderen Mann). Die Stimmung ist gut, man spricht, man lernt sich kennen, trinkt, hockt zusammen, aber das Thema schwelt, es brodelt, jeder spricht es an, kurze Kommentare, ausführliche Diskussionen und sehr vernünftige Einstellungen, denn wer denkt, dass die Fans blind hinter Lindemann herlaufen und ihn „absolvo te“-like freisprechen, der irrt. Die meisten wollen einfach nur keine Hetzkampagne, sondern klare Ermittlungen, die nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, sondern bei den Ermittlungsbehörden sachlich geführt werden, wo sie auch hingehören.

Um 19:30 Uhr stellt sich das Duo Abélard auf die kleine Seitenbühne und spielt an zwei Klavieren Rammsteinlieder und eigene Kompositionen. Man kennt das Duo bereits von anderen Touren, es ist ein ruhiger Auftakt, Ruhe vor dem Sturm und der Show, die erwartet wird. Aber nach dem Applaus für das erste Lied, war’s das auch. Die Fans hören nur mit halbem Ohr oder gar nicht hin und quasseln munter weiter. Es ist wie der Pianoman in der Bar, dem man auch nicht zuhört. Schade irgendwie, weil die beiden jungen Frauen wirklich gut sind und ihre Klavierversionen von Rammsteinhits diese noch einmal ganz anders wirken lassen. Um 20:05 Uhr ist Schluss, man hofft nun auf den Hauptact, der aber nicht kommt. Diese knappe halbe Stunde des Wartens ist nervig, schließlich ist die Bühne aufgebaut, alles bereit, es könnte früher losgehen. Um 20:23 Uhr startet eine La-Ola-Welle durch die Sitzreihen, mehrfach geht sie rum, das ist schon ein tolles Schauspiel.

Georg Friedrich Händels „Music for the Royal Fireworks“ ertönt und der Jubel wird laut. Nun beginnt endlich das langersehnte Konzert. Während die restliche Band die Bühne betritt, wird Sänger Till Lindemann herabgelassen, wenn er seinen Mund aufreißt, leuchtet es daraus – wir wissen, dass er ein kleines Loch in der Backe hat eben für diesen Effekt, der bei einem Videodreh entstanden ist. Das „Rammlied“ ertönt, erst die Stimme Lindemanns und dann könnte eigentlich das Publikum laut „Rammstein“ rufen, aber das bleibt aus. München, das schwierigste Publikum, das man haben kann. Manche singen mit, manche stampfen, aber komischerweise ist die Masse ziemlich ruhig und statisch. Wenig Bewegung, wenig Freude, wenig Konzertstimmung. Wäre mir nicht so drastisch aufgefallen, wenn ich nicht im vergangenen Jahr ein Rammsteinkonzert (inklusive Unwetter) in Leipzig erlebt hätte, wo die Arena gekocht hat vom ersten bis zum aller letzten Pieps. Schwarzer Rauch kommt aus den Feuertürmen, effektvoll. Nun gut, es ist das erste Lied, man muss warm werden. „Links-2-3-4“ zieht doch immer, aber die Band marschiert mehr als der Innenraum. Das hier ist München, das hier ist aber auch abwartend, was passiert, ob etwas passiert. Über diesem Konzert schwebt etwas Düsteres, Bedrohliches, das die Stimmung gehörig versaut – scheinbar auch bei der Band. Und man möchte aufschreien, die Bühne stürmen und allen mal ganz gehörig die Meinung sagen, dass alles sein darf und jedes wahre Opfer auf jeden Fall den Mund aufmachen soll und muss und Gerechtigkeit verdient, und dass jeder Täter seine Anklage verdient und auch eine gerechte Strafe, aber dass Hetze, Hass, Menschenverachtung und blinde Hexenverfolgung absolut nicht gehen. Jede Frau, die „MeToo“ schreit, hat hier gleichzeitig „MenToo“ zu rufen und zu sehen, was passiert. Denn das, was ein wahres Opfer erfährt, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, sich nicht wehren können, keine Stimme zu haben, keinen Fürsprecher zu haben, das, was ein Opfer fühlt, das fühlt gerade auch Till Lindemann, der bisher Opfer einer gewaltigen Hetz- und Verleumdungskampagne ist. Es ist eine Sache, was er angeblich getan hat, was sich noch herausstellen muss, und zwar nicht in den Sozialen Medien, nicht in der BILD Zeitung, nicht über YouTube-Videos und Instagram-Reels, sondern als beweisbare Aussagen und Fakten bei Ermittlungsbehörden und bei der Justiz, fernab vom Medienrummel. Dass man darüber berichtet, ja, auf jeden Fall, dass man daraus eine Hasskampagne macht, absolut nein. Nach dem zweiten Song bin ich schon bedient. Ich bin hier für ein Konzert, für eine Feuershow, für Spaß und Abschalten vom Alltagsstress, ich habe hier Anspannung, keine Ruhe, keinen Genuss. „Bestrafe mich“, ja, da tauen manche dann auf, die zwinkernd ihren Partnerinnen und Bettgefährten die Songtitel zurufen. „Giftig“ vom aktuellen Album, „Sehnsucht“, das wird schon mehr mitgesungen. Dann kommen wir zum ersten Highlight, denn jeder weiß „Mein Herz brennt“ zeigt auch schon die ersten Flammen auf der Bühne. Nun erwachen die Anwesenden immer mehr, es wird mitgesungen, getanzt, sich im Rhythmus gewiegt, gejubelt und es wird heiß. „Puppe“, nicht gerade mein Favorit, aber man kann schön mitgrölen und der überdimensionale Kinderwagen wird über die Bühne geschoben, Lindemann kriegt die Kamera, so dass das Publikum sieht, wie er an der Band vorbeiläuft. Der Kinderwagen brennt. „Angst“. Es geht schnell. Ein Song jagt den anderen und Rammstein wirken, als wollten sie dieses Konzert ganz schnell hinter sich bringen. Es ist ein schnelles Abarbeiten der Setlist, man will ins Hotel, weg von den Massen, von den Anfeindungen, die hier im Stadion ausbleiben, aber man will in Sicherheit – und ich kann das sogar verstehen. Wenn man Till auf der großen Leinwand sieht, wirkt er angespannt, gedanklich meilenweit entfernt – und seine Bandkollegen nicht minder. Es fehlt die Power, es fehlt die Leidenschaft, die man sonst bei den Konzerten hatte, das Brachiale, Gewaltige, die aufgeheizte Stimmung, das Abtauchen in 2,5 Stunden Musik und Show. Der Refrain wird mitgesungen, lautstark, dann kommt „Zeit“ und jeder hat hier seinen eigenen Moment, an den er zurückdenkt, den er gerne festhalten will für die Ewigkeit.

Mit „Deutschland“ in der Remixversion von Kruspe endet der erste Teil. Normalerweise würde diese Version länger dauern, sie ist eine Verschnaufpause für die Band, die sie auch braucht, Lindemann zieht sich in der Zeit um. Da irgendwer auf die hirnrissige Idee kam, das Gerücht zu streuen, der Sänger würde in diesen Minuten unter der Bühne irgendwelche Groupies vernaschen, bleibt Lindemann auf der Bühne sitzen. Trauriger kann es nicht mehr werden. Kein Musiker hat in knapp zehn Minuten während des Auftritts Bock auf irgendwen, der will seine Ruhe, Luftholen, was trinken, pinkeln und wenn er sich umziehen muss, hat er auch damit noch zu tun. Aber gut, das passt nicht in de Hetzkampagne, schon klar. Lindemann verschwindet an diesem Mittwochabend nur kurz zum Umziehen und ist sonst sichtbar für alle auf der Bühne. Physisch und psychisch eine ziemliche Anstrengung. Der Remix ist kürzer als sonst, es folgt das Original, danach „Radio“. Die Show von „Mein Teil“ wirkt auf mich heute ebenfalls verkürzt, aber ich kann es nicht sicher sagen. „Du hast“, auch hier fehlt der Nachdruck, den man sonst gewohnt ist. „Sonne“. Feuershow. Man merkt, dass die Laune bei allen nicht perfekt ist – danke dafür. Die Band watschelt zur Bühne, das Duo Abélard erwartet die Herren bereits, es gibt die Karaokeversion von „Engel“. Ein Meer aus Handytaschenlampen leuchtet von den Rängen und aus dem Innenraum, es ist der Gänsehautmoment schlechthin, wenn die Band verstummt und das Publikum weitersingt. Beim Zurückschiffen über die Köpfe des Publikums hinweg, wird die ein oder andere Träne verdrückt. Es geht wieder härter weiter mit „Ausländer“, dann „Du riechst so gut“. „Pussy“ fällt aus. Der Riesenpenis bleibt eingepackt, kein Kunstsperma ergießt sich über die Menge. Diese Angriffsfläche will man nicht bieten, für die Fans schade, aber es geht ja nur um eine hetzende Meute, nicht um das zahlende Publikum. Dafür gibt es „Ohne Dich“ in der vollen Version zum ersten Mal seit 2019 wieder von der Band performt und nicht vom Support interpretiert. Das weiß das Publikum schon zu schätzen. Weil sich die Fotografen auf der Seitenstage formieren, weiß man, was als nächstes kommt. In der kurzen Pause, in der Lindemann sich schnell umzieht, fordert das Publikum eine Zugabe – aber jeder weiß, dass sowieso noch etwas kommen wird. „Rammstein“. Feuer strömt aus den Flammenwerfern, die Lindemann auf dem Rücken trägt, es wird laut, rot, heiß, feurig und eine tolle Show. „Ich will“ – und das Ganze wird so schwach, so lahm gesungen, wie ich es noch nie gehört habe. Laut Medienberichten werden einige Zeilen besonders betont, ich würde aber sagen, das, was betont wird, wird nur anders betont als sonst, denn eigentlich ist jedes Wollen im Normalfall sehr nachdrücklich gewesen. Das Publikum singt seinen Part. Mit „Adieu“ geht es zu Ende. Trauriger als sonst, manche fragen sich, ob es wirklich der Abschied für immer ist. Rammstein verbeugen sich und dann bedankt sich Till Lindemann dafür, dass wir da sind. Übrigens ergreift er nach jedem Münchner Konzert das Wort für einen oder zwei Sätze. Bei der Verbeugung kann Christoph Schneider seine Tränen nicht zurückhalten. Es tut unheimlich weh, das zu sehen.

Wenigstens auf dem Heimweg bleibt man von hasserfülltem MeToo-Feminismus verschont, hätte ich da auch wirklich nicht mehr ausgehalten. Die Security ist wieder einmal hilflos und schafft es auch nicht, am Ausgang für Ordnung zu sorgen. Lieber lassen wir Leute rein oder versperren den Ausgang. Macht man ja so. Dann wird man auch noch rabiat handgreiflich ohne ersichtlichen Grund. Perfekte Sicherheitsfirma zum Nicht-Weiterempfehlen.

Rammstein 2023 in München. Trotz klarem Nachthimmel schweben dunkle Wolken über diesem Auftritt. Die Band wirkt angeschlagen, spielt runter, was sie spielen muss, man kann die Anspannung spüren und das Publikum geht auch nicht in die Vollen. Mein drittes Rammstein-Konzert und gleichzeitig das Schlechteste. Schade, aber es hat sich dennoch gelohnt, die Jungs zu sehen und diese Show ein weiteres Mal zu erleben.

Ich persönlich habe eine sehr deutliche Meinung zu dem, was gerade medial passiert, das ist aber nicht die Meinung, die Stage Reptiles zwingend vertritt. Für uns ist es wichtig, dass die Justizbehörden in Ruhe, fachlich, sachlich ermitteln können und wir sind überzeugt, dass sie das tun. Wir sind gegen Hass, Hetze, Vorverurteilung und Diskriminierung. Jedes Opfer, ob weiblich oder männlich, ob Opfer von sexueller Gewalt oder Diffamierung hat das Recht, gehört zu werden. Es gilt für alle Seiten die Unschuldsvermutung bis zu einer Verurteilung – in dubio pro reo.

Setlist:
Intro: Music for the Royal Fireworks (G.F. Händel)
01 – Rammlied
02 – Links 2-3-4
03 – Bestrafe mich
04 – Giftig
05 – Sehnsucht
06 – Mein Herz brennt
07 – Puppe
08 – Angst
09 – Zeit
10 – Deutschland (Remix by R.Z. Kruspe)
11 – Deutschland
12 – Radio
13 – Mein Teil
14 – Du hast
15 – Sonne
Encore:
16 – Engel (mit Abélard)
17 – Ausländer
18 – Du riechst so gut
19 – Ohne Dich
Encore 2:
20 – Rammstein
21 – Ich will
22 – Adieu
Outro: Sonne (Pianoversion)
Outro: Haifisch (Remix by O. Involtini)

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