Music: Disinter – Guerra Eterna


Death Metal aus Lima, Peru. Das klingt schon etwas anders und macht neugierig. Ist Death Metal in Peru anders, hört oder fühlt er sich anders an? Disinter haben ihr aktuelles Album Guerra Eterna, das bereits 2022 erschienen ist, nun in einer limited Edition veröffentlicht. Damit feiern sich Disinter selbst, denn mittlerweile kann die Band auf 30 Jahre Bandgeschichte zurückblicken und gilt als eine der bekanntesten und besten Death Metal Bands aus Südamerika. Interessant, aber nicht weiter verwunderlich, wenn man sich mit der Musikszene in Südamerika etwas beschäftigt, ist, dass Disinter in 30 Jahren streng genommen nur drei Alben auf den Markt gebracht haben, plus zwei Alben in Kooperation mit anderen Bands. Stört das? Jein, Qualität sticht Quantität und es ist nicht so einfach wie in den USA oder in Europa, ein Album aufzunehmen, zu produzieren und zu verkaufen, dafür fehlt massiv das Geld. Aber natürlich möchte man gerne viel von einer Band haben, die man eventuell gut findet und gerne hört. Was auch nicht ganz so stark verbreitet ist, sind digitale Veröffentlichungen, eben weil das Geld für die Produktion fehlt. Aber genug gejammert, wir haben ein Album, wir haben eine limited Edition und damit zwölf Songs rund um den Guerra Eterna, den ewigen Krieg.

Die Scheibe ist um Grunde gesplittet in drei Kapitel und diese wiederum geben eine sehr schöne Ordnung und Entwicklung.

Kapitel 1, die Songs 1 bis 4 steht ganz im Zeichen von „Caos, guerra y muerte“, also von Chaos, Krieg und Tod. Das erste Intro (es gibt insgesamt drei) betitelt mit „Las Esencia Del Mal“ – Die Essenz des Bösen, könnte gut zum Herr der Ringe-Soundtrack passen. Flüstern, diese angespannte Ruhe vor der Schlacht, das Kriegstreiben wird lauter, man hört Schwerter aneinander prallen, Krampfgeheul, dann Maschinengewehre, kein direkter Kontakt mehr, keine Rufe, bis es zur dumpfen Explosion kommt. Stille. In unter zwei Minuten hat man eine Reise durch die Entwicklung des Krieges bis hin zur endgültigen Vernichtung. Damit hängen Disinter die Erwartungen schon mal richtig hoch, denn hier geht es nicht nur ums reine Geprügel, hier steckt mehr drin. „Guerra Eterna“ ist dann eine hörenswerte Death Metal Nummer. Harter Gitarrensoundbrei, getriggertes Schlagzeug und ein Sänger, der sich alles aus dem Leib growlt, was er nur raushauen kann. Zwischendurch kurze Verschnaufpausen, in denen die Gitarre sowas wie ein Solo darbietet. Und da beginnt auch plötzlich die Feinheit, denn es ist alles andere als Soundbrei, den Disinter hier bieten. Selbst wenn man kein Spanisch spricht und dadurch den Text nicht versteht, versteht man den Song. Es folgt das schnelle „La Ultima Ofensiva“ – Die letzte Offensive, die auch wirklich wie der letzte Sturm, das letzte Aufbäumen in einem finalen Kampf klingt. Schnell, kraftvoll prescht die Melodie nach vorne und zieht den Hörer mit in diese Schlacht. Zwischendurch wieder diese Zäsuren, in denen man merkt, dass etwas passiert. Disinter entwickeln eine Bildwelt, einen imaginären Film, der sich beim Hören abspielt. Song Nummer 4 „Iliatupac“ hat keine wirkliche Übersetzung. Lassen wir den Titel, konzentrieren wir uns auf die Musik, denn da ist dieser letzte Angriff vorbei und man leckt schon ein bisschen die Wunden. Die Verlierer müssen sich nun unterwerfen und dieses brachiale, martialische Kampfgebrüll ist komplett weg. Es geht um Versklavung, um Unterdrückung, wie das so ist nach dem Krieg. Wenn man will, leider habe ich dazu keine Anhaltspunkte gefunden, die meinen Eindruck bestätigen oder verneinen, geht es um die Geschichte Perus und hier kann man durchaus den Song auf die Kolonialzeit und die Herrschaft der Spanier beziehen.

Was passiert mit den Siegern? Sie bestimmen, sie nehmen sich alles, sie vergewaltigen Frauen, feiern Orgien und bringen ihre Kultur mit, die sie rücksichtslos einem Volk aufzwingen, das diese gar nicht versteht. Kapitel 2: „Ancestrales Cultos Heréticos“, alte Ketzerkulte. Das Intro „Tormento y Lujuria“, Qual und Lust, ist die perfekte Szene aus einem düsteren Slasherfilm, eine Frau stöhnt gequält auf, man hört Feuchtigkeit, ein Schmatzen, wie das Ausbluten von Körpern, unendliche Qualen und großes Leid zur Bespaßung oder Beruhigung erdachter Gottheiten. „Orgía Negra“, die schwarze Orgie bestärkt diesen Kult musikalisch noch mehr. Der Einzug des Bösen wird gespielt. Für eine Orgie ein bisschen brav und ruhig, aber dennoch lüstern und bedrohlich. Es geht weiter in die Mythologie. „Ukupacha“ ist die innere Welt. Auf der einen Seite geht es um die Fruchtbarkeitsgöttin, auf der anderen Seite hinab in die Welt der Toten, wo die dämonischen Supay die Lebenden quälen. Störungen des Ukhu Pacha waren mit Ritualen verbunden, später nutzte man dann solche Rituale und den Mythos, um Bergbauarbeiter zu gewinnen. Die ganze Mythologie dahinter ist etwas zu komplex, um sie hier in wenigen Sätzen zusammenzufassen, aber wen es interessiert, der findet im Internet einige genauere Beschreibungen. Musikalisch wird es düster und man bekommt sofort den Eindruck von düsteren, auch wieder teilweise orgiastischen Ritualen, die die Supay befrieden sollen, denn wenn am Ende der tiefe, langgezogene Growl kommt, meint man wirklich, ein Dämon aus der tiefsten Unterwelt sei erwacht und würde sich über die Erde hermachen. Wenn wir schon bei der Unterwelt und den Toten sind, dann kommen wir auch gleich zu Lied Nummer 8. „Ancestrales Rituales De Necromancia“ bezieht sich wieder auf Rituale, dieses Mal geht es um alte Nekromantie-Rituale, wie der Titel verspricht. Dieses düstere Erwecken der Toten, um mit ihnen zu sprechen, beginnt mit einer Art Urschrei, als würden die Toten wirklich aus ihren Gräbern auferstehen – und dann geht es los. Schnell, gewaltig und in schönster Death-Metal-Manier wird vorgeprescht, das getriggerte Schlagzeug kommt gar nicht mehr zur Ruhe. Und vielleicht ist es gar nicht so gut, mit den Toten zu sprechen…

Was darf nicht fehlen bei all dem Kampf und Krieg? Genau, „Gloria Inmortal“, der unsterbliche Ruhm, nach dem alle streben, die in die Schlacht ziehen. Kapitel 3 widmet sich diesem Thema. Wieder ein Intro, „Los Peruanos Pasan“ – und bitte lasst euch kurz auf diesen krassen Stilbruch ein, denn das ist ein Siegeszug und ein Stück Peru, hinführend auf Song 9, „Honor y Gloria“. Man hat im Hintergrund ein zurückhaltendes Schlagzeug, nun ja, zumindest zeitweise, das diesen Marsch, diesen Triumphzug verdeutlicht. Ansonsten bricht der Song wieder richtig los und bietet auch für Nicht-Spanier Mitsingpotential: „Honor y Gloria, Honor y Gloria“, Ehre und Ruhm. Ob sich die nächste Nummer wieder auf eine Mär bezieht, weiß ich nicht. „El Brujo De Los Andes“ könnte durchaus auf Achikay, die Hexe der Anden hinweisen, die ein bisschen wie die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ ist, lockt sie Kinder doch in ihr Haus, um sie zu verspeisen. Weiter geht es in dem südamerikanischen Märchen, dass die Tiere helfen und schließlich auch Gott, so dass es ein Happy End im Himmelreich gibt. Es ist ein bisschen christlich angehaucht in seiner späteren Ausprägung, indem man die Tiere, die das Mädchen retten, mit Jesus gleichsetzt. Und ganz ehrlich: Ein Soundtrack zu „Hänsel und Gretel“ im Death-Metal-Stil mit einem durchaus „netten“ Gitarrensolo in der Mitte, das hat definitiv Stil! Den Abschluss bildet der „Caballero De Los Mares“, der Ritter der Meere. Am Ende hat man, ohne es richtig bemerkt zu haben, eine musikalische Reise durch die Geschichte und Mystik Perus gemacht.

Was bleibt? Ein eindrucksvolles Album, das noch viel mehr gewinnt, wenn man sich mit den Songs, den Texten und den Hintergründen beschäftigt. Disinter bringen ihre Heimat und deren Geschichte in die Welt – und hoffentlich auch mal auf europäische Musikbühnen. Durchdacht, strukturiert, ein gelungenes Konzeptalbum der härteren Gangart.

5/5

Dinister – Guerra Eterna
Pest Records, 2023
Bandcamp

Tracklist:
Intro: La Escencia Del Mal
Guerra Eterna
La Última Ofensiva
Iliatupac
Intro: Tormento Y Lujuria
Orgía Negra
Aberranted Ofrendas Als Ukupacha
Ancestrales Rituales De Necromancia
Los Peruanos Pasan
Honor Y Gloria
El Brujo De Los Andes
Caballero De Los Mares

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