Große Ankündigungen schienen im Wettlauf gegen die Zeit zu stehen. Espiritu Pro Wrestling wächst und ist schon längst nicht mehr der kleine Geheimtipp von San Juan, wenn es um gute Wrestlingevents geht. Als Hauptkampf war das erstmalige Aufeinandertreffen von Mike „El Escorpion“ Mendoza und Mecha Wolf beworben worden – ein Match, auf das sich nicht nur die Fans freuten, auch die beiden Kämpfer fieberten dieser Nacht entgegen. Weniger begeistert davon waren die Fluggesellschaften, wie es schien, denn die ließen den Wolf stundenlang am Flughafen grau werden, bis der Flug endgültig gecancelt wurde und kein Ersatz gefunden werden konnte, der ihn rechtzeitig nach Puerto Rico gebracht hätte. Diese Enttäuschung einen halben Tag vor dem Gongschlag zu verkraften, war nicht einfach – auch wenn die restlichen Kämpfe vielversprechend klangen. Aber es handelt sich hier ja nicht um Möchtegern-Promotionen, sondern eben um EPW und Mendoza, an dem das puertoricanische Wrestling nicht vorbeikommt. Er kennt jeden Wrestler und binnen weniger Stunden stellte EPW einen neuen Hauptkampf auf die Beine, der sich nicht verstecken musste: Ein Triple Threat Match – Mike Mendoza vs. Niche vs. Star Roger. Drei Größen des lucha libre puertorriqueña. Da war der Wolf schnell vergessen – denn genauso klar ist, dass Skorpion und Wolf ein andermal aufeinandertreffen werden.
Dieses Mal gibt es eine Pre-Show mit zwei Kämpfen. Die wunderbare Nahir Robles, wir können uns der Superlative nicht erwehren, zeigt ihr können gegen Iris Alyster, die eine schwere Zeit hinter sich hat, aber sehr positiv empfangen wird. Dem Publikum gefällt, was es als Einstieg zu sehen bekommt und man muss sagen, obwohl es die Pre-Show ist und der eigentliche Event erst eine Stunde später beginnt, sind die Reihen sehr gut gefüllt. Man weiß eben, was man bekommt. Es sieht ganz so aus, als würde man erstmal den Sieg von Alyster bekommen, Robles tut sich schwer, auch wenn sie immer wieder zurückkommt und sich nicht unterkriegen lässt. Aber ihr gehen die Ideen aus. Gegen die erfahrene Gegnerin fehlt ihr der entscheidende Move, der alles zu ihren Gunsten beendet. Völlig unerwartet, schleicht sie sich dann aber an Iris Alyster an, nimmt deren Gesicht in beide Hände und drückt ihr einen Kuss auf den Mund. Die Gegnerin ist derart perplex, dass sie dem Pin nichts mehr entgegenzusetzen hat. Damit hatte man nun weniger gerechnet. Das zweite Match wird nicht gezeigt in der Aufzeichnung, aber El Ninja vs. Ruben gab es ja auch schon mal bei einem Espiritu Lab. Der autistische Kämpfer ist allerdings sehr beliebt bei den Fans und ein wandelndes Beispiel an Inklusion – ich persönlich warte immer noch auf Merchandise. Der langen Rede kurzer Sinn: Ruben gewinnt, nicht nur die Herzen des Publikums.
Camilla, Mendoza Schwester, Supporterin, gute Seele und nun auch Announcerin, kündigt zuerst Jordy an, dann Androide, der entgegen aller Erwartungen nicht im schwarzen Outfit erscheint. Dafür hat er natürlich Eros im Schlepptau, denn dieser ist ja verantwortlich für die nun anstehende Begegnung mit Bengie Lopez. Der hat irgendein armes Plüschtier geschlachtet und sich das Fell um die Lenden gebunden. Erwartungsvoll fragt man sich, ob seine Frau Coraly auch heute wieder eine Rolle spielen wird – und zwar nicht nur als Stardesignerin zahlreicher Outfits im Ring. Androide ist zurück, der hatte in den vergangenen Monaten arg gefehlt im EPW Ring – und auch sonst. Er grinst, er scheint wieder Spaß zu haben am Ring und er hat sich verändert. Auch sein Kampfstil wirkt etwas anders. Richtig gut: Mittlerweile kann er mit dem Publikum spielen und auch Harlekin-artig eine kleine Show abziehen – ohne dabei das Wrestling zu vernachlässigen. In meinen Augen hat er einen gigantischen Sprung nach vorne gemacht. Dass Lopez ihm einiges entgegensetzt und wenig Lust auf Spielchen hat, stört ihn dabei nicht sonderlich. Klar ist auch, dass Eros natürlich nicht nur tatenlos vom Ringrand aus zusieht. Wenn Jordy gerade nicht hinsieht, mischt er sich ein. Ein paar Worte noch zu Lopez, bevor alles vorbei ist: Nach seinem Debüt beim LAWE Summerfest 2022 hat ihm eine Verletzung einen gewaltigen Strich durch die Karriere gemacht, was super schade war. Nun ist er endlich zurück, stärker und besser denn je. Ein Dojo Schüler, der EPW alle Ehre macht und hoffentlich bald einen Vertrag an Land ziehen kann. Den Kämpfer sollte man nicht aus den Augen lassen. Dass er schließlich aufgibt, verwundert, okay, vielleicht hat Androide ihm dann doch mehr zugesetzt. Fatal Affairs, wie sich das Paar mittlerweile nennt, setzt dann noch nach. Übrigens: Der Tag Team Titel ist ja vakant, nachdem Harry William auf unbestimmte Zeit verletzungsbedingt ausfällt – und Baltazar Bruno überraschend bekanntgegeben hat, dass er seine Stiefel an den Nagel hängt. Eros und Androide787 wären heiße Kandidaten auf den Titel.
Die Ladies haben nun das sagen. Nathalya Perez, the next best superstar of wrestling kommt heute ganz in Rot. In blauschwarz hat sich ihre Gegnerin Yesenia „Gema“ Ruiz gewandet. Die hat viel vor und möchte wirklich in die Fußstapfen der großen Superstars treten, überlegt, ob sie mit einer Gofoundme-Kampagne Geld für ein Wrestlingcamp sammeln soll und ist natürlich eines der neuen Aushängeschilder für EPW. Sie möchte hier unbedingt gewinnen und zeigen, wie viel sie in kurzer Zeit gelernt hat. Aber auch Perez entwickelt sich weiter, bereist mittlerweile auch das Festland, um dort den Ring zu erobern. Es ist ein guter Kampf, ohne dieses tussenhafte Weibergetue, das man von der WWE kennt. Der Stuhl, den Ruiz einsetzen möchte, um Perez zu disqualifizieren, versagt seinen Dienst, denn die Rote gibt dieses Mal ebenfalls ihr schauspielerisches Talent zum Besten. Der Kampf geht fair mit einem Pin zu Ende und wird von der unterlegenen Ruiz mit einem gestreckten Mittelfinger quittiert. Das ist noch nicht zu Ende.
Ein Dog Collar Match soll es sein, als wäre es nicht schon eine Herausforderung, Hijo del Enigma gegen Mr. Big zu sehen. Ein bisschen ungleich scheint dieser Kampf zu sein, erschwert durch die Kette, die mit Halsbändern an den beiden Kontrahenten befestigt wird. Es scheint klar zu sein, wer gewinnt – leichtes Spiel für Mr. Big. Vielleicht gibt es ja Hilfe, Chris Mendoza wird seinen Schützling heute wohl eher alleine lassen, aber vielleicht schlägt sich ja jemand auf die Seite von Enigma. Der zeigt keine Angst, wird aber bald zum Spielball seines Gegners. Da hilft auch die beste Technik nichts, Mr. Big ist erheblich größer und hat mehr Masse. Ein kurzer Zug an der Kette und Enigmas Pläne sind zunichte gemacht. Er muss auch Schläge mit der Kette einstecken. Kurzzeitig reitet er auf dem Größeren, bevor dieser ihn abwirft. Das Ende, muss ich zugeben, habe ich erst nicht verstanden. Ziel war es aber, dass man alle vier Ringecken berühren muss, um zu gewinnen. Mr. Big will dies tun mit Enigma auf den Schultern und übersieht dabei, dass Enigma ebenfalls drei Ringecken berührt, bevor er seinen Gegner davon abbringt, auf die vierte zu schlagen. Nach kurzem Gerangel kann Enigma auf den noch fehlenden Pfosten schlagen und gewinnt somit. Mr. Big ist damit nicht einverstanden, schlägt erst mit der Kette auf den Referee ein, geht dann auf Hijo del Enigma los und macht klar, was er vom Ergebnis des Kampfes hält. Schließlich klaut er dessen Maske und setzt sie auf. Aber es kommt zu keiner Enthüllung, mit einer Jacke über dem Kopf verlässt schließlich auch der angeschlagene Sieger den Ring.
Man wartet ja immer noch auf den angekündigten mysteriösen Kämpfer. Wer wird es sein und wann kommt er endlich? Da es beim vergangenen Match nicht passiert ist, bleiben nur noch zwei Möglichkeiten und so ganz will man nicht glauben, dass es beim Hauptkampf dazu kommen wird. Nun steht das Titelmatch an. El Atleta Manu muss einmal mehr seinen Titel verteidigen. Er ist der unangefochtene Champion und man mag immer noch nicht verstehen, warum EPW so sehr an ihm festhält – auch wenn er es verdient hat. Jordy wird der Referee sein und damit keine leichte Aufgabe haben. Zunächst aber kommt Herausforderer Adam Riggs. Der hatte sich beim Espiritu Lab gegen JC Navarro diese Chance erkämpft. Dann kommt ein Fanliebling in den Ring, El Cuervo! Dass er dabei ist, zeigt, wie sehr EPW wächst und wohin der Weg ganz eindeutig geht. Das Publikum skandiert „Cuervo, Cuervo“ und Sieger der Herzen ist er damit auf jeden Fall. Ob er sich auch den Titel holen kann, bleibt noch offen. Manu lässt sich ein wenig Zeit, klar, der Champion ist schließlich der Star. Der Titelgürtel scheint fest zum Outfit zu gehören, er will ihn nicht hergeben, soviel steht fest. Dann aber wird es noch einmal dunkel und der mysteriöse Kämpfer kommt zum Ring: Samuel Olmo! Welch eine Überraschung – und für die anwesenden Ladies anscheinend große Freude, denn die kreischen sich die Seelen aus dem Leib. Damit stehen vier Größen im Ring und man wagt keine Prognose, wie es ausgehen wird. Cuervo macht klar, dass er keine Angst hat, schnappt sich den Gürtel und reckt ihn in die Höhe, lässt sich erneut feiern. Kaum ertönt die Glocke, gehen die vier gewaltig aufeinander los. Wie ein Hurrikan fallen sie übereinander her, treten, schlagen, stürzen aus dem Ring, zerlegen die Stuhlreihen. Man weiß gar nicht recht, wohin man schauen soll. Im Ring gehen Manu und Olmo aufeinander los, davor gibt es Chops von Cuervo und Riggs. Das Publikum steht nun großteils, man weiß schließlich nicht, wie schnell man die Plätze wieder räumen müsste. Kurzzeitige Allianzen der Kämpfer, um gemeinsam die Gegner zu schwächen, wechseln sich ab. Jeder bekommt seien Chance, jeder will den Titel. Die Stimmung ist mega, der Kampf noch besser. Das ist Spannung, das ist Spaß, das ist lucha libre! Sowas will man sehen, wenn man zu einem Wrestlingevent geht. Pinversuche werden schnell unterbrochen. Immer wieder ist ein anderer außer Gefecht gesetzt. Man kann nicht einschätzen, für wen es an diesem Abend den Titel geben wird. Schließlich gewinnt Olmo die Oberhand, aber Riggs greift ein. Die beiden gehen aufeinander los, man erwartet fast, dass sie wieder aus dem Ring stürzen werden. „Olmo, Olmo“ wird gerufen, doch dann geht es weiter zwischen Riggs und Cuervo. Der denkt nun, dass er sich Manu vornehmen kann, doch da kommt High Flyer Olmo und setzt ihn außer Gefecht. Manu ist wieder da, lässt sich wenig beindrucken von den Künsten seines Gegners und macht kurzen Prozess. Der Titel bleibt, wo er ist. Manu bleibt unbesiegbar. Doch El Cuervo ist sauer. Er geht auf Samuel Olmo los, schlägt schließlich mit dem Stuhl auf ihn ein. Da wissen wir ja, wer bald im Ring aufeinandertreffen wird, um das zu klären.
Der Hauptkampf. Man weiß nicht, wer gewinnt, denn alle drei sind wahnsinnig starke Kämpfer und kennen sich lange. Mike Mendoza hat vor kurzem erst Niche besiegt und ihm den IWA Titel abgenommen, vielleicht gibt es nun Rache dafür. Mendoza lässt sich Zeit mit seinem Auftritt, das neue Gimmick ist richtig geil und vielleicht das, was er immer sein wollte. Er wirkt unheimlich fit und endlich einmal wieder so, als wäre er sehr gerne in dem Ring, das war schon mal anders. „Mike Mendoza“ wird skandiert, der Meister ist zu Hause. Dann erscheint Niche, locker und gleichzeitig kraftvoll wie immer. Er wird lautstark begrüßt. Fehlt nur noch der Dritte im Bunde, Star Roger, der mit EWA Titel erscheint. Jetzt heißt es: zurücklehnen und genießen. Wenn die drei im Ring stehen, kriegst Du eine gute Show, bestes lucha libre! Mendoza macht das, was er immer tut, er lauert, er hält den Kopf leicht gesenkt und checkt seine Gegner ab. Niche scheint das alles wenig zu beindrucken und Roger ist einfach majestätisch. Während die ersten beiden sich absprechen, dass sie zuerst auf Roger losgehen wollen, macht dieser klar, dass er gewinnen wird. Ein bisschen Schwanzvergleich im Ring, das muss schon sein. Dann geht es los, man umkreist sich wie Raubtiere, ein erster Move, jeder gegen jeden. Abwarten, wer gegen wen, mit wem. Es ist ein Tanz, der Tanz dreier Wildkatzen, elegant, edel, gefährlich. Niche und Mendoza arbeiten zusammen, kicken Roger aus dem Ring und sofort setzt Niche gegen Mendoza an. Der zeigt zum ersten Mal seit längerem wieder richtig gutes Wrestling, tolle Moves, keine Zurückhaltung, keine Unsicherheit, kein Zögern. Nun ist bekannt, dass er eine Rückenverletzung hatte, was vermutlich mit der Grund dafür gewesen ist. Aber es ist eine Freude, ihn nun wieder so zu sehen. Niche springt auf ihn aus dem Ring heraus. Dann folgt Star Roger, der sich danach lässig auf einen Stuhl setzt, während die Gegner angeschlagen auf dem Boden liegen. Er schnappt sich Niche, rollt ihn in den Ring, lässt sich feiern. Wenn man genau hinschaut, kann man am Rand etwas sehen, das kurzzeitig die Frage aufwirft, auf der Skorpion sich verletzt hat, aber das wird schnell revidiert, als er zurück in den Ring kommt und beide Gegner auf den Ringboden befördert. Das ist sein Haus, hier will er gewinnen. Aber man könnte nicht sagen, dass er dominiert. Alle drei sind gleichstark, dominieren, unterliegen, der Kampf wird Stunden dauern, wenn sich nicht zwei zusammentun. Dann passiert es – und das war nicht geplant. Mike Mendoza landet nach einem Cross Plank vom obersten Seil auf Niche und trifft ihn mit seinem ganzen Körpergewicht im Gesicht. Dass etwas schiefgelaufen ist, merkt Mendoza sofort, man sieht, wie die drei im Ring kommunizieren. Doch Niche steht wieder auf, kämpft weiter. Er ist nicht ganz fit, das kann man sehen, immer wieder greift er in sein Gesicht, steigt aber trotzdem noch auf die Seile und springt auf seine Gegner. Irgendwann geht es dann aber doch nicht mehr. Ein Pinversuch gegen Mendoza schlägt fehl. Niche rollt aus dem Ring, wird sofort in Empfang genommen von Chris Mendoza, Victor Rivera und einigen Helfern. Gut ist, dass er die ganze Zeit bei Bewusstsein ist. Schlecht ist, dann er einen Bruch im Gesicht erlitten hat und monatelang ausfallen wird. Mendoza und Roger improvisieren, das hätte nicht das Ende sein sollen und so haben der Hauptkampf und der Abend einen sehr bitteren Beigeschmack. Star Roger wird disqualifiziert, weil er Mike Mendoza mit dem Titelgürtel schlägt.
Niche meldet sich zwei Tage danach auf seinen Social Media Kanälen. Er sei wieder zu Hause, habe aber starke Schmerzen. Was der Ausfall für ihn bedeutet, kann man nur erahnen. Ihn unterstützen und den finanziellen Verlust ein bisschen abmildern können die Fans durch Kauf von Merchandise. Wir wünschen Niche alles Gute und eine schnelle Genesung.







