Gott hat sich bequemt, ist vom Himmel herabgestiegen und hat sich den Menschen gezeigt. So könnte man dieses Ereignis einer Solotour des Herrn Brian Peter George St. John le Baptiste de la Salle Eno, besser bekannt als Brian Eno am ehesten beschreiben.
Begonnen hat Enos musikalische Karriere 1971 als Mitgründer von Roxy Music, wenn man von seiner Mitgliedschaft bei Cornelius Cardews Scratch Orchestra, wo er mit dem Taperecorder experimentierte mal absieht. Zur gleichen Zeit war er Mitglied im selbstironischen Performancekunst-Ensemble Portsmouth Sinfonia. Nach den ersten beiden Alben stieg Brian Eno 1973 bei Roxy Music aus und machte solo weiter. Kollaborationen mit Robert Fripp von King Crimson, den deutschen Elektronikern von Cluster und David Bowie bei seiner Berlin-Trilogie, sowie seine Produzententätigkeit für Devo, die Talking Heads und U2 zementierten seinen exorbitanten Ruf in der Musikwelt.
Aufgrund eines Unfalls lag Eno 1975 im Krankenhaus, als ihm eine Bekannte einen Plattenspieler und eine LP mit Harfenmusik vorbeibrachte. Die leisen Harfentöne in Verbindung mit dem andauernden Regen und den Geräuschen im Krankenhaus „… brachten mich auf die Idee, Musik zu machen, die sich nicht aufdrängt, sondern eine Art Landschaft kreiert, zu der du dazugehören kannst. Ich erfand dafür einen wichtigtuerischen Namen: Ambient …“ [Brian Eno].
Eno brachte in regelmäßigem Abstand seine Platten auf den Markt, alle im Ambient Stil gehalten. Liveauftritte waren mit Ausnahme von ein paar gelegentlichen Konzerten, meistens mit Mitprotagonisten nicht vorgesehen. Im zarten Alter von 75 Jahren entschloss sich der werte Herr, dass es doch mal an der Zeit sei, seine erste (!) Solotour anzugehen. Da man’s aber nicht übertreiben wollte, bestand diese Tour aus gerade mal sieben Konzerten. Solo alleine wäre das vielleicht etwas zu trivial geworden. Nein – Brian Eno suchte sich ein klassisches Orchester, welches „… die Musik so spielt, wie er sie gerne spielen würde: mit dem Herzen und nicht nur nach der Partitur. „Ich wollte, dass die Spieler jung, frisch und enthusiastisch sind…“ [Brian Eno]. Dies fand er im Baltic Sea Philharmonic unter der Leitung von Kristjan Järvi. Unterstützt wurden die wenigen Shows von Schauspieler Peter Serafinowicz und Brians langjährigen Mitstreitern Peter Chilvers und Leo Abrahams. Start waren zwei Shows in Venedig auf der Biennale Musica 2023. Berlin in Deutschland, Paris in Frankreich und Utrecht in den Niederlanden. Den Schlusspunkt bildeten zwei Shows in der Royal Festival Hall in London, UK. Durch seine Verbundenheit mit Cluster (Berliner Schule) und Bowies Berlin Trilogie kam als deutscher Termin nur Berlin in Frage.
Als ich vor ein paar Monaten in einem Eno Artikel über seine Livepläne gelesen hatte, war für mich klar, dass ich nach Berlin musste. Noch dazu, da er einen guten Teil des Programms aus seinem 2016er Album The Ship bestreiten wollte. Da The Ship zu meinen bevorzugten Eno-Werken gehört, freute ich mich schon Monate auf diesen Termin. Also, Weibchen Kyra eingepackt und ab zu einem Kurzurlaub nach Berlin. Unser Mitschreiber Maxlrose machte sich von Neuss auch auf den Weg und nach einem kleinem musikalischen Sightseeing-Trip durch Berlin liefen wir abends im Berliner Klassiktempel, der Philharmonie ein. Tickets für diesen Event waren im Vorfeld komplett unorthodox ausschließlich auf der eigenen Website von Brian Eno zu bekommen. Die üblichen Kartenportale gingen leer aus. Lediglich auf Viagogo, der Zweitverwertungsplattform waren noch Karten zu ordern, allerdings zu horrenden Preisen von 300 bis 400 Euro. Diesem Umstand war geschuldet, dass das Konzert auch nicht ausverkauft war.
Mit ein paar Minuten Verspätung ging es mit einem einzelnen Ton los. Musiker sah man erstmal keine. Nach und nach kamen die Instrumentalisten von beiden Seiten spielend auf die Bühne. Nach und nach bildeten die einzelnen Instrumente ein Gesamtgefüge, einen verwobenen Klangteppich, der einen sofort in andere Sphären versetzte. Bei den ersten zwei Tracks wurde The Ship aufgeführt. Das Album entstand aus Inspirationen durch den ersten Weltkrieg und dem Schiff Titanic. Beides sollte der Triumph von Willenskraft und Stahl gegenüber der Menschheit sein, und beides endete in einer unsagbaren Katastrophe. Bei diesem Album ist des Öfteren auch mal die Singstimme von Brian Eno zu hören, teilweise durch einen Vocoder verfremdet. Fickle Sun – Part 3 „I’m set free“ ist eine Coverversion aus der Feder von Brian Enos altem Spezl Lou Reed. Original eingespielt auf dem unbetiteltem dritten Album von The Velvet Underground von 1969. Sorry Velvets, aber Enos Version schlägt euer 69er Original um Längen. Einfach traumhaft, was da auf der Bühne der Philharmonie abging. Mit dem folgenden „By this River“ ging es weit zurück in die Vergangenheit. Einer der Eckpfeiler im musikalischen Eno-Kosmos bildet das legendäre 1977er Album Before and after Science, und auf diesem Album ist es zu finden. Nach der Vergangenheit kommt die Gegenwart und mit „Who gives a thought“ wurden das Jahr 2022 und das Album Foreverandevernomore angerissen.
Was sich an diesem Abend von jedem beliebigen Klassikkonzert unterschied, war der Umstand, dass die sonst üblichen klassischen Strukturen a la – hier sitzen die ersten Geiger, da die Bratschen, dort die Bässe, hinten die Pauken – durch das Baltic Sea Philharmonic komplett aufgelöst wurden. Die Musiker bewegten sich frei auf der Bühne, standen, knieten, mäanderten durcheinander. Brian Eno an Laptop und Synthie zentral in der Mitte. Kristjan Järvi dirigierte völlig unorthodox und teilweise hüpfend wie ein Hampelmann. Das war kein Klassikorchester mehr – das war mehr. „…Die Freiheit des Ausdrucks ist das Schlüsselelement in dieser Präsentation. Jede Person in dieser Aufführung ist genauso wichtig wie die andere. Jeder ist genauso wichtig wie der andere und ist nicht ersetzbar oder entbehrlich. Ein Orchester zu haben, das wirklich eine Band ist, und nicht ein Orchester, das eine Aufführung durchführt…“ [Kristjan Järvi]. Und so war es auch – eine 40-köpfige Band stand da auf der Bühne.
Nach „And then so clear“ vom 2005er Album Another Day on Earth und einer kurzen Vorstellung einiger Musiker war das reguläre Set auch schon am Ende, aber schon nach ein paar Minuten kam der Zugabeteil. „Making Gardens out of Silence in the Uncanny Valley“ und „There were Bells“ sind beides wieder auf Foreverandevernomore von 2022 zu finden.
Nachdem sich sich das Ensemble einige Minuten lang feiern ließ, verließen die Musiker die Bühne und nicht wenige verlangten nach weiteren Zugaben, aber als das Saallicht aufflammte, war nach gut 90 Minuten der Abend definitiv zu Ende. Schade, denn dieser Abend hätte noch stundenlang so weitergehen können. Auch wenn manchmal nur einzelne Töne zu hören waren, wurde es keinem der Anwesenden auch nur eine Sekunde langweilig. Das war Ambient der ersten Güteklasse – Champions League – vom Gott des Ambient himself dargeboten. Ein sehr netter Mitarbeiter der Produktion war so freundlich, mich die Setlist von seinem Smartphone abfotografieren zu lassen. Danke speziell nochmals dafür.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich Brian Eno des Öfteren mal bequemt seinen Thron zu verlassen und dem normalen Fußvolk seine göttlichen Klänge darbietet. Alles in allem ein unvergesslicher Abend auf den speziell ich einige Jahrzehnte gewartet hat. Danke Brian Eno.
Setlist:
01 – The Ship
02 – Fickle Sun 1, 2 & 3
03 – By this River
04 – Who gives a thought
05 – And then so clear
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06 – Making Gardens out of Silence in the Uncanny Valley
07 – There were Bells






72 Minuten

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