Sankt wer? … Durch ein YouTube-Video eines Bekannten, der im Video davon spricht, dass er sich die neue Sankt Otten geholt habe, bin ich auf diese Band aufmerksam geworden. Auf YouTube mal in ein paar Songs reingehört und mich hats komplett geflasht. Das klang wie eine Symbiose aus Kraftwerk, Tangerine Dream, Neu! und Brian Eno. Elektronische Musik alter, melodischer Art sowie neumodische Trip-Hop Sounds, gepaart mit sphärischen Ambient-Klängen. Was mir bei der Band sofort aufgefallen ist, sind die komplett verrückten Platten- und Songtitel. Wie bitte fallen einem Titel wie „Männerfreundschaften und Metaphysik“, „Lieder für geometrische Stunden“, „Das Geräusch des Wartens“ oder „Wenn ein Masterplan keiner ist“ ein?
Sankt Otten wurden 1999 in Osnabrück von Stephan Otten, früher bei The Bugs Know Best, an Drums und Vocals gegründet. Zweiter Eckpfeiler im Gefüge ist Gitarrist Oliver Klemm, früher bei Pendikel und nebenbei noch Gitarrist bei Philip Boa And The Voodoo Club tätig. Ebenfalls von Pendikel kam Carsten Sandkämper mit zu Sankt Otten als Sänger und an der Gitarre. Sandkämper stieg aber Anfang der 2000er Jahre nach den ersten beiden Veröffentlichungen Stille Tage im Klischee und Eine kleine Traurigkeit wieder aus. Mittlerweile ist die Besetzung als Duo Otten/Klemm fix – auf Gesang wird verzichtet.
Symmetrie und Wahnsinn ist das mittlerweile dreizehnte Album der Osnabrücker und 2022 auf dem deutschen Denovali Label erschienen. Eine 2023er Veröffentlichung namens Alte Hasen ist bislang nur digital als File von der Band erhältlich. Ich hab mir bald nach dem Kennenlernen fast alle Alben als Vinylversionen geholt. Komischerweise findet man diese sehr wenig bei deutschen Händlern, während Sankt Otten anscheinend in Amerika einen gehaltvollen Ruf genießt. Die Preise im Internet sind nicht gerade billig zu nennen, kommt doch das hohe Porto aus dem Ausland dazu. Abhilfe schafft der Store auf der Label-Homepage von Denovali Records. Auf der Seite kann man die meisten Scheiben noch zu sehr billigen Preisen um die 18 bis 23 Euro direkt neu kaufen, falls die Vinylausgabe noch nicht vergriffen ist. Das kann durchaus vorkommen, da alle Vinylausgaben limitiert sind. Teilweise in Auflagen von 100 bis 300 Exemplaren, je nach Version. CDs sind weiter erhältlich.
Mit der „Hymne der melancholischen Programmierer“ geht die musikalische Reise los und sofort klingen die alten Kraut-Elektroniker von Neu! durch. Die Sounds von Klaus Dinger und Michael Rother dienten hier unzweifelhaft als musikalische Blaupause. Wenn man nicht weiß, wer und was da aus den Boxen kommt, könnte man diesen Track schlüssig neben „Hallogallo“ oder „Neuschnee“ verorten. Macht schon mal gleich am Anfang mega Lust auf weiteres. Steeldrum-ähnliche Klänge in Verbindung mit glasklaren Trip-Hop-Rhythmen und Synthieflächen a la mittlere Tangerine Dream lassen den Hörer bei „Die glücklichen Unglücklichen“ in andere Welten gleiten. Der Schluss des Songs ist leider etwas abgewürgt. Melodienbögen verpackt in astreinen Ambient-Sound bestimmen den Anfang von „Sei symmetrisch zu mir“, bevor das Schlagzeug einsetzt und analoger Synthesizer-Klang das Leitmotiv spielt. Mit gut dreieinhalb Minuten ist der Song leider ziemlich kurz. Der hätte locker zehn Minuten dahingleiten können. Es folgt „Die Ordnung des Lärms“, der mit glatten zehn Minuten den längsten Track auf dem Album stellt. Wenn Lärm so klingt, lass ich mich sehr gern öfter belärmen. Ruhige auf und ab schwellende Ambient-Klänge werden nach knapp vier Minuten wieder durch Klang- und Rhythmus-Strukturen in bester Neu!-Manier ergänzt, bevor dreieinhalb Minuten wieder ausgefadet wird und das melodische Leitmotiv wieder ins ruhige Fahrwasser gleitet. Die „Luftspiegelung der Sentimentalitäten“ würde sich bestens für eine Filmvertonung eignen. Ein Schwarm Graugänse über einer weiten Seenlandschaft oder eine Zugfahrt durch endlose Weiten lassen sich in sechseinhalb Minuten bestens assoziieren. Waren grad noch endlose Weiten angedacht, fließt man bei „In der Endlosschleife“ von außen nach innen in einen langen Tunnel. Eine Gitarre wie seinerzeit von Michael Rother durch ein Delay gejagt und elektronischer Rhythmus wie von Klaus Dinger zu seinen besten Zeiten und schon ist man wieder im elektronischen Deutschland der siebziger Jahre. „Angekommen in der letzten Reihe“ ist sechseinhalb Minuten alter Sound neu verpackt. Zeitlose Musik der ersten Güte. „Bis das helle Licht uns holt“ lässt uns wirklich die unterschiedlichen Lichtstimmungen in unberührter Natur „akustisch sehen“ oder „bildlich hören“. Leider hat uns das helle Licht am Schluss nicht abgeholt, sondern nach genau 45 Minuten ist das Licht ausgegangen und man findet sich in der Realität wieder. Eine äußerst kurzweilige Dreiviertelstunde akustische Stimmung, die den Hörer in andere Sphären versetzt hat und die man immer und immer wieder neu auflegen will.
Wie mit allen Alben zuvor ist Sankt Otten mit Symmetrie und Wahnsinn wieder ein sensationelles Album gelungen, wenn man sich auf die Symbiose von alter Krautrock-Elektronik im neuen Gewand einlassen will. Für mein persönliches Empfinden die volle Höchstnote von 5 / 5.
Sankt Otten – Symmetrie und Wahnsinn
A1 – Hymne der melancholischen Programmierer
A2 – Die glücklichen Unglücklichen
A3 – Sei symmetrisch zu mir
A4 – Die Ordnung des Lärms
B1 – Luftspiegelung der Sentimentalitäten
B2 – In der Endlosschleife
B3 – Angekommen in der letzten Reihe
B4 – Bis das helle Licht uns holt

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