Nachdem mich mein Spezl Guido, seines Zeichens Plattensammler aus Viersen in einem Video auf seinem YouTube-Kanal Guido der Vinyl-Junkie bereits auf Sankt Otten hingewiesen hatte, dauerte es nicht lange, bis er mich mit der Nase unabsichtlich auf The Sun Or The Moon stieß – Danke Guido, ich lass mich immer gern inspirieren. Coole sphärische Soundflächen mit flirrenden Rhythmen schraubten sich sofort in meine Gehörgänge. Ein Mix aus sanften Psychedelic Klängen, elektronischen Strukturen mit teilweiser moderner trippiger Taktung.
Gegründet wurden The Sun Or The Moon 2019 in Mainz. Frank Reuter, alias Frank Incense, Susanne Baum (mittlerweile Susanne Schneider) an den Keyboards, George Nowak an der Gitarre und Niclas Ciriacy an Schlagwerk und Percussion. Musikalisch standen sowohl die alten psychedelischen Pink Floyd, als auch alter deutscher Krautrock und die deutschen Elektroniker wie Kraftwerk oder Tangerine Dream Pate. Moderne Einflüsse aus dem Trip-Hop Bereich wie Portishead oder Massive Attack flossen in ihre Musik ebenso mit ein, wie Jazz oder Weltmusik. Aus diesem verschiedensten Richtungen schufen die Vier ein musikalisches Konglomerat, welches auf den unterschiedlichsten Bühnen der Welt zu Hause ist.

Im September 2021 erblickte dann ihr erstes Album namens Cosmic das Licht der Welt. Auf Vinyl als Doppelalbum angelegt und mit rund 70 Minuten bei sieben Tracks eine gute Laufzeit. Gitarrist George Nowak war kurz nach der Veröffentlichung aus persönlichen Gründen ausgestiegen. Die Gitarren wurden zum großen Teil von Frank Incense eingespielt. Das Klappcover zeigt eine stilisierte Landschaft mit Planeten im Hintergrund, komplett in rot, blau, violett und ocker gehalten.
Cosmic beginnt gleich mit dem Titeltrack. Elektronische Rhythmen bilden die Eingangssequenz von „Cosmic“. Weltmusikalische Melodien aus der arabischen Welt aus dem Synthesizer schrauben den Song hoch. Die englisch gesungen Vocals und das Einsetzen der Gitarre bringen den Song in die Nähe von den späteren Depeche Mode. Fängt schon mal bestens an. Ein Basslauf in Verbindung von Congas bildet den Einstieg in das jazzige Loungegefüge von „Twisted Kamasutra“, in dem eine elektrische Sitar das Leitmotiv spielt. Von der Stimme und auch der Stimmung hätte das auf jedem Album von Sade enthalten sein können. Beim folgenden „Eldorado“ kommt die Inspiration unzweifelhaft von Porcupine Tree. Ruhige Klangpassagen a la 60er Jahre Pink Floyd wechseln sich mit der Wucht von aktuellem Progrock oder Artrock ab. Wir bleiben bei den Floyds der swinging sixties, denn jetzt ist eine Coverversion an der Reihe. Ursprünglich 1968 nur auf einer Single B-Seite enthalten, war das Original von „Julia Dream“ ein zerbrechlicher Song, nur von Mellotron und Gitarre begleitet. Komplett anders kommt die Version von The Sun Or The Moon im neueren, aber bei weitem nicht schlechteren Gewand daher. Die Power, zu der sich der Song durch die Mitwirkung von E-Gitarre und Drums teilweise aufbaut, macht „Julia Dream“ moderner. Zwei komplett unterschiedliche Versionen, aber beide filigran schön. An einen solchen Monolithen von Song muss man sich erst mal dran trauen. Der Orient wird anschließend auf den Mars verortet und neu verpackt. Ein moderner Rhythmus, teilweise mit orientalischem Touch leitet „Trippin‘ to Mars“ ein. Müsste man den Song visuell darstellen, könnte das ein Flug mit einem Raumschiff durch den interstellaren Raum sein. Der Track schiebt teilweise ganz schön vorwärts. Trippig-flippig und immer wieder das orientalische Thema dazwischen geflochten. Man groovt unweigerlich mit. Als „Space Travel Agent“ beginnt, kommt mir sofort Jean Michel Jarre von der Stimmung her in den Sinn. Als dann der Gesang einsetzt, wandelt sich das in Richtung der späteren Eloy. Den Abschluss des Albums, die Vinylausgabe ist übrigens identisch mit der digitalen CD-Version, bildet der längste Track auf Cosmic. Das fast neunzehn Minuten lange „Quicksand“ fängt mit einem modernen Trip-Hop-Rhythmus an, der einen unweigerlich stetig nach vorne schiebt. Die Akzente der elektrischen Gitarre konkurrieren mit den eingestreuten Saxofonlinien von Leon Binder, welche fast einen freejazzigen Touch aufweisen, aber sich immer wieder am regulären Beat orientieren. Der Track groovt extrem dahin.

Im Juni 2023 war dann der Nachfolger an der Reihe. Stilistisch ganz im Stile von Cosmic gestaltet zeigt das Klappcover von Andromeda wiederum eine Art stilisierte Planetenlandschaft mit einem Betrachter, der auf den titelgebenden Andromeda-Nebel schaut. Dieses Mal als einfaches Album mit einer Gesamtdauer von einer Stunde bei sechs Songs angelegt. Die CD-Version enthält zwei zusätzliche Tracks mit elfeinhalb Minuten. Die Gitarre wird jetzt von Markus Weber gespielt.
Los gehts bei „Operation Mindfuck“ mit arabisch anmutenden Melodienbögen aus der Flöte, die aber schon kurz drauf von Trance-Rhythmen begleitet werden. Die führende Melodie übernimmt dann eine clean gespielte Gitarre in einer Art Lounge-Jazz. Elektronisches Gezirpe im Hintergrund begleitet den Track. Bei gut zwei Minuten kommen die englischen Vocals dazu, fast in einer Art tiefem Spechgesang und nicht zu aufdringlich im Vordergrund. Man meint fast inmitten einer Art kugeligen Sphäre zu stehen, und aus allen Richtungen kommen die Zutaten, die den Song zum Gesamten machen. Bei knapp neun Minuten faded der Rhythmus aus und ein einsam klingendes Klavier zu altem Funkverkehr bildet den Schluss des Songs. Das folgende „Psychedelik Kosmonaut“ fängt mit trippigem Synthie-Gezirpe und motorischen Beats an, ehe nach knapp einer Minute der deutsch gesungene Text einsetzt. Von der Stimme ähnlich wie seinerzeit bei der Deutsch Amerikanischen Freundschaft gesungen. Als auch noch ein Riff aus der elektrischen verzerrten Gitarre einsetzt, gibt der Track Vollgas. Zwei Gitarrenspuren (Riff/Solo) in Verbindung mit Orgel bringen alte Klänge und neuen Rhythmen zusammen. Der Song würde bestens auf die Tanzflächen der schwarzen Gothic-Szene passen. Zu meiner aktiven DJ-Zeit hätte ich den sofort aufgelegt. Der dritte Track, „Planet 9“ fängt mit einem Basslauf vor sphärischen Synthiehintergrund an, auf den sich bald eine Klaviermelodie und wieder der Klang einer Flöte legen. Das ist acht Minuten lang Ambient-Sound im fast jazzigem Lounge Charakter. Mehrstimmiger englischer Gesang rundet das Komplette ab. Immer wieder neue Klänge und Sounds kommen hinzu und stapeln sich aufeinander, ohne dass das Ganze aber zu einem Soundbrei wird. Jede Nuance kommt sehr klar beim Hörer an. Beim folgenden „Andromedan Speed Freaks“ werden die ersten gut eineinhalb Minuten bekanntes Geflirre von Synthieklängen begleitet, die wie eine Mischung aus Kraftwerk und Tangerine Dream aus den 80ern klingen. Dann setzt das Schlagzeug dazu ein und eine Gitarrenspur setzt Solo-Akzente obendrüber. Jetzt schiebt die Gitarre noch mehr an und das Ganze wird ziemlich heavy, immer wieder durchsetzt von kleinen ruhigen Verschnaufpausen. Das klingt richtig gut – das schiebt mächtig vorwärts. „The Art Of Microdosing“ ist mit fast elf Minuten der längste Song auf dem Album. Auf elektronisches Synthiegezirpe legt sich eine verwundene Saxofonlinie drüber, die das Leitmotiv spielt. Der Song baut sich mit Länge und dem Einsetzen der Gitarre merklich auf, so dass sich Saxofon und Gitarre abwechselnd das Leitmotiv teilen. Den Abschluss der Vinylausgabe bildet „Into Smithereens“, ein Stück Musik, welches sehr gut den Pink Floyds der siebziger Jahre gestanden hätte. Eingeleitet von einem Solo Klavier wird der orgelige Hintergrund bald von einer Gitarrenmelodie gekrönt, die sich immer weiter aufbaut. Nach gut der Hälfte teilen sich Klavier und Gitarre die Hauptstimme. Das klingt fast wie die deutschen Eloy gegen Ende der Siebziger. Die beiden letzten Songs sind nur auf der CD-Ausgabe enthalten. „Surfin’ Around Saturn“ fängt mit trance-artigen Schamanen-Trommelklängen an, ehe altmodische Synthieklänge darüber erklingen. In Verbindung mit der leicht vom Vocoder veränderten Stimme baut sich der Track bis zum Ende immer weiter auf. Selten hat der Klang altmodischer Instrumente so aktuell geklungen. Das schamanenartige Trommeln im Hintergrund bildet dabei den soliden Boden. Den Schlusspunkt bildet das ruhigere „40 Days“, ein Song, der im sphärischen Ambient-Stil beginnt und sich durch die Leadstimme der Gitarre in den Kosmos schraubt.
Als Fazit für beide Alben, sowohl Cosmic als auch Andromeda lässt sich sagen, dass mich selten eine Band so schnell soundmäßig komplett überzeugt hat. Als Blaupause dienten viele große Bands aus der Vergangenheit. Bands, deren Musik ich liebe. Pink Floyd, Kraftwerk, Eloy, Tangerine Dream, die mit modernen Beats a la Radiohead oder Massive Attack vermengt wurden. Altbekannte Klänge aus dem Synthesizerbereich werden durchsetzt mit analogen Stimmen der Weltmusik, von jazzigen Strukturen bis tanzbarem Hardrock, alter Sound im neuen Gewand. The Sun Or The Moon kopieren ihre Vorbilder in keiner Weise. Sie holen sich lediglich die Inspirationen, stülpen so manche Sounds von innen nach außen und verpacken sie zeitgemäß in neue Formen. Es macht Spaß festzustellen, dass sich in Deutschland immer wieder sehr gute Bands finden, die sich vom öden Einheitsbrei der ganzen kommerziellen Radiostationen abheben.
Man hört eine Stunde Musik und stellt anschließend fest, dass keine Minute davon auch nur ansatzweise langweilig gewesen ist. Auffällig sind die glasklare Produktion und der saubere Mix der beiden Alben. Beide Jobs wurden von Gitarrist Markus Weber aufs Perfekteste erledigt. Jede Klangspur ist differenziert zu hören und im gesamten Klangbild zu verorten – da matscht nichts durcheinander. Die beiden Vinylausgaben auf Tonzonen Records kommen in schönem farbigen Vinyl – Cosmic in purple Vinyl, Andromeda in Blau.
Beide Alben bekommen von meiner Seite die Höchstnote 5 / 5

Cosmic
01 – Cosmic
02 – Twisted Kamasutra
03 – Eldorado
04 – Julia Dream
05 – Trippin‘ On Mars
06 – Space Travel Agent
07 – Quicksand

Andromeda
01 – Operation Mindfuck
02 – Psychedelik Kosmonaut
03 – Planet 9
04 – Andromedan Speed Freaks
05 – The Art Of Microdosing
06 – Into Smithereens
07 – Surfin‘ Around Saturn
08 – 40 Days
The Sun And The Moon
Frank Incense – Bass, Elektronik, Vocals, Keyboards, Electric Sitar
Susanne Schneider – Keyboards
Markus Weber – Guitars
Marcus Pukropski – Drums
Niclas Ciriacy – Drums, Percussion
George Nowak – Guitars

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