Flashback 50 – Gene Clark – No Other – September 1974


… von dem Byrd , der nicht fliegen konnte …

1974, nach einem kurzen Reunion-Album der Byrds, bei dem Gene Clark die besten Songs beigesteuert hatte, unterschrieb er bei dem jungen Label Asylum Records, das von dem berühmt-berüchtigten Idioten David Geffen geleitet wurde. Geffen hatte vor, Gene Clark zu einem Solo Star zu machen. Er war der bestaussehende Byrd, cruiste auf Grund seiner Song-Royalties mit seinem Ferrari den Sunset Strip rauf und runter als seine Mit-Byrds noch Taxi fuhren, kurz, Geffen dachte, da backe ich mir einen Elvis der Seventies. Clark bekam für sein Album ein Budget von 100.000 Dollar (heutzutage über 600.000 Dollar), eine damals unerhörte Summe.
Gene Clark entschied sich für den Produzenten Thomas Jefferson Kaye, der für seine Kostenüberschreitungen berüchtigt war. Als Geffen eine Testpressung des Albums in den Händen hielt und nur acht Songs darauf entdeckte, zudem mit Titeln wie „Silver Raven“, „Strength of Strings“ und ein Cocain verdächtiges „From a silver Phial“ , war er so wütend, dass er die Testpressung in den Müll warf ohne sich das Album anzuhören. David Geffen weigerte sich, irgendwelche Promotion dafür zu machen. Das Album war praktisch eine Totgeburt und es wurde innerhalb von zwei Jahren aus dem Katalog des Asylum Labels gestrichen. Erstaunlicherweise kam die erste CD Pressung davon erst 2006!
Gene Clark hatte sich die Crême de la Crême der L.A. Session Musiker geholt, Danny „Kootch“ Kortchmar an der Gitarre, Craig Doerge am Klavier, Russ Kunkel trommelte und Leland „Lee“ Sklar zupfte die vier dicken Saiten. Bekannte Leute, die später Jackson Browne und Don Henley unterstützen sollten. Jesse Ed Davis, der Gitarrist von Taj Mahal, Timothy B. Schmidt noch aus der Zeit vor den Eagles taucht auf, um Background zu singen. Butch Trucks von der Allman Brothers Band spielt Schlagzeug auf einem Track. Sogar Ex-Byrds-Kollege Chris Hillman spielt auf einem Track. Gerüchten zufolge war Sly Stone bei einigen der Sessions dabei … und auf einigen dieser Tracks ist auch eine Funk-Atmosphäre zu spüren.

Aber nun zur Musik selbst:

Beginnend mit dem liebenswerten Country-Shuffle von „Life’s Greatest Fool“ stellt No Other Clarks klagenden Gesang in den Mittelpunkt. Die vergangenen Jahre waren gut zu seiner Stimme gewesen, und obwohl ihr die aufrichtige Verletzlichkeit von einst fehlte, hat sich ein Weltschmerz-Tonfall eingeschlichen, der perfekt zum Material auf No Other passt. Wenn Clark schon mal „lebendig“ klang, dann deshalb, weil er mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatte. Als ehemaliger Byrd hatte er immer noch Zugang zu einem Hollywood-Jetset-Lebensstil, zu dem Leute wie David Carradine, Dennis Hopper und viele andere gehörten. Obwohl Clark leugnen würde, dass Drogen beim Schreiben des Albums eine Rolle gespielt haben, ist es eben jene kosmische Abgehobenheit, die das Album definiert, und wenn es sich im weitesten Sinne um ein Country-Rock-Album handelt, ist das fragliche Ziel dieser kosmischen Exkursion wahrscheinlich nicht auf dieser Erde zu finden. Gram Parsons hatte die Vision dieser Cosmic American Music und Gene Clark hat sie verwirklicht. „Silver Raven“ ist majestätisch, eine sehnsüchtige Gitarre, die eine Atmosphäre ätherischer Kontemplation schafft. Clarks Texte sind philosophisch, im psychedelischen Sinne des Wortes. „Have you seen the old world dying, which was once what new world seem, have you seen the silver raven, she has wings thar barely gleam”, singt Clark, während ein geschmeidiger Bass die Melodie streichelt, ohne sie jemals zu übertönen. Es gibt hier Fragen, aber keine Antworten. Insgesamt betrachtet scheinen die Texte von No Other schwer zu fassen, da sie nicht ganz zu der einen oder anderen Aussage passen wollen. Aber vielleicht war es nicht Verwirrung, sondern Clarks Offenbarung, dass er die Antworten nicht hatte und dass vielleicht genau das der springende Punkt war? Es ist besser, der Suchende zu sein, als die Geheimnisse zu bewahren. Diese mystische Ader des Songwritings setzt sich mit dem Titeltrack „No Other“ fort, der sich vor dem Zuhörer beginnt zusammenzufügen, bevor er auf einer Welle aus massivem Bass ins gehörte Blickfeld gleitet. Diese riesige, mehrspurige Basslinie trägt den Song, wobei Clark ein zynisches, hartgesottenes Gefühl erzeugt, das schwer einzuordnen ist. Es ist düster, ohne jemals konkret zu sein, und offenbart einen der großen Reize von „No Other“. Als sich der durchdringende Bass von „No Other“ in die Unterwelt zurückzieht und in einer Kakophonie aus Shakern und Hintergrundgesang zusammenbricht, eine teuflische Beschwörung des Bösen, finden wir ein Gefühl der Hoffnung. „Strength of Strings“ kündigt sich in einem nachdenklichen Duett zwischen akustischer und elektrischer Gitarre an und krallt sich zaghaft in die Welt, wobei sich Klang und Melodie Schicht für Schicht aufbauen, während Clarks wortloser Gesang am Horizont schimmert und die entferntesten Echos jener himmlischen Harmonien der Byrds liefert. Dann, etwa anderthalb Minuten nach Beginn des Songs, bricht die Band herein und wir werden von dem Klang mitgerissen. Als Clark ins Leere lamentiert: „In my life the piano sings, brings me words that are not the strength of strings“, spüren wir genau, was er meint. Wir verstehen es vielleicht nicht, aber wir spüren es. Dies ist der größte Moment auf der Platte, ein Gefühl von großer Dramatik, das von dem kraftvollen Zusammenspiel der Instrumente herrührt, die diese epische Melodie tragen, während Clark mittendrin an den Mast gebunden ist und das Schicksal herausfordert, ihn niederzustrecken. Der Beginn der B-Seite, „From A Silver Phial“ ist mit 3:40 Minuten der kürzeste Song auf dem Album. Eindeutig mit das Beste, was Jesse Ed Davis mit seiner Gitarre zu dieser LP beigetragen hat. Auch auf „Life’s greatest Fool“ und „Silver Raven“ ist er der Lead Gitarrist und seine einfühlsamen Soli sind zeitlos gut. „ Said she saw the sword of sorrow sunken in the sand of searching souls, sleeping in the master’s room, seeing through his eyes for gain, keeping by his side, not to be a victim, falling in the darkened rain”. Gene Clark ließ sich beim Schreiben von „From a Silver Phial“ von persönlichen Erfahrungen und Emotionen inspirieren. Obwohl er den konkreten Vorfall, der das Lied inspirierte, nicht explizit schilderte, kann man erkennen, dass es von einer früheren Liebesbeziehung beeinflusst wurde, die sein Leben tiefgreifend geprägt hat. „From a Silver Phial“ besitzt eine universelle Qualität, die es den Zuhörern ermöglicht, sich auf einer tief persönlichen Ebene damit zu verbinden. Seine lyrische Tiefe und emotionale Resonanz machen es für jeden nachvollziehbar, der Liebeskummer oder ein Gefühl der Sehnsucht erlebt hat. Danach lassen wir uns auf den mit 8:10 längsten Song ein, „Some Misunderstanding“ ist ein Trip für sich. „ But I know if you sell your soul to brighten your role, you might be disappointed in the light, we all need a fix at a time like this, but doesn’t it feel good to stay alive.” Wahrlich eine dringend benötigte positive Weltsicht nach soviel Gloominess. Der Song „Some Misunderstanding“ beschäftigt sich mit Missverständnissen und der Suche nach Sinn und Inspiration im Leben. Der Text lässt den Wunsch erahnen, Dinge richtig zu machen und inmitten der Verwirrung Klarheit zu finden. „The True One“ ist ein willkommener Hauch von Leichtigkeit in einem Album mit weit ausholenden und spacigen Songs und einer von Gene Clarks zugänglicheren Songs. In dieser einfachen Parabel über das Naturgesetz und das Konzept von Karma kommt Clarks Weltschmerz-Weisheit zum Vorschein. Musikalisch hat es eine wunderbar eingängige Melodie und einen schönen Refrain, alles verpackt in einige einfache und effektive Country-Rock-Folk-Melodik. „Lady oft the North“, der letzte Song auf dem Album bringt wieder eine neue Stimmung mit. Musikalisch sowie auch im Text. Beschrieben wird eine traumhafte Verbindung zwischen zwei Menschen, die eine tiefe Beziehung symbolisiert. Der Song malt ein Bild von hoch über den Wolken, auf einer grasbewachsenen Wiese liegend, wobei die Erde als tröstendes Kissen für ihre Träume dient. Prüfungen und Nöte kommen in ihren Gesprächen nie vor, denn ihre Träume sind voller Glückseligkeit und Harmonie. Das erhebende Outro beschreibt eine „feine Dame des Nordens“ und vergleicht sie mit Silber am Meeresufer und dem Flüstern des Windes in den Bäumen. Diese ätherische Bildsprache ruft ein Gefühl von Schönheit, Anmut und vielleicht einer unerreichbaren Natur hervor.

Mit No Other hat Clark ein einzigartig brillantes Album geschaffen, eine Platte, die um ihre eigene Seele kämpft und den Hörer über das Ergebnis entscheiden lässt – Einen Monolithen. Die Songs sind in ihrer eigenen Klangwelt angesiedelt, und das ist ein Ort, der sich sehr von allen Orten unterscheidet, an dem du oder ich jemals gewesen sind. Es ist kein besonders steril-urban klingendes Werk, aber auch keins, das countryfied klingt. Tag oder Nacht scheinen keinen Bezug zu dem zu haben, was passiert, und der einzige vorherrschende Ort, der heraufbeschworen zu sein scheint, ist das Studio, wobei das blinkende rote Aufnahmelicht den einzigen Fokuspunkt für Gene Clark und seine versammelte Musikercrew darstellt. Es war jedoch auch ein Album, dem alles fehlte, was einer Single ähnelte. Die Platte versickerte, bekam einige nette Reviews, hinterließ aber in der realen Welt nur einen winzigen Eindruck und wurde wie gesagt 1976 vom Label abgeschossen. Lange Zeit war man der Meinung, dass No Other ein aufgebauschtes, teures Durcheinander war und dass es dafür keinen Markt gab. Der Misserfolg traf ihn hart, und mit solch einer Last um den Hals hatte Gene Clark Schwierigkeiten, seine Karriere wieder in Gang zu bringen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1991 umfasste sein gesamtes Schaffen nach den Byrds fünf Platten und eine Handvoll Kollaborationen.

Das Nachwort zu all dem ist, dass Gene Clarks Ruf mit jedem Jahr weitergewachsen ist und ihm mittlerweile ein Maß an Liebe und Respekt entgegengebracht wird, welches er zu Lebzeiten nie erfahren hat. No Other entwickelte sich schließlich zu dem Meisterwerk, das Clark für sich erkannt hatte, und diese Songs wurden zu Recht von einer ganz neuen Generation von Fans und Interpreten gelobt. Der teure Studiosound in den Clark so viel investierte, sollte sich schließlich für Fleetwood Mac auszahlen, denn ihr Album Rumours aus dem Jahr 1977 weist mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit Clarks vernachlässigter Platte auf. Im Nachhinein betrachtet war der Zeitpunkt vielleicht einfach der falsche – seiner Zeit voraus, wie man so sagt. Ungeachtet dessen haftet der Erinnerung an Gene Clark, dem schönen Jungen mit den abwesenden Augen, der kurzzeitig ein Teenie-Idol war, bevor die Welt ihn vergaß, immer noch ein Hauch von Geheimnis und Traurigkeit an. Aber mit No Other flog er weiter und höher als jeder andere, und erst jetzt konnten wir ihn einholen.

Gene Clark – No Other
A1 – Life’s Greatest Fool
A2 – Silver Raven
A3 – No Other
A4 – Strength Of Strings
B1 – From A Silver Phial
B2 – Some Misunderstanding
B3 – The true One
B4 – Lady of the North

Harald Eugene Clark, Nov 17 1944 – May 24 1991
Sein Grabstein in Tipton Missouri trägt die Inschrift – NO OTHER

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