Live: Einstürzende Neubauten – 06.09.2024 – Muffathalle – München


Einstürzende Neubauten – Ein Name, der seit ihrer Gründung 1980 Programm ist. Das gleichzeitige Bauen und Abreißen von Klanggebilden und Tonstrukturen. Ich bin seit über 30 Jahren Fan der Band, habe fast alle Platten in meiner Sammlung und darum gabs für mich auch kein Zögern, als bekannt wurde, dass die Neubauten mit ihrer aktuellen Platte Rampen – APM: Alien Pop Musik wieder auf Tour kommen würden. Also gleich Tickets geordert, da sie wieder in der Muffathalle, einer alten Turbinenhalle direkt an der Isar gelegen, spielen würden. Die Muffathalle ist eine der schönsten Locations in München. Wir hatten die Einstürzenden Neubauten bei ihrem Münchner Gastspiel im Rahmen ihrer Lament-Tour im November 2014 live gesehen … und es war ein Erlebnis. Vor allem der Song über den Ersten Weltkrieg, der per Schlegel auf einem Bündel Rohren „gespielt“ wurde, brachte sämtliche Nervenenden zum Vibrieren. Selten einen solch eindrücklichen Song live erlebt. Die Muffathalle war mit circa 1.500 Personen erwartungsgemäß wieder ausverkauft. Was mir aufgefallen ist, es waren dieses Mal mehr jüngere Fans dabei. Der Großteil aber, der ist mit den Neubauten alt geworden. Laut Ticket sollte das Konzert um 20:00 Uhr beginnen, aber die Band ließ die Halle eine volle halbe Stunde warten. Um 20:30 betraten die Musiker die Bühne.

Blixa Bargeld, bürgerlich auf den Namen Hans-Christian Emmerich getauft und ganz nebenbei auch noch Mitgründer von Nick Cave And The Bad Seeds wurde neben Bassist Alexander Hacke am meisten bejubelt. Die Bühne, gerammelt vollgestellt mit allerlei Sammelsurium und Gerümpel zur Tonerzeugung, sah aus wie ein Schrottplatz. Gründungsmitglied und Schlagzeuger Andrew Chudy, besser bekannt als N.U. Unruh musste Anfang der 80er Jahre sein Drumkit aus einer finanziellen Notlage heraus verkaufen und machte aus einer Not eine Tugend. Aus zusammengewürfeltem Schrott und Alltagsgegenständen wurde ein Instrumentarium konzipiert, mit dem sie (laut Wikipedia) „ihre apokalyptische Sicht der Welt inszenieren„. Komplettiert wurde die Band vom zweiten Perkussionisten Rudi Moser und dem Gitarristen Jochen Arbeit, beide seit 1997 bei den Neubauten, und Keyboarder Felix Gebhard, der die Band live seit 2014 unterstützt. Der Großteil der Setlist wurde aus den letzten beiden Alben Alles in Allem von 2020 und dem aktuellen Rampen – APM: Alien Pop Musik von 2024 bestritten.

Los gings mit dem eindrücklichen, düsterem „Pestalozzi“, welches von der Stimme Bargelds lebt, gefolgt von „Ten Grand Goldie“ von 2020. Bei diesem Song trommelte Alexander Hacke mit Schlegeln auf einer langen Spiralfeder herum, was einen hohlen archaischen Klang erzeugt. Beide Songs wurden stark bejubelt, ganz so, als ob es ältere Hitsingles wären. Die Fans der Einstürzenden Neubauten sind der Band treu ergeben und honorieren alte wie neue Songs gleichermaßen. Mit „How did I die“ gings es zurück in das Jahr 2014 zum Lament Album. Die Rohre zum Ersten Weltkrieg wurden leider nicht ausgepackt. Von zurückhaltend bis hinauf in ein Crescendo steigerte sich der Song stetig. Für „Wedding“ ging es wieder zum Album Alles in Allem. Der Track ist ähnlich angelegt wie das vorherige „How did I die“. Textlich geht es um den Berliner Stadtteil Wedding. In dieser Phase war die Stimmung des Publikums etwas lethargisch, zu gleich abwartend klangen die Songs. Die Stimmung steigerte sich aber sogleich, als ein Roadie einen Einkaufswagen auf die Bühne schob. Blixa erklärte, dass sie den Einkaufswagen seit längerer Zeit nicht mehr verwendet hätten, der aber ein Veto eingelegt hätte und somit wieder mit auf Tour wäre. Bei „Grazer Damm“ wurden mit kleinen Sticks die unterschiedlich langen Metallstäbe des Wagenkorbes angeschlagen, was einen interessanten Metall-Klang ähnlich einer Kalimba erzeugte. Grazer Damm wurde eine von den Nationalsozialisten gebaute Berliner Siedlung mit circa 2.000 einfachen Wohnungen betitelt. Der gleichnamige Song beschreibt eine Milieustudie in dieser Siedlung in der heutigen Zeit. Mit „Isso Isso“ und „Ist Ist“ geht es wieder zum Rampen Album. „Isso Isso“ lebt vom knackigen Bassspiel des Alexander Hacke. Sein Thunderbird Bass in Verbindung mit dem alten Ampeg-Verstärker knarrte sehr mächtig als Soloinstrument aus den Boxen. „Ist Ist“ ist ganz im Stil der alten Neubauten gestrickt. Die Leute bejubelten die altbekannten Klanggebilde, obwohl es ein neuer Song ist. Avantgardistischer Lärm möchte so mancher dazu sagen, es ist ein dahintreibender Song mit hypnotischer Taktung.

Der vier Jahre alte „Möbliertes Lied“ betitelte Song ist ein hypnotisch dahinfließender Track, der vom eher gesprochenem Text Blixa Bargelds lebt. Klanglich würde der Song sofort auf dem ersten Album von The Velvet Underground seinen Platz finden. Als musikalisches Vorbild könnte deren „Venus in Furs“ stehen. Für die folgenden drei Songs gings es 24 Jahre zurück ins Nuller Jahr und zum Album Silence is sexy. „Sabrina“ ist ein ruhiger Song, der wieder vom Klang des Basses lebt, der hier das Hauptmotiv spielt, während die Gitarre von Jochen Arbeit mit dem E-Bow lediglich elegische Töne als Begleitung beisteuert. Der Knackbass Hackes findet sich auch im folgenden „Die Befindlichkeiten des Landes“ wieder, zu dem aber ein blecherner Schrottplatzrhythmus auf Metallplatten geschlagen wird. „Sonnenbarke“ beginnt ruhig mit einem trockenem Basslauf, der von Klängen begleitet wird, welche von Schlagzeugbesen, die an ein rotierendes Turbinenrad gehalten werden, erzeugt werden. Der E-Bow erzeugt übersteuernde Gitarrentöne, während sich der Song durch mehr Schlagrhythmus auf diverse Metallplatten stetig steigert. Der Rest des Sets wurde ausschließlich aus den beiden letzten Alben bestritten – Alles in Allem und Rampen – APM.

Das anfangs ruhige „Susej“ von 2014 könnte auch von Element of Crime stammen. Wieder im Vordergrund der Bass von Hacke, man kommt taktmäßig fast in eine Art von Mitschunkeln, irgendwie kommt einem der Begriff Avantgarde-Chanson in den Sinn. Fast wie ein Hörbuch beginnt der letzte reguläre Song der Setlist: „Everything will be fine“. Elektronisches Gezirpe und Geknarre, auf das Blixa Bargeld seine Textpassagen nur spricht. Erst mit dem Refrain kommt eine Melodie ins Spiel und die Instrumente setzen ein. Langsam steigert sich der Song bis zum Ende hin und würde irgendein zahnloser alter schwarzer Musiker aus den Sümpfen Louisianas auf einmal auf Elektronik umsatteln … solch ein Song könnte dabei rauskommen. Die Muffathalle stand jubelnd Kopf, als sich die Musiker von der Bühne verabschiedeten, aber die Pause dauerte grad mal zwei Minuten, als sie schon wieder zu den Zugaben erschienen. Bei „Seven Screws“ kommen mir unweigerlich wieder die Element of Crime in den Sinn. Beide Bands machen zuweilen eine Art avantgardistische Chansons, wie sie sonst fast keine Bands zustande bringen, und in der Art zu sprechsingen sind Blixa Bargeld und Sven Regener eine eigene Gattung von Sängern.

Wer würde heutzutage einen Song über ausgestorbene Gliederfüßer schreiben? Bargeld natürlich, wobei sich der Text von „Trilobiten“ auf ihn selber samt Partnerin bezieht. So mancher fühlt sich wie ein ausgestorbenes Fossil in der rücksichtslosen, anonymen und gesichtslosen Menge der heutigen Menschheit. Alexander Hacke spielt hierzu auf der akustischen Gitarre ein verspieltes Hauptmotiv. Laut Berichten von vorherigen Auftritten dauerte ein Konzert der aktuellen Tour der Einstürzenden Neubauten um die 100 Minuten Spieldauer. Also war logisch, dass „Gesundbrunnen“ vermutlich der letzte Song des Abends sein würde, wenn man nach der Uhr gehen würde. Avantgardistische Töne aus schleifenden Geräuschen, welche auf die hohlen Basstöne aus Hackes Thunderbird aufgesetzt wurden, begleiteten den Sprechgesang von Blixa Bargeld bei diesem verhaltenen Song. Der Song war zu Ende, die Band ließ sich am Bühnenrand kurz feiern und die ersten Gäste verließen die Halle … aber das Licht blieb im Halbdunkeln.

Ich ging nach ein paar Minuten nach vorne, um zu schauen, ob ich eine Setlist ergattern könnte, als plötzlich Alexander Hacke zurück auf die Bühne kam und wieder seinen Platz einnahm. „Let’s do it a Dada“ vom 2007er Album Alles wieder offen wurde angestimmt, bei dem die Perkussion auf dem sogenannten „Engel“ performt wurde, einem Gestell aus Aluminiumrohren in Form von einem Flügelpaar. Der Klang der Konstruktion war eine Mischung aus schräg klingendem Vibraphon und Stahlplatten. Prägnant war der sehr übersteuerte Bass von Hacke und da der Anfang an einen ihrer größten Hits, „Yü-Gung (Fütter mein Ego)“ erinnerte, stand die Halle wieder Kopf. Der Song donnerte mächtig nach vorne und der Songtitel war prägend für den dadaistischen Charakter des Tracks. Gitarrist Jochen Arbeit dengelte am Boden auf Metallteilen herum und Blixa Bargeld brachte eine äußerst spartanische Art eines Grammophons zum Einsatz. Eine Vinylschallplatte auf einem Akkuschrauber montiert, von der ein Plastikbecher mit einer Nadel am Boden Töne abtastet. Der Becherboden funktioniert dabei als Membran nach dem Prinzip eines Trichtergrammophons. Dadaismus in Reinform und das Publikum war begeistert. Mit „Pestalozzi“ vom aktuellen Album Rampen – APM: Alien Pop Musik begann das Konzert, und mit „Besser isses“ der gleichen Platte endete es. Der aufwühlende Song handelt von Problemen in einer Beziehung … „Ich ohne dich – du ohne mich – besser isses“ lautete das Hauptmotiv, eingeleitet durch ein düsteres Abwarten, welches sich im Laufe des Songs in eine Kakophonie reinsteigert. Elektronisches Gezirpe, metallische Schläge auf Kanister, Rohre und Stahlfedern und der schnarrende Bass von Alexander Hacke bilden den avantgardistischen Charakter des Songs treffend ab. Zwischendrin wurde textlich auch noch das bekannte Gedicht „Dunkel war’s, der Mond schien helle„, vermutlich aus der Feder von Christian Morgenstern zitiert, als Bargeld die Textzeile „Drinnen sitzen stehend Leute schweigend ins Gespräch vertieft“ sprechgesangte. Das Publikum war begeistert und nach 115 Minuten fand dieses grandiose Konzert sein Ende.

Als Fazit kann ich anmerken: Ein Konzert der Neubauten ist immer wieder ein Erlebnis, in keiner Weise normal, sondern jedes einzigartig und mit nichts zu vergleichen. Für mich ein traumhaft erlebter Abend, wie er sehr gerne öfter kommen könnte.
Danke Einstürzende Neubauten! (Galeriebilder anklicken)

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