Flashback 50 – Aerosmith – Toys in the Attic – April 1975


Wir befinden uns inmitten der bunten 70er Jahre, von Europa aus erobern ABBA mit ihren traumhaften Harmonien den Planeten im Sturm, die Discowelle rollt Tsunami-gleich um die Welt. Die Rockmusik verändert sich, einesteils weg von den endlosen Progressiv-Orgien mit ausufernden Soli, aber auch hin zu gradlinigen Hardrock, für den europäische Bands wie Black Sabbath, Led Zeppelin oder Deep Purple den Weg bereitet hatten. In Amerika bedienten Bands wie Steppenwolf, Blue Öyster Cult, KISS, Heart oder REO Speedwagon den härteren Markt. Von Boston aus lärmten sich Aerosmith bereits seit einigen Jahren über die Bühnen des Kontinents, hatten ’73 und ’74 zwei erfolgreiche Alben und Billboard-Singles am Start. Mehr im Gespräch als durch ihre Musik waren die beiden Köpfe der Band, Frontmann Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry durch ihre Drogenexzesse. Die neben Bassist Tom Hamilton beiden Hauptsongschreiber von Aerosmith hatten sich ihren Spitznamen „The Toxic Twins“ regelrecht verdient. Als drittes Album erschien am 8. April 1975 Toys in the Attic wie schon die Alben zuvor auf dem Columbia Label. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, dass der Karriere-Turbo der Band jetzt erst richtig zünden sollte.

Los gehts mit Vollgas und dem Titeltrack „Toys in the Attic“, in dem es um verborgene Ängste geht. Eine vom zweiten Gitarristen Brad Whitford fett gespielte Rhythmusgitarre feuert in Verbindung zu Tom Hamiltons Bass ein wahres Feuerwerk ab, auf dem sich Perry solistisch etwas austoben kann – Rock’n’Roll auf Speed. Der geneigte Rockfan kann ja gar nicht anders, als schon zu Anfang gleich mal seinen Kopf gehörig mit zu schütteln. Bei „Uncle Salty“ wird das Gas gehörig zurückgenommen. Prägnant sind hier die übereinander geschichteten Gesangsspuren aus Lead Vocals und Chorus und eine Leadgitarre, die eigentlich fast nur im Hintergrund bleibt. Textlich geht’s um ein verkorkstes Leben, um das Allein-gelassen-werden. Es wird bluesig und mit „Adam’s Apple“ kommt ein Song an den Start, den man bestens am Steuer eines Wagens auf einer sonnigen Landstraße in den Sonnenuntergang genießen kann. Hier fällt einem das geniale Wechselspiel der beiden Gitarristen Perry und Whitford auf. Ein rhythmisch relativ einfach gespielter Song ,der aber druckvoll nach vorn geht. Schon bei den ersten Takten von „Walk this Way“ konnte man seinerzeit erahnen, dass der Song ein Megahit werden würde. Hier stimmt einfach alles. Ein paar Schlagzeugtakte von Joey Kramer als Einleitung, auf die sofort eine messerscharfe Gitarre folgt, bilden die Grundlage auf der Steven Tyler in einer Art Sprechgesang singt, der gut als Blaupause für spätere Rap und Hip-Hop Generationen dienen konnte. Nicht von ungefähr coverten die New Yorker Hip-Hoper RunDMC den Song und spielten zusammen mit Aerosmith eine neue Version ein – das dazugehörige Musikvideo ist sehenswert. Die Musik von Aerosmith wurde von Rock’n’Roll, Soul und Blues inspiriert und genau in diese Sparte passt der ungewöhnlichste Song des Albums, mit dem die erste Seite endet. „Big Ten Inch Record“ ist ein astreiner Boogie-Woogie, der eine willkommene Abwechslung zum Rest des Albums bildet. Wirbelnde Drumsticks mit einem Honky-Tonk Piano, ein paar fette Bläser im Hintergrund und ein kurzes Solo auf der Mundharmonika und nach schnellen zwei Minuten ist das Ende der Plattenrille erreicht.

Seite Zwei beginnt mit einem schleppenden Rocker, der sich im Lauf der Jahre zu einem der größten Aerosmith Hits entwickeln sollte. Das Hitpotential von „Sweet Emotion“ wurde sofort erkannt und kam als erste Singleauskopplung auf den Markt. Mitte der 70er Jahre war bei vielen Rockproduktionen eine sogenannte Voice-Box im Einsatz, mit der man mit Hilfe eines Luftschlauches per Atemluft die Gitarrentöne modulieren konnte. Peter Frampton hat es auf seinem 76er Livealbum Frampton comes alive der breiten Masse bekannt gemacht. Ein schnurrender Basslauf mit ein paar Voice-modulierten Gitarrentönen bildet das Intro zu einem treibenden Rocker im Mid-Tempo, einem Song, der sich im Laufe der Jahre als Markenzeichen für Aerosmith etablieren sollte. Das folgende „No more no more“ ist ein typisch amerikanischer Rocker, der aber im Vergleich zum vorherigen Hit stark abfiel. Nicht desto trotz passt er hervorragend ins Gesamtgefüge von Toys in the Attic. „Round and round“ ist ein schleppender schwerer Track in einer tieferen Tonart. Der Song könnte vom Grundgerüst fast zu Black Sabbath passen. Ein tolles Stück Musikgeschichte, welches leider zu Unrecht im Schatten der beiden Megahits geblieben ist, mit gut fünf Minuten Länge auch länger als die bisherigen Songs. Schwere progressive Töne mit einem prägnanten Piano vor einem orchestralen Hintergrund erinnern einen beim abschließenden „You see me crying“ fast an das Electric Light Orchestra. Der New Yorker Michael Mainieri arrangierte die Orchesterbegleitung zu dieser Powerballade. Rock meets Classic bildet mit über fünf theatralischen Minuten einen würdigen Abschluss zu einem der größten Alben von Aerosmith.

Toys in the Attic verkaufte sich im Laufe der Jahre über acht Millionen mal und ist mit acht Platinauszeichnungen das zweiterfolgreichste Album der Band. Aerosmith hatten 1975 damit endgültig ihren eigenen Stil gefunden, der sie Laufe der nächsten Jahrzehnte zu einer der größten Rockbands werden ließ. Wenn man einem jungen Rockfan Aerosmith nahebringen will, dann am besten mit Toys in the Attic oder einem der späteren typischen Arenarock-Platten a la Pump oder Get a Grip.

Aerosmith – Toys in the Attic
A1 – Toys in the Attic
A2 – Uncle Salty
A3 – Adam’s Apple
A4 – Walk this Way
A5 – Big Ten Inch Record
B1 – Sweet Emotion
B2 – No more no more
B3 – Round and round
B4 – You see me crying

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