Die Backstage Halle füllt sich langsam und es wird gelacht, geratscht und gewartet. Es ist nicht übervoll, aber in den ersten Reihen steht Mensch an Mensch – und sie warten gespannt. Zwischenzeitlich wird der Merch-Stand geplündert, denn kein Geringerer als Alex Wesselsky von EISBRECHER verkauft dort – und nein, es gibt keine Fotos und keine Autogramme, wenn man nicht erst etwas erstanden hat!! 😉 Vielleicht gar keine so schlechte Verkaufsstrategie. Aber dann nimmt doch wieder Tobias Mertens den Platz des Verkäufers ein. Mertens? Diesen muskulösen Burschen kennt man doch irgendwoher … Genau, der ist ein wahrer Wunderknabe an Drums und Gitarre und gar nicht mal so unbekannt – nebenbei auch der Drummer bei Harms‘ neuen Projekten HARMS & KAPELLE und OVER THE JORDAN.
Im Rahmen der Dark End Festivals im Dezember 2012 waren UNZUCHT zum ersten Mal in München – mit nicht mal 30 Minuten ein viel zu kurzer Auftritt für die Landeshauptstadt. Umso schöner, dass das Quartett nur einen Monat später wieder da ist und eine komplette Stunde durchrockt. Aber von Anfang an.
Es wird dunkel, die ersten Akkorde ertönen, Fuhrmann tippelt hinter seine Drums und fletscht die Zähne (manche könnten es als Grinsen fehlinterpretieren 😉 ). De Clercq nimmt seinen Platz an der Gitarre ein und auch Blaschke steht mit Bass auf der Bühne. Fehlt eigentlich nur noch einer: Schulz. Und der springt nach vorne, greift das Mikro und eine geniale, einstündige Show beginnt. UNZUCHT spielen ihr Debütalbum durch und ein paar Songs, die so manch einer noch gar nicht kennt, weil sie nicht auf der CD zu finden sind. Es wird trotzdem fleißig mitgesungen und getanzt, die Arme gehen nach oben, man klatscht, jubelt und feuert die Band an. Zu lange musste man auf die UNZUCHT warten.
De Clercq wirft seine bösen Blicke ins Publikum, aber irgendwie ist er dann doch zu gut drauf, er lacht öfter und scheint richtig gute Laune zu haben. Nonverbal kommuniziert er mit den Fans, geht ganz an den Bühnenrand und wieder zurück. Highlight ist wie immer, dass er sein Oberteil auszieht und einen ganz ansehnlichen Oberkörper präsentiert. Am meisten wird über das Tattoo diskutiert, das seinen Bauch ziert. Musikalisch überzeugt er aber ebenfalls und liefert eine gute Show an diesem Abend.
Bassist Blaschke ist voll in seinem Element, zupft gekonnt die Saiten und wirkt ebenfalls konzentriert. Hin und wieder lächelt er, flirtet mit den Kameras, scheint ein bekanntes Gesicht auszumachen und grüßt. Er schüttelt die Haare und präsentiert immer wieder den Bass, scheinbar recht stolz.
Von Fuhrmann bekomme ich gar nichts mit, nicht Visuelles. Dafür höre ich ihn umso besser, er gibt den Takt an, haut gut rein und begeistert wie immer. Der Drummer versteht sein Handwerk und es ist schön, dass die Bandkollegen ihn hin und wieder auch beachten und er nicht immer nur deren Rücken ansehen muss.
Schulz. Der ist einfach da. Überall. Auf der Bühne, im Publikum, in der Halle. Sein Lachen und das positive Wesen stecken unheimlich an. Der Sänger freut sich, spricht immer wieder die Fans an, beachtet dabei nicht nur die ersten Reihen, sondern hält gezielt Ausschau nach den weiter hinten Stehenden und feuert auch diese an. Die Arme recken sich gen Hallendecke, es wird geklatscht, es wird ihm zugejubelt. Er springt rum, weist auf seine Bandkollegen hin und ist ein einziges Bild der Dankbarkeit. Seit Oktober 2012 touren UNZUCHT nahezu ununterbrochen durch die Lande. Das wird fehlen, wenn Darkness Kills vorbei ist. Aber sie haben in dieser Zeit so viel Zuspruch erfahren und viele neue Fans hinzugewinnen können, dass sie wohl selbst spüren, dass es sich gelohnt hat. Ein Erfolg, den man ihnen absolut gönnt, auf dass es noch mehr werde. Nebenbei verrät Schulz, dass es ein zweites Album geben wird und man UNZUCHT im Herbst sehr wahrscheinlich wieder in München sehen wird.
Doch an diesem Abend, bei diesem Auftritt geht es nur um das Hier und Jetzt. Schulz begeistert, er nimmt ein und surft schließlich wieder gekonnt auf den Händen der Anwesenden über die Menge. Dieses Mal schafft er sogar eine ganze Runde, beim Dark End wurde er mittendrin runtergelassen. Schulz ist leidenschaftlich und was er singt, das fühlt er genauso. Er leidet mit den Lyrics und lacht mit ihnen, brüllt mit ihnen und weint mit ihnen – im übertragenen Sinne. „Der Letzte Tanz“ bereitet mir Gänsehaut. Für wen auch immer er diesen Song am Samstagabend gesungen hat, es kam an. Wundervoll sanft und liebevoll tragisch – danach hätte es auch totenstill sein können, es wäre perfekt gewesen. Doch auch wenn es rockig weitergeht, ist der Auftritt einfach nur gelungen. Jetzt hauen sie wieder rein, geben alles, wüten, kämpfen und heizen der Halle ordentlich ein. Es wird richtig warm und wir werden grandios auf die „Brüder“ von LORD OF THE LOST eingestimmt.
Als UNZUCHT die Bühne verlassen, werden sie von Applaus begleitet, kurz darauf fordert das Publikum wie aus einem Munde eine Zugabe. Ob wir sie bekommen? Aber natürlich. De Clercq geht ans Mikro und man weiß sofort, was kommt. „Kleine geile Nonne“. Die Halle schreit, denn darauf hat man gewartet, das hat man sich gewünscht. Auch wird mitgesungen, die Leute klatschen und gehen noch mal total mit. Schulz steht hinter seinem singenden Gitarristen, der irgendwann Platz macht und dem Sänger das Mikro überlässt, der einen gekonnt lasziven Hüftschwung zur Schau stellt, den München so bald nicht vergessen wird.
Den endgültigen Abschluss bildet „Engel Der Vernichtung“. Dann ist der Auftritt auch schon wieder vorbei und München hofft auf ein baldiges Wiedersehen, das Schulz für den Herbst angekündigt hat.
UNZUCHT haben alles gegeben, für gute Laune gesorgt und waren mit Herz und Seele dabei. Ihre gute Laune ist ansteckend und sie spielen sich gekonnt in die Herzen der Anwesenden. Mehr, mehr, mehr!
Setlist UNZUCHT:
Intro
Todsünde 8
Das Belgische Inferno
Meine Liebe
Unzucht
Fleisch
Während wir uns verlieren
Auf Sturm
Laio
Der letzte Tanz
Schwarzes Blut
Deine Zeit läuft ab
Kleine geile Nonne
Engel der Vernichtung
Die Umbaupause ist kurz. Natürlich betreten LORD OF THE LOST die Bühne, eingemummelt in Kapuzenpullis, aber einige kreischen bereits los. Das gehört dazu und ist okay. Schnell geschieht der Wechsel, die Handgriffe sitzen, man versteht sich blind und arbeitet Hand in Hand.
Dann wird es erneut dunkel, das Intro ertönt, die ersten Musiker betreten die Bühne und werden jubelnd begrüßt. Man freut sich, dass das Quintett wieder komplett ist, Gared Dirge wieder an seinem Platz steht. Es geht los, Chris „The Lord“ Harms kommt nach vorne, schnappt sich das Mikro und beginnt mit einer tollen Show.
Die LOTLs funktionieren, sie arbeiten zusammen, verstehen sich blind und sind eine Band, die zusammengefunden hat und zusammengehört. Jeder weiß, was er zu tun hat, dennoch ist es keine einstudierte Choreographie und jeder bleibt sich selbst treu.
Bo Six präsentiert uns sein Gitarrenspiel wie immer mit vollendeter Präzision, wirkt konzentriert, aber nicht mehr derart angespannt wie bei der letzten Headlinertour. Auch er hat an Erfahrung gewonnen und geht ganz anders aus sich raus. Man sieht ihn lachend und breit grinsend, er brüllt ins Mikro, wandert über die Bühne, spielt gemeinsam mit Bandkollege Class Grenayde und ist einfach gut drauf. Die blonden Haare an ihm sind ungewohnt, aber sie stehen ihm. Man darf wohl gespannt sein, wie lange er sie behalten wird.
Auch Class Grenayde beherrscht seinen Bass, headbangt immer wieder, setzt Instrument und Sixpack in Szene, das nach viel Training aussieht. Er wirkt ganz happy, grinst hier und da und wechselt nur zu gerne die Seiten mit Bo, um auch dort die Fans zu begeistern. Die Riffs sitzen und die Power des Bassisten ist unheimlich und geradezu ansteckend.
Hinter ihm performt Gared Dirge. Noch immer fällt es mir schwer, das kleine Musikgenie zu beschreiben.
Percussions, Gitarre, Keyboard, der Mann scheint alles zu können. LORD OF THE LOST klingen anders, wenn er dabei ist, voller, „richtiger“. Er hat gefehlt und liefert nun eine Show, die zeigt: Wir haben ihm auch gefehlt. Man spürt die Liebe zur Musik, das Können und er ist so viel mehr, als ein einfacher Keyboarder, was immer etwas abwertend klingt, aber nicht so gemeint ist. Gared ist Pianist, was er oft genug bewiesen hat. An diesem Abend können wir uns aber noch von einer weiteren Stärke des jungen Mannes überzeugen: Er singt. Gared geht nach vorne und greift nach dem Mikro, singt gemeinsam mit Harms und kommt damit sehr gut an. Ein wenig seltsam mutet dieser Anblick an und irgendetwas passt noch nicht so ganz – vielleicht täuscht das auch und es liegt nur daran, dass man dieses Bild noch nicht gewohnt ist. Zu Class darf er sich nicht stellen, das gibt unschöne Rückkoppler, dafür singt er Bo an und schließlich wieder Chris. Gemeinsam wird es eine gute Performance, die ihre witzigen und lasziven Elemente hat.Das Schattendasein der Drummer ist schade, aber die kennen es kaum anders und wissen: Ohne sie läuft nichts. Disco stellt das unter Beweis, drischt auf Felle und Becken und sagt, wo der Hase langläuft. Dabei drückt er wahre Emotionen aus, spielt mit geschlossenen Augen oder beißt sichtbar die Zähne zusammen bei anstrengenden Sequenzen. Es macht Spaß, ihm zuzusehen, auch wenn man die Anstrengung förmlich spüren kann. Drummer zu sein erfordert doch einiges.
Sie spielen Songs des aktuellen Albums, haben sich aber auch ältere Stücke rausgesucht. Beides zieht und macht richtig Laune. Im Mittelpunkt steht Chris „The Lord“ Harms. Er nimmt die Bühne ein und erobert Herzen am laufenden Band. Ein leidenschaftlicher Sänger, der trotzdem Mensch geblieben ist und seine Emotionen in die Songs legt. Egal, ob er „Blood For Blood“ rockt oder seinen persönlichen Evergreen „The Most Radical Thing To Do“ schmachtet: Er hat es drauf. Letzteres kommt mit so viel Überzeugung rüber, dass die Worte mitten ins Herz treffen. Harms neigt den Kopf, geht in die Knie und singt – für sich selbst, wie es scheint. Es sind solche Momente, die seine Auftritte so wundervoll machen.
Natürlich wird auch die aktuelle Single „See You Soon“ angestimmt. Chris beginnt ihn mit einer Schweigeminute und wirklich: Die Halle ist totenstill. Unglaublich und wahnsinnig berührend, bis die Glocken ertönen und Chris mit dem Gitarrenspiel beginnt. Er steht alleine, er spielt, singt und transportiert unendlich viele Emotionen. Das Lied zieht, es tut weh, es beruhigt, lässt einen in sich kehren und einmal mehr stehe ich bei diesem Song auf einem Konzert und die Tränen laufen mir buchstäblich in Strömen über die Wangen. Unbeschreiblich schön und eindrücklich besingt Harms einen unendlich schmerzhaften und liebevollen Abschied und beweist, dass er ein großartiger Musiker ist. Chapeau! In der ersten Reihe werden Wunderkerzen entzündet, eine Geste, die die Stimmung noch verstärkt.
Aber es wird wieder rockig und die Zeit verfliegt mit dieser großartigen Band derart schnell, dass ich überrascht bin, als sie von der Bühne gehen. Das war’s schon? Nein, natürlich nicht, denn es fehlt noch das Bekenntnis und die Verabschiedung. Als das Licht wieder angeht steht allerdings kein LOTL auf der Bühne.
Alex Wesselsky hat zum Mikro gegriffen und begrüßt seine Heimat München. Nach der gemeinsamen Tour im vergangenen Jahr, muss er doch mal vorbeischauen, wenn die St. Pauli-Härte zu Besuch ist. Und wenn er schon gerade da ist und über den „finstersten finsteren Finsterfürsten der Finsternis“ spricht, dann kann er mit diesem auch gleich singen. „Eure Siege“ hallt durch die Halle, hier gehen die Fans richtig mit und Harms und Wesselsky harmonieren auf der Bühne, dass es eine wahre Freude ist, den beiden zuzusehen. Da stimmt’s einfach.
Den Abschluss bildet natürlich „Credo“ und LORD OF THE LOST sehen sich einem Händemeer gegenüber und es wird fleißig mitgesungen.
Es ist das erste Konzert, das mich von einem Blick auf die Uhr abhält, selbst als es zu Ende ist, ignoriere ich diese. Beide Bands haben mit viel Freude und Elan tolle Shows hingelegt und wahre Freude bereitet. Sie haben München gerockt. Man merkt, dass bei LORD OF THE LOST in den letzten anderthalb Jahren viel passiert ist. Die Fangemeinde ist gewachsen und eine Weiterentwicklung ist nicht zu leugnen – und da ist noch viel Potential!
Nach diesem tollen Abend bleibt nur zu sagen: Danke und kommt bald wieder!
Setlist LORD OF THE LOST:
Intro
Shut up when you’re talking to me
Heart for sale
Sex on legs
Nothing words can say
Undead or alive
Last words
Prologue
The most radical thing to do
Do you wanna die without a scar
Black Lolita
See you soon
Words of sadness
Marching into sunset
Prison
Epiphany
Break your heart
Dry the rain
Blood for blood
Die Tomorrow
Eure Siege (mit Alex Wesselsky)
Credo
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