Musik: The Silencer


Gute Musik ist schwer zu finden, oder gute Bandmitglieder? Kaum bin ich auf eine vielversprechende Melodic Death Metal Formation aus New York gestoßen, verrät ihre Seite auf Facebook auch schon wieder deren Auflösung. Kein Album, kein Plattenvertrag, ein paar Downloads und gute, harte Riffs, das ist alles, was bleibt. Um die Band überhaupt zu finden, bedarf es einiger Hilfe von Dritten. Wieder einmal war ein Wrestler schuld, dass ich The Silencer überhaupt wahrgenommen habe. Mastermind Charlie Corletta ist nämlich ein guter Freund des derzeitigen WWE-US-Champions Damian Priest (glücklicherweise beeinflusste er den Wrestler auch sehr positiv und führte ihn in die Welt des Metal ein) und nicht weniger an Wrestling interessiert – nur nicht so erfolgreich. Dass beide mal zusammen bei NXT auftreten würden, hätten sie vor vielen Jahren nicht gedacht. Aber als der Stern von Priest bei der WWE langsam aufging, zupfte Corletta ziemlich hart an den Seiten und legte einen brachialen Entrance hin. Der Rest ist Geschichte. So kommt man zwar irgendwann zur Band The Silencer, hat aber immer noch keine weiteren Informationen und muss sich diese so mühsam zusammensuchen, dass man irgendwann die Lust verliert.

Corletta, klingelt da was? Aber klar doch, ehemaliger Schlagzeuger bei Will Killmore und Vocalist von Julius Seizure, nebenbei noch einige kleinere Projekte und Beteiligungen. Dann gibt es da noch den Titelsong zur Miniserie Fugawi MC „The Ride of your life“ aus seiner Feder, laut IMDB hat er auch kurze Gastauftritte hier. Und natürlich nicht zu vergessen die Kaderschmiede Monster Factory Pro Wrestling, die Sheamus, Damian Priest und Matt Riddle hervorgebracht hat, neben anderen großen Namen, hier ist Corletta eher als Chaz Williams bekannt. Und The Silencer?

Auf der Facebookseite der Band gibt es fünf Songs zu kaufen, bei Spotify findet man immerhin acht Nackenbrecher, die ordentlich Power haben. Getriggertes Schlagzeug, teilweise gute Riffs, hin und wieder eine ziemlich hörbare Hookline. Beim ersten Anhören die Frage: Warum zur Hölle habt ihr keinen Plattenvertrag und kein Album? Ich würde das 24/7 hören – und die veröffentlichten Songs sind seit einiger Zeit mein Geheimtipp beim Autofahren: Selten bin ich so entspannt auf der Straße unterwegs gewesen. Zwischen 2014 und 2020 erscheinen also neun Songs, im Juni 2021 gibt Charlie bekannt, dass er die Band auflöst, es aber weiterhin Musik geben wird. Im August lädt er auf YouTube das gelungene Cover von „Them Bones“, Original von Alice in Chains, hoch. Da ist ein fetter Gitarrensound drinnen, der großen Spaß macht und das Original in meinen Augen deutlich übertrifft. Die Lead Guitar wird von Dave Dougherty von Pinion gezupft, Charlie ist für die Rhythmusgitarre verantwortlich.

2014 gibt es mit „Discovery Of The Lost Cause“ eine guten Einstieg in das, was da noch kommen wird. Die Riffs stimmen, die Gitarrenparts sind lang genug, der Gesang stimmt, textlich ist man nachdenklich, denkt über verschwendete Jugend und Zeit nach, die man an verlorene Träume verschenkt hat. Der Erstling ist stimmig in allem, wenn sich eine Band so einführt, dann erwartet man viel und weiß aber gleichzeitig, dass die Kinderkrankheiten bereits ausgemerzt wurden. Der Touch einer Garagenband ist bereits verflogen und man hat schon ganz viel von sich selbst gefunden. Es gibt sogar ein kleines Riff drinnen, wiederkehrend, fast spielerisch, das noch mal eine besondere Note verleiht.

„In Waiting“ wartet mit getriggertem Schlagzeug auf, das vermutlich nicht jedem gefällt, und stürmt im Hintergrund. Daneben stehen Gitarre und Bass, die zu Beginn ein gutes Riff vorgeben. Es folgt eine schnelle Death Metal Passage, die dann in einen recht zahmen Song – wenn man im Death Metal überhaupt von sowas sprechen kann – übergeht. Hier kommt diese Melodic-Schiene zum Ausdruck, lässt aber nichts langweilig werden. Zwischendurch, kurz vor der Hälfte, kommt sogar eine Passage, die man auch super in den Punk setzen könnte. Bei einem Konzert wäre das der Moment zum willenlosen Pogen. Danach geht es eher rockig weiter, der Sound verändert sich ein bisschen, kehrt am Ende noch einmal zur alten Death-Power zurück. Solides Stück, da wartet man auf mehr.

Mehr gibt es zwei Jahre später mit „Solitarius Lupus“. Schnell, laut, heftig, zwischendurch wieder diese klar gesungenen Melodic-Parts, ein so eingängiger Refrain, dass der Ohrwurm nicht lange auf sich wartet. Man ist sofort drinnen in diesem Festivalfeeling, Sommer, Sonne, Wacken-Matsch, das Bier in der Hand, die Haare offen und es wird getanzt, bis man spätnachts besoffen und vollkommen erschöpft im Zelt (bestenfalls) auf die Isomatte fällt. Nun ja, ein bisschen Erholung bietet der ruhige Part des Songs aber auch, da spricht die Gitarre, Luft holen, weiter geht’s. „You can’t escape from this rusted cage, so break away, tear it down, you’re not a victim just your own worst enemy.“ Sorry, das ist doch mal der Song für Superstar Damian Priest, oder? Und zählt das nicht für uns alle: „I won’t let failure shape my life […] this time it’s do or die, not try“? In diesem einsamen Wolf finden sich wohl die meisten wieder und umso besser kann man den Song mitsingen und feiern. Charlie, Du hast eine Menge zu sagen!

Nur ein Jahr später kommt mit „Atonement“ der nächste Brecher auf die Downloadplattformen und auch hier wird man den Bezug zu Damian Priest nicht los – womit man The Silencer vermutlich ein bisschen Unrecht tut, oder eben gerade nicht, läuft der Wrestler doch im offiziellen Clip rum. Doch dazu später. Bleibt man beim Clip, sieht man zu Beginn eine Widmung an Charles Justin Shearer, der 2017 im Alter von 32 Jahren verstorben ist. Den Anfang wird man einfach nicht los, hoher Wiedererkennungswert, das Intro ist nicht mal irgendwie kompliziert oder speziell, aber durch seine Einfachheit gut. Der Song hat verstörende Elemente, lässt an ein eingesperrtes Tier denken, das rasend wird vor Wut und Verzweiflung, in seinem Kampf um Freiheit und eben auch Beachtung. Dieses Mal ist man etwas aggressiver unterwegs und wenn der letzte Ton verklingt, atmet man unweigerlich auf. Krasse Nummer, hart, schnell, laut, aggro. Go on!

2018 erscheint „Die Trying“, geschrieben für Evolve Wrestling Superstar Josh Briggs, Zaki Ali an den Drums und verantwortlich für den Mix. Ja, das ist mal ein Entrance, den man nur versteht, wenn man ein bisschen Ahnung von Wrestling hat. Lassen wir diesen Sport weg, bleibt ein guter Song stehen, der zum Aufbruch animiert. Das ist zwar kein richtiger Stampfer, lässt sich aber gut abrocken. Manche Parts erinnern an Hammerfalls Legacy of Kings-album (und was hab ich das gefeiert!), auch wenn die Jungs eher in Richtung Powermetal gehen und somit nur wenig Gemeinsamkeit besteht.

Im gleichen Jahr erscheint „Within“, das so melancholisch schwer beginnt, dass man es erstmal gar nicht mit The Silencer in Verbindung bringen würde. Aber das ändert sich schnell, wenn das Growling beginnt und die musikalische Härte Einzug erhält. Sehr schön sind immer wieder diese „Ruf-Antwort-Elemente“, die man super live mit dem Publikum durchspielen könnte. Dennoch hat man hier einen großen Melodic-Anteil, den man mögen muss. Nicht die beste Nummer in meinen Augen, aber ganz gut gedacht und vor allem bringt sie Abwechslung rein und der Clip spricht für sich.

2019 erscheint „I, Archaic“. Als Gastgitarrist ist Julian Cifuentes dabei. Der Sound ist brachial, gewaltig, atemlos. Da kommen Emotionen rüber, ein Wall-Of-Death-Song, wildes Rumpogen vor der Bühne – das wäre an Livekracher auf Wacken, den die Metalgemeinde feiern würde. Nach der Hälfte wird es etwas tragender, da bekommt die Gitarre ihren Platz, könnte man ja auch stundenlang hören, aber dann geht es weiter mit Härte und gutem Growling.

Im folgenden Jahr dann „Beliefs“. Hier hat man sich und seinen Stil endgültig gefunden. Es ist schnell, hart, laut, brachial zuweilen. The Silencer haben sich als solide Death Metal Formation gefunden und es wäre Zeit für ein Album. Die Songs sind abwechslungsreich, die Clips düster, der Rhythmus hämmert. Auch „Beliefs“ bildet keine Ausnahme, hat diesen Tanz zwischen Growling und Klargesang, Gitarrenbattle, Drum’n’Bass. Da fehlt einfach nichts.

Als 2020 „The Fall“ erscheint, kommt das nächste Brett. Perfektes Growling und eine geniale Hookline. Der Anspieltipp für alle, die The Silencer kennenlernen wollen und mal wieder was Hartes auf der Playlist brauchen. Hier stimmt mal wieder einfach alles. Wo blieb noch gleich das Album?

Das Enttäuschende ist, dass The Silencer sich 2021 auflösen. Kein Album, keine neuen Brecher, nichts. Man bleibt fassungslos zurück und fragt sich: Warum? Die Band könnte Erfolg haben, ich bin davon überzeugt, dass sie in kurzer Zeit einen ordentlichen Plattenvertrag haben könnte und die Newcomer des Jahres wären. Natürlich unterschreibt man heute erheblich schwerer bei einem Label als noch vor 30 Jahren, aber The Silencer könnten das schaffen. Auf den großen Metalfestivals wären sie weit vorne und würden gefeiert werden. Garanten für Stimmung, Party und richtig geile Nackenschmerzen. Das ist wirklich schade.

Wenn man The Silencer hört, wird einem bald klar, dass es nicht nur um Krach und Härte geht. Die Songs haben sehr viel Tiefe in sich, es geht viel ums Versagen, um das eigene Leben, das Ich, das aus der Dunkelheit und Unbedeutsamkeit hinaustreten will und muss. In den Clips geht es manchmal um Mobbing und wohin das führen kann, ein anderer zeigt, wie schmerzhaft Liebe und Trennung sein können, wie verletzend die Worte danach sind, dass sie einen an den Rand des Abgrunds treiben. Es geht nicht um herkömmliche Helden, die alles niederreißen. Vielmehr stehen die Außenseiter im Mittelpunkt, die Zurückgelassenen, Verzweifelten, Übersehenen. Kennt man die Geschichte von Damian Priest und hat ein bisschen hingehört, was Charlie und Damian erzählen in kurzen Statements oder Tweets, kommt man nicht umhin, einige der Songs auf den Wrestler zu beziehen, als wäre The Silencer die Band, die sein Leben vertont. So vieles passt auf ihn – und auf ganz viele andere. Es tut gut, dass es mal nicht um blinde Wut geht, um zerstörerischen Hass und Allmachtsfantasien, sondern um die scheinbaren Verlierer, die das Leben ertragen müssen.

The Silencer kann man nur noch auf den bekannten Downloadplattformen hören, live erleben wird man sie leider nie. Aber da Charlie Corletta ein Vollblutmusiker ist, der viel Herzblut in die Musik steckt, bleibt die Hoffnung, dass die Welt bald mehr von ihm hören wird. Meine persönliche Death-Metal-Entdeckung des Jahres.

5/5

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