FLIGHT PLAN
Da-di-da-dum-di-da-dum-di-da-di-di-di…Es gibt nur sehr wenige Riffs im Rock & Roll, die ebenso sofort erkennbar, wie auch körperlich berauschend und historisch entscheidend sind wie die des Eröffnungs-Gitarrenriffs der Byrds-Debütsingle „Mr. Tambourine Man“ von 1965. Das Riff selbst, ein lebhaftes Jump Frog-Arpeggio mit einem hellen Bach-ähnlichen Flair, war sogar nach den verführerischen Standards des Pops Mitte der 60er Jahre ziemlich ungewöhnlich. Aber der eigentliche Sound – das Jingle-Jangeling von Roger McGuinns elektrischer 12-String Rickenbacker 360, welche mit harmonischen Obertönen glitzerte – war wieder etwas ganz anderes, ein neuer Gitarren-Stil für einen brandneuen Rock & Roll. Die stimmliche Dreieinigkeit von McGuinn, Gene Clark und David Crosby galvanisierte dann das hoffnungsvolle jugendliche Fernweh in Bob Dylans Texten mit einer atemberaubenden harmonischen Mischung aus stählerner Kirchenchor-Präzision und sonniger kalifornischer Kraft. In zwei Minuten und sechzehn Sekunden wurde “Folk-Rock” – eine federnde dreiste Ehe aus Earthen-Lyrical-Romanticism und britischer Invasion – geboren.
Innerhalb weniger Wochen nach seiner Veröffentlichung am 12. April 1965 stieg „Mr. Tambourine Man“ auf Platz eins und die Byrds, Roger McGuinn, Gene Clark, David Crosby, Bassist Chris Hillman und Schlagzeuger Michael Clarke, begaben sich auf eine lange, produktive und stürmische Karriere. Stürmisch wie fast keine andere im Rock & Roll. Wenn sie ihre Gitarren nach dieser einen Single eingepackt hätten, würden die Byrds immer noch einen erhabenen Platz im Rock & Roll Olymp genießen. Aufgenommen fast genau Mitte des Jahrzehnts, im Januar 1965, während einer der damals üblichen three-hour Sessions im Hollywood-Studio von Columbia Records. Die brillante Transformation der Byrds von Bob Dylans ursprünglicher Hobo Hommage etablierte nicht nur Folk-Rock als eines der wichtigsten Genre in der Pop Musik; „Mr. Tambourine Man“ blies die Türen der poetischen Möglichkeit im modernen Rock & Roll weit auf. Bob Dylan, bis dahin weitgehend als King of Folk bekannt, hatte plötzlich das Ohr einer riesigen Teenager-Pop-Gemeinde, und auch die Beatles hörten aufmerksam zu, wie sich ihre eigenen Innovationen in einer visionären neuen Wendung auf der anderen Seite des Atlantiks weiterentwickelten und verloren keine Zeit, diese Lektion auf ihre eigenen Songs anzuwenden. Nicht schlecht für drei Stunden Arbeit. Aber die Byrds starteten gerade erst durch.
In den nächsten acht Jahren, inmitten einer schwindelerregenden Reihe von häufig schmerzvollen Personalwechseln, nahmen die Byrds aktiv teil an den großen Rock & Roll-Revolutionen Mitte und Ende der 1960er Jahre. Sie waren einflussgebend im Folk-Rock, der Psychedelia, des Country-Rocks und elektrifizierten Pop und lösten diese Spielarten oft selbst aus. Sie schufen einige der beliebtesten und langlebigsten Singles und Alben des Jahrzehnts. Und selbst, nachdem sie die Kunst der Neugeburt von klassischen Folksongs (Dylans oder anderen) beherrschten, entwickelten sich die Byrds zu einer ganz besonderen Songwriting-Einheit, die die sozialen und spirituellen Turbulenzen der Zeit mit einer Vorstellungskraft und schmerzlichen Schärfe anschaulich artikulierte, die oft die Intensität ihrer eigenen laufenden inneren Kämpfe widerspiegelten. Mit einem Namen, der ihren emporschwingenden Sound und ihren explorativen Geist treffend zusammenfasste, veränderten die Byrds unwiderruflich den Rock & Roll und hinterließen bei jedem Schritt ihren unauslöschlichen Stempel.
PRE – FLYTE
Nach einem Kinobesuch des Beatles Films „A Hard Day’s Night“ beschloss James McGuinn 1964 eine Band zu gründen und Musik in Anlehnung an die der Beatles zu spielen. „Ich sah die Beatles und dachte, das ist es! Ich wollte eine Band mit vier oder fünf Musikern zusammenstellen und auf elektrischen Gitarren spielen. Könnte lustig werden.“ In einem Club namens Troubadour auf dem Santa Monica Boulevard im kalifornischen Los Angeles traf er auf Gene Clark und David Crosby. Die drei Musiker verstanden sich von Anfang an und schon wenige Tage später traten sie unter dem Namen Jet Set auf die Bühne. Allerdings spielten sie noch ein Set mit Folk-Musik, denn zu einer echten Rock Band fehlten ihnen ein Drummer und eine Bass Gitarre. Der Platz hinter dem Schlagzeug wurde schon bald von Michael Clarke besetzt, die Bass Gitarre sollte David Crosby spielen. Da er aber mit diesem ungewohnten Instrument nicht zurechtkam, wurde schnell ein Ersatzmann gesucht. Chris Hillman, ein exzellenter Mandolinen-Spieler, wurde gefragt, ob er nicht Interesse hätte, der Band beizutreten und er stimmte zu. Die Byrds zu diesem Zeitpunkt bestanden also aus Jim McGuinn, einem Folk-Sänger, der eine Ausbildung an Gitarre und Banjo besaß, Gene Clark, einem weiteren Folk-Sänger, der ein wenig Gitarre spielte, David Crosby, der einer der besten Harmonie-Sänger der 1960er Jahre und gleichzeitig ein hervorragender Rhythmus-Gitarrist war, Michael Clarke, ein junger Mann, der Brian Jones von den Rolling Stones ähnelte und schon mal auf Congas gespielt hatte – ein Drum-Kit hatte er noch nie besessen und auch noch nie drauf gespielt, und aus Chris Hillman, einem Mandolinen-Virtuoso, der zudem auch sehr gut Gitarre spielte – eine Bass Gitarre hatte er bis zu diesem Zeitpunkt aber noch nie in den Händen gehabt.
LIFT OFF
Jim Dickson hatte bereits zu verschiedenen Zeiten die meisten der Byrds-Musiker betreut. Jim Dickson arbeitete in den frühen 60er Jahren als Plattenproduzent und schnitt Proto-Folk-Rock-Stücke des Singer-Songwriters Hamilton Camp, der progressiven Bluegrass-Gruppen Dillards und The Hillmen, zu denen auch das zukünftige Byrds Mitglied Chris Hillman gehörte und Singer-Songwriter David Crosby. Jim Dickson starb 80-jährig am 14. April 2011. McGuinn erinnerte sich, wie die Byrds auf Dickson trafen: „Wir trafen ihn, als er Produzent für World Pacific Records war. Er nahm uns unter seine Fittiche und fütterte uns, gab uns Geld für Hamburger, und wir waren zu Gast in seinem Haus, wo wir langsam zu einer Band zusammen fanden.“ Dickson verschaffte der Band auch einen ersten Probe-Plattenvertrag für eine Single. Die Plattenfirma wollte aber einen englischen Gruppennamen und veröffentlichte die Single daher unter dem Namen Beefeaters. Die Single „Please Let Me Love You“ war jedoch kein Erfolg. Die Gruppe benötigte noch mehr Zeit, um sich aufeinander einzuspielen, um wirklich eine Einheit zu werden. Da Dickson freien Zugang zu einem Studio hatte, brachte er die Byrds dorthin und spielte ihnen ihre Aufnahmen vor, zeigte ihnen die Fehler und gab der Band somit die wohl einmalige Gelegenheit, ihren eigenen Stil zu erarbeiten. Das Ergebnis dieser frühen Studio-Arbeit wurde erst sehr viel später auf Vinyl veröffentlicht: 1969 erschien die LP Preflyte, ein Jahr später erschienen zwei Stücke unter dem Namen Jet Set auf dem Sampler Early L.A. von Together Records und 1989 schließlich In The Beginning auf CD. Da diese Aufnahmen aber eigentlich nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, wurde auf den Rat von Jim Dickson die Dylan-Komposition „Mr. Tambourine Man“ noch einmal mit der Hilfe der Wrecking Crew, einer festen Gruppe von Studio-Musikern in wechselnder Zusammensetzung aufgenommen. Lediglich McGuinns Gitarre und der Harmonie-Gesang von McGuinn, Clark und Crosby stammte von den Byrds. Die Band war zunächst gegen dieses Stück, da sie nicht davon überzeugt waren, dass eine Dylan-Komposition als Single-Veröffentlichung Erfolg bringen könne.
Nach den Aufnahmen überbrückten die Byrds die Zeit bis zur Veröffentlichung der Single mit verschiedenen Auftritten. McGuinn erinnert sich voller Grauen daran: „Es war schrecklich. Ich glaube, da waren 20 Leute in einem Raum, der Platz genug für 100 gehabt hätte. Alle hielten sich an Cocktailgläsern fest. Da uns unsere Kleidung vor dem Auftritt gestohlen worden war, spielten wir vor diesen desinteressierten Leuten in Jeans. Ab da spielten wir nur noch in Jeans.“ Das Warten auf die Single-Veröffentlichung brachte für die Byrds erste Frust-Erlebnisse. Dann endlich kam die Single heraus und es passierte das, womit außer Jim Dickson keiner gerechnet hatte: „Mr. Tambourine Man” wurde sofort ein riesiger internationaler Hit.
Als die Byrds Anfang ’65 Bob Dylan ihre Arrangements seiner Songs vorspielten, war er begeistert. „Danach kann man ja tanzen!“ meinte er. Wie sehr Dylan von dem begeistert war, was er im Club Ciro’s gehört hatte, merkte man sehr deutlich im Juli 1965, als er seine Single „Like A Rolling Stone“ im gleichen elektrischen Stil der Byrds aufnahm. Das Album Mr. Tambourine Man erschien im Juni 1965. Mit Ausnahme der Single-Versionen von „Mr. Tambourine Man“ und „All I Really Want To Do“ wurde nun alle Stücke von den fünf Byrds allein eingespielt. Da die Byrds nun auch in Europa große Erfolge verzeichneten, flogen sie im August 1965 für eine 22-tägige Tournee nach England. Die ganze Tournee stand unter einem schlechten Stern. Kaum waren sie am Flughafen in London eingetroffen, als ein Anwalt der englischen Gruppe Birds (übrigens mit Ron Wood, später bekannt von den Faces und den Rolling Stones, und Kim Gardner, später bei Ashton, Gardner & Dyke und Badger) auf sie zukam und mit rechtlichen Schritten drohte, da die Byrds angeblich das Namensrecht seiner Mandanten verletzt hätten. Letztendlich verlief die Geschichte aber im Sand. Kurz vor dem ersten Auftritt der Tournee in Nelson, Lancashire, brach Chris Hillman mit einem Asthma- und Bronchitis-Anfall zusammen. Ein rasch herbeigerufener Arzt stellte Hillman wieder so weit her, dass er nach einer halben Stunde auf die Bühne konnte. Schon bald zeigte es sich, dass der Presse-Rummel vor Tourneebeginn, „Amerikas Antwort auf die Beatles„, eher negativ durchschlug, denn der größte Teil der Musikkritiker verriss die Byrds in Grund und Boden. Nach der Beendigung der Tournee flogen die Byrds ernüchtert zurück in die USA. Ende 1965 erschien schließlich die dritte Single „Turn Turn Turn“, deren B-Seite „She Don’t Care About Time“ lange Zeit zu einer der seltensten Byrds-Aufnahmen zählte. Diese dritte Single brachte die Gruppe international zurück an die Spitzen der Pop Charts. Die letzten Aufnahmen, die die Byrds als Quintett zeigen, erschienen 1966 als zweite LP der Gruppe unter dem Titel Turn Turn Turn.
Gene Clark, der große Angst vor dem Fliegen hatte, verließ die Gruppe im Juli, nachdem die letzte gemeinsame Single „Eight Miles High“ mit der B-Seite „Why“ veröffentlicht worden war. McGuinns Kommentar dazu war: „If you can’t fly – you can’t be a Byrd“. „Eight Miles High“ erschien später in der gleichen Version auf ihrer dritten LP Fifth Dimension, und „Why“ wurde ohne Gene Clark neu eingespielt. Bei den Aufnahmen dieser beiden Stücke gab es große Probleme, denn die Byrds hatten die Songs in einem Studio aufgenommen, das nicht ihrer Plattenfirma gehörte und dadurch weigerte sich die Plattenfirma, die Aufnahmen zu veröffentlichen. „Es gibt noch eine unveröffentlichte Version von „Eight Miles High“, erinnerte sich Chris Hillman vor einigen Jahren, „und die ist weit besser als unsere Aufnahme für Columbia.“ McGuinn und Crosby wiesen in Interviews immer wieder darauf hin, dass die zurückgewiesenen Aufnahmen um Klassen besser sind als die Neuaufnahmen. Glücklicherweise wurden beide Stücke zusammen mit einigen weiteren unveröffentlichten Aufnahmen 1988 unter dem Titel Never Before veröffentlicht. Da einige Musikkritiker hinter dem Song „Eight Miles High“ eine Verherrlichung von Drogengenuss vermuteten, wurde die Single von vielen Radiostationen nicht gespielt. McGuinn verneinte dies aber stets vehement.
Für viele war das Ende der Byrds mit dem Ausstieg von Gene Clark gekommen, da zuvor zu viele negative Meldungen publiziert wurden: Drogenmissbrauch, Streitereien und Schlägereien innerhalb der Studios. Aber das Ende der Band kam noch nicht. Auch ohne Gene Clark hielt der Erfolg der Gruppe an. Neben der als Quartett fertiggestellten LP Fifth Dimension nahm die Band 1967 auch noch Younger Than Yesterday auf, eine LP, die heute noch von vielen als das große Meisterwerk der frühen Byrds angesehen wird. Den Beweis, dass die Gruppe auch ohne Gene Clark weiterbestehen konnte, lieferte die Gruppe im Februar 1967 mit der Single „So You Want To Be A Rock’n’Roll Star“. Die Idee zu diesem Stück stammte von Chris Hillman, der den Song als einen bissigen Kommentar auf den Erfolg von synthetischen, schauspielernden Gruppen wie den Monkees verstanden haben wollte. Neue Unruhen in der Gruppe führten dazu, dass die Aufnahmen der beiden nächsten Singles gesuchte Sammler-Stücke wurden. „Lady Friend“, eine der besten frühen Kompositionen von David Crosby fand sich nicht auf der nächsten Byrds-LP wieder, auch „Old John Robertson“ in der Quartett-Version blieb lange Zeit schwer erhältlich. „Don’t Make Waves“ in der Single-Version und in einer Film-Version gehören auch heute noch zu den selteneren Aufnahmen der Byrds, die Film-Version ist gemessen an der Single-Version ein wenig überproduziert, die Single-Version aber ist hörenswert.

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