Ein Mann macht Fotos der kleinen Grace im Park und kann sich herausreden, obwohl ihr Vater Andrew skeptisch bleibt. Die Treffen häufen sich und irgendwann verschwindet Grace. Hat der Fotograf etwas damit zu tun? Während die Polizei im Dunkeln tappt, macht Andrew sich auf die Suche nach seiner Tochter – und beginnt eine blutige Jagd auf die bekannten Pädophilen in der Umgebung…
Athan hat sich dieses Mal kein einfaches Thema herausgepickt, aber er geht erstaunlich gut damit um. In den USA werden verurteilte pädophile Straftäter bekanntgegeben, und die Nachbarschaft weiß, wer da nebenan einzieht. Es gibt einsehbare Listen mit den Namen und Adressen. Das kann man positiv und negativ sehen, es soll zwar zum Schutz der Kinder in der Umgebung dienen, aber am Ende ist es nichts weiter als ein an den Pranger stellen und eine Möglichkeit zur Selbstjustiz. Athan geht es darum aber gar nicht. Er fängt sein Werk recht geschickt an und pickt sich eine Szene heraus, die sich viel öfter jeden Tag abspielt, als man denken mag. In diesem Fall ist es ein Junge, der viel vor dem PC hängt und Onlinespiele zockt. Im Sprachchat lernt er jemanden kennen, einen Mentor, einen Kumpel, von dem er nur das weiß, was der andere ihm erzählt, zu dem er aber durch das Spielen Vertrauen fasst. Die beiden treffen sich, weil der Unbekannte ihm Geldkarten für die Währung im Spiel anbietet, einfach so, weil es gute Freunde sind, weil er merkt, dass der Kleine schlecht drauf ist, weil … es gibt tausend Gründe und irgendeiner zieht. Eine zweite markante Szene ist Sextortion. Das erleben viele (vor allem Mädchen) täglich in den sozialen Medien. Sie schreiben auf Snapchat und Instagram mit vermeintlichen Freunden – der Kumpel vom Kumpel von einer Freundin – oder Fremden, die ihnen folgen, sie anschreiben, sich einschmeicheln und schließlich das Vertrauen gewinnen. Fotos werden gefordert, am Ende schickt man Nacktfotos und eindeutige Videos. Obwohl sich die Opfer unwohl dabei fühlen, machen sie weiter, weil sie unter Druck gesetzt werden mit Drohungen gegen das Wohl der Familie oder mit der Veröffentlichung des Materials. Und hinter dem 13-jährigen Justin steckt in Wirklichkeit der 42-jährige Günther, der diese Bildchen und Videos zum eigenen sexuellen Vergnügen sammelt und schlimmstenfalls diese noch weiterverbreitet und sogar Geld damit macht oder auf Tauschbörsen anderes kinder- und jugendpornografisches erhält.
Was Athan hier beschreibt, ist ein trauriger, grausamer Alltag. Manches wird angezeigt, vieles bleibt im Verborgenen, wird verschwiegen und hinterlässt schlimmste Narben in den Seelen der Kinder. Und hier muss man einhaken und mal aus einer einfachen Buchbesprechung ausbrechen: Nutzt diese beiden Szenen von Athan (nicht den Rest des Buches) und lest sie Schülern vor. Klärt sie über die Gefahren auf, schützt sie, vermittelt ihnen einen gesunden, verantwortungsvollen Umgang mit den sozialen Medien. Es gibt überall das Angebot von Jugendbeamten der Polizei, von Staatsanwaltschaften und übergreifenden Organisationen, die Vorträge in Schulen und Gruppen zur Aufklärung halten. Und wenn ihr jemanden kennt oder selbst davon betroffen seid, dann speichert die Chatverläufe, macht Screenshots und geht zur Polizei! Hierbei sei auch auf die Kampagne „Kein Raum für Missbrauch“ verwiesen, denn sexueller Missbrauch sind nicht nur sogenannte Hands-On-Delikte, sondern auch all das Virtuelle, was da draußen minütlich geschieht.
Zurück zu Athan, der hat irgendwann gemerkt, dass er so nicht weiterschreiben kann und eine kleine Wende in seinem Buch gebracht. Selbst ihn nimmt das Thema während des Schreibens mit. Er verzichtet auf die Darstellung von sexuellem Missbrauch, wendet sich mehr der körperlichen und psychischen Gewalt zu, die die Kinder erfahren – und konzentriert sich am Ende auf den Rachefeldzug seines Protagonisten Andrew, der immer noch seine kleine Gracie sucht. Es wäre kein Extreme Horror, wenn nicht entsprechend Blut fließen und Knochen brechen würden.
Was hat Athan hier gemacht? Ein Buch geschrieben, das man nicht mehr aus der Hand legen kann und ein so brisantes und aktuelles Thema behandelt, dass man es auch außerhalb der Genreliebhaber weiterempfehlen kann. Lesenswert? Absolut!
5/5
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Jon Athan – Der Groomer
Festa Verlag, 2022
384 Seiten
Taschenbuch: 13,99 €
