„Selbst wenn der Song nicht dermaßen großartig gewesen wäre, allein der Titel war so herrlich einfach“ … aus Keith Richards Biographie Life.
Im Oktober 1974 erschien die mittlerweile zwölfte Studioplatte der Rolling Stones. Es ist der direkte Nachfolger zu Goats Head Soup, mit dessen Hitsingle „Angie“ die Jungs um das Songwriter-Duo Mick und Keith im Vorjahr Platz Eins der US-Charts eroberten. An diesen Erfolg galt es nach der 73er Europa-Tournee anzuknüpfen und alsbald verschwanden die Londoner in den Musicland Studios in München, um aufzunehmen. Dort entstand auch ein Großteil der Platte. Ergänzungen und Overdubs kamen in den Londoner Island Studios und bei Mick zuhause in Stargroves hinzu. Das Cover entspringt dem Pinsel des belgischen Künstlers Guy Pellaert, der im selben Jahr schon das Cover zu Diamond Dogs von David Bowie beisteuerte, sowie später das Filmplakat zum DeNiro Streifen Taxi Driver designte. Es zeigt die Stones als Rockgötter, die eine Treppe mit rotem Teppich herunterschreiten und von griechisch gekleidet Frauen angehimmelt werden. Somit freie Bahn für Rockstarallüren. Da nach seinen größeren Drogeneskapaden Jimmy Miller, der Erfolgsgarant der Platten seit Let It Bleed Musicland Studio nicht die gleiche Produktivität wie zuvor an den Tag gelegt hat, und schon zu Goats Head Soup Zeiten lieber Hakenkreuze in sein Mischpult geschnitzt hat, waren die Glimmer Twins auf sich allein gestellt, die Scheibe zu produzieren. Jedoch waren zu Beginn noch die legendären Johns Brüder mit von der Partie. Andy Johns, der anfangs noch seine Finger an den Reglern hatte, flog im laufe der Aufnahmen aus gleichen toxikologischen Gründen raus. Auch der ältere Bruder Glyn ist auf der It’s Only Rock And Roll zu hören beim Abschlusssong. Aber durch das Wechselspiel hinterm Mischpult ist It’s Only Rock And Roll die erste Scheibe seit Their Satanic Majesties, die selbst produziert ist von Jagger und Richards. Seit diesem Album sind alle darauffolgenden Stones Alben selbst produziert oder in einer Kollaboration mit einem anderen Produzenten entstanden. Es ist aber nicht nur der Beginn einer neuen Ära, sondern auch das Ende einer alten, besonders erfolgreichen und musikalisch genialen dazu. Das Album beschließt die Bandzugehörigkeit des Leadgitarristen und ist die letzte Studio-LP, auf der Mick Taylor zu hören ist und folglich etwas Besonderes. Der Albumname, der sich auf den Titeltrack bezieht, ist eine gute Überleitung dazu, denn ein gewisser Ronnie Wood diente dafür als Inspiration und übernahm später die Rolle des kleinen Micks, wie Taylor gerne genannt wurde und steht seitdem an der Seite von Keith am Sechssaiter, wobei er auf dieser Platte auf einer 12-saitigen zu hören ist.
Aber es geht erstmal Stones-typisch los mit einer schnellen fetzigen Nummer. „If you can’t rock me“ thematisiert die Qual des Rockstars bezüglich der Damenwahl. „Wenn du nicht, dann eine andere“ heißt es sinnbildlich und wird dreckig und tight heruntergespielt. Jagger spielt die Rolle des lyrischen Ichs sehr authentisch und der Drummer ist, wie der Text sagt, wirklich Dynamite. Charlie treibt den Song noch weiter vorwärts als ohnehin schon. Nun wird es Zeit für ein Cover. Nachdem auf Goats Head Soup alles originale Stones Kompositionen waren, covern die Londoner den Motown Sound der Temptations und verstonen ihn zu einer groovigen Boogie-Woogie Nummer, die ein gewisser Billy Preston mit seinem Piano gezielt noch verspielter und schneller wirken lässt. Zusätzlich zum regelmäßigen Gast Preston klopft zum ersten Mal Ray Cooper Percussions auf einer Stones Platte. Sein Bongo Sound gibt der Nummer weiteres Flair. Der an Platz 3 gesetzte Titeltrack zeigt alles, was die Stones ausmacht und ist wohl deshalb immer noch Bestandteil der heutigen Setlist der Band. Zudem ist auch Gründungsmitglied Ian „Stu“ Stewart an den Tasten am Start. Schnell, gemäßigt, akustisch, elektrisch smooth, aber dennoch heavy und wahnsinnig breit klingt dieses Musikstück – I like it! Da man nicht die ganze Zeit nur Power geben kann, nehmen sie für „Till the Next Goodbye“ den Fuß vom Gas und präsentieren dem Hörer ein verspieltes Zwischenspiel der Akustikgitarren der beiden Micks und der Slide von Keith. „Time Waits For No One“ markiert den Abschluss der A-Seite und überrascht mal mit ganz anderem Sound zu dem Taylor Synthesizer beisteuert. Das fast siebenminütige Stück zeigt zudem das hervorragende Leadspiel von Taylor, der in einem umschweifenden und elaborierten Solo sehr gefühlvoll seine Gitarre zum Singen bringt. Auch der dritte übliche Tastengustl darf nicht fehlen. Nicky Hopkins ist natürlich auch mit von der Partie und hypnotisiert einen mit seinen Tastenläufen.
Die B-Seite beginnt mit „Luxury“, einer Rock’n’Roll Star-Attitüde in einer Reggae-artigen Delivery von Herrn Jagger und einem typischen Stones-Sound. Beim darauffolgenden „Dance Little Sister“ geht die sprichwörtliche Luzie ab. Einfacher fetziger Rock, der dafür sorgt, dass man mitgehen muss. „If You Really Want To Be My Friend“ nimmt dann aber die Geschwindigkeit heraus, und fügt mit seinem trabenden Groove Dynamik und Emotionen ein. Die Soul Gruppe Blue Magic aus Philadelphia streut gezielt Hintergrundgesang ein und macht den Song dadurch melancholisch verträumt. Der vorletzte Song „Short And Curlies“ klingt nach einer lustigen Jamsession. Eine Frau hat den Protagonisten an den Eiern und er kommt einfach nicht weg von ihr – die Nummer klingt einfach nach Spaß. Den Abschluss des Albums macht mit „Fingerprint File“ ein Track, der sich ganz schwer einordnen lässt und effektgeladen überraschend daherkommt. Der Song weist fast schon Discoelemente auf mit dem überraschenderweise von Mick Taylor fett gespielten Bass. Bill Wyman steht am Synthesizer und geht in Richtung Dance. Also völlig Stones-untypisch, aber dennoch mit dem bandeigenen Sound unverkennbar.
Trotz der Drogenprobleme der Bandmitglieder und Produzenten, ständigen Razzien, gerne bei Keith, und dem weiterhin anhaltenden Steuerexil, das die Stones zu maximal drei Monaten in der Heimat zwingt, merkt man, wenn man sich das Album anhört, wenig davon. Die Rolling Stones sind knallharte Profis, die egal unter welchen Umständen und Gesundheitszuständen abliefern. Trotz Turbulenzen sollte es für Platz 1 in den USA und Platz 2 in der Heimat reichen und ein gelungenes Werk werden, das heute noch viele Liebhaber hat. Gerade seine Vielseitigkeit macht die Scheibe interessant und frisch.
The Rolling Stones – It’s Only Rock And Roll
A1 – If you can’t rock me
A2 – Ain’t too proud to beg
A3 – It’s only Rock and Roll (But i like it)
A4 – Till the next Goodbye
A5 – Time waits for no one
B1 – Luxury
B2 – Dance little Sister
B3 – If you really want to be my Friend
B4 – Short and Curlies
B5 – Fingerprint File
