Es ist bereits das 15. Studioalbum, das Bob Dylan auf den Markt schmeißt und wird sein zweites Nummer-Eins-Album. Alles richtig gemacht, so könnte man meinen. Aber so einfach war es dann doch nicht. 1974 meldet sich Dylan mit The Band zurück und absolviert anschließend einen kunstpädagogischen Kurs in New York. Damit möchte er eine andere Sicht- und Herangehensweise an seine Songs bekommen, was auch hörbar funktioniert. Privat sieht es da aber anders aus. Die Ehe zu Sara geht langsam, aber endgültig in die Brüche. Dylan zieht sich zurück, schreibt unzählige Texte und damit auch den Grundstock für das neue Album Blood on the tracks.
Mit „Tangled up in Blue“ wird schnell klar, in welche Richtung das Album gehen wird. Unweigerlich wird die gescheiterte Beziehung zu seiner Sara der Mittelpunkt werden. Der erste Song fasst allgemein die Episoden einer Beziehung zusammen, es ist davon auszugehen, dass diese autobiographisch sind. Auffällig ist, dass die Geschichte wirklich zeitlos erzählt ist und gleichzeitig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist. Der Vergangenheit widmet er mich dann im folgenden „Simple Twist of Fate“. Schlüsselszenen der gemeinsamen Beziehung werden aufs Tableau gebracht und alles mündet in der Erkenntnis, dass es einfach vorbei ist. „You’re the big Girl now“ – was könnte man in diesen Titel alles hineininterpretieren? Ist schon ein bisschen Nachweinen und sich als großen Verführer und Lehrer der Liebeskünste hinstellen – und das Mädchen, das man einst liebte, geht dann, wenn sie eine Frau geworden ist. „Idiot Wind“ hat Bob Dylan mehrfach aufgenommen, weil er nie so recht zufrieden gewesen ist. Es klingt nicht mehr so katzenjammeranklagend, dafür betrunken-verwaschen in einer Bar am Tresen die Liebe verteufelnd. Kann man besoffen mit Liebeskummer in der Kneipe nachnölen und sich dann an die Blondine ranmachen, die den Bieratmen abstoßend findet und für die man viel zu alt ist. Es wirkt wie der Countrypop zwischen Anfang und Ende eines mittelschlechten Western oder die verzweifelte Szene, wenn in Brokeback Mountain gegen die wahre Liebe und für die Aufrechterhaltung der Lügenehe gekämpft wird. Im Gegensatz zum eben genannten Film ist „You’re gonna make me lonesome when you go“ aber nichtssagend und nur pseudospannend, weil es anders ist als der Beginn des Albums.
Auch die zweite Hälfte der Scheibe startet nicht besser. Meiner Meinung nach verliert Dylan bei „Meet me in the morning“ sogar sein Gespür für anspruchsvolle Lyrics. Allein die disharmonische Mundharmonika würde mich zum Überspringen von „Lily, Rosemary and the Jack of Hearts“ bringen. Aber wenn man sich diese wegdenkt, ist ja endlich mal ein bisschen Emotion drin. Sogar sowas wie Freude. Vorbei das Rumgeweine und drogenlastig-betrunken-lahme Pseudogesinge. Die Geschichte, die erzählt wird, greift endlich mal, hat einen gewissen Drive; auch wenn die Melodie immer gleich dröge vor sich hin tapst, es ist geradezu erfrischend und catcht. Und Dylan kann es doch! Denn auch bei „If you see her, say hello“ bietet er plötzlich mehr als zu Beginn der Platte. Es ist gleichbleibende Gitarre, das ist es nicht, aber er erzählt mehr, mit kleinen Nuancen, kleinen Abwandlungen im Gesang, baut er etwas auf und lässt viel mehr Emotion und musikalische Größe zu. Auch wenn er teilweise immer noch wie der betrunkene Barbesucher klingt. In „A shelter from the storm“ steckt schon viel drin. Metaphern des Lebens und der Liebe, die Innigkeit und Geborgenheit einer Beziehung, die sich irgendwann in bittere Gefangenschaft und eine kalte Entlassung aus dieser ins Nichts der Einsamkeit wandelt. Da muss man auch musikalisch nicht großartig ausbrechen, Dylan macht es rein über die Stimme und es ist so ein bisschen wie mitschunkeln und sich einlullen lassen in den Rhythmus. Am Ende steht „Buckets of rain“, die Erkenntnis, alles, was Du tun kannst, ist alles zu tun, was Du musst. Abschluss, Ende, Neuanfang. Wenn man sich jemanden mit rauer Stimme auf einer Bühne im Halbdunkeln vorstellt, oder an der Straßenecke mit der Gitarre stehend und den Song runterrotzend, hat er mehr Wirkung.
Selten war ich so froh, dass ein Album endlich die letzte Note gespielt hat. Dylan scheint sich auf seinem Namen auszuruhen, zu wissen, dass er nur Bob Dylan zu sein hat und alle Welt betet ihn an. War 1975 noch etwas anders, vor Nobelpreis und zahlreichen anderen Auszeichnungen. Keine Frage, Dylan ist ein großartiger Songschreiber und transportiert in seinen Lyrics alles zwischen Freud und Leid, Kriegsstiftung und Friedensbringer. Erfolgreich mit den Songs an sich wurden meist jedoch andere durch brillante Coverversionen. Und das schon zu Recht. Was Dylan fehlt, ist der letzte Schliff, die Emotion, das Sterben eines Songs, das Transportieren der innigsten Gefühle, größter Liebe, bittersten Schmerzes. Er jammert und jault angetrunken vor sich hin und irgendwann versteht jeder gefühlt, warum Sara diese Beziehung nicht aufrechterhalten konnte. Das ist unfair, denn dafür gab es andere Gründe, aber ein Album, dass diese Trennung be- und verarbeiten soll, braucht einfach mehr. Mehr Gefühle. Warum dieses Album gehypt wird? Keine Ahnung. Klar, ich hatte auch schon Liebeskummer und hab mich durch die Tiefen der Musik geheult und gefühlt und gehasst und gefleht. Aber kein Song von Blood On The Tracks hätte es durch meine Lautsprecher geschafft. Nichtssagend, langweilig, emotionslos – und dadurch auch den Texten nicht gerecht werdend. Braucht man das Album? Absolut nicht. Reinhören, weil man mitreden können möchte, ja, aber nix, was im Plattenregal stehen muss als Trophäe und Trost.
Bob Dylan – Blood on the Tracks
A1 – Tangled Up in Blue
A2 – Simple Twist of Fate
A3 – You’re a Big Girl Now
A4 – Idiot Wind
A5 – You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go
B1 – Meet Me in the Morning
B2 – Lily, Rosemary and the Jack of Hearts
B3 – If You See Her, Say Hello
B4 – Shelter from the Storm
B5 – Buckets of Rain
