Seit 20 Jahren ist Julie Novak spurlos verschwunden. Mitten in der Nacht wurde sie entführt – oder verließ sie freiwillig das Elternhaus? Die True Crime Podcasterin Liv will dem mysteriösen Verschwinden auf den Grund gehen und nimmt Kontakt zum dementen Vater Theo auf – und fragt sich plötzlich, ob wirklich Julie damals verschwinden sollte…
Mit Himmelerdenblau legt Romy Hausmann erneut einen vielschichtigen Psychothriller vor, der ihre typische Handschrift trägt: emotional, düster, verwoben und immer ein Stück anders, als man es erwartet. Schon der Titel deutet an, dass hier Gegensätze aufeinandertreffen – Himmel und Erde, Traum und Trauma, Vergangenheit und Gegenwart. Hausmann gelingt es, diese Ebenen auf eine Weise zu verweben, die sowohl literarisch anspruchsvoll als auch fesselnd bleibt.
Besonders spannend ist der erzählerische Aufbau: Statt einer klassischen linearen Erzählung bedient sich Hausmann hier einer Podcast-Struktur. Die Protagonistin ist Teil eines True-Crime-Podcasts, der alte Vermisstenfälle aufrollt – und plötzlich wird sie selbst Teil einer Geschichte, die viel näher an ihr dran ist, als sie anfangs ahnt. Diese Form erinnert an die heutigen Medienrealitäten und wirkt dadurch modern und frisch. Allerdings kann sie zu Beginn etwas verwirrend sein: Wechsel zwischen Podcast-Transkripten, Erinnerungsfragmenten und klassischer Erzählung fordern die Lesenden heraus. Doch wer sich darauf einlässt, wird mit einer außergewöhnlich dichten Atmosphäre belohnt, in der Realität und Inszenierung immer stärker verschwimmen.
Thematisch bleibt Hausmann ihrem Stil treu: Sie schreibt über Verlust, Identität, Schuld und das, was Menschen antreibt, zu lügen – nicht nur anderen, sondern auch sich selbst. Die Idee, dass jemand nach zwanzig Jahren wieder auftaucht, ist sicherlich nicht völlig neu, und stellenweise wirkt dieses Motiv etwas konstruiert oder unrealistisch. Dennoch gelingt es Hausmann, die psychologische Dimension hinter diesem Schicksal so glaubwürdig auszugestalten, dass man darüber gern hinwegliest. Der emotionale Kern bleibt stark – man spürt, wie sehr Hausmann sich für die inneren Welten ihrer Figuren interessiert.
Unübersehbar ist auch die Nähe zu ihrem Erfolgsroman Liebes Kind: Wieder geht es um Entführungen, Erinnerungslücken und die Suche nach Wahrheit. Wer Liebes Kind mochte, wird in Himmelerdenblau vertraute Themen und eine ähnlich intensive Erzählweise finden – diesmal jedoch in einem neuen, experimentelleren Gewand. Es ist, als würde Hausmann ihr eigenes Werk noch einmal spiegeln und neu erfinden.
Ein besonderes Lob verdient die Hörbuchfassung. Die Sprecherinnen schaffen es, den Podcast-Charakter perfekt einzufangen – mit unterschiedlichen Stimmen, authentischer Klanggestaltung und einer Dynamik, die das Hörerlebnis zu einem echten Gänsehautmoment macht. Gerade die Mischung aus narrativen Passagen und den Podcast-Episoden wirkt im Audioformat noch intensiver und realistischer als beim Lesen. Man hat stellenweise das Gefühl, selbst Teil dieser fiktiven Ermittlungswelt zu sein.
Insgesamt ist Himmelerdenblau ein intensiver, klug konstruierter Thriller, der Hausmanns Erzählkunst bestätigt und gleichzeitig neue Wege geht. Die Podcast-Idee ist originell, das emotionale Zentrum stark, und auch wenn manche Wendungen etwas weit hergeholt erscheinen, bleibt der Roman fesselnd bis zum Schluss. Wer psychologische Spannung mit literarischem Anspruch sucht – und sich nicht vor experimentellen Erzählformen scheut – wird hier bestens bedient. Ein Buch, das nachhallt, und ein Hörbuch, das man so schnell nicht vergisst.
4/5
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Romy Hausmann – Himmelerdenblau
Hörverlag, 2025
13:55 Stunden
Paperback: 18 €
