CD: Lilith – Grown from Scorn


Gut Ding will Weile haben, sagt man im Volksmund. Sechs Jahre sind eine verdammt lange Weile, wenn man fast schon sehnsüchtig auf eine zweite Scheibe wartet. Lilith, eine Metal-Formation aus München, haben endlich den Weg ins Studio gefunden und im März ihre neue Scheibe Grown from Scorn released. Nun ist es bei Lilith wie bei vielen anderen Bands auch so, dass die Mitglieder zwar Feuer und Flamme sind, aber eben ihr reales Leben und ihre Jobs haben. Vieles hat sich bei der Band getan und daher sei die Wartezeit gerechtfertigt – auch wenn’s schwerfiel.

Mit Grown from Scorn schließen die Münchner an ihr erstes Album Catharsis an. Sänger Jens hat seine Growls immer noch drauf und legt bereits beim ersten Song „Aftermath“ gut vor. „Phantasmiasmas“ ist ohnehin ein Titel, den man anderweitig vergebens suchen dürfte, da sollte Musik nicht auch noch unnötig verkünstelt sein, sondern einfach ein gutes Machwerk aus Gitarre, Bass, Drums und Gesang. Inhaltlich geht es dafür ziemlich tief, allein der Refrain bringt einen mal zum Nachdenken, wenn es heißt: „We vanish into dust without a trace“. „Black Milk“ beginnt sehr ruhig, auch der Gesang verwirrt erst mal, weil es eine helle Stimme ist, Klargesang, kein Growling, das einem entgegenschallt. Nun mag man beim Titel schon eine Assoziation haben, die sich schnell bestätigt und deutlich macht, warum die beiden Stimmen – Jens singt tief im Hintergrund – sehr gut gewählt sind und das Growling nicht gepasst hätte. „Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie abends, wir trinken sie mittags und morgens“ beginnt Die Todesfuge von Paul Celan – bei einigen werden hier Erinnerungen an den Deutsch-Leistungskurs wach werden. Ein ernster Text, der ein ernstes Thema behandelt und vielleicht wie ein erhobener Zeigefinger in diesen Tagen mahnend das politische Geschehen betrachtet. Zur Erklärung: Die Todesfuge befasst sich in lyrischer Weise mit dem Holocaust und seinen Schrecken. Ein Song, den man sicherlich überhaupt nicht erwartet, der auch so gar nicht in das Genre der Band passend mag, auch wenn im Refrain ein Growling auftaucht. Aber es ist ein nachdenkliches Lied geworden, eine gelungene Interpretation des Gedichts und der Worte. Vielleicht auch sehr kennzeichnend für Lilith im Allgemeinen, dass es sich eben um durchdachte Texte handelt und hier fundierte literarische Kenntnisse vorhanden sind. „Heaven to Hemlock“ könnte eine Anlehnung an den Roman Hemlock Grove von Brian McGreevy sein. Hier haben wir wieder gutes Growling, tiefe Gitarren und einen mitlaufenden Bass. „Remain“ beginnt mit der berechtigten und gleichzeitig auch ein wenig philosophischen Frage „What will remain?“ Man kann hierbei schon ins Grübeln kommen, oder sich einfach auf die Musik einlassen und genießen, wie aus einem ruhigen Anfang ein heftiges Metalstück wird. „Ad Profundis“ lässt wieder einige Fragen zu. Leitet man den Titel aus der Bibel ab, von Psalm 130 (in der Übersetzung nach Martin Luther; in der Vulgata ist es Psalm 129), der mit „De profundis“ beginnt? Nicht aus der Tiefe, sondern in die Tiefe scheint es zu gehen. Die Melodie ist sehr eingängig, während der Gesang erklingt. Verstummt Sänger Jens, wird es allerdings ein abstruses musikalisches Gefüge, das einen an Verzweiflung, Suche, Haltlosigkeit erinnert – ohne hier zu viel hineininterpretieren zu wollen. Textlich beginnt der Song schon mal knallhart mit der Aufforderung, den Mund mit Asche zu füllen, danach wird es verstörend zerstörend. „Nights of Thunder“ ist ein instrumentales Stück, was man immer seltener findet. Trotzdem läuft es nicht einfach nur so im Hintergrund, man hört zu, findet Feinheiten, hat schnell Gefallen an dem abwechslungsreichen Song. Könnte definitiv in Dauerschleife laufen und ist ein bisschen wie zu Atem kommen nach so viel Text – als kleine Anmerkung sei erwähnt, dass es sich bei Lilith sehr empfiehlt, die Texte genauer zu betrachten. „Once and for all“, wieder mit Gesang, ist ein gutes Metalstück, das ich mir live sehr gut vorstellen könnte. Es hat diesen sofortigen Headbanging-Effekt; ein Song, der mitzieht, wenn die ersten Takte angeschlagen sind. Mit „Words of Light“ endet das Album. Ein gediegenes Midtempo bildet den Abschluss und ist typisch Lilith.

Mit Grown from Scorn können Lilith an den Erstling nahtlos anknüpfen. Die Riffs stimmen, die Melodien gehen ins Ohr, das Album passt einfach. Metalfreunde können hier eine solide Leistung der Münchner Formation hören und sich richtig austoben. Dabei ist auch deutlich, dass es nicht um übliche Themen geht, das hier keine Klischees bedient werden – seien sie nun allgemein richtig oder eben nicht. Nach dem Erstling Catharsis sollte dieses Album eigentlich Apotheosis heißen, was man jedoch unterließ, da ein gleichnamiges Album von einer anderen Band veröffentlicht worden war. Auch hier wird deutlich, welche Grundlagen beim Songschreiben vorhanden sind. Ein bisschen Philosophie, ein bisschen Religion und vor allem Ablehnung der Religion, ein bisschen Literaturgeschichte – alles wird verwoben und findet seinen Einzug in die Songs.

Von der Reinigung zur Vergöttlichung, da bleibt abzuwarten, was als nächstes kommt. Noch einmal möchten wir die Texte ans Herz legen, die zum Nach- und Weiterdenken animieren und mit „Black Milk“ ein wichtiges Stück Literatur verarbeiten.

5/5

Lilith – Grown from Scorn
Independent, 2017
CD: 8,99 €
Amazon

Tracklisting:
01 – Aftermath
02 – Phanstasmiasmas
03 – Black Milk
04 – Heaven to HemlocK
05 – Remain
06 – Ad Profundis
07 – Nights of Thunder
08 – Once and for All
09 – Words of Light

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