The Story behind … Technical Space Composers Crew – Canaxis 5


Die Geschichte um eines der legendärsten Alben der deutschen Musikgeschichte beginnt im März 1938 in der Stadt Danzig, als der Junge Holger Schüring mitten in den Vorkriegswirren geboren wurde. Während des Zweiten Weltkrieges lebte Schüring in der Stadt, die nach Ende des Krieges russische Besatzungszone wurde. Laut eigener Aussage legte er 1946 Feuer in einem russischen Soldatencamp, so dass die Familie Schüring zur Flucht in die amerikanische Besatzungszone gezwungen war. Aus den folgenden Jahren ist leider nichts bekannt. Erst 1960 taucht der Name wieder auf. Schürings erste eigene Komposition „Mellow Out“, ein gut zweiminütiges Jazz-Instrumental wurde aufgenommen. Weiters war er Leader einer kleinen Amateur-Jazzband. In den drei Jahren 1963 bis 1966 studierte Schüring Komposition an der Musikhochschule Köln unter dem genialen Komponisten Karl-Heinz Stockhausen. Dort lernte er seinen Mitstudenten und langjährigen Wegbegleiter Irmin Schmidt kennen. Zudem hatte er seine ersten Begegnungen mit Tapemusic, der Musik, in der Samples auf Bandschleifen geloopt, teilweise rückwärts abgespielt oder komplett verfremdet werden. Außerdem lernte er die Techniken der Musique Concréte. Die folgenden zwei Jahre nach Stockhausen arbeitete Schüring teilweise als Musiklehrer, unter anderem am Artland-Gymnasium in Quakenbrück. 1967 spielte Schüring bei Sessions mit der Beatband The Remo Four, die sich noch gegen Jahresende auflösten. Anfang 1968 war es dann soweit: Zusammen mit seinem Studienkumpel Irmin Schmidt gründete Schüring die Gruppe The Inner Space. Hier tauchte auch das erste Mal der Nachname Czukay auf. Vom Free-Jazz kam der Schlagzeuger Hans „Jaki“ Liebezeit dazu, der vorher beim Manfred-Schoof-Qintett getrommelt hatte. Gitarrist Michael Karoli, der bei Czukay Gitarre gelernt hatte, kam ebenso dazu, wie der ehemalige Stockhausen Schüler David C. Johnson. Dieser war damals freier Mitarbeiter des Kölner Studios für elektronische Musik des WDR. Er bildete den fünften Eckpfeiler des Quintetts. Das Management der Gruppe wurde von Hildegard Schmidt, der Ehefrau von Keyboarder Irmin Schmidt übernommen. Aus dem Mitschnitt eines Konzertes wurde die Single „Agilok & Blubbo“ / „Kamera Song“ auf dem Vogue Label herausgebracht. Noch im Jahr 1968 nahmen The Inner Space die Musik für den Film Kama Sutra – Vollendung der Liebe auf, welcher 1969 in die deutschen Kinos kam. „Kamasutra“ / „I’m hiding my Nightingale“ wurde ausgekoppelt und auf dem Metronome Label veröffentlicht. Auf der Single war beim Copyright Irmin Schmidt auf dem Cover und den Labels vermerkt. Die Proben als Band fanden auf Schloss Nörvenich bei Köln statt. Manfred „Manni“ Löhne ergänzte die Band kurzfristig als Sänger, Flötist und Perkussionist. Hildegard Schmidt lernte in Paris den schwarzen Bildhauer mit Namen Malcolm Mooney kennen, der alsbald als Sänger zu der Gruppe stieß. Durch die immer rockigere Ausrichtung verließ Johnson die Band sehr bald. Auf Anraten von Malcolm Mooney änderte die Gruppe ihren Namen in The Can. Noch im Laufe des gleichen Jahres wurde „The“ gestrichen und man nannte sich fortan nur noch Can. Die Arbeiten für ein erstes Album füllten neben Konzerten die Band aus. Zur gleichen Zeit arbeitete Czukay an seinen eigenen Soloaufnahmen unter Mithilfe von Rolf Dammers, von dem leider so gut wie nichts bekannt ist. 1969 kam dann das erste Album von Can unter dem Namen Monster Movie auf den Markt. Das kleine Münchner Privatlabel Music Factory, welches im Stadtteil Schwabing Nord / Studentenstadt angesiedelt war, brachte unter der Nummer SRS 001 das Album in einer Auflage von ca. 600 Stück heraus. Zur gleichen Zeit war auch Czukay mit seinem Album-Experiment fertig und ebenfalls auf Music Factory kam mit der Nummer SRS 002 und unter dem Bandmoniker Technical Space Composers Crew  (T.S.C.C.) das Album Canaxis 5 auf den Markt. Das Cover im schlichtem schwarz/weiß gehalten beinhaltete Canaxis 5 nur zwei Songs.

 

Der Track „Ho-Mai-Nhi  (The Boat Woman Song)“ auf Seite Eins fängt mit ca. 10 Sekunden sakralen Chören an, die in einer Tonbandschlaufe münden, welche von anderen, sich wiederholenden und überlappenden  Schleifen abgelöst wird. Nach gut einer Minute setzt der Gesang zweier unbekannter vietnamesischer Frauen ein, welchen sich Czukay von dem 1965 erschienen Album-Sampler Music of Viet Nam  (Folkways Records FE 4352) herausgesampelt hatte. Eigentlich ist der Name „The Boat Woman Song“ falsch angegeben. Die Sprachsamples der Frauen sind real aus dem „Love Song (Doh Dam Tara)“, einer Weise, die von den Cham People stammt, und der ebenfalls auf dem Viet Nam-Album zu finden ist. Auf gut 21 Minuten finden sich die erwähnten Bandschleifensamples mit dem Gesang der vietnamesischen Frauen in einer hypnotisierenden Form. Auf eine gewisse Art und Weise kann der Track als einer der ersten Weltmusiksongs bezeichnet werden. Die letzten Minuten des Stückes sind rein instrumental und lassen immer wieder die anfangs erwähnten Tonbandschleifen vernehmen, während der Song leise ausfadet. Der Song auf Seite Zwei, das ebenfalls gut zwanzigminütige „Shook Eyes Ammunition“, hat nichts von den Bandschleifensamples mit Frauengesang. Er ist eher in der Tradition von Stockhausen im klangsynthetischen Verfahren gehalten. Ein hypnotischer, kühle Stimmung verbreitender Klangteppich, der mit flirrenden Obertönen auf- und abschwillt und gekrönt wird von einem asiatisch klingenden Saiteninstrument, das nur akzentuierend eingesetzt ist. Schon auf der ersten Nachpressung  (Spoon 015) von 1982 ist der Song umbenannt in „Canaxis“. Auf späteren Nachpressungen ist Czukays allererster aufgenommener Song „Mellow Out“ als dritter Track enthalten. Dort ist auch im Albumtitel die Zahl Fünf neben Canaxis gestrichen worden.

 

Noch im gleichen Jahr 1969 wurde die Plattenfirma Liberty auf die Band Can aufmerksam und man bot der Gruppe einen Plattenvertrag an. Die Monster Movie LP wurde neu eingespielt, erst mit dem alten Cover mit der neuen LBS 83437 Nummer angepresst  (Prom Productions), und dann mit den neuen blauen Cover auf Liberty Records veröffentlicht. Zur gleichen Zeit kehrte auch Sänger Malcolm Mooney auf Anraten seines Psychiaters in die USA zurück und Can standen kurze Zeit ohne Sänger da. Für ein Konzert in München engagierte die Band den Straßenmusiker Kenji „Damo“ Suzuki als Ersatz für Mooney. Es blieb nicht nur bei der kurzzeitigen Konzertverbindung Can/Suzuki. In dieser, als „klassisch“ bezeichneten Can-Besetzung, wurden die folgenden LPs aufgenommen. Noch auf Schloss Nörvenich entstanden die Platten Soundtracks und Tago Mago. Mittlerweile baute sich die Band in einem ehemaligen Kinosaal in Weilerswist bei Köln ein eigenes Studio auf. Dieses wurde als Inner Space Studio betitelt. Die erste dort aufgenommene Platte war die Ege Bamyasi LP mit den Überhits „Spoon“ und „Vitamin C“. Nach der im Juni 1973 aufgenommenen LP Future Days verließ Damo Suzuki die Band. Auf den drei nachfolgenden Studio Platten Soon over Babaluma, Landed und Flow Motion teilten sich Schmidt, Czukay und Karoli die Leadvocals. Die beiden Platten Limited Edition und Unlimited Edition enthielten bisher unveröffentlichte Stücke. Im Januar 1977 kam das Album Saw Delight auf den Markt. Holger Czukay war hier nur noch als Soundbastler (Electronics, Noises, Wave Receiver) und Sänger im Einsatz. Seinen Basspart hatte zuvor schon der Engländer Rosko Gee übernommen, der von der Gruppe Traffic kam. Die beiden folgenden Alben Out of Reach und das selbstbetitelte Can, beide von 1978, wurden ohne Czukays Mithilfe eingespielt. 1979 kam dann Holger Czukays zweites Soloalbum auf den Markt. Das erste aber unter seinem Namen Holger Czukay. Mit On the Way to the Peak of Normal setzte Holger seine Solokarriere fort. 1981 kam das Can-Album Can Delay 1968 auf Spoon Records heraus, auf dem die ersten Sessions aus dem Jahre 1968 zu hören sind. In den folgenden Jahren spielte Czukay einige Soloalben ein und brachte Alben in Kollaborationen mit einigen bekannten Musikern heraus. The Edge (U2), Jah Wobble, Conny Plank, Phew, Brian Eno, David Sylvian, Dr.Walker, um nur einige zu nennen. Als besonders erwähnenswert darunter empfehle ich das Album Full Circle aus dem Jahr 1982, zusammen mit Jah Wobble und Jaki Liebezeit. Darauf befindet sich der Track „How much are they“, ein schönes Beispiel für Bandschleifensound. 1981 kam das erste Album eines englischen Synthie-Pop Duos auf den Markt, auf dem Holger Czukay unter anderem French Horn spielt. Jaki Liebezeit ist darauf ebenfalls zu hören. Betitelt war die Scheibe als In the Garden und war von keinem geringeren als den Eurythmics. Der nächste Meilenstein in Czukays Karriere war der 87er Fernsehfilm Krieg der Töne im Auftrag des ZDF, in dem Holger Czukay sowohl die Hauptrolle spielt, als auch für den Soundtrack verantwortlich war. Zwei Jahre später sorgte die Can Reunion im originalen 1968er Line-Up für Schlagzeilen. In der Besetzung mit Malcolm Mooney spielte die Gruppe das Album Rite Time ein.

In den 2000er Jahren spielte Czukay mit seiner Frau Ursula Schüring, betitelt als U-She oder Ursa Major zusammen mehrere Projekte ein und tourte in diversen Ländern, wie die USA oder Israel. Beim Umzug des Inner Space Studios 2007 von Weilerswist in das Rock’n’Pop-Museum in Gronau, wo das Can-Studio originalgetreu wiederaufgebaut wurde, sorgte der Fund von Tonbändern mit ca. 30 Stunden unveröffentlichten Studio-, Live- und Konzertaufnahmen für den Release der 5-LP Box The Lost Tapes. Darauf ist unter anderem die Melodie des Fernsehspiels Das Millionenspiel von 1970 zu hören.

Am 5. September 2017 wurde Holger Czukay von einem Nachbarn tot in seiner Wohnung im ehemaligen Can-Studio in Weilerswist gefunden und wurde am 14. September 2017 auf dem Kölner Melaten-Friedhof neben seiner Frau Uschi Schüring beigesetzt, die erst fünf Wochen zuvor verstorben war. Sein Grab liegt schräg gegenüber dem des Can Bandkollegen Jaki Liebezeit, der im selben Jahr einige Monate zuvor gestorben war.

Holger Czukay war ohne Frage einer der genialsten Musiker, die Deutschland jemals hervorgebracht hat. Einer von Czukays größten Bewunderern war übrigens der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel. In der Musikszene berufen sich nicht wenige Musiker auf Czukays Wirken.

Zurückblickend betrachtet, kann man das Album Canaxis 5 als erstes Weltmusikalbum betrachten sowie als herausragendes Werk in der Geschichte der Tapemusik.

Technical Space Composers Crew – Canaxis 5
1968 – Music Factory – SRS 002

Tracklisting:
A1 – Ho-Mai-Nhi  (The Boat Woman Song)
B1 – Shook Eyes Ammunition

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