Sophisticated Metal wird die Stilrichtung des Nürnberger Sextetts M.I.GOD. beschrieben. Die Formation wurde nach dem 2012er Album Floor 29 hochgelobt, machte Karriere durch positives Feedback von Musikern wie Lzzy Hale, Jürgen Plangger oder Ross Thompson und als Support von ICED EARTH, Blind Guardian und anderen. Ob die Lorbeeren gerechtfertigt sind, mag ich nicht entscheiden. Das neue Album Specters on parade ist jedenfalls ein gewöhnungsbedürftiges Werk, dessen Raffinesse ich vergebens suche. Das Intro ist zu lang und nichtssagend und besteht 50 Sekunden lang nur aus einem hellen Piepton, der mir derart auf den Nerv geht, dass ich den Silberling gerne ohne weiteres Anhören aus dem Fenster schmeißen und zerstören möchte. Ich finde dafür keine anderen Worte als: Scheiße. Vollkommener Dünnpfiff, der absolut übertrieben und eine Verschwendung von Zeit ist. Gut, ich lasse mich drauf ein, man kann das Intro, wenn man es überinterpretieren möchte als letzte Hetzjagd aus einem drogenlastigen Actionfilm sehen, in der der Protagonist stirbt, was durch das durchgängige Piepgeräusch dargestellt wird. Aber ich will gar nicht mehr interpretieren, wenn mich etwas so sehr ankotzt und für Kopfschmerzen und Aggression sorgt. Nicht gerade der beste Einstieg (und Fans und Band werden auf die Barrikaden gehen, wenn sie keine große Meinung von sich selbst haben, wird es für uns wieder beleidigende Nachrichten und einen Shitstorm auf den Social Media Kanälen geben, aber Kritik muss man gerade als Künstler akzeptieren). Aber es sind ja noch 20 weitere Songs auf dem neuen Album vertreten, weshalb noch lange nicht aller Tage Abend ist. Die Euphorie kann ich allerdings nicht wirklich teilen. Der versprochene technische Anspruch bleibt aus. Wild heruntergeschrammelte Gitarren, ein getriggertes Schlagzeug hier, ein bisschen Growling da, fertig ist das nichtssagende Werk. Oder doch nicht?
Der Pressetext verspricht ein „erzählerisch[es] als auch musikalisch[es] Drama, Thriller, Horror und Mystery zugleich„. Also muss es bei den relativ ähnlich klingenden Songs, die mir nicht im Ohr bleiben und nebenbei eher als störendes Geräuschwerk dahindröhnen, und den dazwischengeschalteten Intro-Scenes etwas geben, das mir beim ersten Hören nicht aufgefallen ist. Vorweg: Auch beim zweiten Hören (und ich habe dieses Album tatsächlich noch ein drittes Mal gehört!) ist es mir nicht aufgefallen. Immerhin bin ich ein Filme liebender Mensch, der sich einige Sequenzen – und gerade die sieben Intros – sehr gut in cineastischen Werken vorstellen könnte. Erzählen diese am Ende die ganze Geschichte? Track Nummer fünf flattert nämlich durchaus dahin, als wäre er einem Kurzfilm entsprungen. 5 Bucks und die Party kann beginnen, die die ganze Nacht andauern soll. Danach gibt es Stille, Hundegebell, eine Art aus der Disco in die Stille hinaustreten, nach Hause gehen durch den leichten Nieselregen, durch dunkle Gassen, der Hund bellt wütend, tobt, das Herz schlägt schneller, man wird verfolgt, fühlt sich beobachtet, vielleicht ist es die letzte Nacht, vielleicht wird man aber auch nur ausgeraubt und verprügelt und bleibt verletzt, aber lebend im Rinnstein liegen. Der Song danach schreibt (rein vom Hören her) die Geschichte fort, die Party, die Ekstase, vielleicht hat man sich etwas eingeschmissen, feiert zu bunten Lichtern, lauwarmen Drinks und auf der Suche nach einer Tussi für einen kurzen Fick heute Nacht, als kleiner Ausbruch aus dem Alltag. Zur Hälfte gibt es ein kurzes Gitarrensolo, das dann die Jagd auf der Straße nachahmt. Fein. Das Hundegebell geht weiter, ein leises Stöhnen, bedrohliche Geräusche, Stille, das Aufziehen einer Spieluhr, man erwartet einen Springteufel aus dem Nichts. Danach knallhart hingerotztes Saitenspiel, den dämlichen „Ahaaaahaa“-Background hätte man sich sparen können. Zu lang ist der Titeltrack geworden. Mit über acht Minuten verliert man irgendwann die Lust an der Verkünstelung der Musiker.
Kürzen wir das mal ab und erwähnen, dass es einen Bonustrack gibt, „I feed you my love“ von Margaret Berger wurde 2013 beim ESC Vierter und erstrahlt hier als Eigeninterpretation. Ich finde beide Varianten wenig berauschend, gestehe M.I.GOD. aber zu, dass sie wirklich das Beste draus gemacht haben.
Ist alles schlecht? Das verrät mir der Blick ins Booklet, der wärmstens zu empfehlen ist. Die Texte müssen gelesen und nicht gehört werden. Zwar finde ich Pseudo-Tagebucheinträge wie „I woke up early that morning, I took a shower, brushed my teeth, drank a cup of coffee and made myself ready for work“ (sh. Booklet, Text zu 01. Vertigo) extrem nichtssagend, entdecke im weiteren Verlauf Ähnlichkeiten. Etwa der Text zu Song 15: „Wake up every day, my life it seema needlessly complicated, pushed right into form, meeting the norm“ Das ist nett, trivial und egal. Das ist nun mal das Leben, wenn man nicht irgendwo beginnt, sich selbst sein kleines Glück zu erschaffen, seinen Sinn zu finden und sich Highlights zu geben. Ich weiß nicht, ob man die Texte zu den Intros benötigt, finde eher, dass nicht, aber muss sie nun mal als gegeben hinnehmen . Der Punkt aber ist: In den Texten steckt schon was. Die depressive, fast tragische Bedeutungslosigkeit und ständige Wiederholung des Alltags, die das Leben trist und langweilig machen, werden eingefangen. So gesehen ist die Schlusszeile von Song 19 richtungsweisend: „Never stop! Carry on!“ Aber nimmt man das noch wahr, wenn man das Album durchgehört hat?
Mein Fazit bleibt negativ, denn ich kann dem Silberling nichts abgewinnen. Mir fehlt etwas wirklich Gutes, etwas Filigranes, etwas Liebevolles, Ausgefallenes, ein Highlight, etwas, das sich von anderen unterscheidet. Vieles wirkt für mich wie trivialer Soundbrei mit einer ganz annehmbaren Sänger-Stimme. Die CD wäre nicht einmal komplett durchgehört worden, wenn es nicht um eine Rezension gegangen wäre – und so etwas finde ich an sich immer sehr schade, denn es stecken viel Arbeit, Liebe, Schweiß, Blut, Tränen, Gedanken, Rückschläge, Versuche und noch ganz viel mehr in fünf Jahren Songwriting und Komposition. Die Band musste zudem 2017 während der Aufnahmen von ihrem Bassisten Matt Weber Abschied nehmen, also kein leichter Weg. Ohne die Texte, die man aber explizit lesen, interpretieren und verstehen muss, wirkt das Album für mich erst recht nicht. Für Fans der Band natürlich ein absolutes Muss, das ist klar, die Texte sind für Melancholiker sehr zu empfehlen. Ein bisschen Weltschmerz und Alltagstrott, der ankotzt und die dunkle Spirale der Wiederholung anheizt, erlebt schließlich jeder von uns. Daher meine Empfehlung: Überspringt Titel 1, hört euch den Silberling an, lest die Songs mit und entscheidet selbst.
1/5
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M.I.GOD. – Specters on Parade
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Tracklisting:
Vertigo
The Solitary Ghost
Tongues of Poison
We all belong to the dark
Embracing the neon
Titans of the void
The sleeping cruelty
Atelier Macabre
Specters on parade
Sonata in Tenebris
Teas of today
What’s your favorite scourge?
Chances
The Call
Weight of a million souls
Cluster
Bound to a daydream
Between the devil and the deep blue sea
The threshold
Terminus: Life
I Feed you my love