Das bekannte Stück Angst essen Seele auf ist aktueller denn je. Die Phrase ist mittlerweile in den Sprachgebrauch übergegangen, das Stück und der gleichnamige Film (mit einer brillanten Brigitte Mira in der Hauptrolle) sind dafür immer mehr in Vergessenheit geraten. Darum ist es wichtig, dass sich das kleine Zentraltheater in München unter Regie von Josef Rödl damit befasst und Angst essen Seele auf wieder auf die Bühne gebracht hat.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Witwe Emmi hat zwar Kinder, ist aber doch alleine in ihrem Alltag und geht einem Putzjob nach. Als es in Strömen regnet, sucht sie Zuflucht in einer Kneipe, in der sie den 20 Jahre jüngeren Marokkaner Ali kennenlernt. Er bringt sie nach Hause, nimmt ihre Einladung an und bleibt über Nacht. Die Nachbarn rümpfen die Nase, der Krämer verweigert die Bedienung, die Kinder wenden sich ab – und Emmi heiratet Ali allen zum Trotz. Doch die Probleme werden noch größer und beide klammern sich aneinander. Nach einem gemeinsamen Urlaub, haben sich die Nachbarn und Kinder plötzlich gewandelt. Der Ausländer stinkt doch nicht, klaut nicht, ist doch ganz nett und vor allem nützlich. Aber da beginnen die Schwierigkeiten, wenn zwei Kulturen aufeinandertreffen und in der Ehe kriselt es.
Emmi wird verkörpert von der großartigen Sarah Camp. Die Darstellerin hat eine extrem ausgeprägte Mimik, die alles erzählt und die Gefühle wie Angst, Einsamkeit, Sorge, Liebe, Glücklichsein etc. geradezu spürbar macht. Sie sticht heraus, lebt ihre Rolle wunderbar aus und fesselt das Publikum von der ersten Minute an. Neben ihr spielt Michele Cuicuffo den Marokkaner Ali. Der gebürtige Italiener spricht in seiner Rolle ein gebrochenes Deutsch, macht typische sprachliche Fehler und hat diese freundliche, zuvorkommende Art eines Ausländers, der eben nichts falsch machen will in diesem fremden Land, in dem er viel Ablehnung erfahren hat. Der Schauspieler spielt diese Rolle nicht nur, er lebt und fühlt sie. Er ist der Marokkaner.
Die Bühne ist spärlich aufgebaut, die Kulisse besteht hauptsächlich aus schwarzen Holzwürfeln, die immer wieder umgestellt und dadurch umfunktioniert werden: Mal Stuhl und Tisch, mal Tresen, mal Sofa oder Bett.
Sohn, Hausmeister, Polizist und Krämer werden von Peter Rappenglück verkörpert. Man muss zugeben, dass die Besetzung der Rollen exzellent ist! Rappenglück spielt den Griesgram, vor seinem Gesicht und der schlechten Laune kann man Angst bekommen, der hinterlistige, ausländerfeindliche Krämer wird mit einem fiesen Grinsen unterlegt. Die Auftritte sind zwar nur kurz, zeigen aber die Wandlungsfähigkeit des Schauspielers. Böse, verachtend, wenn Blicke töten könnten, wäre einige nicht mehr da. Er selbst sagt, er spielt nur Widerlinge und das stimmt auch, aber er macht es verdammt gut!
Auch Kathrin von Steinburg verkörpert mehrere Rollen, nicht alle sind dabei sympathisch. Die neugierige Nachbarin, die Kollegin, die Tochter, die Frau des Krämers. Steinburg verzieht gerne mal das Gesicht, ihre Abfälligkeit lässt erschaudern und steht dabei stellvertretend für alle vorurteilsbeladenen Menschen. Kleingeistig, engstirnig, ihren eigenen Frust an anderen auslassend und Emmi ihr Glück nicht gönnend.
Überraschend farblos bleibt Christina Baumer. Sie bringt wenig auf die Bühne, wirkt als Kneipenbesitzerin seltsam steif und überzieht ihre Rolle, als sie ihre Brüste entblößt, um die Affäre mit Ali zu verdeutlichen. Das wirkt seltsam fremd und deplatziert an diesem Abend.
Weitere Rollen werden vom Bürgerchor Integra, Kleindarstellern aus dem Viertel, dargestellt. Sie runden das Stück ab, besetzen hier und da die Szenen, um das Drumherum zu veranschaulichen. Die Auftritte sind kurz mit wenig Text, dürften aber keinesfalls fehlen.
Die Zeit vergeht schnell. Man ist irgendwann Teil des Stücks, lebt und leidet mit, liebt und hofft, auch wenn man weiß, wie die Geschichte enden wird. Ali liegt mit einem Magengeschwür im Krankenhaus und Emmi sitzt auf der Bühne, ein Spot ist auf sie gerichtet, die Miene ist verzweifelt, zeugt von Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit – wie zu Beginn. Gerade hat sie ihm noch gesagt, dass sie Verständnis für ihn habe und ihm mehr Freiheit lassen werde, wenn er nur zu ihr zurück käme. Aber Glück währt nicht ewig.
Angst essen Seele auf ist nicht nur ein drastisches Bild von gelebter Ausländerfeindlichkeit basierend auf Vorurteilen, es ist auch die Geschichte einer einsamen Frau, die endlich wieder jemanden findet, der sie wahrnimmt und mit ihr redet, der an ihr als Person Interesse hat. Besser kann man der Gesellschaft keinen Spiegel vor Augen führen.
Minutenlanger Beifall belegt, wie gut die Schauspieler waren. Die ausverkauften Abende sprechen genauso Bände. Auch zwei Zusatztermine am 15. und 16. Februar sind bereits ausverkauft. Es empfiehlt sich, öfter mal auf die Seite vom Münchner Zentraltheater zu schauen, die Inszenierungen lohnen sich.
5/5
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