Flashback 50 – Alice Cooper – Billion Dollar Babies – April 1973


Vincent Damon Furnier hatte mit seiner Band, von der er sich seinen späteren Künstlernamen abschaute, wenig Erfolg, bis der Produzent Bob Ezrin auf ihn aufmerksam wurde. Ezrin produzierte unter anderem Lou Reed, Pink Floyd, Kiss oder Deep Purple und war bekannt dafür, gerne neue Techniken einzusetzen. Mit ihm zusammen veröffentlichten Furnier und seine Band zwei Alben, darunter Billion Dollar Babies, das als Nummer 1 Album in den USA, UK und den Niederlanden zu einem der erfolgreichsten Longplayer von Alice Cooper avancierte. Insgesamt gab es vier Singleauskopplungen, darunter eine der wohl bekanntesten Nummern Coopers, die auch heute auf keinem Konzert fehlen darf: „No more Mr. Nice Guy“. Das Album hat einen längeren Weg hinter sich, da man in verschiedenen Studios verschiedene Elemente einspielte. Unterschiedliche Effekte wurden dadurch erzeugt, dass man mit Mikrofonen durch verschiedene Räume ging, die durch ihre Größe, Einrichtung und Bauart unterschiedliche Echos und Klänge erzeugte. Von Connecticut aus, wo man diese Effekte einfing, ging es über den großen Teich nach London, wo man einen Hauptteil der Scheibe einspielte. Leider hatte Gitarrist Glen Buxton ein ziemliches Drogenproblem, das die Aufnahmen gefährdete. Kurzerhand engagierte man Dick Wagner und Steve Hunter und für die anschließende Promotour für das neue Album Mick Mashbir. Cooper selbst betont immer wieder, dass Million Dollar Babies ein Umbruch war, auch für ihn selbst und das Songwriting. Schon immer sei es sein Ziel gewesen, mit seinen Liedern Geschichten zu erzählen, was in dreieinhalb Minuten recht schwierig sei. Er ließ sich dafür sehr von Chuck Berry beeinflussen, der mit „Nadine“ oder „Maybellene“ genau das tat, was Cooper erreichen wollte und auf dem neuen Album auch umzusetzen versuchte. Seine Intension dabei waren vor allem humoristische Lieder, gerne auch mit schwarzem Humor, manchmal auch kleine Dramen. Das Cover war gestaltet wie eine teure Geldbörse aus grünem Schlangenleder, die Erstpressung versehen mit einer überdimensionalen 1 Billion Dollar Note, abgerundeten Ecken und der in Prägedruck abgebildeten Billion Dollar Münze. Im Klappcover gibt es zudem noch einzelne Fotos und Bilder mit perforierten Rändern, so dass man diese heraustrennen könnte. Dahinter verbirgt der Einschub für das Vinyl, das in einem bedruckten Innersleeve verstaut ist. Würde man die Bilder heraustrennen, würde man das Bandfoto des Innersleeves direkt beim Aufklappen sehen. Musikalisch brachte Alice Cooper zehn neue Songs auf die Scheibe, die auch für die weitere Karriere teilweise wegweisend waren.

Beginnend mit „Hello Hooray“, geschrieben von Rolf Kempf und ursprünglich von Judy Collins aufgenommen. Die Intension dahinter war eine eigene Version der Nummer, die einen Umbruch innerhalb der Band markierte. Aus dem ursprünglichen Hardrockimage wurde das Horror-Cabaret geboren, das Furnier auf der folgenden Tour mit seinen Outfits und einer verstörenden Bühnenshow untermauerte. „Hello Hooray“ war die zweite Singleauskopplung des Albums und wirkt in erster Linie seltsam langweilig, langsam und wenig dem entsprechend, was man von der Band bisher gewohnt war und heute kennt. Allerdings wäre es der perfekte Soundtrack für einen Tarantino-Film, der bekanntermaßen gerne Filme um Songs herum kreiert und der hierbei eine seiner berüchtigten Schießereiszenen zeigen könnte. „Raped and Freezin'“ ist eine dieser aberwitzigen Geschichten, die Furnier erzählt. Sexuelle Belästigung mal andersrum, ausgeführt von einer bibeltreuen Nymphomanin, erlitten durch einen scheuen Tramper, der irgendwann, irgendwo in Mexiko strandet, nackt, frierend und hilflos verwirrt. „Elected“ war die erste Single, die ein knappes halbes Jahr vor dem Album als kleiner Vorgeschmack erschien. Dabei handelt es sich um eine umgeschriebene Version von „Reflected“, das auf dem Debut Pretties for you von 1969 zu hören war. Was anfänglich noch gemeinhin als Balzlied eines Umwerbers gedeutet werden kann, macht recht schnell klar, dass alle weiterführende Interpretation hinfällig ist, denn es geht genau um das, was der Titel verspricht: Um die Wahl und das Gewähltwerden durch das Volk zum Oberhaupt von Amerika. Die Wahlversprechen, die bunte, glorreiche Zukunft, die untertänige Welt, das Wissen um all die Probleme in allen Teilen des Landes – und am Ende die bittere Wahrheit, dass es den Erwählten persönlich überhaupt nicht interessiert. Es ist ein erschreckend aktueller und vor allem zeitloser Song, der nicht nur auf die USA zutrifft. Man erwartet vielleicht einen ausrastenden, wütenden Sound, aber mehr als geradezu liebliche Gitarren und einen schreienden Cooper hört man dann doch nicht. Er wirkt zahm und vielleicht funktionieren diese Abscheu, diese Wut und diese erzählte Ignoranz der hohen Tiere nur, wenn man sich dazu die Bühnenshow vorstellt. Wer genau hinhört, kann eine kurze, kleine Ähnlichkeit zum Zwischenspiel von „School’s Out“ feststellen.

Titeltrack „Billion Dollar Babies“, die vierte Singleauskopplung, ist ein Liebeslied an das liebe Geld, eben jene Billion Dollar – oder doch eher an die Puppe, das Baby, das man auch heute noch bei dem Song auf der Bühne sieht, irgendwann seinen Kopf verlierend und mittlerweile noch düsterer dargestellt als in den 1970er Jahren? Eigentlich soll es eine gesungene Horrorstory sein, in meinen Augen kann Cooper das besser. Ein bisschen erinnert diese bizarre Liebe und die Treffen auf dem Dachboden an E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. Weg von alldem ist „Unfinished Sweet“ ein instrumentales Stück, das in der Tat etwas unfertig wirkt. Nach zwei Dritteln gibt es dann doch die Story – von Halloween, Süßigkeiten und dem Doc – wer den Film gesehen hat, wird sich an Charlie und die Schokoladenfabrik erinnern, an den fantastischen Christopher Lee als Zahnarzt und strengen Vater von Johnny Depp, der seinem Sohn alles Süße verbietet und schließlich eine immense Angst vor Zahnarzt und Zähnen hinterlässt, der sich erst der erwachsene Charlie stellen kann. Furnier geht aber weiter in seinem Song und verweist auf de Sade, der in dieser Nacht im beschriebenen Mund leben und ihn quälen wird. Der als Marquis de Sade bekannte Autor steht für Sadismus und sexuelle Deviation, die durch das Quälen anderer befriedigt wird. Also nicht gerade der beste Song vor einem Zahnarztbesuch, gleichzeitig aber textlich wunderbar in diese düstere Horrorwelt der Band passend. Es ist vielleicht die bekannteste Nummer des Albums und einer der Songs, die auch heute noch auf den Konzerten und im Radio gespielt werden: „No more Mr. Nice Guy“ war die dritte Single, die 1973 erschien. Dahinter steckt die entsetzte Reaktion der Kirchengemeinde seiner Mutter auf die Bühnenshows und das Auftreten des ursprünglich so braven, wohlerzogenen Vincent Damon Furnier. Er ist eben nicht mehr Mr. Nice Guy, sondern hat sich stark gewandelt. Gleichzeitig wird in der zweiten Strophe die Engstirnigkeit des sozialen Umfelds der Eltern thematisiert, die sich plötzlich als Ausgestoßene vor verschlossenen Türen wiederfanden. Die Abneigung gegen diese Spießigkeit, macht Cooper in „Generation Landslide“ deutlich, indem er diese braven, gottesfürchtigen Mütter und Väter auslacht, die sich dem Leben verschließen und ihre Kinder zu gehorsamen Marionetten erziehen. Dabei klingt es nach einem ganz gewöhnlichen, braven Lied, das sonntags nach der Kirche gespielt wird, beim Tanztee, mit Mundharmonika, während die Ladies ihren Kaffee schlürfen und die selbstgebackenen Kuchen verteilen. „Sick Things“ ist ein etwas umstrittener Song. Er wirkt erhaben durch einen schwerfälligen Rhythmus, der Einzug des Königs, der zwischen dem ihn anbetenden Volk hindurchschreitet. Manche sagen, es gehe ganz simple um die Anbetung der Dinge, die einen so wichtigen Stellenwert in unserem Leben einnehmen, andere wiederum sehen hier eine Metapher und deuten die sick things als die Fans von Alice Cooper. Wie dem auch sei, das Dings zieht sich, schleppt sich mühsam dahin und macht durch diese zähe Voranschreiten vielleicht gerade deutlich, wie sehr das lyrische Ich an diesen Sachen hängt und gegen jegliche Vernunft nicht davon loskommt. „Mary Ann“ ist der kürzeste Song, nur etwas über zwei Minuten lang, vom Klavier dominiert, flaniert von geradezu sanftem Gesang. Am Ende stellt sich heraus, dass die besungene Mary Ann ein Transvestit ist. Es soll humoristisch sein, vor allem in der Kombination des folgenden „I love the dead“, in dem es eindeutig um Nekrophilie geht.

Der Abschluss des Albums bringt noch einmal ganz gut die Intention dahinter zur Sprache. Sarkastisch und düster erzählt Vincent Damon Furnier seine Geschichten, die einen Wandel in seiner Musik und seiner Persönlichkeit darstellen. 1974 nimmt er den Bandnamen als Künstlernamen an. Billion Dollar Babies ist für die Band ein wichtiges Album, das anknüpfen soll an den Erfolg von School’s Out und gleichzeitig inhaltlich und äußerlich eine klare Veränderung markiert. Alice Cooper wird auf der Bühne zu einer Gruselshow, einem düsteren Horrorkabarett, gespickt mit versteckten und sehr offenen Hinweisen auf düstere Literatur, triefend vor Sarkasmus und Abneigung gegen konventionelle Spießigkeit. Die Verbindungen, ob bewusst oder zufällig, zum Genre der Schwarzen Romantik, man denke an E.T.A. Hoffmann, Marquis de Sade, Edgar Allan Poe oder Mary Shelley, sind deutlich und prägen die Musik. Auch kann man sich nicht vor einer Verbindung zu Alistair Crowleys literarischem Schaffen erwehren, der ebenso düster, schwarzhumorig und destruktiv schrieb. Billion Dollar Babies überzeugt dabei nicht durch brachiale Bässe, schwere, eingängige Rhythmen und unvergessliche Hooks, sondern lyrische Feinheiten, durch die ersten zaghaften Versuche, Geschichten zu erzählen, Shortys, die in durchschnittlichen drei Minuten eine beklemmende Schwere aufkommen lassen. Richtig wirken kann die Musik durch eine gute Textkenntnis und noch besser durch die aufwändige Bühnenshow, die Alice Cooper im Laufe der Jahre immer weiter ausarbeitete.


Alice Cooper – Billion Dollar Babies
01- Hello Hooray
02 – Raped and Freezin‘
03 – Elected
04 – Billion Dollar Babies
05 – Unfinished Sweet
06 – No More Mr. Nice Guy
07 – Generation Landslide
08 – Sick Things
09 – Mary Ann
10 – I Love the Dead

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