Flashback 50 – The Mothers – Over-Nite Sensation – September 1973


Die Mothers haben sich ursprünglich als R&B Gruppe in Kalifornien gegründet, damals noch unter dem Namen Soul Giants. Nachdem der damalige Leadsänger Ray Collins sich mit seinem alten Gitarristen überworfen hat, hatte er für die vakante Stelle einen gewissen Frank Vincent Zappa im Kopf. Nun denn, history was in the making und die Zeit des reinen Rhythm and Blues war passé. Zappa hatte da andere Vorstellungen. Am Muttertag desselben Jahres gaben die nun passenderweise in The Mothers umbenannte Kapelle ihr Debüt. Zwei Jahre später im Jahr ’66 wurden sie vom Produzenten Tom Wilson (u.a. Bob Dylan und Simon & Garfunkel) entdeckt und beim MGM Sublabel Verve unter Vertrag genommen, bei dem im selben Jahr ihr Debüt-Doppelalbum Freak Out erschien.

Zappa und seine Spießgesellen, The Mothers, manches Mal auch als The Mothers of Invention betitelt, haben sich nach ihrer Gründung 1964 mittlerweile schon zum zwölften Mal ins Studio begeben, um ihrer Ansammlung aus Kreativität, Verrücktheit und musikalischer Qualität einen neuen Ableger zu kredenzen. Aufgenommen wurde Over-Nite Sensation in Ike Turner’s Bolic Studio, es ist das erste Album auf Zappas eigenem Discreet Label und legt direkt einen denkwürdigen Start hin. Im Anschluss an die vom Erfolg wenig geküssten jazzigen Waka/Jawaka und The Grand Wazoo gelingt es Frank und Co mit der neuen Scheibe bis in die Top 35 der amerikanischen Charts vorzustoßen und sich dort die nächsten Jahre zu etablieren. Covertechnisch haben wir ein surrealistisches, gerahmtes Studiosetting, das die Songinhalte anschneidet. Entworfen und ausgearbeitet wurde das Cover von David McMacken (u.a. Beatles, Beach Boys, Cat Stevens, Kansas, Journey, AC/DC, Tom Jones) und Cal Schenkel. Die wirre Unordnung gibt einen Eindruck, was den Hörer erwartet. Der Backgroundgesang bei den Aufnahmen wurde bei einigen Tonspuren von Turner’s Ehefrau Tina samt ihren Ikettes erledigt.

Den Beginn macht die zunächst nach Pop-Rock klingende Nummer „Camarillo Brillo“. Unterschiede zum Pop stechen doch direkt heraus. Man hört über 40 unterschiedliche Instrumente, die in einer ausgeklügelten Melange mit progressiven Elementen die Geschichte der tarotlegenden Waldhexe erzählt, mit der das lyrische Ich auf dem Boden ihres Zimmers verkehrt. Ein bemerkenswerter Start und hervorragender Song, um jemandem Zappa nahezubringen.
„I’m the Slime“ geht die radiotaugliche Art des Openers ein wenig ab. Der funkige Part, der auf das wilde Gitarrensolo zu Beginn folgt, geht direkt ins Ohr, danach geht es aber in eine ganz andere Richtung. Der Verse ist ähnlich wie sechs Jahre später der „Central Scrutinzer“ aus Joe’s Garage in der tiefen Sprechstimme Zappas vorgetragen. Frank hasst das Fernsehen und dieser Song erklärt, warum. Ralph Humphrey an den Drums zerklopft im folgenden Refrain seine Felle, die Ikettes rund um Tina Turner geben der Nummer Soul und Zappa spielt ein abgefahrenes verzerrtes Gitarrensolo zum Abschluss, um damit aufzuhören, womit er vorher angefangen hat aber vom Slime unterbrochen wurde. Und das passiert alles in 3:30. – Wahnsinn.

„Dirty Love“ ist eine Mischung aus den beiden vorherigen Tracks. Gitarrenlastig und funky wird die sexuelle Thematik wieder aufgegriffen. Aus dem linken Kanal schallt Zappas tiefe Stimme und aus dem rechten die normale. Besonders die Bridge ist extrem groovy und die solistischen Ergüsse auf den sechs Saiten kreieren etwas Anspruchsvolles für diesen Blödelsong. „I just put you in a coma with some dirty love“ lassen wir einfach mal so stehen und schreiten fort zum Abschluss der A-Seite. Bei „Fifty-Fifty“ ist Zappas Voice scheinbar auch kaputt. Deshalb übernimmt hier Ricky Lancelotti und schreit sich absolut die Seele raus. Der sowohl längste als auch musikalisch schrägste Song des Albums. Avantgarde meets Jazz meets heavy Prog also eigentlich typisch für die Mothers. Die fetzige Kirchenorgel im Mittelteil der Nummer ufert in ein streichlastiges Solo, was wiederum in einem sehr nudelnden Gitarrensolo gipfelt. Hier könnte jemand mit schwachen Nerven überlegen, ob Seite zwei so weiter geht oder nicht und die Platte zurück ins Cover schieben. Dies wäre aber grob fahrlässig und nicht zu empfehlen.

Für „Zomby Woof“ ist der Maestro wieder zurück am Mikro. Ok, es bleibt schräg, aber ungeachtet dessen hoch interessant. Diverse musikalische Elemente und auch Stile werden miteinander verknüpft, so dass schwerfällt zu sagen, was besonders hervorsticht in der Nummer.
Bei „Dinah-Moe Humm“ steht der Sex wieder im Fokus und dementsprechend geht der Song auch musikalisch mehr ins Ohr. Clever Frank! Dinah-Moe wettet einen 40$ Schein, dass das lyrische Ich sie nicht zu einem Orgasmus bringen kann. Er gibt sich drei Stunden lang alle Mühe, was auch lyrisch sympathisch genau beschrieben wird. Den Refrain übernehmen wieder die Ikettes. Die Sprechstimme kehrt zurück, je mehr die Geschichte dem Höhepunkt näher kommt. Um auf die Wette zurückzukommen: Dinah-Moe’s Schwester verkehrt nach dem es mit ihr nicht klappt, mit dem lyrischen Ich. Dinah-Moe gefällt es zuzusehen und Frank gewinnt die Wette. Neben dem ganzen Unfug, der sich hier textlich abspielt, ist der Song musikalisch ein absolutes Highlight. Tempowechsel und der fließende Übergang von fröhlichem Geklimper zu Heavy wirken sehr gelungen. Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen Virtuosität, Kreativität und Wahnsinn.
Haben wir nicht alle als Kinder davon geträumt, Zahnseide in „Montana“ anzubauen und damit reich zu werden? Zappa scheinbar schon. Das extrem hohe Mittelstück der Ikettes, das dem ausschweifenden Solos des Bandleaders folgt, war laut Zappa so schwierig, dass die Mädels mehrere Tage nur diesen Teil trainiert haben und froh waren, als sie es endlich geschafft haben. Tina hat stolz extra ihren Mann ins Studio gerufen, er möge sich das doch mal anhören. Ike Turner’s Meinung dazu: „What is this shit?“ Zugegebenermaßen ist die Melodie der Harmonie ein wenig eigensinnig, aber beeindruckend getroffen von den Mädels. Der Song passt gut in die Vielseitigkeit des Albums rein. Eingängige Melodien abgewechselt von nicht so richtig eingängigen Melodien und einem Quäntchen Humor.

Over-Nite Sensation kann man schon so stehenlassen. Zappa’s Ansatz ist einfach genial. Durch sexuell besonders für die Zeit sehr anstößige Texte die Jugend dazu zu bewegen, sich komplexe Musik anzuhören und an diese heranzuführen. Das Album schafft den Übergang aus den instrumentallastigen Frühwerken zu den humorvollen lyrischen Ergüssen der 70er, die spätestens in „Bobby Brown“ gipfeln.

Overnite Sensation
A1 – Camarillo Brillo
A2 – I’m the Slime
A3 – Dirty Love
A4 – Fifty-Fifty
B1 – Zomby Woof
B2 – Dinah-Moe Humm
B3 – Montana

Frank Zappa – Vocals, Guitars
Ricky Lancelotti – Vocals on A4, B1
Kin Vassy – Vocals on A2, B2, B3
Tom Fowler – Bass
George Duke – Keyboards, Synthesizers
Jean-Luc Ponty – Violins
Ralph Humphrey – Drums
Ian Underwood – Saxophone, Flute, Clarinet
Ruth Underwood – Marimba, Vibraphone, Percussion
Sal Marquez – Trumpet, Vocals on B2
Bruce Fowler – Trombone

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