Vier besondere Noten, eine schwarze Plastikfolie, eine Postkarte und ein brennender Mann – das klingt für den Laien vielleicht wie der Beginn eines schlechten Scherzes – der Eingeweihte weiß jedoch sofort, um was es sich hier handelt. Wish You Were Here zu rezensieren fühlt sich so an, wie wenn man eine Abhandlung darüber schreibt, dass Wasser nass ist. Viele Worte für ein Ergebnis, das im Vorhinein klar war und auch nicht sonderlich überraschen mag. Wer das Album kennt, weiß, was gemeint ist. Wer das Album nicht kennt, sollte es sich umgehend anhören und wird dann musikalisch erleuchtet. Aber bevor die Lobeshymnen und Kryptik dem Lesenden jegliches Interesse versiegen, ist es wichtig, das Album einzuordnen. Im Anschluss an das 1973er Meisterwerk Dark Side Of The Moon galt es für die Jungs aus Cambridge auf der Erfolgswelle zu reiten und an die Erfolge anzuknüpfen. Der Druck war immens hoch. Wie kann man da überhaupt noch nachlegen ohne zu enttäuschen? Es sollte wieder ein Konzeptalbum werden wie schon sein Vorgänger.
Wie der Name des Albums schon verrät, geht es um Abwesenheit. Diese bezieht sich auf der einen Seite auf den Bandgründer Syd Barrett, der aufgrund von psychedelischen Drogen mental nicht mehr auf der Höhe war und noch während der Aufnahmen zum zweiten Album A Saucerful Of Secrets leider die Band verlassen musste. Auf der anderen Seite lässt sich das Thema auch aufgreifen vor dem Hintergrund der Musikindustrie. In einer Welt, in der es nur um Geld und Erfolg geht, bleibt die Kultur und Menschlichkeit aus. Der Freund aus Cambridger Tagen Storm Thorgerson, Gründer des Künstlerteams Hipgnosis, seit A Saucerful Of Secrets verantwortlich für die Pink Floyd Cover, greift dieses Thema artistisch auf und sorgt dafür, dass das Album in schwarzer Folie verpackt wird und somit absent ist. Noch heute gibt es ungeöffnete Cover in eben dieser Folie, die von Sammlern sehr gesucht sind. Auf der schwarzen Folie klebte ein Sticker mit zwei mechanischen Händen, die sich schütteln und die industriekritischen Songs „Welcome to the Machine“ und „Have a Cigar“ symbolisieren. Darüber stehen der Bandname und der Albumtitel. Das gleiche Artwork von George Hardie wurde in abgewandelter Form auch auf den Plattenlabels verwendet. Den frühen Auflagen lag noch eine Postkarte mit gezacktem Rand bei, auf dem ein Mann vor bizarren Kalk-Tuff-Formationen kopfüber in den kalifornischen Monosee eintaucht. Storms Hipgnosis-Spießgeselle Aubrey Powell ist für das bekanntere Coverfoto verantwortlich, das den brennenden Business Man händeschüttelnd auf dem Gelände der Warner Brothers Burbank Studios in Hollywood zeigt. Da der Stuntman Ronnie Rondell Jr. dafür wirklich angezündet wurde, war der Cover Shoot gar nicht ungefährlich – 14 mal ging es gut beim 15 mal hat er sich seinen Bart verbrannt – das Ergebnis wurde ikonisch. Rondell starb Mitte August dieses Jahres und wurde 88 Jahre alt (R.I.P.). Abwesend war auch der Toningenieur Alan Parsons, der bei Dark Side Of The Moon noch dabei war. Er widmete sich seinem ersten Solo Album, aber dazu vielleicht mehr in einer zukünftigen Flashback 50 Folge. Aufgenommen wurde wie gewohnt in den Londoner Abbey Road Studios mit dem vom More Soundtrack bekannten Brian Humphries an den Reglern.
Die Scheibe beginnt mit den ersten fünf Parts des Mammutstücks „Shine On You Crazy Diamond“. Diese Ode an Syd nimmt den Hörer mit auf eine 13 minütige Reise. Rick Wrights Keyboards schaffen die Atmosphäre, die von Gilmours Gitarre gestreichelt wird. Ab Minute Vier kommen die besagten vier Noten aus der Einleitung – fein untermalt von leisem Klang einer Glasharfe. Dann folgen Nick Mason und Roger Waters mit Drum und Bass und wir sind angekommen und beginnen dahin zu schweben. Worte werden der Nummer nicht wirklich gerecht. Der Sound fließt und plättet einen. Zwischen filigran und dynamisch ist alles dabei. Wenn man an Pink Floyd denkt, denkt man genau an diesen Sound. Mit dem etwas düsteren „Welcome To The Machine“ war’s das dann auch schon wieder mit der A-Seite. Die bedrohlich industrielle Stimmung gelingt Floyd besonders gut. Auch hier sind Synthesizer wieder essentiell für den Gesamtsound. Die Wahl der Akustikgitarre kontrastriert die Elektronik der Tasteninstrumente. Sehr bemerkenswert ist jedoch, dass die tonale Kälte der Keyboards von der nahezu monotonen Gitarre noch weiter unterstrichen wird.
Die B-Seite beginnt für Pink Floyd fast schon rockig und poppig mit einer Persiflage über das Showgeschäft. Der Executive fragt noch, welcher von den Jungen eigentlich „Pink“ ist. Den Gesang übernimmt hierbei Roy Harper, der gerade im Studio nebenan sein Album HQ aufnahm, da weder Gilmour noch Waters zufrieden mit ihren eigenen Takes waren. Zum Ende ist es laut David Gilmour die perfekte Version von „Have A Cigar“ geworden. Waters ist da wie so oft anderer Meinung. Das Titelstück kennt jeder und jeder hat sofort eine Assoziation dazu. Jedem fällt sofort eine Person dazu ein oder ein Ereignis aus der Vergangenheit, an das man sich zurücksehnt. Das gefühlvolle Gitarrenspiel fügt sich perfekt ein in den emotionalen Text und sorgt vereint für einen der tollsten Songs aller Zeiten. Was zu Beginn noch nach Kofferradio klingt, wird nach einem kurzen Räuspern zu solch klarem Sound emporgehoben, der den ganzen Touch von Gilmour wiedergibt. Spätestens zum Refrain muss man lauthals einstimmen und sehnsüchtig dahinträumen. Windähnliche Keyboard-Sounds reißen einen heraus aus dem Traum. Das Setting verdunkelt sich wieder und wir kehren zurück zum auf Seite A begonnenen „Shine On You Crazy Diamond“ Opus. Die Teile 6 bis 9 fehlen noch. Es fängt recht rockig an, um danach wieder zum epischen Refrainthema, bekannt von der anderen Seite, zurückzukehren. Anschließend kommen Funk Elemente hinzu, die dem spacigen Synthesizer Sound einen überraschenden Schwung verpassen. Zum Ende hin wird dieser herausgenommen und elegisch ausgeklungen. Der 9. Teil des Stücks ist der letzte Pink Floyd Song überhaupt, für den Richard Wright Solo-Writing Credits bekam. Welch gelungener Abgang, der auch thematisch die Trennung von Syd Barrett nochmals aufgreifen soll.
Wish You Were Here gelang das Undenkbare – es wurde zu einem veritablen Nachfolger vom hochgelobten The Dark Side Of The Moon und steht diesem in keinerlei Hinsicht nach. Das Album ist sowohl thematisch als auch musikalisch anders, aber genauso bahnbrechend. Der Hörer wird knappe 45 Minuten auf eine Reise mitgenommen, die jeden Freund anspruchsvoller Rockmusik begeistern wird oder dies schon lange tat. Heute, wie auch schon vor 50 Jahren klingt das Album frisch und erfreut immer wieder aufs Neue.
Pink Floyd – Wish you were here
Shine On You Crazy Diamond, Pt. 1–5
Welcome to the Machine
Have a Cigar
Wish You Were Here
Shine on You Crazy Diamond, Pt. 6–9

perfekte Beschreibung einer der besten LPs überhaupt….