Flashback 50 – Patti Smith – Horses – Dezember 1975


Patricia Lee Smith wurde im Dezember 1946 in Chicago, Illinois geboren und war sehr begeistert von Literatur und Poesie. Sie schrieb auch selber Gedichte und trug diese auch selbst vor – und wo geht das besser als in einer Künstlerstadt wie dem Big Apple, in die es Patti Ende der 60er zog. Dort lernte sie in dem Buchladen in dem sie arbeitete, im Chelsea Hotel, den Fotografen Robert Mapplethorpe kennen. Von Mapplethorpe stammte dann auch das Bild vom Albumcover. Um ihrer Poesie den nötigen Schwung zu verleihen kam der sympathischen Patti 1971 Lenny Kaye als Gitarrist zur Hilfe, um diese tonal zu unterstützen. 1973 wurde aus dem Duo zu ein Quintett, welches um Ivan Kral an Gitarre und Bass, Jay Dee Daugherty am Schlagzeug, und dem Pianisten Richard Sohl ergänzt wurde, aus welchen später die Besetzung der Patti Smith Group wurde. Ein zweimonatiges Wochendendset im legendären New Yorker CBGBs besiegelte letztlich den großen Schritt von Smith und Co. Der Chef vom Arista Label,Clive Davis, fand gefallen an ihrem Sound und nahm sie unter Vertrag. Noch im selben Jahr sollte das Debüt aufgenommen werden. An den Reglern saß niemand anderes als John Cale, für den sich Smith als Produzenten entschied. Was folgen sollte ist einer, wenn nicht der Grundpfeiler des Punk Rocks. Wenn überhaupt kann Raw Power von Iggy and The Stooges von 1973 Horses als erste Punkplatte noch überbieten. Horses kam ein halbes Jahr vor dem Ramones Debüt heraus und hatte den Punk ins Rollen gebracht, daher auch Patti’s Spitzname als Godmother of Punk.

Die Scheibe beginnt im Fahrwasser des Produzenten und klingt wie eine Reinkarnation der Velvet Underground. Spartanisch instrumentiert legt Patti bei „Gloria“ sehr ausdrucksstark los. Nach kurzer Zeit kommt die Band in Schwung und präsentiert einen sehr gelungenen Opener, der direkt Lust auf mehr macht. Die Nummer klingt sehr nach New York – der coole trockene Sound der Großstadt ist definitiv hörbar. Nichtsdestotrotz ist es ein sehr vielseitiger Track, der zwischen Rohheit und ASMR, sowie Geschrei, Keys und Tempowechseln schwierig einzuordnen ist, aber sofort begeistert. Insbesondere wenn die Jungs zum Refrain einstimmen gehts richtig ab. Der zweite Teil des Stücks ist eine Coverversion der gleichnamigen Single der irischen Gruppe Them rund um Van Morrison. Der rohe Sound des Originals wird aufgegriffen, modernisiert und etwas fetziger präsentiert.

Für „Redondo Beach“ wurde die Funkgitarre herausgeholt und damit die Stimme akzentuiert. Im Hintergrund ist Daugherty zu hören wie er mit schön gerührten Drumfills dem Song die nötige Panache verleiht. Das Instrumental kontrastiert den Text und liefert eine schräge Südsee-Atmosphäre zum Verschwinden des gesuchten Mädchens. Das Intro zu „Birdland“ passt zum Poesie-Hintergrund von Patti Smith. Zu Beginn klingt es nach einer Vorlesung mit dezenter musikalischer Untermalung. Ungefähr nach einer Minute geht die Künstlerin aus sich raus und zeigt mit viel Gefühl in der Stimme wo es langgeht. Die erzählenden Passagen kommen immer wieder vor und machen den Track sehr abwechslungsreich. Durch das ganze Stück zieht sich eine sehr interessante Gitarrenarbeit, die immer wirrer und verzerrter wird. Auf über neun Minuten wird der Zuhörer auf einen spannenden Trip mitgenommen und bekommt Text in der Größenordnung von Dylan um die Ohren gehauen. „Free Money“ schließt die erste Seite ab und dreht mit seinem gallopierenden Rhythmus nach einem traurigen Intro nochmal ordentlich auf. Der Song behandelt die vermeintliche Sorglosigkeit, die mit dem Geld kommt.

Die zweite Seite startet mit „Kimberly“. Die Nummer ist ein Stück weit weniger schwungvoll und wird stark von dem monotonen Drum-Beat dominiert. Insgesamt ist der Song seiner Zeit musikalisch voraus und klingt deutlich moderner als aus dem Jahr 1975 und könnte so auch in den 80ern von Blondie herausgekommen sein. Das folgende „Break it up“ hat wieder so eine eigene Dynamik. Ein leises und trauriges Klavier wird zum Refrain hin immer mehr von der Band ergänzt. Besonders die singende Gitarre von Lenny Kaye ist hierbei hervorzuheben. Not very Punk Rock, aber sehr spannend zusammengesetzt. Smith hat „Break it up“ mit Tom Verlaine von Television zusammen geschrieben, der auch auf dem Song Gitarre spielt. Patti hatte eine Vision von Jim Morrison, der sich gefesselt wie Prometheus, befreien kann. Die Inspiration für Smith war ein Besuch auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise auf dem Morrison begraben liegt.

„Land“ besteht insgesamt aus drei Teilen und fängt ohne Band an. Dann kommt die Gitarre ins Spiel, die vom Handballen abgedämpft wird. Es folgen sich überlagernde Audiospuren. Und die Stimmung des Songs wird immer hitziger. Hier fällt auch der Albumtitel zum ersten Mal – „Horses“ – „Horses“ – „Horses“ – „Horses“. So auch der Name des ersten Teils. Der zweite Teil „Land of a Thousand Dances“ zeigt neben mehr Schwung und Wiederholungen auch Namedropping statt, so wird einer von Patti’s Favoriten nämlich Rimbaud genannt. Rund um die Sieben Minuten Marke geht „Land“ in den dritten Teil, „La Mer(de)“ über. Dieser wird von einer sehr stark gedämpften Gitarre begleitet, die nur den Rhythmus spielt und keine Akkorde. Der Song beruhigt sich ein wenig und kommt wieder zurück in den wenig instrumentierten Teil. Patti hat erzählt was sie erzählen wollte und Land endet nur noch mit dem Beat des Schlagzeugs. Mit 9:26 ist „Land“ das längste Stück des Albums, nimmt zwischendurch immer wieder gehörig Fahrt auf um diese dann wieder herauszunehmen. Dabei kommt ein Stück heraus, das dadurch, dass es so wirr ist, wahnsinnig Spaß beim Hören macht.
„Elegie“ macht den klagenden wehmütigen Abschluss einer grandiosen Scheibe, die ihrer Zeit um einiges voraus war. Auch hier ist wieder ein Gastmusiker zugegen. Die Sechssaitige übernimmt der Blue Öyster Cult Gitarrist Allen Lanier, der zu der Zeit mit Patti liiert war.
Der Abschluss Song ist ein Requiem für Jimi Hendrix und wurde genau 5 Jahre nach Jimis Todestag aufgenommen. Smith sieht diesen Song als Tribut an die zu früh verstorbenen Rockmusiker und widmete diesen Track auch den anderen Mitgliedern des legendären Club 27, Jim Morrison, Janis Joplin und Brian Jones.

Am Ende sollte es Platz 47 in der Heimat und um die 150 in UK werden. Dies ist für ein Debut schon ganz ordentlich, aber vielleicht ein Indikator dafür, dass die breite Masse noch nicht so weit war. Aus heutiger Sicht ist die Bedeutung von Horses nicht von der Hand zu weisen. Diverse Musiker wie beispielsweise Siouxsie Sioux, Courtney Love, R. E. M. und The Smiths wurden von Horses maßgeblich beeinflusst. Damit geht der Einflussbereich weit über die aufkommende Punkbewegung hinaus und erstreckt sich bis in den Indiesound der 80s.
Eine hochwertige Melange aus Poesie und Rockmusik, die schon beim ersten Hören mitreißt, überrascht und begeistert.

Patti Smith – Horses
A1 – Gloria
a) In excelsis deo
b) Gloria (Version)
A2 – Redondo Beach
A3 – Birdland
A4 – Free Money
B1 – Kimberly
B2 – Break it up
B3 – Land
a) Horses
b) Land of a thousand Faces
c) La Mer (De)
B4 – Elegie

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