Es geht wieder los. Für die Fans des Krautrock hat das Warten endlich ein Ende und die Münchner Kammerspiele starten in die zweite Runde ihrer Reihe Kraut und Drastik. Nach einigen Gerüchten im Vorfeld ist es nicht verwunderlich, dass Tobias Staab und Simon Clement es wirklich geschafft haben, den legendären Manuel Göttsching nach München zu holen. Und doch, was so selbstverständlich für die Reihe wirkt, war ein hartes Stück Arbeit, denn wie wir später erfahren, ist Göttsching nur noch große Bühnen und zahlreiches Publikum gewohnt und eigentlich nur hier, weil die Reihe dann doch so vielversprechend wirkt. Man muss schon ein bisschen schlucken, wenn man diese vor Arroganz triefenden Sätze hört, die so gar nicht zu dem Musiker passen wollen. Leider bleibt es nicht nur dabei.
Als das Publikum zehn Minuten vor dem offiziellen Beginn in den Werkraum gelassen wird, sind die Reihen noch leer, füllen sich aber schnell bis auf den letzten Platz. Es ist eng, die Veranstaltung ausverkauft. Als man sich positioniert und auf dem spärlichen Platz eingerichtet hat – ein Platz, den wir seit mittlerweile fünf Kraut & Drastik-Veranstaltungen belegen -, kommt ein gelber Pullover zusammen mit einem kleinen Blonden angerauscht und zeigt auf die aufgebaute Kamera zu unseren Füßen. Die Kamera steht immer dort, genauso wie die beiden zur Rechten und Linken des Raumes, um das Interview aufzuzeichnen und später zu verarbeiten für einen Fernsehbericht, soweit wir informiert sind. Der gelbe Pullover fragt mit spitzem Zeigefinger und einem leicht angewiderten Ausdruck, was das sei. Mir erschließt sich die Frage nicht, da ich das Gerät selbsterklärend finde, und nach einem kurzen Moment des Schweigens, in dem ich nach einer korrekten Antwort und dem Sinn der Frage suche, entgegne ich schließlich: „Eine Kamera.“ Kurzzeitig fühle ich mich an die „Hier ist Dein Schild“-Aktion erinnert, die gerne Menschen für dumme Fragen Schilder aushändigen möchte und denke mir: Gebt mir bitte so eins! Ich komme mir dumm vor und all diese Gedanken und Empfindungen stürzen binnen weniger Sekunden zwischen Fragestellung und Antwort auf mich ein. Dann allerdings werde ich überflutet von Fragen. „Wem gehört die? Wir sitzen hier. Das sind unsere Plätze! Wem gehört das? Wir waren nur kurz beim Interview! Sie“ – ein Fingerzeig auf das kleine Blonde – „muss hier sitzen, um zu filmen. Wem gehört die Kamera? Sie filmt!“ Zwischen Ratlosigkeit und Ungläubigkeit schwankend, deute ich auf die Veranstalter und bringe gerade noch raus, die wohl wüssten, wem die Kamera gehöre und dass wir nun mal hier säßen, wie immer, weil ja auch gar nichts reserviert war, auch wie immer. Der gelbe Pullover rauscht ab und ich schnappe erst mal nach Luft. Was war denn das? Für mich war hier das Thema erledigt, allerdings weder für den gelben Pullover noch für das kleine Blonde. Ersterer kommt nämlich kurz darauf zeternd zurück mit dem Befehl (keine Bitte, keine Aufforderung, ein strikter Befehl mit entsprechender Gestik), wir sollen die Plätze räumen, damit sich das kleine Blonde davor (!) auf den Boden setzen kann. Dann könnte ich ja eigentlich sitzen bleiben. Nein. Wir müssen rutschen, damit Platz frei wird. Der Sinn erschließt sich mit nicht, zumal es unmöglich ist, irgendwohin zu rutschen, die Bank ist komplett voll. Der gelbe Pullover, der sich irgendwann später als Frau Göttsching identifiziert, lässt keinen Widerspruch zu und vertreibt uns sowie zwei weitere Gäste von unseren Plätzen. Wir müssen im Dreck am Rand des Raumes platznehmen. Höflichkeit ist eine Tugend, die nicht beherrscht wird. Keine Entschuldigung, keine Bitte, kein Danke, kein nichts. Das Interview beginnt, ich habe schlechte Sicht und muss mich gegen Späterkommende verteidigen, die mich von meinem Platz vertreiben wollen, mir Ellenbogen und Taschen ins Gesicht hauen.
Das Gespräch nun müsste einsame Spitze werden und alles bisher Dagewesen um Längen schlagen, da vorne sitzt ein Weltstar, ein Wegbereiter der elektronischen Musik! Was wir zu hören bekommen, ist eine langweilige Biografie, die sich in den Geschichten und Informationen verliert, die Göttsching erzählen will, fast wie in einem festgeschriebenen PR-Plan unbedingt an das Münchner Publikum vermitteln muss. Es fehlen größtenteils die Anekdoten und die Lebendigkeit, die man bisher in der Reihe finden konnte. Starr einem unbekannten Ablaufplan und fest der Chronologie folgend, berichtet der Musiker von seiner Freude am Gitarrespielen, der ersten Band mit 14 Jahren, die zufällig entstand, als man den Keller eines Freundes zum Partykeller umbaute. Die ersten schrägen Versuche, Proben, Improvisation. Es geht um Interesse an Musik – nicht um Liebe und Leidenschaft, sondern um das Interesse an der Musik, am Musikmachen, an der Selbstversuchen. 1968 gründet er die erste frei improvisierende Avantgarde-Band. Der erste Auftritt dauert nur zehn Minuten und ist relativ chaotisch. Eine Parallele, die er mit anderen Krautrockformationen teilt. Es kommt zu Kontakten mit Klaus Schulze, den einige auch von Tangerine Dream kennen. Das hängt mit einer alten, aber guten, in England gekauften Anlage zusammen, die Schulze beeindruckt hat. Nach anfänglicher Zurückhaltung, entscheiden sich beiden doch für ein gemeinsames Projekt: Ash Ra Tempel. Göttsching kommentiert diese Episode mit: „Das war ein tolles Jahr“. Als Staab schließlich Agitation Free, Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Cluster in einem Atemzug erwähnt und wissen will, ob es Göttsching und anderen bewusst war, dass eine neue Bewegung und Musikrichtung erschaffen wurde, zögert der Gefragte, windet sich ein wenig und gibt schließlich mit vielen Worten eine Antwort, die auf ein einfaches Vielleicht kürzbar ist. Dann wieder erzählt er, dass es keine Proben gab, weil es ja auch keine Auftritte gab. Auf den Einwurf hin, dass doch Konzerte stattgefunden hätten, meint der Musiker, dass es aber keine Proben gab und auch keine richtigen Konzerte, weil man improvisierte und einfach einer anfing irgendwas zu spielen. Vor dem Auftritt wurde immer beraten, wer anfing, keiner wollte, meist war es dann doch Göttsching selbst. Ein paar Lacher im Publikum, das gebannt an seinen Lippen zu hängen scheint, während Göttsching erzählt, dass es zu der Zeit – wir sind irgendwo zwischen 1968 und 1972 – keine Musik gab, nur langweiligen Schlager, aber keine freche, experimentelle Musik. Nur der Peter Kraus, der war da und hat Schlager gemacht und ein kleines bisschen Rock’n’Roll. Es klingt geringschätzend und ob man Kraus nun mag oder nicht, man muss wohl seinen Erfolg anerkennen. Göttsching erscheint überhaupt sehr arrogant, von sich selbst überzeugt, von seiner Arbeit, lässt er scheinbar gar nichts anderes gelten, was er mit Worten, Tonfall und Gesten zum Ausdruck bringt. Zählt nur er, nur der eine, große Göttsching? Hin und wieder hat es den Anschein und scheint so vollkommen fehlplatziert, dass einem die Galle hochkommt. Der Mann wirkt immer wieder ein belehrender Hochschullehrer, der seinem Vorzeigestudiosus Staab etwas beibringen möchte, obwohl dieser sowieso nie etwas erreichen wird. Das Publikum sind die kleinen, braven Studierenden, die bewundernd an den Lippen des Herrn Professor hängen, pflichtschuldig den Atem anhalten, aber in seinen Augen nur niederstes Fußvolk sind. Die meiste Zeit kann ich ihn auch gar nicht sehen von meiner Position aus, was mir die Gelegenheit gibt, ganz auf seine Stimme und Antworten zu achten, die nicht durch Gestik anders dargestellt werden. Manchmal beugt er sich vor und flirtet mit der Kamera, die links von mir steht, dann lehnt er sich wieder zurück. Ein flüchtiges Lächeln wirkt aufgesetzt, ein kurzer Lacher wie ein einstudiertes Drehbuch.
Schließlich kommt die Sprache auf Timothy Leary, seine Drogengeschichten und darauf, wie begeistert er von Göttsching war. Ich höre kaum noch hin. Der heruntergeleierte Monolog wirkt einschläfernd, wie ein Sachbuch, das man sich für eine Prüfung einverleiben muss. Irgendwann geht es darum, ob sich der Musiker als solcher sieht oder als Komponist. Da wird von der ersten Steuererklärung gesprochen, ein kleines bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, wie es scheint, doch auch das wirkt einstudiert. Bei der Steuererklärung gab Göttsching Musiker und Komponist an, eigentlich hätte er auch Gitarrist angeben können oder vielleicht sogar sollen. Im Grunde sieht er sich selbst aber als am meisten als Erfinder. Ein musikalischer Erfinder, das finde ich eine recht schöne Beschreibung für sein Werk, für die Kreationen mit Synth, elektrischer Orgel und Gitarre. Dann geht es kurz um CAN, um Gitarren, die er gerne etwas besser eingesetzt sehen würde, als das sture, laute Gezupfe, wie das bei Heavy Metal der Fall sei. Alleine wie er es ausspricht erweckt den Anschein, das Genre sei eine ansteckende, eklige Krankheit. Eher pflichtschuldig erscheint da der leise Nebensatz, das gefalle ja auch manchen und sei ja auch in Ordnung so.
Die Redezeit wird um 15 Minuten überzogen, langsam reicht es aber wirklich. Das eigentliche Gespräch ist ein langweiliger Monolog, dem es an lebendiger Erzählung fehlt. Die Fakten hätte man sich ebenso aus dem Internet zusammensuchen können. Man hat eine trockene Biografie, die eher langweilt, als dass sie einem vielleicht doch aufregendem Komponisten-Leben gerecht werden würde. Das Publikum spendet Applaus, freut sich, weil eben DER Göttsching da ist und wartet ungeduldig auf das Konzert.
Das besteht aus vier Stücken und einer Zugabe. Im Schnitt ist ein Song etwa 15 Minuten lang und das Laptop spielt die Musik ab, während Göttsching mit der Gitarre die kleinen, feinen Highlights hervorhebt. Dabei denkt er schließlich auch an den erst letzte Woche verstorbenen Edgar Froese, von dem er das Spielen der Gitarre mit einem kleinen Metallstück abgeschaut hat. Wenig später hören wir, dass man damit wirklich einige sonst eher fremde Klänge aus den Saiten herausholen kann. Die Musik wiederholt sich, ist mal kräftig, mal langsam, mal schnell, mal eher leise. Da vorher um Abstand gebeten wurde, sitzen alle brav auf ihren Plätzen, manche haben sich auch weiter nach vorne auf den Boden gewagt. Erst beim letzten Song tanz ganz am Rand zwei junge Männer, das war bei den anderen Abenden anders. Zwischendurch erzählt Göttsching von den Songs, das bringt einen Cut zwischen die Lieder, aber ob das notwendig ist in dieser Form, ist fraglich. Die gewünschte Zugabe gefällt auch und das Publikum bedankt sich mit einem langen, anhaltenden Applaus und Jubel.
Erst danach, nach Auftritt und Autogrammen, scheint Göttsching ruhig zu werden und sogar sympathisch. Ein kurzes Gespräch nach der Show lässt ihn vollkommen anders wirken und die Frage aufkommen, warum nicht gleich so?
Der Abend war interessant und für viele sicherlich auch unvergesslich. Für die Kraut & Drastik-Reihe ein voller Erfolg, denn immerhin waren sie es, die Göttsching zu seinem ersten Konzert nach München holen konnten. Das Gespräch hatte interessante Aspekte, wirkte durch den Monolog aber sehr trocken und bisweilen etwas arrogant. Dafür konnte der konzertante Teil vollkommen überzeugen und mitreißen. Musikalisch war es abwechslungsreich, spannend und ein gelungener Abend.
Am 28.03.15 geht es weiter mit Dieter Moebius von Cluster. Karten gibt es ab Ende Februar bei München Ticket.