Metal aus der mongolischen Steppe
Werbung im Internet – Segen und Fluch. Natürlich nervt es mit bunten Bannern usw. bombardiert zu werden, aber manchmal zeigt sich etwas Interessantes. Tengger Cavalry war so eine angenehme Überraschung. „Keine Lust mehr auf Vikingmetal?“, wird der geneigte Werbekunde gefragt und gleich darauf hingewiesen, dass er doch mal bei mongolischem Metal rein hören könnte. Diesem Anspielen folgte sogleich eine Bestellung, die damit endete, dass sich Metal Hell Records für die Unterstützung des Undergroundmetal bedankt.
Doof für Briefmarkensammler, kommt die Sendung doch nicht aus der Mongolei, sondern aus den USA. Dazu die Notwendigkeit zum Zollamt zu fahren, um die Mehrwertsteuer zu entrichten, auch für die Versandkosten, die einen Teil des Wertes dessen darstellen sollen, was man haben wollte. Die Zollbeamtin kann nichts dafür, aber ein wenig nach Abzocke fühlt es sich schon an, insbesondere bei dem Gedanken, dass in den USA sicher ein Teil der Bezahlung an das IRS gehen wird.
Damit sich das Porto lohnt, gleich alle drei CDs der Band bestellt und jetzt die Qual der Wahl, welche zuerst gehört wird. Natürlich wird hier das aktuelle Machwerk besprochen und es lohnt sich wirklich. Die Vorgänger sind allerdings heftiger und noch deutlicher zu empfehlen.
Wir befinden uns am südlichen Rand der Gobi, in der Inneren Mongolei, die einen autonomer Teil Chinas bildet. Tengger ist eine Teilwüste und nicht ganz so erbarmungslos, wie die große Schwester, weil es Seen und Sümpfe gibt. Trotzdem ist es ratsam in Bewegung zu sein, was Mensch, Pferd und Wolf auch bleiben. Die Gegend und ihre nicht mehr so zahlreichen Bewohner haben sich einen ursprünglichen Charakter bewahrt, werden aber nicht vollständig von der Zivilisation verschont. In den letzten Jahrhunderten sind die Steppen immer mehr versandet und nur der Nähe zu Peking (ca. 180 km) ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass in den letzten Jahren Begrünungs- und Aufforstungsbemühungen in Angriff genommen wurden. Mit Erfolg. Die Luft in der entfernten Metropole bessert sich dank des 400 km langen und zwischen einen und zehn km breiten Bands wiedererstarkter Vegetation. Außerdem ist Peking dadurch nicht mehr so stark von Sandstürmen betroffen.
Gegründet wurde Tengger Cavalry im Jahr 2010 von Nature Ganganbaigal (eigentlich Tianran Zhang) als Ein-Mann-Projekt. Jahrelang hatte er bei mongolischen Musikern gelernt und lässt diese Erfahrung nun mit Metal verschmelzen. Das daraus resultierende Album Sunesu Cavalry fand Wiederhall unter anderem bei MTV und im China National Radio. Durch diesen Erfolg ermutigt erweitere sich das Projekt Anfang 2012 zu einer Band, die Bühnen erobern kann.
Die auf der Mittelseite des Booklets abgebildeten Herren zeigen den in dieser Band zu findenden, die Musik so belebenden, Gegensatz schon bei Kleidung und Haltung. Links sitzt Dombrasspieler Mural mit traditionellen Stiefeln und passendem Umhang (interessanterweise wird er anscheinend gerne bei der Auflistung der Bandmitglieder vergessen). Neben ihm ist, ebenso althergebracht gekleidet, Xin Wang, der Morin Khuur (Horse-head Fiddle)-Spieler zu sehen. Darauf folgen in Jeans, Leder und T-Shirt Nature Tianran Zhang und Bassist Wei Wang. Von Drummer Kai Ding fehlt leider ein optischer Eindruck.
Der Bandleader war auch der Künstler, der die Malereien geschaffen hat, die Cover und Booklet zieren. Sie einzeln zu beschreiben würde zu weit führen, aber in jeder sind Details versteckt, die einen zweiten Blick rechtfertigen.
Die Texte können auf Chinesisch oder Englisch mitgelesen werden, was aber wenig Mühe macht, denn das Gewicht liegt weit mehr bei der Musik und es werden vergleichsweise nur wenige Worte gemacht. Die Gesamtaussagen sind trotzdem mehr als deutlich. Stark schamanisch und buddhistisch beeinflusst beschreiben die Lieder die Freuden des Nomadenlebens. Stolze Rösser, das weite Land und die Tapferkeit der Reiter sind ebenso Thema wie der Wolf, der das Land beschützt und das Wunder des Lebens im Allgemeinen.
Dance With The Wolf ist ein ruhiger, sehr gelungener Auftakt. Die Morin Khuur springt über die Noten und der generell nur im Hintergrund zu hörende Kehlkopfgesang (oder auch nur Kehlgesang) erweitert um einen dunklen Aspekt.
Die Gitarre setzt ein und zusammen galoppieren die Instrumente über das weite Land (Galloping Towards The Great Land). Shouting geht auf Chinesisch genauso gut und nachlesen ist ja kein Problem. Zwischenzeitlich wird eine ruhigere Gangart eingelegt, dann wieder die Zügel locker gelassen. Es geht darum, den Wind zu jagen, die Heiterkeit herauszulassen und mit dem Feuer in unseren Herzen die der Erde drohenden dunklen Wolken hinweg zu brennen. Mit so einem Lied, gerne!
Ein klassischer Metalanfang wird mit mongolischem Folk ergänzt. Der Battle Song From Far Away erinnert an andere Aufrufe zur Schlacht. Auch dieser soll ewig erhalten bleiben, noch von der Ferne, wenn das Land verbrannt und der Himmel für immer verschwunden ist. Die Schlacht, die geschlagen werden soll, ist die gegen das Böse, nicht mehr und nicht weniger. Der Mittelteil wirkt nur bedingt kriegerisch, aber wenn man sich vergegenwärtigt, was sich die Musiker in ihrem Land gegenüber sehen, auch wenn sich für die Tengger selbst Besserung abzeichnet, ist verständlich wie nötig es ist, ab und an das Tempo zurückzunehmen und dem Kehlkopfgesang etwas Raum zu bieten.
Wahrscheinlich nicht zufällig schließt sich die Hymn Of The Earth an. Die Dombras macht hier den Anfang, Gitarre und Fiedel steigen ein und aus dem sanften Einstieg wird mehr, als eine Hymne erwarten lässt. Die Wunder der Natur, lebensbejahende Musik im Metalgewand. Dann wieder Zupfinstrument und dunkle Töne aus tiefer Kehle. Etwas weniger wäre zu dem Text mehr gewesen, ohne mitzulesen allerdings ein druckvoller Song, der ins Ohr geht.
Echo Of The Grassland lässt zum ersten Mal den Kehlkopfgesang zur vollen Geltung kommen und ist sehr traditionell, leider aber auch nur sehr kurz gehalten.
Brave reitet einen offenen Angriff mit allem, was Tengger Cavalry zu bieten hat, bis zu einem kurzen Gitarrensolo. Genauso aufpeitschend wie die Musik wirkt der Text und weckt den überwältigenden Wunsch, dieses Stück live auf der Bühne erleben zu dürfen.
Anschließend übernimmt Summon The Warrior den Druck, wird durch getragene Töne ergänzt und
wirkt dadurch manchmal lauernd, abwartend. Der englisch vorgetragene Text erinnert an den Krieger in uns, den wir ruhig ab und an wecken sollten. Für den, der möchte, Stoff zum Nachdenken, insbesondere eine Zeile wie: Flame consumes all the light.
Rein musikalisch erreichen wir nun die Battlefront. Alles scheint ruhig, trotzdem ist die Atmosphäre angespannt. Es steht etwas bevor, alles sammelt sich.
Die Pferde preschen vor, die Schlacht beginnt. Ein harter Aufprall macht es nötig, sich einen Moment zu orientieren. Eine weiterer Spurt, sammeln, Rückzug. Diese Worte könnten zur Musik passen, aber wie schon an anderer Stelle, wird der geneigte Leser überrascht. Die Zeilen zeichnen ein Bild der Reiterei, das nicht auf Glanz und Ruhm basiert, sondern wieder viel Bedenkenswertes enthält, The Chant Of Cavalry.
Ton für Ton tänzelt die Legend Of Horseback ins Ohr. Ein Blick über die Weite, den Himmel und auf das Leben. Eventuell ein Moment der Besinnung nach der Schlacht oder einfach nur das überwältigende Gefühl der Freiheit mitten in der Wildnis auf dem Rücken eines Pferdes. Aggressive und besänftige Klänge in Musik und Text.
Die CD macht insgesamt einen unsteten Eindruck, passend zum Nomadenleben. Jeder Song für sich, und insbesondere das Werk im Ganzen, eine Reise, die es zu genießen gilt.
4/5
Anspieltipp: Brave
—
Tengger Cavalry – Ancient Call
Metal Hell Records, 2014
15,97 € Amazon
Bandpage
Weiterführende Informationen zur Region
Tracklist
- Dance with the Wolf
- Galopping towards the great land
- Battle song from far away
- Hymn of the earth
- Echo for the grassland
- Brave
- Summon the warrior
- The battlefront
- Chant of the cavalry
- Legend on horseback