Der letzte Tag und um ehrlich zu sein, man ist schon froh darüber. Die Bands waren gut, das Festival war super und die Leute waren gut drauf, keine Frage. Aber vier Tage sind schon lang und man sehnt sich nach Ruhe. Als wir ankommen, ist der Platz vor der Theaterfabrik leer. Nur Autos stehen im Regen vor der Halle und die Security steht ratschend und rauchend im Eingang. Wir sind zwar etwas früh, aber man sieht schnell, dass es kaum voller werden wird. Die Theaterfabrik ist mit Ausnahme der ersten Reihe leer. Man munkelt, Vlad in Tears würden später anfangen, damit mehr Publikum anwesend sei, aber viel Zeit für Verschiebungen bleibt nicht. Aber egal wie voll oder leer es ist, es finden doch knapp einhundert Menschen den Weg zum Konzert und Vlad in Tears legen los. Wir bekommen schönen Dark-Metal-Rock auf die Ohren. Gleich fällt auf: Die Gruppe ist deutlich besser geworden im Vergleich zum letzten Mal. Mehr Power, stimmigeres Gitarrenspiel und auch der Drummer weiß mittlerweile, was er machen muss. Das mag nicht zuletzt auch dem Personalwechsel innerhalb der Band geschuldet sein. Als Anheizer macht das Quartett einen guten Job, bekommt ordentlich Jubel dafür und hat in meinen Augen einen deutlichen und sehr positiven Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Endpurt beim DMF 2015. Der letzte Tag beginnt mit Vlad in Tears, einer italienischen Dark Rock-Band rund um den Fronter Kris Vlad. Ich hab VIT schon mal als Support gesehen und fand sie damals ganz nett. Was heute hier in der Theaterfabrik abgeht, hat mit dem damaligen Auftritt nicht mehr viel zu tun. Als ob die Band 200% Fortschritt hingelegt hätte. Sänger Kris schaut mittlerweile aus, als ob Axl Rose die Hauptrolle in Fluch der Karibik übernommen hätte. Äußerst präsent füllt er die Rolle des Vorturners komplett aus. Die Band muss sich hinter dem ambitionierten Kris aber beileibe nicht verstecken. Die gehen ab wie Harry und das klingt richtig gut. Die Leute, die zu dieser frühen Zeit schon da sind, gehen richtig ab, und feiern die Band zu recht. Der Personalwechsel hat ihnen sichtlich gut getan.
In der Garage geht es weiter mit Empire In Dust. Indie-Electropop ist angesagt und genauso schwammig ist es dann auch. Der Darbietung fehlt die Power und auch die Performance lässt sehr zu wünschen übrig. Natürlich kann man sich bei gewissen Instrumenten weniger bewegen als bei anderen, das ist klar. Aber ein starres Dastehen, das nur ab und an durch ein leichtes Wippen in den Beinen durchbrochen wird, ist dann doch etwas wenig. Vermutlich könnten Empire In Dust mehr und wenn man sich den ein oder anderen Song anhört, ist auch wirklich mehr aus der Band rauszuholen als das, was sie der halbleeren Garage präsentieren.
Indie-Electro-Pop nennt sich der Sound, den die drei Berliner von Empire in Dust jetzt in der Garage abliefern. Bassist Lars steht irgendwie einsam am linken Bühnenrand und zupft stoisch auf seinem Fünfsaiter rum, Keyboarderin Alina fühlt sich anscheinand als Fremdkörper hier im Club und Sänger Manuel, der ab und an an seinem Minimalst-Instrumentarium herumschraubt, versucht wenigstens noch halbwegs passabel etwas an Stimmung rüber zu bringen. Das funktioniert leider nicht so ganz beim Großteil der anwesenden Gäste, und so hinterbleibt ein etwas fader Nachgeschmack bei mir und so einigen anderen. Das geht besser…
In der immer noch leeren Theaterfabrik entern The Invincible Spirit die Bühne. Während der weibliche Part der Band im Hintergrund bleibt und sehr angespannt wirkt, geht Thomas Lüdke über die Bühne. Von rechts nach links. Von links nach rechts. Er wirkt wie ein Tiger im Käfig und performt erst mal gar nicht. Stattdessen spielt er die ganze Zeit an den Einstellungen rum, die nicht so recht passen und singt zwischendurch. Das Duo macht einen verkrampften Eindruck, manchmal denk ich mir, die beiden wollten halt auch mal Musik machen. Das erste Stück schreckt ab, weil der Sound nicht passt und das Mikro falsch eingestellt ist. Beim zweiten wird es allerdings langsam besser und die Melodie fängt schleichend an, tanzbar zu werden und mitzuziehen. Der Hit ist es nicht, was weniger an The Invincible Spirit zu liegen scheint, die an sich schon recht hörbare Musik machen, aber wenn die Technik nicht stimmt, kann das schon mal den Auftritt versauen. Irgendwann tun mir die beiden ein bisschen leid, weil sie sich nicht gehen lassen und den Auftritt reibungslos hinter sich bringen können. Für mich ein Favorit für das DMF 2017 – dann mit gut eingestelltem Sound und etwas mehr Performance.
The Invincible Spirit sind bereits alte Haudegen in der Branche. Bereits 1986 gründete Thomas Lüdke das Projekt, das mit „Push“ auch gleich einen Mega-Hit vorweisen konnte. Aktuell ist außer Lüdke nur noch Lydya N. mit auf der großen Bühne der Theaterfabrik. Lydya steht etwas verloren ganz links außen am Halbhintergrund an ihren Keyboards, während Thomas Lüdke versucht, die Größe der Bühne auszunutzen. Bereits von Anfang an ist eine schlecht eingestellte Anlage zu vernehmen. Rückkopplungen und Übersteuerungen machen dem Sound zu einem guten Teil den Garaus. Das ist schade, denn eigentlich ist der Sound der beiden sehr gut hör- und tanzbar. Schon am Anfang fetzt den Gästen eine Coverversion des alten Mao Tse Tung Experience-Hits „Irregular Times“ um die Ohren, was die Laune sichtlich aufhellt und von den Klangproblemen etwas ablenkt. Schade, dass Lydya N. etwas schüchtern im Hintergrund steht und Lüdke die alleinige Show überlässt. Die leere Bühne in der Theaterfabrik ist leider zu groß für das Duo. In einer vollen Garage wären die beiden sicherlich besser aufgehoben gewesen. Da wären die Hits der beiden mit Sicherheit noch besser angekommen. Als wir die beiden sehr sympatischen Musiker anschließend in der Nachtkantine beim Essen trafen, war’s denen sichtlich peinlich, mit welchen Problemen sie auf der großen Bühne konfrontiert waren.
In der Garage geht es hektisch zu. The Saint Paul sind noch voll mit dem Aufbau beschäftigt und nur der Schlagzeuger ist bereits fertig und hockt hinter einem Plexiglasparavant – warum auch immer. Um es gleich mal vorweg zunehmen: Ja, das Abschirmen des Schlagzeugs hat durchaus Sinn; nein, in diesem Fall war es sinnlos. Immerhin hat der Schlagzeuger was drauf, das vermittelt zumindest der Soundcheck. Während Robin ganz ruhig ist, ist der vordere Teil der Bühne irgendwann mit einem Kabelsalat und emsigem Treiben übersät. Man schaut mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen zu und der eine oder andere bissige Kommentar schwirrt durch das spärlich anwesende Publikum. Lange wundert man sich über den leeren Fleck auf der linken Seite der Bühne. Da müsste eigentlich noch ein Musiker stehen. Zumindest hätte ein extrovertierter Gitarrist locker für eine ausschweifende Performance Platz – und das will bei der recht kleinen Bühne in der Garage etwas heißen. The Saint Paul fangen an und schnell wird klar: Da kommt keiner mehr. Das ist ein Trio, das bleibt ein Trio und der leere Platz wird durch den Sänger ausgefüllt. Dieser ist immerhin so überzeugt von seiner eigenen Musik, dass der am meisten von allen Anwesenden in der Garage tanzt … herumzappelt … irgendwas ins Mikro schreit. Die Technik verlässt die Band hin und wieder, das Rhythmusgefühl ist ein eher seltener Gast und der arme abgeschirmte Drummer Robin weiß teilweise gar nicht mehr, wann er nun spielen soll, weil er im Rhythmus ist, der Rest allerdings schon längst nicht mehr. Für mich leider der am wenigsten überzeugende Auftritt auf dem DMF.
Der erste Eindruck, den wir von der mir bisher gänzlich unbekannten Band The Saint Paul mitbekommen ist der, dass der Haus- und Hof-Tonmeister in der kleinen Garage am Fluchen ist, weil das Trio unbedingt sein eigenes Mischpult verwenden will und nun alle verlegten Kabel von der Empore nach unten in den Zuschauerraum, der eh schon zu klein ist, verlegt werden müssen … Dort soll nämlich deren Mixer hin. Na, die müssen ja wichtig und gut sein, denk ich mir noch. In der Garage ist aktuell noch Anstöpselhektik angesagt. Drummer Robin sitzt hinter einer Klangabschirmung seiner Schießbude und grinst. Der Soundcheck lässt vermuten, dass er einiges drauf hat. Sänger Paul und Keyboarder Marc sind am Verkabeln. Als es losgeht mit ihrem Electro-Pop fällt sofort auf, dass der Schlagzeuger es überhaupt nicht schafft, synchron mit den Beatsamples zu spielen. Zu oft ist das komplett daneben. Die Samples kommen meist aus dem Laptop und der einzige, der sich ins Zeug legt, ist Sänger Paul. Der hält sich anscheinend für den Nabel der Welt und schreit und brüllt seine Sprachfetzen kaum verständlich ins Mikro, während er die Bühne zu zwei Dritteln für sich beansprucht und wie ein losgelassenes Raubtier auf Speed rumhampelt. Das ist schlichtweg grottenschlecht und nach nur zwei Songs verlassen wir fluchtartig den Club. Viele Gäste bescheinigen mir anschließend, dass sie es ähnlich gehandhabt hatten.
Adrian Hates steht alleine auf der Bühne der Theaterfabrik. Kurzzeitig überlege ich, ob .com/kill nicht aus mehreren Musikern besteht, da löst der Sänger das Rätsel auch schon auf. „Die Meute ist krank“, sagt er und lächelt. Er habe den Auftritt aber nicht absagen wollen. Aber braucht Hates überhaupt jemanden neben sich auf der Bühne? Was er heute abliefert, sagte eindeutig: Hates kann es sehr gut alleine! Verantwortlich für die Musik, rüttelt er die Anwesenden wach und jagt schnelle Beats in die Menge. Zwischendurch brüllt er martialische Texte ins Mikro, singt gewohnt hart über Liebe und Vergänglichkeit. Während die Musik weiterläuft, nimmt er die Bühne ein, performt und lasst die wachsende Zahl der Besucher tanzen und jubeln. Mit seiner Dark Noise Combo überrascht der Fronter von Diary of Dreams und zeigt absolute Musikerqualitäten. Damit ist er das bisherige Highlight des vierten Tages!
.com/kill ist ein Seitenprojekt des Diary of Dreams-Sängers Adrian Hates und Gaun A., der bei DoD die sechs Saiten spielt. Der ist heute leider krank, aber Adrian lässt es sich nicht nehmen, auf dem DMF zu spielen, auch wenn er heute als Alleinunterhalter dienen muss. Schon gleich nach Beginn merkt man, dass Hates eigentlich gar keinen Musiker neben sich brauchen würde. Der kann das auch alleine und das, was Hates da abliefert, ist richtig gut. Den Zuhören in der Theaterfabrik gefällt’s ebenfalls und Hates wird zu recht gefeiert. com/kill ist eine sehr willkommene Alternative zu Diary of Dreams, die gerne in voller Besetzung wiederkommen kann.
All the Ashes fallen für uns aus. Allerdings muss man anmerken, dass das Gelände immer noch recht leer ist. Können oder wollen sich die meisten heute nicht aufraffen? Sparen sie sich die Kräfte, erholen sie sich von den letzten drei Tagen und werden nur zu den letzten zwei oder drei Bands kommen?
Essenszeit ist und wir Reptilien pilgern mal wieder rüber in die Nachtkantine. Deshalb lassen wir All the Ashes ausfallen.
Wir finden uns wieder zu Clan of Xymox in der Theaterfabrik ein. Diese hat sich nun doch gefüllt und das Publikum bewegt sich zu den Klängen der Wahl-Leipziger. Der Jubel ist groß. Manche Songs sind mir persönlich eine Spur zu ruhig, aber dem Gros gefällt es und darum geht’s. Clan of Xymox lassen sich ordentlich feiern und sind ein krasses Kontrastprogramm zum nächsten Act in der Garage.
Schon beim ersten DMF anno 2012 waren Clan of Xymox mit dabei, und schon damals haben sie mir wie auch auf den Tonträgern gut gefallen. Die Holländer, die seit 2006 in Leipzig beheimatet sind, um Sänger und Gitarrist Ronny Moorings sind schon seit 1984 in der Szene mit dabei. Excellenten Dark Wave liefern sie ab und die gut gefüllte Theaterfabrik ist sichtlich begeistert. Von Anfang an haben Moorings und seine Mitstreiter die Zuhörer in den Bann geschlagen. Das ist einfach gut und nach dem Jahr Zwangspause dürfen sie sehr gerne wiederkommen.
Dort stehen Grausame Töchter auf der Bühne. Die Backgroundsängerinnen tanzen in Lack und Leder zu den schrillen Texten und der rockigen Musik. Teilweise bewegen sie sich abgehackt wie Roboter oder starr wie Schaufensterpuppen. Die Garage ist voll. Die Formation um Aranea Peel ist eine sichere Bank für ein volles Haus. Die Menge feiert, tobt teilweise und fragt sich, wann die Bandleaderin die Klamotten fallen lässt, wie krass die Performance dieses Mal wird und wer sich sonst noch wie weit auszieht. Allzu lange muss man nicht darauf warten. 40 Minuten Auftrittszeit treiben zur Eile an. Schnell bekommt Bassistin Era Kreuz ihre Ohrfeige und verzieht sich halb schmollend wieder an ihren Platz, sieht jedoch immer wieder lüstern und liebend zu ihrer Chefin. Der Gesang ist schrill und tut teilweise in den Ohren weh. Vielleicht ist die Location einfach zu klein für die Powerfrauen auf der Bühne. Im Hintergrund wirbeln Videos vorbei, immer wieder wird geschrien und gekreischt, so dass man gar nicht mehr von Gesang sprechen möchte. Die Texte sind provokant, bohren aber auch immer wieder den spitzen Finger in die Wunden der Gesellschaft. Gut oder schlecht – der Auftritt ist speziell und mir tun nach drei Lieder dermaßen die Ohren weh, dass ich die Garage verlassen muss. Ein bisschen leiser kreischen beim nächsten Mal, bitte.
Nina Hagen hat anscheinend eine Nachfolgerin gefunden. Areana Peel aus Hamburg steht mit ihrer Band Grausame Töchter auf der kleinen Bühne der Garage. Die 2009 gegründete Band besteht aktuell aus eben Peel, Drummer Gregor Hennig und Bassistin Eva Kreuz sowie drei Lack- und Latex-Hüpfdohlen im Hintergrund, von denen eine ab und an auf eine Stand-Tom haut. In typischer Nina Hagen-Manier kreischt und heult Peel ihre Punkattitüden ins Mikro, kokettiert mit dem zumeist männlichen Publikum, von denen ein Großteil mit Sicherheit darauf wartet, dass sich Peel wie meistens auf der Bühne entblättert und mit Eva Kreuz ihre üblichen BDSM-Spielchen abzieht. Hier ne Ohrfeige, da ein Zungenkuss – das alles lenkt ziemlich von der Musik ab, was aber nicht weiter schlimm ist. So gut ist diese dann ja auch wieder nicht … da hab ich in den letzten 35 Jahren Konzerterfahrung schon einige bessere gesehen. Zweieinhalb Songs langen mir völlig aus und der alltägliche Durchquetschmarathon raus ins Freie steht an. Dort ist’s allemal angenehmer, als im Gewühle von kreischenden Tönen die Ohren malträtiert zu bekommen … was nicht heißen soll, dass die Grausamen Töchter schlecht sind. Mir gefallen sie halt nicht und an Nina Hagen reichen sie bei weitem nicht heran.
Mucky hat beim DMF 2014 ein Versprechen abgegeben, das es nun zu halten galt. Und er hat Wort gehalten und Das Ich im Folgejahr wieder auf die Bühne geholt. Um es vorweg zu nehmen: Es war mein absolutes Highlight des DMF 2015! Die Theaterfabrik ist voll, die Stimmung ist super und der Jubel, als das Trio die Bühne betritt, ist gigantisch. Die Münchner (und nun Wahl-Potsdamer, wie sie gestehen) sind beliebt bei den Fans und rocken drauf los. Die Texte werden mitgesungen, es wird gerockt und trotz der gefüllten Theaterfabrik ist eine geradezu familiäre Atmosphäre. Zwischenrufe werden laut. Schon zu Beginn wünscht man sich den Klassiker „Gottes Tod“ – bis Bruno Kramm schmunzelt sagt: „Ihr wisst doch, wann der Song kommt!“ Das Publikum hätte allerdings nichts dagegen, wenn der Gassenhauer zweimal gespielt würde. Zwischendurch werden Dankesrufe laut, die Theaterfabrik kocht. Stefan sieht erheblich gesünder und fitter aus als im vergangenen Jahr, er performt mehr. Mit viel Leidenschaft schmettert er die Texte ins Mikro, geht auf die Besucher zu, fordert zum Mitsingen auf. Vierzig Minuten sind viel zu schnell vorbei. Es kommt zur Zugabe. „Gottes Tod“ ruft allerdings noch einen lokalen Promi auf den Plan. Das Ich wissen, wem sie etwas zu verdanken haben und genau diese Person, die damals die Demos im Club auflegte, betritt nun die Bühne: DJ Rauschi. Auch er erntet gebührenden Applaus, hält sich zunächst schüchtern im Hintergrund, wird dann aber an den Bühnenrand geholt. Bei „Gottes Tod“ singt er zusammen mit der Band den Refrain – und er sollte das definitiv öfter tun! Dann ist es auch schon vorbei und die Menge tobt, jubelt, verlangt lautstark nach einer Zugabe und fordert sowieso, dass Das Ich öfter nach München kommen! Die Zeit rennt aber und die Band muss die Bühne verlassen. Als jedoch niemand nachgeben will, gibt es für einen letzten Song eine Abstimmung. Mit großer Mehrheit – „basisdemokratisch“, wie Bruno bemerkt – wird „Destillat“ gewählt und die Hütte brennt noch einmal. Zwar gibt es danach immer noch Zugabe-Rufe, aber man muss sich dem straffen Zeitplan beugen. Es war eine absolute Freude, Stefan so fit und mit so viel Leidenschaft zu sehen und auch wenn Das Ich nächstes Jahr nicht beim DMF dabei sein können (schließlich kommt keine Band zwei Jahre in Folge auf’s DMF, das ist Muckys berechtigte Devise und dies war eine absolute und wohl einmalige Ausnahme), werden sie die Münchner hoffentlich nicht allzu lange warten lassen.
Was haben die Jahreszahlen 1988 und 2015 gemeinsam? Ganz einfach – beide sind bedeutende Jahre für die Bayreuther Band Das Ich. Im Jahre 1988 haben sie sich in einer Bayreuther Diskothek kennen gelernt. Und 2015? Eine von Mucky bisher rigoros durchgesetzte Regel lautet, dass keine Band zweimal hintereinander auf dem DMF spielen darf. Nachdem der Auftritt letztes Jahr sozusagen die Wiedergeburt von Das Ich wurde und aufgrund der Spielstätte Außenbühne früh beendet werden musste, bricht Mucky 2015 seine eigene Regel und holt den heimlichen Headliner des gesamten Festivals in Jahresfrist erneut auf’s DMF, genauer gesagt in die Theaterfabrik. Das Ich, in Gestalt von Ex-Münchner Keyboarder Bruno Kramm, Sänger Stefan Ackermann und Keyboarder Johannes Thon, wird vom ersten Ton an von der gut vollen Halle abgefeiert als gäb’s kein Morgen mehr. Nachdem Ackermann 2011 dem Sensenmann nochmal knapp von der Schippe gesprungen ist und letztes Jahr den Auftritt am ganzen Körper zitternd absolvierte, ist er heuer wieder ganz der alte. Jede gesungene oder rausgeschrieene Zeile wird dankbar von der Meute angenommen. Er turnt vorne im Fotograben direkt bei „seinen“ Fans rum und lässt sie mitsingen. Er ist heute definitiv der Platzhirsch in der Theaterfabrik und Kramm und Thon überlassen ihn den Part sehr gerne. Neue Deutsche Todeskunst nennt sich die Spielart und Das Ich sind die Meister darin. Sie feuern ein Hitfeuerwerk ab, das seinesgleichen sucht. Beim letzten Song, einen der größten Hits der schwarzen Szene, „Gottes Tod“ ruft Bruno Kramm einen Gastsänger auf die Bühne. Die Diskjockey-Legende DJ Rauschi tritt schüchtern nach vorne ins Rampenlicht. War es doch Rauschi, dem Bruno seinerzeit eines der ersten Demotapes von „Satanische Verse“ ins Melodrom nach Neugablonz brachte und Rauschi es auch sofort ins Programm übernahm und somit einen Grundstein von Das Ich legte. Rauschi legt seine Schüchternheit bald ab und singt den Refrain zusammen mit der Band. Kramm merkt nach einer knappen Dreiviertelstunde an, dass die Spielzeit bald rum sei und lässt basisdemokratisch abstimmen, welchen Song die Band als Zugabe spielen soll. Erwartungsgemäß macht der zweitgrößte Hit „Destillat“ das Rennen und wird über die reguläre Spielzeit hinaus etwas ausgedehnt, was aber heute hier jedem scheißwurstegal ist. Sie sind definitiv wieder da und das ist gut so.
Für Rome bin ich zu spät dran und die Garage ist schon wieder so voll, dass ich vor der Türe stehen bleibe und Luft hole für den Abschluss-Act des DMF 2015.
Auf die luxemburgische Band Rome hatte ich mich im Vorfeld eigentlich ziemlich gefreut, vereinte doch die Band in ihrer Art die Stile Post-Industrial und Folk-Noir mit einem Schuss Neofolk zu einem Gemenge, was sich ziemlich gut anhört. In der wieder mal proppenvollen Garage kann ich gerade mal ein paar Bilder schießen und dem Sound der Band lauschen, als ich mich nach drei Songs wieder auf den Weg nach draußen mache. Im Gegensatz zur Tonkonserve konnte mich Rome live nicht überzeugen. Zu brav kamen sie mir vor. Sicherlich beherrschen die Musiker um Gründer Jérôme Reuter ihre Instrumente gut, aber der zündende Funke sprang einfach nicht über. Sorry Leute …
Die Securitys, Fotografen und die Technik bereitet sich auf den Hauptact vor. Man weiß sofort, wer bald auf der Bühne stehen wird, denn nicht umsonst wird alles mit Plastikfolie abgedeckt, was auch nur ansatzweise empfindlich ist. Gut, die Fans stellen sich absichtlich in die erste Reihe und hoffen darauf, eingesaut zu werden. Agonoize haben ca. 45 l Kunstblut und über 20 l Kunstsperma im Gepäck und werden nicht sparsam damit umgehen! Als es dunkel wird, brüllt die Theaterfabrik los. Die Stimmung ist vom ersten Song an super, auch wenn die Halle voller sein könnte. Agonoize hämmern ihren Aggrotech ins begeisterte Publikum und warten bis zum dritten Song, bis endlich das Blut spritzt und Fronter Chris L. sich scheinbar Pulsadern und einiges mehr aufschneidet. Das Kunstblut spritzt recht weit, aber das stört niemanden sonderlich, schließlich weiß man im Voraus, worauf man sich einlässt. Die Fans geben sich textsicher, Olli hingegen gibt eine kleine unfreiwillige Showeinlage zum besten und macht einen Kniefall von der Bühne runter vor die Fotografen – die allesamt zu überrascht sind, als dass es Beweisbilder geben könnte. Soweit wir wissen, ist Olli glücklicherweise nichts passiert und er fetzt die gesamte Show durch. Sehr stürmisch rüttelt er an den Synthesizern und bringt auch sie recht nahe an den Rand des Absturzes. Auffällig ist, dass viele Besucher das Konzert bereits vor dessen Ende verlassen. Schade, aber wohl dem Umstand geschuldet, dass es für einen Sonntagabend nach vier Tagen Festival einfach zu spät ist und die Leute ihre S-Bahnen erwischen und ein bisschen Schlaf vor dem bevorstehenden Arbeitstag abbekommen müssen. Das stört aber weder Band noch das restliche Publikum, die feiern ausgelassen und mit viel Kunstblut und -sperma. Chris L. scheut auch den direkten Kontakt nicht, geht auf die Gitter und singt im Fanpulk. Es war mein erstes Agonoize-Konzert, dem ich anfangs zurückhaltend und etwas skeptisch entgegengeblickt habe. Nun denk ich mir: Geile Show, wann kommt ihr wieder?
Schon am ersten Tag wurden wir von Insidern aufgeklärt, dass Agonoize satte 45 Liter Kunstblut und 20 Liter künstliches Sperma dabei hätten. Na danke war die allgemeine Meinung der Fotografenmeute und die besten Tricks zur Plastination des wertvollen Kamera-Equipments wurden ausgetauscht. Die Bühne wurde seitlich und vorne mit Plastikplanen verkleidet, ebenso das Mischpult im FOH. Die beiden Securitys hüllten sich in dichte Anoraks oder selbstgebastelte Plastikverhüllungen und nahmen ihre Plätze ein als der endgültige letzte Headliner seinen Auftritt hatte. Keyboarder Ollie trat im dichten Nebel nach vorne an den Bühnenrand und zack – landete er im Fotograben. Einen nüchternen Eindruck machte er dabei bestimmt nicht. Leider konnten wir Olli dabei nicht ablichten, weil wir mit Aufhelfen beschäftigt waren. Schade, denn Chris L. fragte im Nachhinein, ob irgendwer davon ein Bild geschossen hätte. Nachdem Olli sein Soundgewitter gestartet hatte, kam er auf die Bühne. Mastermind Chris L. in schwarze Klamotten und Sicherheitsweste gewandet, legte auch gleich los wie Harry auf Speed. Von Anfang an ging die Publikumsmeute mit wie nochwas und erschütterte die Theaterfabrik in ihren Grundfesten. Insidertechnisch wurden wir vorgewarnt, dass beim dritten Song die Agonoize-typische Blutorgie beginnen sollte. Chris fuchtelte mit einem riesigen Fleischermesser auf der Bühne rum und haute sich dabei den Knauf dessen so an den Kopf, dass ihm das (Kunst-) Blut in Strömen herunter lief. Gleich drauf schnitt er sich die Pulsadern damit durch, so dass das Blut nur noch in Fontänen aus ihm herausspritzte. Gute zehn Meter schoss der Strahl aus seinem Arm und badete die Menge im Kunstblut. Den Leuten gefiel’s und Chris spielte seine ganze Erfahrung als Rampensau aus, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, sich über Olli im Hintergrund zu wundern, der dabei war, beinahe seine Keyboardburg zu zerlegen und vom Podest zu schmeißen. Chris badete in der Menge, Hit an Hit folgte und die 70 Minuten Spielzeit waren viel zu schnell rum. Agonoize sind ein Garant für eine saugute Show und das zeigten sie heute wieder einmal in bester Manier. Ein wahrlich bestmöglicher Abschluss für das DMF 2015.
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