CD: Broilers – (sic!)


Punk! In meinen Augen ein großer Begriff, der wahnsinnig gebeutelt wurde in den letzten Jahren und den Verrat an all den Szenen – Punk, Oi!, Skinhead – als scheinbar letzter Anker verdeutlicht. Nun sind viele unserer Leser so jung – und auch ich bin das -, dass sie diese wahre Punk-Oi!-Skinhead-Zeit nicht mal aktiv mitgestaltet haben, sondern nur noch die Ausläufer davon durchlebt haben, als die Szenen vermischt, die Musik verwaschen und die Parolen durchgängig politisch waren. Warum ich das alles erzähle? Weil ich die Broilers aus genau diesem Grund immer gemieden hatte. Die waren mir zu links und ich mag es weder links noch rechts, ich mag es am liebsten mittendurch! Aber an den Broilers kommt man nur schwer vorbei und muss sich eben irgendwann zumindest mal grob mit ihnen beschäftigen. Dumm sind die ja nicht, was zu sagen haben sie auch, die Musik ist durchaus hörbar. Also dann man ran an das siebte Studioalbum (sic!), das bereits Platz 1 der Deutschen Charts erreicht hat.

„Nur ein Land“ ist als Einstieg die Keule gegen alle Patrioten und Nationalisten. Beginnend wie Silvester im Radio mit den Nationalhymnen verschiedener Länder. Dann gehts auch schon ab, hallo liebes Land, eigentlich bist du doof. „Du bist nur ein Land“, das regiert wird und nicht aktiv regiert. Broilers sind ein gegen diese Grenzen, gegen den Stolz, den man auf sein Land empfinden kann. Berechtigt, aber durchaus auch zur Diskussion auffordernd. „Bitteres Manifest“ war die erste von zwei Singleauskopplungen. Eine recht kraftvolle Nummer, die vor allem durch den Text wirkt. Laut Broilers eines der härtesten Lieder, die sie gemacht haben, könnte härter sein, ja, aber es sind eben Broilers und die sind nicht für Hardcore bekannt. Daher stimmen wir der Ansage mal zu. „Keine Hymnen heute“ ist die zweite Singlesauskopplung. Natürlich ist das die Punknummer, die da abläuft. Aber ein sehr kritisches Lied, das auch davor warnt: Wacht mal auf da draußen, verharmlost weder die Politik noch die Diskussionen und Aussagen, die man derzeit verfolgen kann. Der Refrain ist musikalisch kraftvoll. Ein bisschen melancholisch geht es weiter mit „Die Beste aller Zeiten“. Hach kommt, lasst euch treiben, zieht mit den Broilers in die Vergangenheit, in die Schlägereien Punks gegen Rechts, trinkt mit ihnen ein Bier, heult euch die Augen aus. Es war eine geile Zeit, die ist vorbei, aber sie bleibt uns eben doch in guter Erinnerung. Weg von der Melancholie. „Irgendwas in mir“ ist dann wieder etwas munterer, zumindest die Melodie bringt mehr Freude mit. Der Text ist ein kleiner mahnender Zeigefinger, der fragt, wie man lieben, leben und verbieten kann, was man nicht versteht. Ach, früher hat eben alles gebrannt und es hat keiner verstanden und heute brennen die Songs. „Gangster, Gangster“ hat diesen Mitsingpart am Anfang. Das kann man sich live gut vorstellen. Der Song wird dann ruhig, mir etwas zu ruhig und eintönig, aber vielleicht kriegt man auch das live besser rüber. Für mich die beste und traurigste Nummer: „Ihr da oben“. Das Lied richtet sich an die Großen, an unsere Idole, die so zahlreich 2016 von uns gegangen sind. Wenn man die Augen schließt, kann man die Bilder sehen, Lemmy, Bowie, Cohen und wie sie alle hießen, natürlich auch Wölli von den Toten Hosen, der dann irgendwie plötzlich so nahe bei den Broilers war. Es ist eine Hymne ohne musikalischen Hymnencharakter, aber ein schönes Danklied an unsere Idole. Traurig geht es weiter, zumindest was das Intro betrifft. „Unsere Tapes“ beginnt ruhig und schafft dadurch eine gute Überleitung. Es geht um Vergangenheit, um die Broilers, ihre Musik und ihren Weg und irgendwie … hallo? Wenn es darum geht, dann will ich hier eine mitreißende Hymne haben, die mich wirklich vom Hocker haut. Aber das ist es nicht. Es ist ein recht lahmer Refrain, textlich wie musikalisch. Wir gehen schnell zu „Meine Familie“ über. Ein ganz amüsanter Song über die Leiden der Familie, die man sich eben nicht aussuchen kann, die aber doch immer ein Teil ist und die man doch irgendwie liebt. Nett. „Zu den Wurzeln“ ist der zehnte Song und ich hätte mir hier gerne eine richtig fette Skanummer gewünscht, die es aber nicht geworden ist. Trotzdem ganz abwechslungsreich und hörbar. Nicht die schlechteste Nummer auf der Scheibe. „Woran glauben?“ powert dann endlich wieder etwas mehr. Hier gibt es wieder die Kritik an der Wohlstandsgesellschaft, ganz in alter Punkmanier. Aber die Frage sei gestattet: Seit wann haben denn Punks nichts, woran sie glauben? Wir glaubten damals an Frieden und Liebe, an Anarchie und Freiheit – zählt das nicht mehr? „Als das alles begann“ ist ein Song, der uns allen die Augen öffnen soll. Die Broilers sehen ganz deutlich, dass wir auf ein Revival der Jahre 1933 bis 1945 zusteuern und tatenlos zusehen, Katzenbilder auf Facebook posten und das Schlimme zulassen. Damit sind sie nicht alleine, auch nicht mit dem Refrain „diese Welt kotzt mich an und ich hab nichts getan“. Ja, schön. Lasst uns drüber diskutieren und aufhören, nur eine einzige Meinung als die allgemeingültige anzusehen und andere Meinungen an den Pranger zu stellen. Lasst uns lieber einen Dialog starten. „Und hier steh ich“, das denke ich mir auch beim letzten Song. Das ist noch mal eine sehr ruhige Nummer, die nur kurz versucht zu powern, wenn es um den Refrain geht. Nett, aber kein Reißer.

Punk war für mich immer etwas anderes und das ist es heute immer noch. Wenn Broilers mit (sic!) wirklich Punk sind, habe ich irgendwas verpasst oder der Punk ist zu einem trüben, stehenden Gewässer geworden. Mir ist die Scheibe musikalisch zu soft, aber die Gruppe reißt es mit den Texten raus. Ein Album, das gehört werden sollte, aber es reicht, wenn man sich die Texte besorgt und darüber nachdenkt, denn die sind wirklich gut!

3/5


Broilers – (sic!)
Skull and Palms Recordings, 2017
Broilers – (sic!) CD: 21,99 €

Tracklisting:
Nur ein Land
Bitteres Manifest
Keine Hymnen heute
Die Beste aller Zeiten
Irgendwas in mir
Gangster, Gangster
Ihr da oben
Unsere Tapes
Meine Familie
Zu den Wurzeln
Woran glauben?
Als das alles begann
Und hier steh ich

 

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