Manchmal muss einfach durch – die Wand, das Leben, die Rezension. Die ehemalige Teenieband Tokio Hotel geht auf Tour, kommt nach München und seit Wochen bekomme ich Werbung dafür und Facebook-Veranstaltungs-Einladungen. Das hat mich dazu verleitet, eine Diskussion zu starten und mir wurde schließlich gesagt: Ey, das neue Album ist gar nicht so übel. Also rein in den Player und angehört. Puh. Wisst ihr noch, wie das so angefangen hat? „Durch den Monsun“, „Schrei“ und so weiter. Wir waren jung, wir waren verliebt oder im besten Liebeskummertal, wir standen auf Bill und … irgendwie war mir Guns’n’Roses lieber, weil da Männer standen (okay, das Poster in meinem Zimmer war von 1990), die Böhsen Onkelz, weil die „Stimme aus der Gosse“ ins Mikro rotzte und die Texte weit mehr Tiefe hatten, und Motörhead, weil Lemmy! Tokio Hotel war nicht meine Musik und doch hatten diese Chartbreaker den Ohrwurmeffekt und man sang halt mit.
Nun, 16 Jahre nach der Gründung, sind Tokio Hotel wieder da, nachdem sie für mich sehr überraschend weg waren – denn dass sie das waren, hatte ich gar nicht bemerkt. Das war mir nur durch einen Zeitungsartikel aufgefallen, der sich um Bills Gesundheit drehte. Irgendwie drehte sich sowieso immer alles um Bill Kaulitz.
Sie sind zurück, neuer Look, neuer Stil, Songs auf Englisch, den Jungs sind Eier gewachsen, lass mal reinhören in Dream Machine.
Bereits „Something New“ stellt mich auf eine harte Probe. Wir haben hier ein langsames Intro, das auf diesen Dream-Machine-Effekt hinsteuert und eine ganz passable Einstimmung auf die Platte sein soll. Vielleicht ist es auch schlicht die Abgrenzung zum alten Sound, von dem nichts übriggeblieben ist. Die Nummer ist langsam und der Gesang ist … hoch. Mir fehlen ein bisschen die Worte, wenn ich den Song höre, der irgendwann ein bisschen poppiger wird, in der letzten Minute. In meinen Augen eine bescheidene Singleauskopplung. „Boy don’t cry“ ist ein langsamer Alltagspopsong, dessen Stil zu Hauf im Radio läuft und einem schon so zu den Ohren rauskommt, dass man gar nicht mehr hinhören kann, ohne dass die Lauscher zu bluten beginnen. Wir hören haben im Background so eine Note, die gar nicht schlecht ist. Da steckt eine Melodie, ein Rhythmus drin, der als geile EBM-Nummer herhalten könnte, wenn man noch ein bisschen Power reinschmeißt. Die Nummer hat so viel Potential und könnte mich komplett vom Hocker hauen, wenn, ja, eben, wenn sie als richtig harte EBM-Nummer auf der Platte wäre. Ist sie aber nicht. Sie ist nicht mal tanzbar, außer man schläft gerne ein, wobei dazu der Gesang ein bisschen nervt. Stellenweise hat der was von einer geschändeten Katze. Weiter zu „Easy“ in der Hoffnung, es kommt endlich was Gutes. Ja, da will er raus, der Bill, da will er mal ein bisschen ausbrechen und was abliefern, aber das hält immer nur zehn Sekunden an, dann schwillt alles wieder ab und wird zur 08/15-Nummer. „What if“ beginnt wieder so sphärisch. Wo ist denn das gute alte Quartett hingelaufen? Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang, rein ins Studio, spielen, singen, fertig. Wo ist die gute, alte Art, Musik zu machen? Geht das heute nicht mehr? So würde ich mir Tokio Hotel wünschen (naja, also wünschen … von mir aus können die auch nix mehr machen). Das Böse daran ist ja, dass die Songs absolut Massenradiosender-tauglich sind. Du kannst die Scheibe einlegen und durchspielen lassen, das würde keinen Hörer stören. Alles ist gleich und nichtssagend, gleiche Rhythmen, gleicher Sound, sehr ähnlicher Gesang. Zum Einschlafen. „Elysa“. Auch so was. Ich muss ehrlich bei jedem Song extra nachsehen, ob das eine neue Nummer ist, oder noch die alte.
Titelsong „Dream Machine“ bleibt wenigstens der Langeweile treu. Muss man ja auch mal loben, dass nichts, aber absolut nichts bisher, wirklich mal Abwechslung auf den Longplayer gebracht hat. Keine Überraschung, kein Song, der völlig aus der Spur gerät. Immerhin könnte man hier auch wieder partiell eine gute EBM-Nummer draus machen. Wäre das nicht mal was, Bill und Co? „Cotton Candy Sky“, tatsächlich schon der siebte Song, klingt immer noch wie der erste in Endlosschleife. Vielleicht ist das alles auch ein kompletter Song, der nur zwischendurch einfach Abschnittstitel bekommen hat, damit man das Album verkaufen kann. Unbemerkt sind wir mittlerweile bei „Better“ angekommen. Leute, wenn einem nicht mal auffällt, dass ein neuer Song beginnt, läuft was falsch. Und jetzt sind wir schon wieder weiter, „As young as we are“. Da kommt mal wirklich ein bisschen Power rein, wird gleich wieder weggenommen, aber während des Refrains geht was. Macht die Scheibe aber auch nicht besser. Der letzte Song, „Stop, Babe“ drückt aus, was ich denke: Stopp, Tokio Hotel! Es reicht. Zehn Songs Langeweile sind einfach zu viel.
Tokio Hotel. Mädchenschwarm der ersten Jahre des neuen Jahrtausends. Ich mag weder ihre Leistungen noch ihr Engagement für Tierschutz schmälern. Man muss ihnen ihre Erfolge zugute halten, muss anerkennen, dass sie viele Auszeichnungen erhalten haben und wirklich keine No Names sind. Aber Dream Machine, Jungs, das Album wäre auch mal besser im Studiomüll gelandet. Ich kann hier nicht mal objektiv eine bessere Note verteilen, weil es einfach nichts gibt, das man anerkennen könnte. Das Album ist einfallslos, langweilig, eintönig, ohne Highlights, ohne Power.
1/5
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Tokio Hotel, Dream Machine
Starwatch Entertainment, 2017
CD: 16,99 €
Vinyl: 19,99 €