ECHO Verleihung 2017 … oder der Untergang der Showkultur


Der ECHO 2017 wurde mit Spannung erwartet. Das lag zum einen daran, dass es eine Auszeichnung  mit Glanz und Glamour ist und ein Teil der Bevölkerung auf sowas abfährt. Zum anderen lag es am geänderten Konzept, das im Vorfeld bejubelt und belächelt wurde – im Nachhinein von vielen immer noch nicht verstanden und daher kritisiert worden war. Eine Fachjury sollte es richten und den Preis wieder spannend machen. Böse Zungen in den Sozialen Medien behaupteten, es brauche nun schon eine Jury, die von unbequemen Musikacts ablenkt. Interessant sind bereits hier zwei Dinge: Die Nominierungen setzen sich aus den Chartplatzierungen im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 zusammen. Eine Jury stimmt über die fünf Nominierten jeder Kategorie ab und dann geht es um die Verkaufszahlen – und zu 50% um die Fachjury. Die ist bunt zusammengewürfelt: Redakteure, Musiker, Plattenfirmenmenschen. Manche Namen tauchen in einer Kategorie doppelt oder sogar dreifach auf, jeweils mit unterschiedlichem Unternehmen, für das sie abstimmen. Geile Sache. Mehr Demokratie geht nicht, wenn ein Mensch drei Stimmen bekommt, nur eben von drei verschiedenen Medien. Das ist fragwürdig und würde schon mal dem Deutschen Wahlrecht widersprechen, aber wir sind hier nicht in Deutschland, wir sind im ECHO-Land – das ist wie Kirche, die haben auch ihre eigenen Gesetze.

Blicken wir auf die ECHO Verleihung am 06.04.17 in Berlin, kommen Fragen auf, deren Beantwortung genauso hoffnungslos verklungen ist, wie eine Verhandlung mit dem Tod wäre, böte man ihm sein eigenes Leben anstelle des Lebens des ECHOs. Der ist nämlich irgendwie gestorben, zusammen mit dem bereits in den letzten Atemzügen liegenden Niveau Deutscher Fernsehunterhaltung.

Im Vorfeld kann man im Livestream, auf Facebook, zigfach geteilt von der ECHO-Seite, Menschen sehen, die über den Roten Teppich laufen. Sie wollen gesehen werden, fotografiert, interviewt und da sein. Udo Lindenberg, klar, Musiker, nominiert, der muss da sein, die coole Socke, die schon auf dem Teppich mehr hermacht als beide „Gastgeber“ zusammen während des kompletten Abends. Till Lindemann, nicht nominiert, den Medienberichten zufolge nur da, um seine neue Flamme zu zeigen, seine alte Flamme zu ärgern und mit Anna Loos vor Olaf Heine zu postieren. Lindemann ist immerhin Musiker. Sophia Thomalla jetzt nicht so, die ist trotzdem da, um auf ihr vorgeführtes Lindemann-Tattoo reduziert zu werden. Thomalla, Model und Moderatorin, an diesem Abend nur im Publikum. Mist. Wer ist noch da? Ein Alptraum in hellblau, momentan in den Schlagzeilen, weil das arrogante, noch pubertierende Näschen ein bisschen zu hoch über den Heimatort gereckt wurde – inklusive die Frage an die krankgeschriebene Lehrermami, die trotzdem nach Australien fliegen konnte, wie diese in diesem Örtchen unterrichten konnte. Nun, Natalie Volk will ja den Ozean retten, zumindest will ihr derzeitiger Bettpartner das ernsthaft tun, sie macht das mit fürs Prestige oder was auch immer, dabei ist sie so überzeugend wie ein kannibalischer Vegetarier. Merkt ihrs? Was macht die Volk denn bitte auf so einem Event? Stellt man sowas in die Ecke vom Saal zur Deko mit einer LED-Lichterkette, damit man es als Lampe anpreisen kann? Keine Ahnung. Auch das: Die Elvers, weil sie mal mit Farin Urlaub im Bett war, und mit Alex, beide haben gesungen, der eine erfolgreicher als der andere.

Kommen wir zur Verleihung, die einem die Tränen in die Augen treibt – und das nicht wegen der herzzerreißenden Dankesreden. Vielmehr weint man um Niveau und Anstand, um den Untergang der Unterhaltungskultur und des Deutschen Fernsehens sowieso. Puh, seit 27 Jahren das Geld in Bücher anzulegen, war eine goldrichtige Entscheidung. VOX beginnt mit Xavier Naidoo und Sasha, die ein Liedchen vortragen und einen die Realität vergessen machen wollen. Aber nein, „Angst, Terror und Krieg“ sind auch und gerade bei diesen Verleihungen nicht vergessen! Wenn ihr zu den Helden gehen wollt, dann geht doch bitte auch zu mehreren Stars und nicht nur zu Udo. Hört auf mit dem Bashing gegen Joko, Klaas und Pocher – egal, was man von denen wiederum hält, das hat hier nichts zu suchen. Gesanglich ist es etwas schwierig und man muss sich ein bisschen fragen, wie die beiden Musiker mal erfolgreich sein konnten. Die Stimmung ist schon zu Beginn auf dem Nullpunkt. Warum stellt man da zwei Kerle hin, die alles moderieren? Warum nicht auch eine Frau? Warum lässt man das nicht die Thomalla machen, dann hätte man wenigstens noch was fürs Auge und vielleicht sogar ein bisschen Charme dabei. Außerdem kann die sich anziehen, Sasha jetzt nicht so. Der Anzug sitzt nicht richtig und er fummelt auch die ganze Zeit daran herum und zupft ihn zurecht. Die Witze sind derart flach, dass nicht mal die Milben im Teppich anstandshalber lachen. Das Schweigen des Publikums als Antwort auf jeden einzelnen humoristischen Versuch des Duos, ist geradezu peinlich und ein Armutszeugnis für die Moderatorenleistung. Naja, es sind ja auch keine Moderatoren, sondern nur Hosts, also Gastgeber. Ehrlich? Wenn der Gastgeber so miserabel ist, verlasse ich die Veranstaltung. Auch dass Naidoo kurzfristig vom Eurovision Songcontest 2015 ausgeladen worden ist, zieht nicht mehr. Alter, darüber wurde genügend gejammert, aber genau jetzt könntest du beweisen, dass du mehr Größe hast als „die damals“. Haste aber nicht. Selbst der Kussversuch ist ein Fremdschämmoment, der auch fast einen Award verdient hätte. Ey, ab zu den Preisen, wir müssen die Peinlichkeit etwas runterschrauben.

Nun muss man wissen, dass am Abend der Verleihung, einen Tag vor Ausstrahlung der Verleihung auf VOX, die Gewinner bekanntgegeben worden waren – und man das beste Video einfach mal unter den roten Teppich kehrt. Man muss Zeit sparen. Naidoo geht, Niedecken wird schon wieder eingeblendet, am Ende des Abends kann ich den Mann blind zeichnen, inklusive jedes einzelnen Haares. Sasha prankt Mark Forster und zeigt sich gleichzeitig parteiisch, die Nominierten werden eingeblendet mit einem kurzen Auszug ihres Werkes. Nett gemacht, hebt die Spannung, weiter so. Die Gewinner waren im Vorfeld nicht bekannt, nur dem Notar und dem Graveur. Über der Gravur ist ein Aufkleber, Sasha hat seine Brille vergessen, der Witz hat nach zwei Sekunden auch einen Bart. Udo Lindenberg ist Künstler Pop National. Jubel, er tanzt auf die Bühne. Scheiße, alleine das ist mehr Show als die Moderation. „Es ist keine Routine, immer wieder ist es wie das erste Mal.“ Wenn er das sagt, fühlt man das, authentisch, einfach Udo. Campino lacht, klatscht aber nicht, warum wird denn der jetzt eingeblendet? Halt, zu dem kommen wir noch. Naidoo ist ein bisschen betröpelt. Scheiße, kein ECHO für mich. Erklären wir mal, wie es zum ECHO kommt. Verkaufszahlen, Chartplatzierungen, Jury, blubb, Anmoderation Rag’n’Bone Man „Human“. Maite Kelly wird eingeblendet, Lena, unbekannter Musiker mit Hut, unbekannte Dame ohne besondere Kennzeichen, Boss Hoss. Naidoo schwafelt weiter, Prozentzahlen, trallala, Hip Hop Nominierung.

Ernsthaft, der Mist geht die ganze Zeit so weiter. Udo, Maite, Andrea, Mann mit Hut, Boss Hoss, Mann mit Cappy (Beginner, lerne ich später), Gott sei Dank ist Helene nicht da! Die würde wohl dauergrinsend als Standbild gezeigt werden. Gibt es in dem Saal nicht mehr Leute, die man mal zeigen kann? Haben diese Promis dafür bezahlt, dass sie alle drei Minuten gezeigt werden? Während die Beginner feiern, wird am Nebentisch Jacky getrunken, sichtbar enttäuscht und sauer. Ohhhh, steht da noch eine Neid-Schlägerei an? Sasha heult, weil er kein Album gemacht hat, wieder fade Witze, scheiße, Alter, Dich will keiner hören, Dich will keiner sehen! Du warst mal die Rubbelhilfe für junge Mädels, aber selbst das ist zehn Jahre her! Kein Mensch braucht bei der ECHO Verleihung die Selbstbeweihräucherung von Naidoo und Sasha. Um euch geht es nicht! Über Preisträger der letzten Jahre herzuziehen ist auch scheiße und wenn ihr Musiker Rock, Pop und Schlager in einen Topf werft, dann geht bitte putzen – und nein Xavier, hör auf die Berg zu singen und gib ihr den Kuss, nach dem sie sich sehnt! Campino freut sich. Toll, Campino freut sich, der Gewinner hat seine Zustimmung, das ist auch ganz, ganz wichtig! Berg will die Ehre des Schlagers retten, ja, fein, toll, der ECHO ist nicht dein erster, fühlt sich an wie das erste Mal – klauen wir noch mehr von Udo? Bereits nach 30 Minuten möchte man kotzen, mitten auf den Bildschirm – übrigens wäre der ECHO ein Grund, Musik zu klauen. Man kann es keinem ernsthaften Künstler antun, durch den Kauf seiner Platten eine Nominierung zu dieser Fernsehscheiße zu riskieren. Da müsste man danach hingehen und Schmerzensgeld an die Musiker bezahlen, weil man ihre Musik gekauft und sie dadurch in die Charts gebracht hat.

Pop National und Rock National werden gar nicht mit den Nominierten vorgestellt. Pop National erhält nicht mal ein kurzes Danke der Sieger, Rock National spielt das Broilers Video an, das ganz klar der dunklen deutschen Vergangenheit angelehnt ist – und das beim ECHO, der so politisch korrekt tut. Die Broilers sind irgendwie gar nicht da, sagen aber immerhin danke durch eine Videoeinspielung.

Kommen wir nun endlich zu Campino. Der alte Punk, an dem die Jahre sichtbar spurenhinterlassend vorbeigezogen sind, hat nur ein Hemd im Schrank, mit dem man ihn bei zig Interviews und Veranstaltungen sehen kann. Er muss die Laudatio auf Viva con Agua halten. Scheiße, Leute, das Projekt ist geil und verdient größten Respekt! Wäre noch geiler, wenn es eine vernünftige Laudatio wäre, die nicht zusammengestottert wäre, bestehend aus kurz zuvor eingetrichterten Infos. Dazu watschelt er auf der Bühne hin und her, eine Hand in der Tasche, vielleicht muss man die Eier festhalten? Ey, Punk oder gar nicht – in diesem Fall lieber mal gar nicht. Wer das Gutmenschennegativbeispiel haben möchte, sehe sich diese Laudatio an. Hat dieses wundervolle Projekt nicht etwas mehr Respekt verdient? Noch was: „Böhmermannsches Zeitgeistgeplapper“, okay, der sitzt, das „Arschloch“ auch, aber mein lieber Campino, das Campinosche Gutmenschgefasel ohne Gliedmaßen und Wirkung, ohne Inhalte und so vorurteilsbeladen, dass es beim Luftholen schon alles in ein dreckiges Paradoxon stellt, was Du danach sagen wirst, das ist nicht besser. Zurückzurudern, nachdem Du dadurch endlich mal wieder in den Schlagzeilen bist – nicht durch die Premiere des neuen Hosen Songs -, ist übrigens ganz unpunkig und scheiße.

Wie war eigentlich der mega angekündigte und mit Vorschusslorbeeren bedachte neue Song von Die Toten Hosen? „Unter den Wolken“ ist nicht so der geniale Hit. Nicht mal der beste Hosen-Song. Eine Mischung aus den Takten alter Zeiten und der Hymnen, die wirklich jeden begeistert haben. Aber eher mau, sehr einfach, sehr zum Gähnen. Immerhin kann man sich hier noch mal dem Mainstream anpassen und gegen die Gesellschaft und die Welt wettern und sagen, dass hier unten eben alles scheiße ist. Kann man auch nicht mehr hören. In der Mitte gibt es sogar einen Part, der stark an Broilers‘ „Keine Hymnen heute“ erinnert.

Ein letztes Wort zum Album des Jahres. Udo Lindenberg hat zu Recht gewonnen und er hat meinen allergrößten Respekt. Seit Jahren zieht er sein Ding durch, nimmt kein Blatt vor den Mund, passt sich nicht an. Er ist Udo und scheiße, ja, einer muss den Job ja machen und sich gegen all diese Konformität stellen. Danke, Udo!

Die Vorstellung der Nominierten ist allerdings eine dreckige Farce. Fünf Bands aus verschiedenen Genres, vier tolle Songs, Titelsongs, repräsentative Lieder, die Tiefe zeigen, bis auf der Song von den Böhsen Arschlöchern … äh … Onkelz. Wir wissen, dass die Band scheiße ist, wir wissen, dass an den langhaarigen Rockern ein schmieriger Ruf klebt, wir wissen, dass vorher, währenddessen und danach viele über diese Nominierung gewettert haben. Die Onkelz sind mit Memento von 0 auf 1 in die Charts eingestiegen und waren 21 Wochen drinnen. Bei der Vorstellung wird „Mach’s Dir selbst“ angespielt, anstelle eines Ausschnittes mit mehr Tiefgang – also so ziemlich jedem anderen Part des Albums. Das macht gleich einen schlechten Eindruck, wenn man die Band nicht kennt.

Was bleibt? Die ECHO Verleihung 2017 war scheiße. Muss man ja auch mal so sagen. Ein dilettantisches Stück Fernsehabend, vorgezeichnet, abgesprochen, mit mieser Moderation, schlechter Kameraführung und sinnlosen Geldausgaben. Nicht nur, dass sich solche Verleihungen überholt haben, diese Sendung zeigt, wo auch die Shows hingelaufen sind. In den niveaulosen, tristen Abgrund der Langeweile. Diese Sendung ist das Dschungelcamp der Shows und Verleihungen, die Ekelprüfungen sind gleichzusetzen mit der Moderation. Das ist nicht mal mehr ein Unfall, bei dem man einfach hinsehen muss, das ist ein Massaker, vor dem man schreiend flieht. Lediglich Udo Lindenberg kann in den Minuten seiner Dankesreden das Publikum fesseln. Da erinnert man sich an die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2008 und die legendäre Ablehnung von Marcel Reich-Ranicki: „Ich nehme diesen Preis nicht an!“

 

 

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