Ojeminee – Manchmal frage ich mich, warum ich mir die Schreiberei hier antue. Beim Hören der vorliegenden CD der Band Lichtgestalt frage ich mich das immer und immer wieder. Laut Begleitzettel wurde das Quartett aus dem Ruhrgebiet / Münsterland bei Release des Erstlings Motorherz von der Fachpresse allseits gefeiert, ein Magazin schrieb, dass diese Band ein Anrecht auf die Krone der deutschen harten Musik hat, während das Magazin Orkus der Gruppe sogar bescheinigt, gleich einen neuen Stil erfunden zu haben. Beim Durchhören der zweiten CD namens Tempus Fugit frage ich mich allerdings, ob die Jungs jetzt auf einmal alles anders machen, oder ob die Lobeshymnen beim Erstling nur PR-Geschwätz und allesamt erstunken und erlogen waren.
Das Rezept von Tempus Fugit scheint folgende Zutaten zu besitzen: Man besorge sich bei der Firma Thomann eine Gitarre samt Amp, die aber maximal 49,90 € kosten darf, bei Spielwaren Obletter ein Keyboard für höchstens 19,90€, einen Sänger, der auch sehr gut deutschen Schlager verbrechen würde und beschließe dann „Wir machen jetzt düsteren Metttaallll“ – und fertig ist die vorliegende CD. Schon gleich zu Anfang fallen mir die flachen Keyboardsamples auf. Bei Einsetzen der äußerst dünnen Gitarre bin ich bereits am Kopfschütteln. Nicht zwecks Headbanging – nein – aus Verwunderung. Was soll das denn? Der Gesang von Sänger und Texter Thomas C. Hertz zeigt die Flachheit des Songs erst so richtig auf. Es hört sich wirklich an, als ob ein deutscher Schlagerbarde jetzt Düsterrock machen würde. „So kalt dein Lächeln“ heißt die unsägliche Nummer. In der Hoffnung auf Besseres geht’s weiter mit Track zwei namens „Judas“. Leider dieselbe dürftige Gitarre. Hat Gitarrist und Songwriter Der Heizzer sämtliche Bässe und unteren Mitten rausgedreht? Nur Treble und hohe Mitten auf Anschlag? Wo ist die Wucht einer satten E-Gitarre? Als nächstes folgt der Titeltrack, „Tempus Fugit“. Mal abgesehen vom Klang der Gitarre (schon wieder) ist das Riff wenigstens ganz gut. Der Gesang geht grad noch so, aber der Refrain schlägt alle bisherigen Rekorde. „Die Zeit, die Zeit, eins zwei drei im Sauseschritt … (Gitarre) … allzeit bereit, läuft die Zeit, wir laufen mit“. Meinen die das wirklich ernst? Das hört sich an, als wenn Helene Fischer einen Kinderreim im Stile von Rammsteins „Links-2-3-4“ covern würde. Schrecklich – denn unsere Bundeshelene schaut wenigstens schnuckliger aus. Etwas ruhiger beginnt „Böse Fee“. Auf die dünne Gitarre gehe ich ab sofort nicht mehr ein – sie zieht sich als roter Faden durch die gesamte CD. Beim Refrain meint man einen vermetallten Mittelaltersong durchzuhören. „Blutmond“ besticht durch Keyboardsamples, die stark an die dünnen Yamaha DX7 Klänge aus der AOR Hochzeit in den Achtzigern erinnern. Mit „Messer, Gabel, Schere, Licht“ sind wir endgültig beim Kinderreim angekommen – gar schröööcklich. „Lilith“ dagegen zeigt auf einmal etwas an Wucht von unten her. Die Klampfe klingt besser als zuvor. Bisher der beste Track. Bei Song Nummer Acht, „Virus Mensch“ klingt sie aber schon wieder etwas flacher. „Bis mein Auge bricht“ könnte auch von der Band Santiano stammen, wenn diese etwas härter spielen würden. Die Gitarre dominiert hier den Gesang. Komplett anders baut sich der Schlusssong auf. Klare Gitarrenklänge, die etwas an Blues und Western erinnern, bilden den Einstieg in einen Song, der Gunter Gabriel Ende der Siebziger sehr gut ins Repertoire gestanden hätte. Leider zerstört die flache Gitarre mit zu viel Distortion das ganze Lied. Alles in allem eine komplett überflüssige CD.
Wenn ich denn etwas Positives suchen müsste, dann die Bass- und Schlagzeugarbeit von Lippmann und Brukke. Diese verdienen den einzigen Punkt, der zu vergeben wäre … aber nicht mal den kann ich zuteilen. Die dürftige, flache Gitarre und der banale Gesang machen den ganzen Punkt auch zunichte. Springen wir mal aufgrund des letzten Satzes auf ihre Homepage, und dort auf die Seite Das Konstrukt. Beim Gitarristen Heizzer gibt’s nochmal eine Unterseite … Gear/Equipment, und dort kann man lesen, welche Gitarren, Amps, Effekte etc. er verwendet. Mit Verwunderung angesichts des dürftigen Klanges der CD lese ich da aber von diversen Gibson Les Pauls und Düsenbergs, Diezel und Marshall Amps, klasse Effekte und Zubehör … eine richtig teure und gute Ausstattung also. Werter Herr Heizzer: Wenn ein Rennfahrer seinen Formel 1 Boliden immer nur mit angezogener Handbremse und im zweiten Gang um den Kurs jagt, kann er niemals gute Rundenzeiten erreichen. Außerdem wirkt eine solche Auflistung des Equipments als blanke Angeberei … mein Haus, mein Auto, mein Boot. Ein guter und langjähriger Bekannter, Miller Anderson (remember Woodstock mit der Keef Hartley Band!) sagte mir des öfteren, dass er seine US-Strats und Paulas nicht spielt, sondern Mexiko- und Japanstuff. Der Klang ist besser …. nicht der Preis.
Auf eben der Seite Konstrukt der Homepage steht beim Vokalisten Hertz ein treffender Satz, der eigentlich auf diese CD angewandt werden kann. „Ich bin der Missklang, der Tinnitus.“ – Perfekt beschrieben. (Die englische Übersetzung „The Construct“ auch auf der Seite wäre übrigens jede Menge Lacher wert … wenn sie nicht so ultra-peinlich wäre. („I am your Wortverdreher, your Geschichtsklitterer, your Triebfedertäter. I am your Amüsierer, your Hohnlacher, your wine-sermonizing Fleischerfresser.“)) – Einfach nur besch….eiden.
So bleiben nur 0,5 / 5 Punkte übrig.
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Lichtgestalt – Tempus Fugit
Pride & Joy Music ; 2017
CD: 12,99 €
Amazon
Homepage: Lichtgestalt
Tracklisting:
01 – So kalt dein Lächeln
02 – Judas
03 – Tempus Fugit
04 – Böse Fee
05 – Blutmond
06 – Messer, Gabel, Schere, Licht
07 – Lilith
08 – Virus Mensch
09 – Bis mein Auge bricht
10 – Der letzte Boxer