Wenn Comeback, dann richtig. Gut, bei den Onkelz sagt man das jetzt schon seit drei Jahren, aber es gilt immer noch. Im Januar 2018 wird bekannt, dass die Deutschrocker mit der neuen DVD mal wieder auf Platz 1 stehen, nach 2014 und 2016. Das ist ungünstig für die Kritiker, aber um auch deren Ehre zu retten (haha): Man kann nur kritisieren, was man kennt, daher müssen auch die Kritiker die DVD kaufen. Wir haben sie auch gesehen und mit Interesse verfolgt, was die vier Frankfurter zum Entstehungsprozess des neusten Albums zu sagen haben. Man verfolgt die letzte heiße Phase, die für einen Teil der Band in Nashville stattgefunden hat, und sieht in jede Konzertlocation.
Die Arbeiten am Album werden hauptsächlich von Stephan und Gonzo dargestellt, klar, die waren in Nashville bei Wagener und das ist schon was Besonderes. Dafür erhält man einen guten Einblick in den kreativen Prozess, die Diskussionen und Fragen, die letzten Texte für das Album und spürt den Zeitdruck. Im Grunde ist diese Doku ganz gut, um mal die Schlussphase einer Albumproduktion zu sehen und vielleicht auch zu verstehen, dass es nicht alle halbe Jahr ein neues geben kann. Man erlebt die lange Arbeit des Komponierens und Songwritings nicht mit und auch nicht die viele Vorarbeit, bis man an dem Punkt, an dem die Doku einsetzt. Insofern ist es mal gut, dass die schreienden Fans, die bereits einen Monat nach der Veröffentlichung von Memento nach einer neuen Scheibe geschrieen haben, sehen können, wie viel Arbeit dahinter steckt. Was fällt auf? Stephan kann nicht stillsitzen. Teilweise geht einem das beim Zuschauen auf den Nerv. Nun ist eine gewisse Gestik als Verstärkung der verbalen Äußerung sinnvoll und gut, aber der Mann hampelt teilweise zu viel rum. Und trotzdem ist es halt Stephan und das macht ihn auch mit aus. Dabei fällt aber auch auf, dass er ruhiger, erwachsener und sachlicher geworden ist. Zwar hört er sich immer noch gerne reden und fällt hier und da gerne mal ins Wort, aber er kommt besser rüber als in den alten Zeiten, wirkt reflektierter und ist ganz der Profi-„Mukker“, der doch immer wieder auf den Boden geholt wird, wenn er nach Hause kommt, den Sohn zur Schule fährt und diesem eine Butterstulle schmiert.
Pe glänzt ein bisschen durch Abwesenheit. Anscheinend ist er in Nashville nicht dabei, aber bei ihm erfährt man nicht, warum. Es gibt nur kurze Sequenzen, ein kleines Interview über die Tour, eine Anekdote über ein Fantreffen – die ich persönlich zweischneidig finde. Einerseits echt cool, dass er sich die Zeit nimmt und einem Fan die Möglichkeit zum Treffen gibt, andererseits klingt es ein bisschen danach, als müsse man nur lange genug mit Pe schreiben und betteln – was sicherlich nicht der Fall ist. Ein Herz für Drummer möchte man aber fordern, denn gerade von Pe hätte man ab und an gerne mal mehr gesehen und gehört.
Überraschend ist Kevin. Der kann ja richtig kommunizieren, in ganzen Sätzen mit flüssigem Sprachstil. Das klingt fies? Vielleicht, aber es ist absolut positiv gemeint. Er sieht nicht nur gesund aus auf der DVD, sondern wirkt auch voll konzentriert. Da steht ein Kevin Russell Rede und Antwort, wie ich es noch nie erlebt habe. Sonst war er immer fahrig, unruhig, unkonzentriert, nach Worten und dem roten Faden suchend. Das hat sich geändert und hier möchte ich noch mal sagen: Er hat meinen vollsten Respekt für seine Rückkehr ins Leben. Auch wird nicht Halt gemacht vor den dunklen Seiten der Vergangenheit, sondern ganz klar verbalisiert, was Sache war. Das tut gut, denn diese Ehrlichkeit erwartet man von den Onkelz, die wirklich ein paar private Einblicke zulassen. Kevin, der aufgrund seiner Vorstrafe und Drogenkarriere nicht in die USA einreisen durfte, singt parallel in Deutschland die Texte ein und arbeitet fleißig am Album. Dazwischen wird die Tour eingeblendet, wie er sich richtig freut, auf die Bühne zu kommen und mit dem Publikum zu interagieren. Außerdem gibt es viele Einblicke über den Ablauf und die Stimmung hinter den Kulissen. Freundschaft steht wieder ganz oben neben der Kollegialität. Die vier liegen sich in den Armen, sind gut gelaunt trotz mancher Zipperlein und stehen zueinander. Dass das nicht immer so war und man wirklich ernsthafte Sorgen um Auftritte und Probleme miteinander hatte, wird ebenfalls verbalisiert. Man nimmt kein Blatt mehr vor den Mund und muss auch nichts Offensichtliches mehr verheimlichen. Privat wird es noch mal, als man Stephan Weidner beim Tätowierer erlebt. Ein Wolf kommt auf den rechten Oberschenkel. Die Frage nach dem ersten Tattoo dürfte für viele ein alter Hut sein. Stephan erklärt, dass der Schädel mit der Ratte auf einem Albumcover der Band Nazareth – „falls die noch jemand kennt“ – zu finden sei, was er allerdings erst später erfahren haben will. Nazareth dürfte doch noch vielen bekannt sein und der Longplayer heißt No Mean City , das zehnte Studioalbum von 1978.
Was macht Gonzo eigentlich? Der erzählt natürlich ein bisschen und man hat den Eindruck, als wäre er sehr zurückhaltend. Nicht der Kamera gegenüber, aber bezüglich Reunion und Album. Teilweise macht er einen geradezu spießigen Eindruck. Doch es bleibt nicht verborgen, dass auch er Spaß daran hat, wieder auf der Bühne zu stehen und Teil dieser Gruppe zu sein. Er beendet sogar die Dokumentation mit dem Schließen einer Türe. Vor allem auch durch ihn merkt man, dass aus den vier Freunden ernsthafte Musiker und eine ernstzunehmende Band geworden ist. Auch wenn das nicht wirklich neu ist, so haben nach außen hin plötzlich auch ganz klare musikalische und kompositorische Diskussionen ihren festen Platz, was vor der Trennung nicht ganz so deutlich war – intern wird es allerdings nicht anders gewesen sein! Die Solokarrieren haben den Jungs gut getan, sie konnten sich noch einmal ausprobieren, ihr Schaffen intensiveren und ihren Stil finden.
Die zweite DVD zeigt das Konzert in Berlin. Die Lieder, die Band, die Fans, die Emotionen. Mit rasanten Schnitten und langen Totalen, mit viel Liebe zum Detail und der Möglichkeit, zu versinken in Erinnerungen.
Braucht man die DVD? Irgendwie schon. Die Doku ist sehr interessant – und es gibt auch wieder mal Stephan Weidner in Boxershorts, wie bereits beim Tourtagebuch zur Der W Tour 2009. Der Konzertmitschnitt lässt Erinnerungen wach werden. Es sind die Onkelz, sie sind zurück, offen und ehrlich, ein bisschen älter und weiser. Die kleinen Kommerzschweinchen, die dumm wären, würden sie das nicht tun. Give the people what they want. Der Erfolg gibt ihnen recht.
5/5
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Böhse Onkelz – Memento. Gegen die Zeit + Live in Berlin
Matapaloz, 2017
FSK ab 12 Jahren
DVD: 31,99 €
Blu-ray: 33,99 €