CD: Europe – Walk the Earth


Europe – Sie haben mir mal gefallen … Im Februar 1987 war ich auf dem Münchner Konzert der Final Countdown Tour und hatte auch die ersten drei LPs im Plattenschrank stehen. Dann hatte ich irgendwann genug vom Melodic Rock oder AOR, wie dieser Stil ja mittlerweile betitelt wird. Alle Platten dieser Musikart verschwanden aus dem Regal und ich wandte mich anderem zu. Krautrock, Progressiv, Elektronic, Bluesrock – Alles, bloß keine auftoupierten Haarmähnen und vor allem keine schwülstigen Keyboardsounds a la Yamaha DX-7 mehr. Dann machte ich bei einem Gewinnspiel beim Münchener Rock-Radiosender Rockantenne 94,5 mit und was passierte? Hab ich doch tatsächlich gewonnen. Die aktuelle CD eben von Europe. Ojee … Ein paar Tage später lag das Teil im Briefkasten, schön im Digipack mit Bonus-DVD aufgemacht, und wurde trotz meiner Vorbehalte in den Player gelegt.

Los geht’s mit dem Titeltrack „Walk the Earth“. Ein leises Keyboardintro klang aus den Speakern, aber schon nach gut 30 Sekunden fegte mir ein Brett aus schweren Hardrockklängen um die Ohren. Nix mehr DX-7 … nein, schwere Klänge aus einer Hammondorgel a la Jon Lord waren da auf einmal zu hören. In Verbindung mit den beiden Gitarren von Norum und Tempest meinte man fast, die Deep Purple aus den 80/90ern zu hören. Schwere bombastische, progressive Klänge erklangen da auf einmal, und das nicht nur gar nicht schlecht – nein – sogar richtig gut. Aber da eine Schwalbe bekanntlich ja noch keinen Sommer macht, war ich auf den Rest gespannt. Genau so gut wie der Titeltrack zuvor ging es mit „The Siege“ weiter. Ein treibender schnellerer Rhythmus, der einen unweigerlich zum Kopfnicken veranlasst. Die Gitarren-Soloparts sind dezent und passend dazu eingesetzt. „Kindom United“ fährt weiter im bewährten Fahrwasser. Mit Tempo, aber nicht nur dahingeschrubbt, nein, immer von diesen schweren Orgelklängen untermalt. Mit „Pictures“ wird’s erstmal etwas leiser. Geigenklänge, vermutlich aus dem Keyboard von Mic Michaeli, untermalt mit einer akustischen Gitarre, ziehen wehmütig dahin. Pianotöne und eine dezent einsetzende elektrische Gitarre runden das Ganze  rund um Joey Tempests Gesang ab. Gut eine Minute vor Schluss gibt’s auch noch einen Soloteil aus gedoppelten, zweistimmigen E-Gitarren, der sich bestens ins Gesamtbild einfügt. Mit Trommelwirbel beginnt „Election Day“, der wieder ins Deep Purple-ähnliche Fahrwasser schwenkt. Treibend und vorwärts preschend auf einem schweren Orgelbett aufgebaut. Ein leises Intro bildet den Einstieg zu „Wolves“, welches aber bald von einem satten, dumpfen Gitarrenriff abgelöst wird. Düster gehalten mit dunkler gesungenen Vocals. Die Orgel beschränkt sich hier auf eine leise Klangfläche, die den Boden für das bohrende Gitarrenriff und Tempests Stimme bildet. In schönem Midtempo gehalten, aus dem lediglich das Gitarrensolo in der Mitte des Songs klar und hell durchsticht. Meine Güte – welch ein Song! Der wäre zu meinen seligen DJ-Zeiten sofort im Hauptprogramm gelaufen und hätte mit Sicherheit für komplett volle Tanzflächen gesorgt. Mit Vollgas brettert das folgende „GTO“ dahin. Wären nicht die tief gestimmten Gitarren gewesen, das wäre ein Track, der eher an die alten Europe erinnert. Dieselben tief gespielten Gitarren bilden den Einstieg zu „Haze“. Schwer und treibend poltert es in schönstem Progressivstil dahin – Wow! Was ist mit den Europe aus meiner Jugend passiert? Sind die erwachsen geworden und machen jetzt den Sound für ältere Semester? Vollgas gibt’s das nächste Lied. „Whenever you’re ready“. Hier sind auch die Orgelflächen wieder deutlicher zu hören, was für eine schöne Abwechslung sorgt. Der letzte Track steht an. „Turn to Dust“ fadet langsam ein, was angesichts der bisherigen Songs etwas komisch wirkt, waren doch bisher gut eingesetzte Intros fast bei jedem Track vorhanden. Die Nummer wandelt sich zu einem wieder typischen, schweren, orgellastigen Song im Midtempo, der gut ins Gesamtwerk der CD passt. Das einzig hell klingende ist die Stimme von Joey Tempest. Ziemlich für Verwirrung sogt das äußerst abrupte Ende 43 Sekunden vor Schluss, als der Song inmitten eines Taktes schlagartig endet, nur um 15 Sekunden später in ein paar Sekunden Klarinettengedudel im Stile eines Benny Goodman mit seiner Big Band zu enden. Ist Europe beim letzten Song nichts mehr eingefallen? Das Grundgerüst in Form eines super Mittelteils war vorhanden, aber Anfang und Ende?

Fazit: Eine eigentlich geniale Scheibe, wenn man die AOR Vorlieben komplett über Bord schmeißt und sich auf eine CD einlässt, die bestens ins Deep Purple Portfolio der Achtziger Jahre bis in die Neuzeit gepasst hätte. Für mich das Beste, was die Band um Joey Tempest und John Norum bis dato auf den Markt gebracht hat. Europe besteht immer noch aus den Männern der alten Zeit. Am Bass John Leven, seit 1981 dabei, die Schießbude wird bedient von Ian Haugland und die Tasten werden von Mic Michaeli gedrückt, beide auch schon seit 1984 in der Band. Für mich die Neuentdeckung der Tage, obwohl sich Europe nach ihrer Auflösung 1992 ja schon 2004 in dieser alten Besetzung wiedervereinigt hatten.
Eine klasse Scheibe, die in jede gepflegte Hardrocksammlung gehören sollte.

4,5 / 5

Europe – Walk the Earth
Label: Silver Lining (ADA/Warner), 2017
CD: 12,99 €
Amazon:

Tracklisting:
01 – Walk the Earth
02 – The Siege
03 – Kingdom United
04 – Pictures
05 – Election Day
06 – Wolves
07 – GTO
08 – Haze
09 – Whenever you’re ready
10 – Turn to Dust

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