Buch: Christoph Wagner – Träume aus dem Untergrund


Am 20. Dezember 1969 ließ ein mörderischer Sound den Club Manufaktur in Schorndorf erzittern. Die englische Hardrock-Band Black Sabbath spielte dort auf ihrer ersten Deutschlandtour, die ausschließlich in der schwäbischen Provinz stattfand. Das war kein Zufall: In Südwestdeutschland gab es in den 60er- und 70er-Jahren eine lebendige Musikszene, die neue Trends begierig aufnahm. Ob Beat, Rock, Jazz, Folk, Blues oder Soul, ob Schwabenrock oder Dialektsongs – Baden-Württemberg war damals auf der Landkarte der Popmusik alles andere als ein weißer Fleck. Nicht nur Stars von außerhalb machten Station (The Who, Rolling Stones, Jimi Hendrix, John Lee Hooker), es gab auch einheimische Gewächse: Wolfgang Dauners EtCetera (Stuttgart), Guru Guru (Heidelberg), Nine Days Wonder (Mannheim), Kin Pinh Meh (Mannheim), Kraan (Ulm), Checkpoint Charlie (Karlsruhe), Exmagma (Schwäbisch Gmünd), Zupfgeigenhansel (Esslingen), Elster Silberflug (Heidelberg), Ray Austin & Volume Five (Freiburg), Eulenspygel (Tübingen), Singspiel (Freiburg), Wolle Kriwanek (Backnang) oder Schwoißfuaß (Bad Schussenried). Christoph Wagner nimmt die baden-württembergische Musikszene jener Jahre in den Blick und fördert Erstaunliches zutage: eine bunte, vielfältige (Sub-)Kulturlandschaft bis in die hinterste Provinz. Das Buch ist 50 Jahre nach den Studentenprotesten von 1968 zugleich eine Geschichte des jugendlichen Aufbegehrens im spießigen Musterländle mit den Mitteln der populären Musik.  (Quelle: Klappentext / Silberburg Verlag)

Tja … als Musikjunkie der obersten Kategorie, insbesondere des Progressivrocks, des Krautrocks, Beat, Folk, Jazz-Fusion und ähnlich Kategorien weg vom Mainstream, kam ich an diesem Werk von Christoph Wagner nicht vorbei, als ich auf Amazon den Tipp zu diesem Buch bekam. War doch das Buchcover dasselbe Bild wie die zweite LP der Gruppe Exmagma. Sofort gekauft und beim Lesen schon nach den ersten Seiten für äußerst gut befunden, habe ich das liebevoll zusammengetragene Werk aus Fakten und Begebenheiten aus dem Südwesten der Republik geradezu verschlungen. Aufgegliedert nach Stilrichtungen kann man gar nicht glauben, welch grandiose Gruppen sich in der Provinz die Klinke in die Hand gaben und jeden auch noch so kleinsten Club bespielten und teilweise auch aufmischten. Ein Großteil der Bands, die im Buch vorkommen, steht als Vinyl-LP bei mir im Plattenregal. Kaum zu glauben, dass Bands wie Raw Material, deren LPs ein kleines Vermögen kosten, teilweise im Ländle gelebt haben. Gracious, Warm Dust, Gila, Sam Apple Pie, Et Cetera, Twenty Sixty-Six and then, Exmagma, Patto, Tea & Symphony, Prof. Wolfff … Bands, die einem das Musikherz zum Galoppieren bringen – und alle haben teilweise vor gut 100 Leuten in Kellern, Kaschemmen, alten Fabrikanlagen und ähnlichem gespielt, während sie daheim in England und Amerika nur Randerscheinungen waren und die Platten unterbewertet in der Versenkung verschwanden.

Christoph Wagner, ein freier Musikjournalist und Buchautor, hat mit sehr großer Akribie eine wahre Bibel geschaffen, die sehr schnell durchzulesen ist. Die vielen Bilder runden das Ganze aufs Perfekte ab. Auch für Nicht-Südwestler ein super Werk, wenn man mit den Namen der Bands etwas vertraut ist. Musikstilistisch geordnet hat jede Szene ihren Platz im Buch. Angefangen vom Jazz, mit dem die Jugend in den Sixties aus dem alten Mief  ihrer Eltern entkommen wollten, über den Blues, der von den amerikanischen Besatzern mitgebracht wurde, dem Beat, der aus England durch Beatles, Rolling Stones, Small Faces und ähnlichen Gruppen über den Ärmelkanal zu uns fand, dem Folk, der bestens zu den Protesten der 68er Bewegung seinen Platz fand, bis hin zur Progressivität der englischen Undergroundbands. Kaum zu glauben, dass Black Sabbath ihre erste Deutschlandtournee in drei Lokalitäten im Ländle ablieferten. Die Erweckung der deutschen Sprache und deren Emanzipation aus dem Sumpf der Nachkriegszeit als alles „Völkische“ auf’s Außerste verpönt war. Alles schön gegliedert , ein Zahnrad nach dem anderen, welches vorantreibt bis zum viel zu schnellen Schluss des Buches.
Eine wahre Bibel der Musikliteratur.

5 / 5

Christoph Wagner – Träume aus dem Untergrund
Silberburg Verlag, 2017
180 Seiten
Gebundene Ausgabe: 24,90 €
Amazon

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