The Story behind … Die Erde – kch kch kch


Die Geschichte dieser deutschen Band beginnt im schönen, sonnigen Athen, der Hauptstadt von Griechenland. Dort wurde im Juli 1963 Tobias Gruben geboren. Irgendwann zog die Familie Gruben ins bayerische Voralpenland, genauer gesagt nach Starnberg. Hier wuchs Gruben auf und ging zur Schule. Anfang der 80iger Jahre lernte er Christoph Schlingensief kennen, der in München Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studierte. Zusammen mit Claudia Hauser und Christoph Gerozissis gründeten die beiden die Band 4 Kaiserlein, mit der sie ihre ersten musikalischen Erfahrungen sammeln konnten. 1982 erschien das einzige, selbstbetitelte Werk der Gruppe auf einer selbstverlegten Musikkassette. Kurz darauf siedelte Tobias Gruben nach Hamburg über, wo er 1984 die Band Cyan Revue ins Leben rief. In den kommenden drei Jahren brachte diese Formation drei Langspielplatten auf den Markt (The Gift, Four Wounds, Arm). In dieser Zeit spielten sie einige Tourneen, unter anderem als Support von Alien Sex Fiend. Aber schon 1987 lösten sich Cyan Revue wieder auf. Gruben blieb aber nicht lange untätig und formierte schon ein Jahr später zusammen mit Horst Petersen, ehemals bei Blue Kremlin, Tobias Levin und Johann Popp die Formation Die Erde. Tobias Levin sammelte seine musikalischen Erfahrungen in der `84 von ihm gegründeten Band Cpt. Kirk & – ursprünglich als Cpt. Kirk & his incredible Lovers betitelt. Johann Popp spielte einst in der  Gruppe Tempelfreuden.

Mit ihrem Sound, der zwischen Noise, Rock und Industrial pendelte, kam das Quartett beim Hamburger Label What’s So Funny About unter, einem Sublabel von Zickzack. Ihre erste Veröffentlichung war die 1989 erschienene 12“ Inch EP Party mit der Katalognummer SF 89. Von den drei auf der Platte enthaltenen Songs gibt es den Track „Homesick“ nur auf dieser EP. Die beiden anderen Lieder waren auf der fast gleichzeitig erschienenen Langspielplatte Kch Kch Kch ebenfalls enthalten. Mit der Nummer SF 94 kam der erste Longplayer der Band in die Läden. Das Cover wurde von Tobias Gruben konzipiert und zeigte in blau und orange gehalten einen Hurrikan.

Mit dem Song „Hassle“ beginnt die Platte. Gleich zu Anfang springt einem die aggressive Gitarre an und lässt die morschen Knochen zappeln. Den Grundstock liefert ein industrialartiger, stampfender Beat aus metallischem, hartem Schlagzeug und stumpfem Bassgezupfe. Die Stimme ist in mittleren und höheren Lagen angesiedelt. Song Nummer zwei, „Hard Rain“ fängt mit einem funky Wah-Wah Gitarrenintro an, welches astrein ans Thema von Shaft von Isaac Hayes erinnert. Als zu einem durchdringenden hartem Drumbeat die Stimme einsetzt, fällt einem glatt die Kinnlade runter. Singt Lou Reed hier? Fast identisch von Intonation und Klangfarbe mit dem alten Meister klingt Gruben hier. Der Bass wummert sich in schönen Läufen durch den Song. Mit dem Bass beginnt Track Nummer drei. Als hartes, einzeln stehendes Intro gespielt, leitet sie eine Coverversion ein, bei der man vom Original nicht mehr viel ahnt. „Woodstock“ aus der Feder von Joni Mitchell. Zuerst ein chorartig angesetzter Gesang als kurzer Background. Der Track stampft in low speed in die Gehörgänge. Die Vocals sind angelegt, als wenn Nick Cave Punk machen würde und das Ganze auf halber Geschwindigkeit läuft. Zwischendrin spontane Einsätze einer harten Indie-Gitarre gemischt mit röchelnden Industriegeräuschen – sensationell anzuhören. Für mich weit besser als das Original … weil es eben komplett anders ist. „Vater“ ist ein langsamer Song und handelt vom verzweifelten Zwiegespräch zwischen einem Sohn und seinem Vater. Begleitet nur von einer einzelnen akustischen Gitarre. Wenn man Songs der deutschen Gothicband Janus (nicht die Progressivlinge Anfang der 70er) hört, kann man glatt vermuten, dass „Vater“ da eine gewisse Inspiration war. Die zweite Seite beginnt mit einem Intro, bei dem man vermuten könnte, dass die Krupps Industrial mit der Kirchenorgel spielen. Die sägende Gitarre setzt ein und der Lou Reed Klon Tobias Gruben singt sich durch die Strophen von „Killmetal“. Ich bin begeistert! Das folgende „Ruined Tune“ ist ganz im Stile der Einstürzenden Neubauten. Der Gesang ist teilweise flehend und verstört mit einem stampfenden, abgehackten Schaukel-Rhythmus. Der vorletzte Track „Party“ gibt wieder etwas Gas. Blecherner Beat mit sägender Gitarre schraubt sich durch den Song der manchmal an die alten Velvet Underground erinnert, womit wir wieder bei Lou Reed wären. Elektronisch düster beginnt das abschließende „Graben“. Ein knackiger Bass leitet ein stampfendes Lied ein, das an eine Mischung aus den Neubauten und den Krupps, gewürzt mit einer großen Prise Alien Sex Fiend erinnert. Die Vocals, teilweise heiser geschrieen, machen das Ganze richtig rund und bilden einen guten Abschluss einer richtig guten Platte.

Produziert wurde das Album von keinem geringeren als Frank Martin Strauß, besser bekannt als F.M. Einheit (übrigens der kleine Bruder von Schauspieler Ralf Richter). Einheit, der Tausendsassa des deutschen Indie-Rocks war Mitgründer der Gruppen Abwärts und Palais Schaumburg, sowie frühes und stilgebendes Mitglied der Einstürzenden Neubauten um Blixa Bargeld. Einheits Einfluss hört man auch ziemlich heraus, was die Qualität auf ein höheres Level hebt. Durch die Einheit/Neubauten Verbindung zu Die Erde konnte das Quartett unter anderem mit den Neubauten auf Tournee gehen. Das Label schob schon ein Jahr später die EP Leben den Lebenden mit der Nummer SF 103 nach. Innerhalb der Band gab es zahlreiche Querelen und daraus resultierende Umbesetzungen. Für Tobias Levin kam Markus Lipka zu Gitarrenehren, der bereits früher mit Petersen bei Blue Kremlin gespielt hatte. Den Stuhl hinter den Drums belegte Stefan Mahler, ehemals Drummer bei den Punkbands Slime, Angeschissen oder Torpedo Moskau. Die drei auf der Vinylausgabe enthaltenen Tracks „Leben den Lebenden“, „Eis“ und „Enough“ sind die letzten Studioveröffentlichungen der aktiven Band. Die CD-Ausgabe enthielt als Zuckerl den Bonus-Track „Maria durch den Dornwald ging“, ein altes deutsches Wallfahrts- und Adventslied. Durch die weiter vorhandenen Unstimmigkeiten und Streitereien innerhalb der Band lösten sich Die Erde 1990 auf. Kurz vorher hatten sie ein Konzert im Loft in Berlin mitgeschnitten, welches von What’s So Funny About abschließend als Liveplatte mit der Nummer SF 109 unter dem Titel Live. Berlin/Loft. veröffentlicht wurde. Für Gruben begann eine wirre und orientierungslose Zeit, die sich 1991 in der Gründung seines Projektes Heroina manifestierte. Bei Heroina wirkten neben Gruben noch Matthias Arfmann und Katrin Achinger, beides Gründungsmitglieder von den Kastrierten Philosophen, auch noch Günter Janssen (alias Gün Yan Sen) von Caligari, Rüdiger Klose (u.a. Philosophen und Mythen in Tüten), Christian Liebisch (Philosophen) sowie Chris Reed, Gründer von Red Lorry Yellow Lorry mit. In dieser für ihn konfusen Zeit kam Tobias Gruben auch mit der Droge Heroin in Kontakt und wurde danach süchtig. Die Heroina-CD beinhaltet schräge Coverversionen von R.E.M., Patti Smith, Prince, Stranglers, Edith Piaf und den Sex Pistols. 1994 gründete er zusammen mit Felix Huber die Formation Sol. Deren einzige Veröffentlichung ist die Single Hände, welche 1996 mit der Nummer BTT 041 auf Buback erschienen ist. Schon bald darauf änderte Gruben den Bandnamen in Erde II. Für 1997 war eigentlich eine größere Veröffentlichung auf What’s So Funny About geplant, aber das Schicksal meinte es anders mit Gruben. Am 2. Dezember 1996 erlag Tobias Gruben einer Heroin-Überdosis in Hamburg. Mit seinem Tod verlor die deutsche Indie-Rock Szene eine der markantesten Stimmen und eine schillernde Persönlichkeit.
Im Gedenken an Tobias Gruben veröffentlichten seine beiden Geschwister Imogen und Sebastian Gruben im Eigenverlag später noch fünf weitere CDs, die eine komplette Werkschau inklusive zahlreicher noch unveröffentlichter Stücke enthalten, die zuhause oder unplugged im Studio entstanden sind.

Originale Vinylpressungen von Die Erde sind heutzutage noch problemlos zu finden und kosten nicht viel. Zu wenige kennen die Band, im Radio werden sie (leider) nicht gespielt und auch in den einschlägigen Clubs hört man sie nicht zu oft.

Die Erde – Kch Kch Kch
1989 – What’s So Funny About – SF 94

Tracklisting:
A1 – Hassle
A2 – Hard Rain
A3 – Woodstock
A4 – Vater
B1 – Killmetal
B2 – Ruined Tune
B3 – Party
B4 – Graben

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