Steorrah – Nie gehört den Namen. Andere in der Metalwelt wahrscheinlich schon. Gab es doch die ungeheuerliche Story um die erfolgreiche Crowdfundingkampagne ihres zweiten Albums II – Thin White Paint, und den Skandal um die Insolvenz ihres Crowdfundingbetreibers Seilaband, der die Band sprichwörtlich im Regen stehen ließ. Da die Metalgemeinde aber unverbrüchlich zusammen hält, reagierte die weltweite Szene sowie die Wackenfoundation und halfen Steorrah immens. Die Band dankte es mit einer kurzen UK Tour und dem Livealbum Nocturnal Emission. Mir persönlich war bis dato der Name Steorrah nicht untergekommen und ich schob den Silberling in meinen CD-Player.
Bei den ersten Klängen des Openers „Silver Apples from the Moon“ dachte ich sofort an King Crimson. Verschwurbelte Gitarrenklänge, die sehr nach Robert Fripp klangen. Oha, das könnte gut werden … meinte ich, bis die growligen Death Metal Vocals aus den Boxen dröhnten. Death oder auch Blackmetal sind Musikstile, mit denen ich fast gar nichts anfangen kann. Ebenso wenn die Doublebassdrum zu oft durch den Raum galoppiert. Erstaunlich passten die Growls sehr gut zu den abstrakten, progressiven Gitarrenspuren. Nach gut zwei Minuten veränderte der Track komplett seine Struktur und eine ruhige Passage mit normaler Stimme erklang. Psychedelisch angehaucht schwebte der Song eine gute Minute dahin, ehe wieder das progressive Growl/Metal Gewitter erklang. Kopfschüttelnd meinerseits kam dann der zweite Song „Sea Foam Empyrean“ an die Reihe, welcher wieder mit den progressiven Gitarrenparts begann. Wieder die Growls und das Doublebassgedonner, das sich aber alles gut ineinanderfügte. Gut abwechslungsreich auch der Wechsel zwischen den verschiedenen Vocals. Nach etwa der Hälfte des Tracks wurde der Song ruhig und etwas psychedelisch, angehaucht von kräftigen Gitarrenklängen. Die letzte Minute erklangen klassische Klaviertöne, die eigentlich gar nicht zum Rest des Songs passten, aber trotzdem einen schönen Abschluss bildeten. Jazzig eingeleitet ging’s weiter mit „Saturnalia for Posterity“, das aber wieder abgelöst wurde von dem mittlerweile bekannten Gemisch aus Prog und Growls. Versetzte Beat Poetry bildete den Einstieg in „Wolves & Seagulls“. Teilweise jazzig swingend baut sich der Song auf, ehe im Mittelteil wieder die King Crimson ähnlichen Progstrukturen zutage kommen. Eine akustische Gitarre erklingt, auf der nur Leadspuren von der Elektrischen aufgesetzt sind. Und ein fast filigraner Gesang der wiederum an die ersten Scheiben des Robert Fripp Projektes erinnert. Wieder ein Break im Song und Hornklänge ertönen, die den Einstieg zu einem Part bilden, der an ein keltisches Weihnachtslied erinnert. Den Schluss des Songs bilden wieder die growligen Poetry-Vocals mit einem psychodelischen Klangteppich, der aber jetzt nur versetzt im Hintergrund steht.
Düster sphärisch mit Klangschalengeläute beginnt „Where my Vessel dwells“. Sitarklänge verleihen dem Ganzen eine fernöstliche Note, die manchmal an einen indischen Ashram erinnert, ehe mit dem Einsetzen der elektrischen Gitarre wieder Dampf im Kessel erzeugt wird. Ruhige wechseln mit harten Passagen ab, Gesang mit instrumentalen Teilen. Hier wird das volle Programm an experimenteller Progressivität geboten. Der Song mündet gegen Ende in einen sphärischen Teil, der von Growl-Poetry durchzogen ist. Pianokläge vertonen Bilder von Landschaften, die vor dem geistigen Auge vorüberziehen. Klassische Strukturen, die elegisch zum Träumen anregen. Wenn Klassikplatten so wären wie „Spheroid Nine“, ich würde zum Klassikfan werden. Traumhaft schöne Melodienbögen ziehen sich durch die gesamten dreieinhalb Minuten des Songs. Der namensgebende Titeltrack „The Altstadt Abyss“ beginnt mit Gitarre und Growls und poltert mit Vollgas gut sechs Minuten dahin. Rhythmus und Tempiwechsel machen den Song abwechslungsreich. Dann beginnt ein Teil, der von der akustischen Gitarre getragen wird und vom Gesang wieder sehr an die ruhigen Songs der alten King Crimson erinnert. Die groovende Basslinie und der sehr harmonische Chorusgesang tun ein Übriges dazu. Beim Einsetzen der elektrischen Gitarre und der Growls bleibt es zwar ruhig, aber treibend. Ein kurzer Solopart auf der E-Gitarre läutet den Abschluss einer genialen Scheibe ein.
Mein Fazit: Ich wusste bei den ersten kompletten Hördurchgängen nicht, ob ich das jetzt gut, seltsam oder verstörend finden sollte. Glasklar war aber sofort, dass die komplette CD The Altstadt Abyss äußerst genial war. Klanglich absolut erste Sahne, was hier geboten wird. Musikalisch ist es ein zweischneidiges Schwert. Wie passen die growligen Gesänge zu progressivem Metal? Klare Antwort: sehr gut. Als alter King Crimson Fan hab ich The Altstadt Abyss ins Herz geschlossen und der Silberling dreht seit Wochen in Dauerrotation im Player. Obwohl ich ja mit den Growls eigentlich nichts anfangen kann … hier passt es. Dem Bonner Vierer mit Andreas März (Vocals und Guitars), Nicolao Dos Santos (Electric Guitars und Backing Vocals), Raoul Zillani (Bass und Backing Vocals) und Christian Schmidt (Drums und Piano) ist hier ein experimentelles Meisterstück gelungen, das abseits der gewöhnlichen Pfade wandelt. Das Album wurde von Andreas März produziert, von Michael Haas (Big Easy Studio) gemischt und von Roman Beilharz (UVA Sonar) gemastert.
Ganz klar zurecht die Höchstnote.
5 / 5
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Steorrah – The Altstadt Abyss
Label: Fastball Music
VÖ – 16.11.2018
Tracklisting:
01 – The silver Apples of the Moon
02 – Sea Foam Empyrean
03 – Saturnalia for Posterity
04 – Wolves & Seagulls
05 – Where my Vessel dwells
06 – Spheroid Nine
07 – The Altstadt Abyss
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