Lea findet sich dick, unansehnlich und macht gefühlt wöchentlich eine andere sinnlose Diät durch. Kurz vor dem Abi setzt sie sich, wie bereits seit Jahren, mit ihrem alkoholkranken Vater auseinander und mit den spitzen und sehr verletzenden Bemerkungen der Klassenkameradinnen. Und da ist noch Ben, Sänger der Coverband „Joyning“ und absoluter Schwarm vieler Mädels – die so gar nicht verstehen können, warum der mit Jana überhaupt redet. Doch zwischen Ben und Lea ist alles ganz anders, ganz „special“.
Puh … Manchmal fragt man sich, wie ehrlich eine Rezension sein darf und wie nett sie sein muss – oder man rezensiert eben gar nicht. Ich hab das Buch gehasst, der Autorin hätte ich sehr gerne mal die Meinung gesagt, genauso wie „Ben“ oder besser Batomae. Und was bitteschön ist die zensierte Version, wenn das hier unzensiert ist? Irgendwann zwischen Wut, Enttäuschung, Unverständnis, müdem Lächeln und zig angefangenen Sätzen im Kopf, was ich alles in diese Rezension schreiben werde, wenn ich denn endlich durch bin mit dieser Lektüre, irgendwann kam ich dann dummerweise auf die Danksagungen und dann auf Batomae (von dem ich zuvor nur einmal etwas gehört hatte, keinen Song kenne und ehrlich, nach dem Buch auch nicht wirklich viel hören möchte) und dann auf die Facebookseite von Jana und … da grinst mir dann eine lebenslustige, schlanke Frau entgegen, die vorher in ihrem Buch, das ja noch gar nicht so alt ist, erzählen möchte, wie fett und unansehnlich sie sich findet. Soll ich lachen oder kotzen? Ein Weibsstück, das nicht Size Zero hat und auf 300 Seiten jammert, sie sei dick? Und ein Sänger, der als Vorlage für Ben herhält – und alles ist ja wohl nicht erfunden, eigentlich ist gar nichts fiktiv an dem Buch oder doch – und der dann so ein arrogantes Arschloch ist? Klar wird im Buch aufgegriffen, dass ihn niemand versteht und jeder für arrogant hält und nur Lea zu ihm durchdringen kann und nur sie als einziger Mensch auf der Welt ihn wirklich kennt und weiß, wie er ist und alle anderen Unrecht haben, wenn sie über ihn urteilen … baah, abgedroschener kann es nicht sein. Fanfiction pur, schöne pinke Mädchenträume, ganz viel Pathos. Man schleppt sich durch das Buch und würde vielleicht mitträumen, wenn, ja, wenn da nicht stehen würde, dass eben alles wahr ist und das Batomae Ben ist. Denn dadurch wird plötzlich alles ein bisschen anders und man muss hinterfragen: Was ist denn nun tatsächlich wahr und was ist hinzugedichtet oder gar weggelassen worden? Ben ist unsympathisch und das bleibt bis zur allerletzten Seite so und – sorry – dadurch ist es Batomae auch. Ein absolut untragbarer Kerl, der sich ein wenig selbst überschätzt, zwar supergerne Musik machen möchte, aber doch keine Ahnung hat und auch nicht mehr Zeit als nötig investieren möchte, gerne bekommt er alles vorgekaut und alle haben nach seiner Pfeife zu tanzen. Toll, dass es da eine Lea gibt, die sich ausnutzen lässt (wird im Buch auch thematisiert, doch Lea wiegelt alle Bedenken derer, die es gut mit ihr meinen, strikt ab) und einem Hobbymusiker unserer Zeit sagen muss, dass er seine Songs doch mal hochladen soll. Lachen, weinen, ungläubig dreinblicken, sich am Kopf kratzen – was soll man tun? Noch dazu ist es absolut unprofessionell und absolut dämlich, falsch und was weiß ich, was noch alles, eine einzige Person auf sage und schreibe jedem einzelnen Konzert so herauszuheben aus der Fangemeinde – genauso dämlich ist es im Übrigen, immer in der ersten Reihe zu stehen, noch dämlicher, wenn man sowieso engen Kontakt zum Objekt der Begierde hat.
Klar, da kann man mir jetzt Neid vorwerfen, was einige sicherlich tun, aber hier kommt meine Arroganz: Das hab wiederum ich nicht nötig. Ich hasse 1.-Reihe-Mädels, die danach ihre Listen füllen und Punkte vergeben. Wenn man engeren Kontakt zu entsprechenden Personen hat, weiß man das, hält sich zurück, sorgt im richtigen Moment für Stimmung und zieht keine Eifersuchtsnummer ab, wenn das Idol mal mit anderen Fans redet, lacht, Fotos macht – denn genau das ist der verdammte Job. Diese Mein-Star-gehört-mir-allein-1.-Reihe-Groupies können andere Fans ganz schön abschrecken und den Spaß an einer Band nehmen, das nur mal am Rande erwähnt. Damit sinken die Platten- und Ticketverkäufe.
Zurück zum Buch, die im Klappentext versprochene Ben-Maske fällt nicht, denn liest man das Buch, kann man die Warnungen und Sorgen der Freunde rund um Lea gut verstehen, der Musiker nutze sie nur aus. Aber dass er eine Maske trägt, das muss man einfach als gegeben hinnehmen, steckt das doch in den verknallt klingenden Zeilen, wenn Lea über ihn schwärmt und natürlich keinerlei Kritik, möge sie noch so berechtigt sein, an Ben zulässt.
Es mag alles der Wahrheit entsprechen oder der wilden Fantasie entsprungen sein, es ist mir egal, ganz ehrlich. Auf den ersten Seiten fand ich das Buch noch gut, je weiter ich las, desto schlechter wurde es.
Nun kommt das Aber, denn bis hierher mag man zweierlei denken: Das Buch ist Mist und ich bin ein eifersüchtiges Fangirlie, das einem anderen so eine Geschichte nicht gönnt. Beides falsch. Die Geschichte liest sich ganz gut und flüssig, was auch daran liegen mag, dass sich so manche Leserin sehr gut darin einfinden und alles nacherleben kann. Gefühle, Gedanken, Zweifel, diese kleine Schwärmerei und der Wunsch, nahe an seinem Idol zu sein. Das, was sonst in Fanfiction ausgelebt wird und weshalb diese auch so gut funktioniert, das geschieht genau hier – und ist so ziemlich 1:1 genau so passiert. Das macht die Story vor allem für ein Teenagerpublikum zu einem absoluten Lesespaß – doch auch etwas Ältere dürften teilweise ihre Freude daran haben und diesen Traum durchleben bei der Lektüre.
Sprachlich ist das Buch so lala. Strenge Lektoren würden sich da die Pulsadern aufschneiden und das Blut drüber ergießen, weil es holprig ist, nicht dieser glatte, flüssige Stil, diese wohlgeformten Sätze. Einige Passagen gibt es, die niemals Einzug in ein „gutes“ Buch erhalten würden, aber auch das kann eine Veröffentlichung gerade ausmachen und sie lesenswert werden lassen. Es ist eine wahre Geschichte, ob ganz oder nur teilweise, sei dahingestellt. Das ist aber auch gar nicht ganz so wichtig, denn es gibt immer für beide Seiten eine Privatsphäre, die man nicht breittreten muss, ja schon gar nicht darf.
Man muss beachten, dass Jana ihr Leben, ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Selbstzweifel und die Schmach, diese krassen Attacken auf sie und ihre Psyche offen und ohne großartige Zensur der Öffentlichkeit preisgibt – ein krasser Schritt, der höchsten Respekt verdient. Hier setzt wieder ein klein bisschen Kritik ein: Kommt es raus, was Jana macht, wer sie ist und welch großer Schritt dieses Buch ist, wenn man sich nicht weiter mit ihr und dem Danach beschäftigt, sie nicht googlet und nicht mal auf ihrem Blog vorbeischaut? Nicht ganz. Daraus resultiert auch das anfängliche Geschimpfe auf das Buch, weil es ja eigentlich um das Buch geht und nicht um das Drumherum. Dennoch blieb ein bisschen Recherche nicht aus und weil Janas Weg und Janas jetziges Tun sehr wichtig ist im Kampf gegen Mobbing, für Akzeptanz und als Mutmacher für alle, die nicht akzeptiert werden, wie sind, ist es zwingend notwendig das auch hier zu erwähnen. Die lebenslustige junge Frau, die zwar Gott sei Dank keine Size Zero trägt, aber auf den Fotos auf Facebook eine gute Figur abgibt, hat nämlich neben diesen Mobbingattaken, das sie durchleiden musste, auch einen Kampf gegen sich selbst ausgefochten – und gewonnen. Mit Ernährungsberatung, viel Mut, Durchhaltevermögen und einem Ziel vor Augen, hat Jana gelernt, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben – und ihr Gewicht halbiert. Den Weg stellt sich drastisch und ungeschminkt für die ganze Welt zur Schau. Man kann ihre Schritte, die mühsamen, die Tränen, die Verzweiflung und den Mut, die erreichten Etappenziele, die großen Erfolge auf ihrem Blog mitverfolgen. Zusammen mit ihrem besten Freund Batomae (zu dem gesagt sei: Den arroganten Touch verliert er, wenn man sich Interviews mit ihm über Janas Weg ansieht.) veranstaltet sie Lesekonzerte, sie geht in Schulen und macht Mut, klärt auf, unterstützt, erklärt und lacht – ganz viel, ganz sympathisch, mitten im Leben. Größten Respekt hat sie für die schonungslose Ehrlichkeit verdient, die auch Fotomaterial und Videos umfasst, die Jana unbekleidet zeigen und die Spuren der früheren Kilos ungeschönt in den Mittelpunkt stellen.
Was bleibt als Fazit? Ein nettes Buch mit vielen Schwächen und einer falschen Message – man muss auch immer bedenken: Was die Protagonistin subjektiv empfindet, muss objektiv nicht genauso empfunden werden und das Gewicht macht einen Menschen nicht aus. Dennoch lesenswert, wohl eher aber für jüngeres und fast ausschließlich weibliches Lesepublikum, das träumen und in eine Story versinken möchte. Sicherlich auch für manchen verbunden mit einem Wiedererkennungseffekt, schließlich sind der Psychofuck, also das Gedankenkarussell, sich selbst klein zu machen und wertlos darzustellen, genauso wie die Anfeindungen und das Mobbing von außen hinlänglich bekannt und werden Tag für Tag von Tausenden durchlitten. Crämer hat eine wichtige Botschaft gerade für die Teenies, die sich selbst finden und lernen müssen, dass Ich zu sein nichts mit dem Gewicht zu tun hat. Da aber nur das Buch bewertet wird, bleibt die Bewertung durchschnittlich.
3/5
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Jana Crämer – Das Mädchen aus der 1. Reihe: Unzensiert
hockebooks, 2019
280 Seiten
Taschenbuch: 12,99 €
Blog Jana Crämer: Endlich ich