Rammstein – Zehn lange Jahre mussten die Fans warten, bis endlich ein Lebenszeichen einer der kontroversesten deutschen Bands vernommen werden konnte. Zehn lange Jahre, bis nach Liebe ist für alle da wieder ein musikalisches Ausrufezeichen in die Läden wanderte, wenn man mal vom Klavier-Album und der Paris-Live-Box absieht. Als besondere Belohnung hängten Rammstein gleich noch eine Live-Tour ans Album dran. Nach Jahren voller (angeblicher) Querelen und Soloprojekten also wieder mal ein Wurf der kompletten Band.
Verpackt ist das Ganze in ein simples weißes Cover auf dem vorne nichts als ein Streichholz zu sehen ist und hinten die Tracklist des Albums, nicht mal ein Bandname ist zu lesen – den haben Rammstein auch gar nicht nötig. Elf neue Tracks sind auf ihrem siebten Studioalbum drauf, sowohl auf der Einfach-CD wie auch auf der Doppel-Vinylausgabe.
Los geht’s mit der ersten Singleauskopplung „Deutschland“, deren 17-sekündiger Videoschnipsel – OHNE – Ton sofort für weltweiten Aufschrei sorgte. Sah man doch die Rammsteiner in Häftlingskluft eines KZs unter dem Galgen stehen. Der weltweite Aufschrei war bekanntlich ja riesengroß. Aber welch ein Zurückrudern als man den kompletten Text zu hören und lesen bekam. Da war auf einmal nichts mehr mit Glorifizierung der alten Zeit – nein. Da war Zwiespältiges zu hören. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, sowohl die guten als auch die schlechten Ansichten. „…will dich lieben und verdammen“ oder „…meine Liebe kann ich dir nicht geben“. Musikalisch ist der Song nichts anderes als schlichtweg eine Hymne. Meine Fresse, ist das ein genialer Song! Der zweite Track, „Radio“ fängt Rammstein-typisch mit einem genialen Riff an. Textlich erzählt „Radio“ von den Schwierigkeiten in der damaligen DDR und der Sehnsucht nach der weiten Welt, welche nur durch Hören der verbotenen Sender funktionierte. So wurde Fernweh gestillt. Ein gut eingefügter Baustein sind kurzwellentypische Geräusche, die in den Sound integriert wurden. An Carl Orffs Carmina Burana denkt man bei den ersten Klängen von „Zeig dich“ unweigerlich. Kirchliche Klänge, die aber bald von den typischen Rammstein-Riffs begleitet und abgelöst werden. Ein vorwärts treibender Song mit kirchlichem Inhalt. Endlich mal wieder ein Synthie-Intro von Christian Lorenz, alias Flake, welches den treibenden Song „Ausländer“ einleitet. Textlich wird der Sextourismus abgehandelt. Die Bedeutung von „Sex“ ist offensichtlich. Überall zur Schau gestelltes Fleisch, das einem die Triebe hochkochen lässt. Verpackt ist das Ganze in einen dahinstampfenden Mid-Tempo Song in einem easy groovenden Boogierhythmus. Der Song entfaltet erst nach mehrmaligem Hören seine Klasse und schraubt sich in die Ohren.
„Puppe“ fängt verhangen an, nur mit leisen Gitarrentönen. Till Lindemanns Vocals klingen wie ein Märchenerzähler und handeln von den Gedanken eines verstörtes kleinen Kindes, dessen Schwester sich im Zimmer nebenan an Kunden verkauft. Beim Refrain kommen die Gitarren von Richard Z. Kruspe und Paul Landers mächtig wie ein Gewitter aus den Boxen. Langsam, aber ohne eine Ballade zu sein, zieht der Song dahin. Unterschwellig aber sehr genial. Einfache Drum-Schläge von Christoph „Doom“ Schneider erklingen mit simplen Gitarrenlicks in einem langsamen Tempo, und Tills Vocals in „Was ich liebe“ erzählen von der selbstauferlegten lieblosen Welt einer Person, welche nicht lieben kann oder will. „Was ich liebe … muss auch sterben … muss ich richten … wird verderben“. Kein Glück zu empfinden als Selbstkasteiung. Weiter geht’s mit der obligatorischen Ballade „Diamant“, welche von der Schönheit aber Lieblosigkeit einer Frau erzählt. Verstörend einfach, nur mit Bass und Synthieklängen, ohne Gitarren. Flake darf dann mal wieder ran und ein Keyboard-Intro abliefern. Gitarren ergänzen die Synthies und wiederum im Mid-Tempo gehalten treibt „Weit weg“ dahin und erzählt von einer unerfüllten Liebe. „Ganz nah … weit weg ….so nah … so weit weg von dir“. Fette Gitarren eröffnen „Tattoo“ und es wird mal wieder etwas an Geschwindigkeit zugelegt. Textlich erzählt uns schon der Songtitel vom Thema des Songs. Für den letzten Track „Hallomann“ darf Bassist Oliver Riedel seinen Viersaiter in einem knackigem Lauf erklingen lassen. Der Song baut langsam auf und erzählt vom „Hallomann“, der kleine Mädchen mit Sprüchen in sein Boot locken will.
Rammsteins selbstbetiteltes neues Album wird von vielen Fans ziemlich zwiespältig angesehen, hat es doch mehr langsamere Songs zu bieten als die früheren Alben. Es fehlen die vielen Vollgas-Kracher, die viele Fans gern von ihnen hören. Mir hingegen gefällt Rammstein sehr gut; im Gesamtkontext gesehen besser als einiges davor. Manche Songs entfalten erst nach mehrmaligem Hören ihre Klasse und teilweise auch ihre Wucht und Intensivität. Durch die etwas langsameren Songs kommen endlich mal die Klasse eines Oliver Riedel am Bass und Christoph „Doom“ Schneider an der Schießbude zum Tragen. Zu oft bleiben Bass und Schlagzeug unerwähnt und im Schatten von Vocals und fetten Gitarren. Die beiden bilden das Rückgrat der Songs, auf denen sich die Gitarren von Kruspe und Landers austoben können, manchmal mehr, manchmal weniger intensiv. Till Lindemanns Stimme thront und schwebt sowieso über allem. Sie klingt sehr oft nach einem Märchenonkel, der kleinen Kindern Geschichten vorliest. An den Reglern des Mischpultes saß erstmals Olsen Involtini aus Berlin. Die Doppel-Vinylausgabe enthält neben bedruckten Innenhüllen noch zusätzlich sechs Graphikprints der Bandmitglieder.
Alles in Allem wieder ein klasse Album von Rammstein, welches zumindest bei mir keine Wünsche mehr offen lässt.
5 / 5
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Rammstein – Rammstein
Universal Music, 2019
CD: 14,99 €
Vinyl: 27,99 €
Tracklisting:
01 – Deutschland
02 – Radio
03 – Zeig dich
04 – Ausländer
05 – Sex
06 – Puppe
07 – Was ich liebe
08 – Diamant
09 – Weit weg
10 – Tattoo
11 – Hallomann