Der Mario wieder – In schöner Regelmäßigkeit, genauer gesagt in Jahresfrist, bringt der Münchner Musiker Mario Knapp unter seinem Moniker Mobile Ethnic Minority seine Platten unter das Volk, die er zu Hause in Eigenregie aufgenommen und gemixt hat. Sein neuntes Album ist dieses mittlerweile, wenn man die Songs & Sonics CD mal nicht mit einberechnet, auf der Mario Knapp vereinzelte Songs aus diversen Filmmusiken und Projekten zusammengefasst hat. Cool Cool World ist das neueste Werk betitelt und beinhaltet wiederum zehn Songs, wie auch schon die letzten Veröffentlichungen. Das von der Münchner Künstlerin Sanela Vranjes geschaffene Coverartwork ist ein in schwarz/weiß/braun gehaltener Eyecatcher, der einem sofort angenehm auffällt.
Los geht’s mit dem Titeltrack des Albums, „Cool Cool World“, welcher mit Fetzen von Stimmen und Geräuschen beginnt , dann aber schon bald in einen seltsam knorrigen Rhythmus übergeht, der mich von der Gitarrenarbeit manchmal etwas an JJ Cale erinnert. Die Melodie treibt entspannt mit schönen Harmonien dahin. Zwischendrin sind immer wieder die Sprach- und Geräuschfetzen eingestreut. Das folgende „I like you (as a Friend)“ kommt in einer unterschwelligen, manchmal bedrohlichen Stimmung rüber. Bald aber baut sich ein Turm aus glasklaren Gitarrenklängen darüber auf und Mario Knapps leicht rauchige Stimme, die perfekt zum Arrangement passt, bestimmt den Song. Der Track ist nicht gerade, er eckt an, ist manchmal sperrig. Der Song bleibt sofort hängen im Ohr. Mit einfachen Gitarrenakkorden beginnt „Walk on Air“, bei dem man meint zu schweben inmitten der Gitarrenklänge. Lediglich die (manchmal) gedoppelte Stimme von Mario Knapp holt einen zurück auf die Erde. In „Marlene“ versucht Knapp die Angesprochene zu verstehen und zu beruhigen. Ein wunderbares, dahinperlendes Liebeslied. Mit schrägen Akkorden beginnt „In a Hotel Room“, reduziert und zurückhaltend. Lediglich die verzerrte Gitarre durchschneidet die Luft so glasklar wie ein Eiszapfen in eisiger, einsamer Winterlandschaft. Knapps Stimme klingt flehend durch die reduzierte Stimmung. Der Song hätte sofort auf Neil Youngs Dead Man Soundtrack seinen Platz gefunden. Spartanisch mit diversen Geräuschen und einem durchdringenden Tonsignal beginnt „It feels so good“ ehe Gitarrenklänge, die durch ein steinaltes Korg SDD 3000 Delay durchgeschleift wurden, eine seltsame Rhythmik erzeugen. Die Stimmung könnte man so deuten, als dass Mario Knapp an einem sonnigen Tag erwacht, in den Spiegel schaut und vor sich hin grummelt, dass sich alles gut anfühlt. Bluesige Strukturen klingen fast aus dem folgenden „You are my Churchbell“ durch. Lediglich klirrende Gitarrenlicks übermalen die bluesig wohlige Stimmung. Der Track ist wieder sehr reduziert und sehr Knapp-Style. Gedoppelte und getriplete Gitarrenlicks bilden den Grundstock zu „It just happened“. Die Stimme Mario Knapps verliert sich manchmal flehend im Gitarrengerüst mitsamt seinem eigenwilligen Groove. Wieder stark an Neil Young angelehnt klingt die Gitarre bei „On a Day like any other“. Als würde man ein Instrumentalstück von Young auf Halfspeed drehen und dann die glasklare und gleichzeitig rauchige Stimme von Mario oben drauf setzen. Als die ersten Textzeilen des letzten Tracks aus den Boxen klangen, noch bevor ich die Tracklist des neuen Albums hatte, musste ich verwundert staunen. „When a Spacecraft landing yesterday“ – das waren die Lyrics zu einem meiner Lieblingssongs von Mobile Ethnic Minority. Ursprünglich auf dem 2014er Album Soul beheimatet, hat Mario Knapp den Song „When the Aliens came“ auf links gedreht und von innen nach außen umgestülpt. Dadurch ist ein komplett eigener Song mit ganz anderer Stimmung als im Originalen entstanden. Wunderbare Harmonien bestimmen das Gerüst der Originalfassung auf Soul. Diese Harmonien sind hier auch vorhanden, werden aber immer wieder durchbrochen, klingen meistens ganz anders, sind manchmal durch Echoeffekte abgehackt und trotzdem im Fluss gehalten. Dem Originaltitel wurde ein „/Come with me“ angehängt. Aliens landen auf der Erde und verheißen den Erdlingen eine bessere Welt, wenn sie mitkommen und diesen Planeten verlassen würden. Als der Song schon am Ausperlen ist, zerschneidet eine rasiermesserscharfe Gitarrenlinie das Ganze in einer wunderschönen Melodie, die einfach nur unendlich so weitergehen könnte. Leider dauert diese nur einige Sekunden, ehe der Song dann endet. Wenn möglich bitte eine Maxiversion mit der maximalen Laufzeit eines Tonträgers daraus machen!
Nach dem letzten Album Ten Easy Pieces von 2018, welches mir persönlich nicht ganz so gefallen hat, hat uns Mario Knapp wieder ein Werk hingestellt, für das man lange nach etwas Vergleichbarem suchen muss. Komplett eigenständig klingen die Songs von Mobile Ethnic Minority. Musikalische Vorbilder wie Brian Eno, Daniel Lanois oder Nick Cave klingen manchmal durch, werden aber in seiner Knapp-eigenen Art nur gestriffen und komplett eigen interpretiert. Mario Knapp erbaut Soundlandschaften wie selten ein zweiter. Textlich von alltäglichen Dingen handelnd, aber musikalisch oft nicht von dieser Welt. Das ist wieder kein Album zum nebenbei Hören. Bei jedem Hördurchgang entdeckt man immer wieder aufs Neue verborgene Melodien und musikalische Winkelzüge, die so manchen Song jedesmal anders klingen und wirken lassen. Ein Mann, eine Gitarre und ein Korg SDD 3000 Delay, mehr braucht es anscheinend nicht. Als einzigen Kritikpunkt möchte ich anmerken, dass mir manchmal einiges an direkter Brutalität fehlt, an Härte wie es das tägliche Leben uns vorlebt. Vieles bleibt in liebliches Gewand gestrickt, was aber beileibe kein Fehler sein soll, sondern nur meine eigene Meinung. Soundtechnisch ist alles erste Sahne. Für das erstklassige Mastering sorgte wieder der altbekannte Tim Höfer, hauptberuflich Toningenieur beim Bayrischen Rundfunk. Für die erstklassige Vinylqualität ist die Firma Optimal Media verantwortlich.
4 / 5
—
Mobile Ethnic Minority – Cool Cool World
kidknapp, 2019
Distribution: Galileo Music / Soulfire Artists
Homepage: Mario Knapp/Mobile Ethnic Minority
Tracklist: Cool Cool World
01 – Cool cool World
02 – I like you (as a Friend)
03 – Walk on Air
04 – Marlene
05 – In a Hotel Room
06 – It feels so good
07 – You are my Churchbell
08 – It just happened
09 – On a Day like any other
10 – When the Aliens came / Come with me