CD: Böhse Onkelz – Böhse Onkelz


40 Jahre Böhse Onkelz, das muss gefeiert werden, natürlich auch mit einem neuen Album. Nachdem die Frankfurter eine bewegte Vergangenheit hinter sich haben, inklusive Trennung und dem ein oder anderen Skandal, lässt die neue Scheibe ruhigere, fast schon versöhnliche Klänge anschlagen. Aber beginnen wir von vorne.

Ben Becker, deutscher Schauspieler und für die Fans ein alter Bekannter, hat das Intro eingesprochen. Im Hintergrund baut sich langsam Musik auf, fast wie in einem Historienfilm, wenn der Held auftritt. Eigentlich nicht schlecht. Das bereits vor Veröffentlichung in aller Munde tanzende „Kuchen und Bier“ macht den Anfang – übrigens hatte sich Stephan Weidner für seine letztjährigen Geburtstagsglückwünsche auf Facebook mit den damals noch kryptischen Worten „Kuchen und Bier“ bedankt. Der Song ist ein kleiner Rückblick, nicht zu sehr ins Detail gehend, nicht zu viel verratend, aber durchaus das, was man in einer kurzen Rede zum Geburtstag sagen würde. Treffender könnte es auch nicht sein, wenn es heißt: „Gewitter im Kopf, Flammen im Herz, den Traum in der Tasche, das war ’80 im Herbst“. Passend. „Des Bruders Hüter“ beginnt mit einem sehr eingängigen Thema. Man hat die Melodie schnell im Ohr, nicht hart, nicht krachend, sehr melodiös. Das ist man definitiv nicht von den Onkelz gewöhnt. Der Gesang ist ruhig, der Text fällt ein bisschen in das alte Muster, der Aufruf, man selbst zu sein, die eigene Stärke zu finden und einen neuen Weg in ein anderes Leben zu beschreiten – der Song beschreibt Kevin perfekt! Außerdem wirkt er auch wie ein Aufruf an die alten Fans, die ja doch immer viel Kritik an ihren früheren Idolen üben und teilweise gar nicht so sehr sie selbst zu sein scheinen, vergessen, dass Zeit vergangen ist und übersehend, dass auch sie sich, genau wie die Onkelz, entwickelt und verändert haben.

Egal, an wen man denkt, wenn man „Ein Hoch auf die Toten“ hört, der Song kann wirklich ganz viel. Er berührt, lässt einen aufstehen vor den Verstorbenen und ihnen Respekt erweisen. Gleichzeitig macht er alle Menschen gleich, nimmt Hochmut, Stolz, Arroganz und falschen Reichtum weg. Hier schlägt die philosophische Keule zu. Fast schon möchte man einen Zyklus erkennen, auf jeden Fall ist es aber eine Rückbesinnung auf „Nur die Besten sterben jung“ – und vielleicht alle treuen Weggefährten, die das Quartett in den vergangenen 40 Jahren verloren hat. Tolle Nummer mit viel Tiefe und Emotion, aber weg von ehemaliger Depression.

Beim folgenden „Prawda“ hilft es, wenn man weiß, dass dies die polnische Vokabel für „Wahrheit“ ist. Die Lyrics drehen sich auch um die Wahrheit, daher sollte die Verbindung im Nachhinein nicht allzu schwer fallen. Ein bisschen haut Weidner dem Hörer damit wieder in die Fresse, so wie früher. „Finde die Wahrheit“ ist erwachsen geworden – und die Fans sollen nicht aufhören, zu hinterfragen und sich vor allem auch selbst eine Meinung zu bilden, fernab von wem, was allgemein als wahr bezeichnet wird.

Klasse Intro, könnte auch in einem Jazzclub gespielt werden, als Loungemusik, was auch immer. „Saufen ist wie Weinen“ beginnt mit diesen gezielten, ruhigen Klängen, die einen wirklich an Rotweinabende vor dem Kamin denken lassen, versunken in Gedanken und Emotionen.

40 Jahre, darauf weist auch „Wie aus der Sage“ hin. In die Fresse kriegen, hinfallen, sich doch wieder aufraffen und aufstehen. So kann man einen guten Teil der Bandgeschichte ebenfalls beschreiben. Vor allem zu Kevin scheint das Stück sehr gut zu passen, es ist ein bisschen der Soundtrack seines Lebens, das Titellied zum Biopic über Kevin Russell.

„Du hasst mich! Ich mag das“. Kann man eigentlich auch so stehen lassen. Hier geht es erstmalig ein bisschen schneller zu, der Song könnte sehr gut zur Viva Los Tioz passen, geht mit dem Stil der alten Scheibe Hand in Hand. Verwurstet wurde hier auch das typische Hard’n’Heavy-Headbanger Riff.

„Rennt!“, „Wer schön sein will, muss lachen“, „Der Hund, den keiner will“ … Was machen die Onkelz hier? Ruhige Songs, tiefgründige Texte, aus denen man einen Ratgeber schreiben könnte und so viel Lebenshilfe, dass auch der letzte Fan von damals nun wirklich alles an der Hand hat, um ein gutes, glückliches Leben zu führen.  Ruhige Musik, stark loungige Klänge, keine dreckigen Gitarren mehr und der Bass hängt auch nicht mehr unter den Eiern. Im Casual Business Look könnte das Quartett auf der Bühne stehen und die Fans sähen ganz anders aus, als sie das bisher getan haben. Es sind die gleichen, nur sind sie auch erwachsen geworden, ein bisschen gesunde Spießigkeit mit sich tragend, im Herzen Rebellen, im Hirn aufgeklärte Menschen.

Und nun Taschentücher raus, Anlage aufdrehen, es geht noch einmal um den Dreck, den sie gefressen haben, um ihren langen, bitteren Weg, die Träume, den Hass, den Kampf gegen sich und alle anderen. „Die Erinnerung tanzt in meinem Kopf“ und die Augen dürften nicht trocken bleiben. Raus mit den Feuerzeugen, schunkeln und sich in den Armen liegen. Die Onkelz sagen Servus!

40 Jahre Böhse Onkelz, Dreck, Hass, Politik, Kampf, Philosophie, Emotion und Lebenshilfe. Die Onkelz scheinen mit dem aktuellen Album das Ende einer Ära einzuläuten. Adressiert an die Weggefährten, die alten Fans, die in Bier gebadet hatten und laut grölend ihr Leben aufgebaut haben, sollten gelernt haben, zu leben und auf eigenen Beinen zu stehen. Noch einmal gibt es die Ratschläge versteckt in den Lyrics, die zu einem guten, zufriedenen, aufgeklärten Leben beitragen sollen. Dabei machen die Frankfurter noch mal deutlich, worauf es ankommt, erinnern an alte Zeiten und sagen vor allem: Klar ist unsere Musik da, wenn es euch schlecht geht, ihr findet euch darin wieder und es war eine geile Zeit, aber ihr müsst alleine durch dieses Leben, jeder ist eigenverantwortlich und das müsst ihr nun endlich kapiert haben. 

Das Album ist ruhig, keine Politik, kein Hass, keine schnellen Nummern, die zum Pogen einladen. Das sind nicht die Onkelz aus dem 1980ern, möchten einige rufen, und sie haben auf eine gewisse Weise recht. Es sind nicht die Onkelz aus den 1980ern, sondern das erwachsene Pendant der damaligen Punks. Mit dem Album sprechen sie ein komplett anderes Publikum an, das bisher mit der Härte des Hartrocks gar nichts anfangen könnte. Die Onkelz sind durch dieses Album salonfähig  – ohne sich dabei selbst verraten zu haben. Böhse Onkelz, die Feier des 40-jährigen Jubiläums und die Tour könnten der perfekte Abschluss einer großartigen Karriere sein, ein Beispiel für Ehrgeiz und dafür, was man alles erreichen kann, wenn man an sich glaubt und hart dafür arbeitet. Aus den wilden Jungs sind mündige Männer geworden, deren Musik auch lange nach ihnen bestehen bleiben wird und die eine Generation geprägt haben, die mit ihnen erwachsen geworden ist. 

5/5

Böhse Onkelz – Böhse Onkelz
Matapaloz, 2020
CD: 18,99 €

Tracklist:
Prolog
Kuchen und Bier
Des Bruders Hüter
Ein Hoch auf die Toten
Prawda
Saufen ist wie Weinen
Wie aus der Sage
Du hasst mich! Ich mag das!
Rennt!
Wer schön sein will, muss lachen
Der Hund, den keiner will
Flügel für Dich
Die Erinnerung tanzt in meinem Kopf

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