Im Juni 2020 stellte Nadine Shah ihr bereits viertes Studioalbum vor. Die britische Singer-Songwriterin hat norwegische und pakistanische Wurzeln und bietet nicht zuletzt deswegen interessante, kulturell vermischte Ansichten, die auch in ihren Songs verarbeitet werden. Zudem hat die Mittdreißigerin Partei für Frauen und gegen Männer ergriffen. Mit dem neuen Album Kitchen Sink möchte sie Geschlechtsgenossinnen Mut machen, sich nicht mehr alten Rollenbildern zu unterwerfen, sondern das Leben selbst zu gestalten. Weg von Heirat, Kinder kriegen und Hausmütterchen Dasein – hin zu der emanzipierten Traum- und Lebenserfüllung. Macht sie das gut?
Shah selbst gibt an, dass sie für dieses Album mit zahlreichen Freunden gesprochen habe und diese ihr bestätigt haben, welche Ängste sie selbst schürt. Ein verstaubtes und längst nicht mehr allgemein vermitteltes und praktiziertes Frauenbild wird erst gemalt und dann mit den Songs gnadenlos kritisiert, belächelt und zerstört. Ehe, Kinder, Hausfrau, das ist alles alt, schlecht und von Männern vorgegeben, die nicht verstanden haben, dass ihre Zeit vorbei ist. Das Album und somit die Songs sind ein Emanzenmanifest fernab jeglicher Selbstbestimmung. Genau das ist der springende Punkt: In unserer westlichen Kultur kann eine Frau in den allermeisten Fällen sehr wohl aus diesem alten Rollenbild ausbrechen und ihr eigenes Leben gestalten, sie muss es nur wollen. Und in Ländern, in denen das nicht möglich ist, wird kaum derartige Musik gehört werden, teilweise nicht einmal erlaubt sein – und ein derartiges Album nicht mal im Ansatz irgend etwas ändern oder gar keine Bedeutung haben. Bequem für eine naive, fast schon dümmliche Frauenwelt ist natürlich, einen Schuldigen für die eigene Stagnation gefunden zu haben und diesen stets an den Pranger zu stellen: die Männerwelt. Neben all der Kritik darf nämlich bitte auch nicht vergessen werden, wie wohl sich manche Weibchen als „Trophy Wife“ fühlen und genau diese Position auch suchen.
Wer immer nach Sexismus schreit und sucht, der ist nicht in der realen Welt angekommen. Eine Debatte darüber war sicherlich notwendig und stellenweise überfällig, das Ausmaß und die Absurdität jedoch vollkommen realitätsfern und überzogen. Man kann Männer nicht pauschal unter Generalverdacht stellen, sie beschuldigen und verantwortlich machen, wenn man im eigenen Leben nicht das bekommt, was man will – oder gerade durch sexuelle Anzüglichkeit nachdrücklich dafür gesorgt hat, sein Ziel zu erreichen. Sich darüber dann zu beschweren ist unter Kindergartenniveau.
Das Album bietet musikalisch weder Überraschungen noch ein Highlight. Hochgejubelt in der Presse muss man hinterfragen, wie sehr diese Statements die eigene Meinung widerspiegeln oder sich etwas anschließen, das gerade erwartet wird. Man müsste auch einmal recherchieren, ob Männer oder Frauen diese Rezensionen verfasst haben. Gerne wird die Scheibe als groovy bezeichnet und es sind durchaus zahlreiche gute Elemente vorhanden, die einen auch mitschwingen lassen und ansprechen. Etwas langsam, etwas trist, es bleibt nichts hängen, wenn ein Song verklungen ist. Abwechslung in den Melodien und Tempi ist aber vorhanden, prägnant die Stimme Shahs, die mir manchmal etwas zu überzogen eingesetzt erscheint, aber eine tolle Klangfarbe hat mit großem Wiedererkennungswert.
Kitchen Sink gewinnt brutal durch die politisch und gesellschaftskritisch geprägte Botschaft. Musikalisch würde es hinten runterfallen, auch wenn die Sängerin stimmlich brilliert. Das Album ist für Männer, die niedergemacht werden wollen und Frauen, die noch nicht verstanden haben, dass sie selbst für ihr Leben verantwortlich sind und nicht Marionetten der Männerwelt, der sie sich nur zu gerne hingeben und die Vorteile schamlos ausnutzen, um sich später zu beschweren. Würde das Album von den Hörerinnen kritisch betrachtet werden, könnte es die Höchstpunktzahl erreichen, da es zum Nachdenken und Hinterfragen einlädt. Da der allgemeine Tenor aber eher ein stupides Manifest gegen pauschal alle Männer ist, was ich brandgefährlich und schlichtweg falsch finde, müssen Abstriche gemacht werden. Kitchen Sink ist eher für ruhige Nachmittage, an denen man sich die Zeit nimmt, die Texte durchzulesen, diese, sich selbst und das eigene Leben zu hinterfragen und vielleicht sogar dadurch den Mut fasst, aufzustehen und aus dem selbst gewählten Hamsterrad bewusst auszubrechen.
3/5
—
Nadine Shah – Kitchen Sink
Infectious Music, 2020
CD: 14,61 €
Vinyl: 23,06 €
Tracklist:
1. Club Cougar
2. Ladies For Babies (Goats For Love)
3. Buckfast
4. Dillydally
5. Trad
6. Kitchen Sink
7. Kite
8. Ukrainian Wine
9. Wasps Nest
10. Walk
11. Prayer Mat