Erinnert ihr euch noch an die Punk-CDs aus den 1990ern? Wilde, sehnsüchtige Texte, die man schnell drauf hatte und einfach vom Leben erzählten, der Politik, den Missständen, den Wünschen – und natürlich von der Liebe. War das nicht irgendwie auch eine schöne Zeit?
Vom Bodensee stammt der Interpret der Scheibe, die ein bisschen in diese Zeit zurückfliegt. Billy Barfly nennt er sich und legt mit Horror Stories sein neues Album vor. Dabei handelt es sich um die vierte Scheibe und bereits den zweiten veröffentlichten Longplayer 2020 – denn wie nutzt ein Musiker Lockdown und fehlende Liveevents am besten? Genau, er zimmert ein neues Album zusammen und feilt am Layout.
Mit Horror Stories flatterte uns ein Minialbum in die Redaktion. Gerade einmal sieben Songs haben es auf die Platte geschafft, deren Cover mühevoll selbst gestaltet wurde. Damit wird an das Artwork der bisherigen Singles und Alben angeknüpft, die ebenfalls alle handgezeichnet wurden und wieder einen Kreis zu den Punktapes aus den 1980ern und 1990ern schließen. Ein bisschen ist man WIZO erinnert, die mittlerweile gealterten Punks, die auch musikalische ihre Spuren hinterlassen zu haben scheinen. Ein großer Vampir ziert das Cover, der erste Song erzählt „Das Handwerk vom Blut“. Der Stil erinnert klar an WIZO oder But Alive und katapultiert mich 25 Jahre zurück in meine Punkzeit, spricht mich sofort an und reißt mit. Da fehlt jetzt auch nur noch dieser dunkle Club, durch den man wild rumfuchtelnd tanzt – gerne auch mit dem Ghettoblaster auf einer Bank im Park sitzend und pikierte Blicke der Angepassten auf sich ziehend, also von denen, zu denen man dann eben doch wurde. Beim ersten Hören hab ich gar nicht so stark auf den Text geachtet und die paar Fetzen, die ich immer wieder aufgeschnappt habe, ließen mich sofort an einen Metzger denken. Besungenes Handwerk, das mag zum Sänger passen, der selbst aus der handwerklichen Richtung kommt. Ich finde den Song klasse, warne aber davor: Ich hab die CD seit 20 Minuten in der Anlage und höre ihn nun schon zum fünften Mal. Die Nummer hat ein schreckliches Ohrwurmpotential, den Refrain hat man ohnehin sofort drinnen – und eine Botschaft gibt’s auch. Klasse Einstieg, haut rein, zieht mit, spricht an – davon kann sich so manche Band eine dicke Scheibe abschneiden.
Aber hören wir doch mal weiter. „Staub und Knochen“ klingt nach der obligatorischen Liebeskummernummer. Gleich in den ersten zehn Sekunden wackelt die Stimme ein bisschen. Stört überhaupt nicht! Zum einen passt es zum Song und vermittelt ein bisschen Gefühl, zum anderen macht gerade dieses Unperfekte den Stil aus. Mittendrin verbirgt sich auch ein schöner rein instrumentaler Teil, bevor die Stimmung des Songs kippt, wie man das auch gar nicht so selten von dieser Art kennt. Plötzlich wird aus dem Liebeskummer eine bedrohliche Stalkersituation. Gut umgesetzt, die Darstellung des leicht psychopathischen Lovers.
„Zombiewelt“ nimmt ein bisschen mehr Fahrt auf. Das glatte Gitarrenintro könnte man auch in einer anderen Stilrichtung vermuten. Mir gefällt der Bass während des Songs richtig gut. Hier hört man eine Sängerin, die eine Zombiewelt besingt – und damit auch ein bisschen das Jahr 2020. Jedoch geht es wirklich weiter in die Endzeitstimmung nach der Zombieapokalypse.
Schließlich wird es ein bisschen ärztlich. „Ich liebe ein Mädchen“ könnte sehr gut von der Ab 18 oder Im Schatten von Die Ärzte stammen, erinnert zwischendurch auch ganz stark an den einen oder anderen Ärzte-Song. Das ist nicht schlecht, tritt in große Fußstapfen, kann aber Schritt halten mit den Berlinern aus den 1980er Jahren.
Wieder hat die Sängerin ihren Auftritt. „Vampir“ nimmt wieder an Fahrt auf, ist schneller, einer dieser Songs, bei denen man verrückt rumpogen mag.
Bedrohlich wird es mit „Explosion der Gewalt“. Die Musik wird dunkel, lauernd, gibt einen Rhythmus vor, der vorantreibt. Das schlägt nach ca. 46 Sekunden, dann kommt das typische Punkige, das an „Kopfüber in die Hölle“ oder „BGS“ erinnert, oder von der Botschaft her auch sehr an „Kein Gerede“. Eine ganz typische Punknummer mit viel musikalischem Fingerspitzengefühl, da lohnt es sich auch mal, den Text auszublenden.
Den Abschluss bildet „Graveyard Boogie“. Wieder ein bisschen düster. Themen sind Liebe und Nekrophilie. Das ist nichts Neues, aber schön umgesetzt.
Sieben Songs und ich bin ehrlich begeistert. Wer auf Punk steht, sollte unbedingt mal nach Billy Barfly suchen, der auch einen gut gefüllten YouTube-Kanal hat. Der Künstler hat durchaus was zu sagen, macht aber aus der neuen Scheibe kein politisches Manifest, sondern entführt ein bisschen in den Punk aus den 1980er und 1990er Jahren. Für mich wäre das ein perfekter Anheizer vor einem Ärzte-Konzert, daher gibt es auch die volle Punktzahl.
5/5
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Billy Barfly – Horror Stories
https://billy-barfly.jimdosite.com/
Tracklist:
Das Handwerk vom Blut
Staub und Knochen
Zombiewelt
ich liebe ein Mädchen
Vampir
Explosion der Gewalt
Graveyard Boogie