CD – A POET’S DRUM – Grace


Eine Rezension der etwas anderen Art. Tja, was aber ist jetzt so anders als bei den üblichen Reviews? Fast alle rezensierten Tonträger oder Bücher können im Falle geweckten Interesses käuflich erworben werden. Bei dieser CD geht’s nicht ganz so leicht wenn man an Shops denkt.

Die Geschichte beginnt in meinem Stammplattenladen in München, als mir ein Bekannter, den ich die letzten Jahre als Käufer im Laden kennen und schätzen gelernt hatte, eine CD in die Hand drückt mit dem Hinweis, sie mir doch mal anzuhören. „Das ist meine Band und ich sing da drauf“. Aha – mehr kam erstmal nicht, aber auf meine Nachfrage hin,rückte er mit der Geschichte an.

Die beiden Brüder Marko und Nikola Pejakovic gründeten zusammen mit ihren Freunden Peter Kopf und Axel Schramm in Unterschleißheim bei München in den 90er Jahren eine Band namens A Poet’s Drum. Sparte Rock war angesagt und es folgten auch bald einige Auftritte. 1997 presste man eine CD, Grace, in Eigenregie in einer Auflage von 1.500 Stück, die sich auf den Auftritten auch gut verkaufte. Man konnte sogar einen Plattenvertrag an Land ziehen und eigentlich standen alle Zeichen auf Vollgas, als einer der Freunde für sich entschied, den ganzen Stress nicht mehr mitmachen zu wollen. Daraufhin löste sich die Band trotz des Angebotes eines Plattenvertrages einfach auf.

Ich selbst hatte bis vor Kurzem weder von einer Band namens A Poet’s Drum gehört, noch jemals eine der CDs gesehen. Große Erwartungen hatte ich gar nicht, hatte ich doch schon unzählige selbstgemachte CDs von zig Musikern in die Hand gedrückt bekommen. Ab ins Auto und den Silberling in den Player geschmissen. Die CD-Hülle war schon mal ansprechend, kein Plastik, sondern ein Dreifach-Digipack ohne Tray, dafür mit zwei Innen-Einschüben rechts und links für CD und Booklet. Schon bei den ersten Tönen fiel mir die äußerst glasklare Produktion auf. Das hatte rein gar nichts von einer selbst produzierten Scheibe. Der Sound war hörbar aus den Neunzigern. Angesiedelt auf einer Schiene mit zum Beispiel Fury in the Slaughterhouse oder Brings (ohne deren Heavy Anteil), ein guter Schuss Folk, ein dezenter Countrytouch und auch etwas Loungeiges. Beim ersten Hördurchgang blieb relativ wenig hängen. Kein erkennbarer „Hit“ drauf, keine Hookline, die sich sofort im Gehörgang festkrallt. Schon beim zweiten und dritten Mal Hören fiel mir immer wieder die sehr gute Produktionsarbeit auf und auch viele kleine Parts bei der Instrumentierung der einzelnen Songs. Speziell beim Song Nummer 4. „’39 (Fallin‘ in Love)“ ein Bordun-Ton, bei dem sich bei mir die Haare aufstellten. Ich liebe solche Klänge, speziell vom Dudelsack oder der Drehleier. Der Text handelt von den ersten Tagen des zweiten Weltkrieges und der kleinen Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mädchen und einem jungen Soldaten, bevor er an die Front muss. Ich hatte meinen persönlichen Hit gefunden. Nach und nach fand ich großen Gefallen an den restlichen Songs, sogar an „Mighty Lemon’s Late Night Show“, welches mir anfangs zu sehr nach Lounge-Jazz dahin groovte.

Los geht’s aber mit „Hoist the Sails“ und der etwas verzerrten Stimme von Marko Pejakovic, wie durch ein Megaphon, während eine klare Gitarre eine Melodie im Stile von U2’s The Edge dahinperlen lässt. Schon nach kurzer Zeit kommt die normale Stimme von Marko zum Vorschein und ein fettes Riff läutet den Refrain ein. Man wird unweigerlich zum Kopfschütteln animiert. Härtere Parts wechseln sich in den Strophen mit leiseren Tönen ab. Schneller wird’s bei „The Ghost of Tom Sawyer“, das textlich am Mississippi angesiedelt ist. Eine groovende Gitarre mit Mundharmonika garniert. Ein toller Aspekt ist der Klang des Akkordeons, das heutzutage fast nirgends mehr zu hören ist. Ein langsames, spärliches Riff auf der elektrischen Gitarre, etwas dumpf, zusammen mit der etwas rauchigen Stimme von Marko und „Fall down“ baut sich langsam auf. Der Song hat Tiefe und gewinnt mit jedem Mal Hören dazu. Und wieder die Akkordeonmelodie, die oben drüber schwebt. Als nächstes mein persönlicher Hit, „’39 (Fallin‘ in Love)“. Der Song ist einfach nur traumhaft schön. Wenn der Song in den Siebzigern auf einem Album von Eddie & Finbar Fury drauf gewesen wäre … ich hätte mir das Album wegen dieses Songs gekauft. Nach dem leicht schnelleren „Coming home“ beginnt das folgende „The last Day of Summer“ wieder mit der leicht verzerrten Gitarre in zurückgenommenem Tempo. Erinnert mich wieder an The Edge und U2. „The Traveller“ ist Musik zum Autofahren. Alle Fenster auf und ab auf die Landstraße. Hier fallen einem zuerst das Zusammenspiel von Grundinstrumentierung und der darüber gelagerten spanischen Gitarre auf, welche sich wunderbar in melodischen Kapriolen austoben kann. Über wen es sich bei „The Story of Wayne“ handelt, erkennt der Cineast sofort bei den ersten Textzeilen. „John, dear John, you ride on the Cactus-Trail on your Way to Tombstone“. Der Schauspieler John Wayne in einem seiner Westernfilme ist der Protagonist. Hier fällt einem die verzerrte Gitarre auf, die dem Ganzen einen etwas bedrohlichen Touch gibt. Wunderbar als Hintergrund wieder das Akkordeon. Etwas grooviges Easy Listening zu Anfang leitet die erste Strophe zu „My Country“ ein, ehe sich der Track zu einem Americana-Track wandelt. Wieder die zurückgenommenen Strophen mit dem fetteren Refrain. Groovig Jazzig beginnt „Mighty Lemon’s Late Night Show“. Erinnert mich etwas an Fury in the Slaughterhouse und ihrer weichgespülten neueingespielten Version von „Radio Orchid„. Der einzige Track, der in meiner Gunst etwas abfällt, nicht weil er schlecht wäre, sondern weil ich jazzigem Lounge-Sound wenig abgewinnen kann. Glasklare Gitarrenarbeit eröffnet „Time“, wieder ein Song für einsame Landstraßen. Den Schlusspunkt bildet „Family Religion“, in welchem das Akkordeon fast chansonhafte Klänge bildet, die auch in irischen Folksongs so vorkommen. Man kann sich bildlich einen Pub an einem Kanal in Dublin vorstellen, in der ein einsamer Musiker in der Ecke diesen Song spielt und die Pubbesucher mitsingen und dazu schunkeln. Eine irische Tin Whistle tut ein Übriges dazu.

Jetzt, nach drei Wochen Dauerschleife im CD-Player im Auto,ist Grace für mich meine aktuelle Lieblingsscheibe. Immer und immer wieder fällt mir die super Arbeit des Produzenten auf. Jedes Instrument ist verortbar, steht klar im Raum. Kompliment an Tonmeister und Mitstreiter Yogi Lang, der sein Handwerk im TTM Tonstudio perfekt darzustellen wusste. Ebenso ein mega Kompliment an das Songwriting. Die meisten Lieder stammen aus der Feder von Leadsänger Marko Pejakovic. Sehr starke Leistung Marko! Falls du das hier jemals lesen solltest – hätte ich nicht so von dir erwartet. Ganz großes Kino, was ihr 1998 abgeliefert habt. Wo wärt ihr, wenn ihr euch nicht aufgelöst hättet? Den Vergleich mit den Großen der Branche hättet ihr wahrlich nicht zu scheuen brauchen. Grace ist mindestens ebenbürtig mit so mancher Scheibe, die im Radio gelaufen ist oder in den Charts war. Für mich persönlich eine der Entdeckungen der letzten Jahre an aktuellem Sound, der zurecht die Höchstnote 5 / 5 verdient.

Wie heißt ein Film mit Jack Nicholson und Morgan Freeman? „Das Beste kommt zum Schluss“ – und das Beste kommt auch hier. Laut Auskunft von Marko haben sich A Poet’s Drum nach über 20 Jahren wiedervereinigt und planen eine neue Veröffentlichung für dieses Jahr – auch auf Vinyl. Hoffen wir mal, dass dann auch Grace auf schwarzer Scheibe neu aufgelegt wird. Dieses Kleinod sollte man den vielen Leuten, die auf guten Sound stehen, nicht vorenthalten. Bis dahin wünsche ich dem interessierten Leser viel Glück bei der Suche nach einem Exemplar von Grace auf CD.

NACHTRAG: Laut Marko hat er noch einige CDs daheim. Interessierte bitte direkt an folgende Mailadresse schreiben: markoboba@gmx.de

A Poet’s Drum – Grace – 1998 – CD

01 – Hoist the Sails
02 – The Ghost of Tom Sawyer
03 – Fall down
04 – ’39 (Fallin‘ in Love)
05 – Coming home
06 – The last Day of Summer
07 – The Traveller
08 – The Story of Wayne
09 – My Country
10 – Mighty Lemon’s Late Night Show
11 – Time
12 – Family Religion

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