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Wrestling ist eine der beliebtesten Sportarten in Puerto Rico und das professionelle Wrestling gilt als die höchste Einnahmequelle in der Sportunterhaltungsindustrie der karibischen Insel. Dabei geht es nicht um die namhaften Wrestler:innen, die den Sprung in die WWE oder AEW geschafft haben, sondern gerade um diejenigen, die auf der Insel geblieben oder dorthin zurückgekehrt sind. Aufgrund des politischen Sonderstatus gibt es eine enge Verbindung zum amerikanischen Festland, was sich auch im eigenen Wrestlingstil zeigt. Wer puertoricanische Wrestler sieht, erkennt sie normalerweise recht schnell an ihrer Art zu kämpfen. So sind die Boricua die Begründer des Hardcore-Wrestlings und haben die Death Matches erfunden, die vor allem in Japan sehr beliebt sind. Gilberto „Gypsy Joe“ Meléndez war der erste, der vom Dach eines Stahlkäfigs auf einen Gegner sprang – berühmter wurden jedoch gleiche Sprünge von Shane McMahon und anderen WWE-Superstars. Carlos Colón, um den man nicht herumkommt, wenn man sich mit Wrestling beschäftigt, war allerdings derjenige, der den puertoricanischen Stil am meisten prägte. Ursprünglich dem mexikanischen Stil zugetan, kombinierte er damit schließlich traditionelle amerikanische und kanadische Kampfansätze, vor allem das Harte, Aggressive wurde übernommen, das auf schwere Treffer abzielt. Damals wurden gerne noch weitere Gimmicks wie Klingen verwendet, das hat man in den 2000er Jahren schließlich unterbunden – wenngleich man auch heute noch den Einsatz von Schlagringen oder Gürteln und ähnlichem nicht verachtet. Mit diesem Wissen verwundert es nicht, wenn man bei aktuelleren Wrestlingevents des Inselstaates das Publikum mit Gürteln in der Hand sieht, die den Kontrahenten dargeboten werden, manchmal werden sie genommen, oftmals jedoch ignoriert oder gar deutlich abgelehnt. Den sehr eigenen Stil kann man jedoch bei den meisten Boricua erkennen, egal wo sie kämpfen. Zu Beginn der WWE-Karriere zeigte Damian Priest noch starke Ansätze, diese wurden jedoch ziemlich verwaschen, böse Zungen behaupten, er musste zurückrudern und sich an den zumeist weichgespülten WWE-Stil anpassen. Einige Moves gründen aber vermutlich eher auf den Kampfsporthintergrund. Neben dem Kampfstil hat das puertoricanische Wrestling lange auch eine ganz eigene Storylineschreibung gehabt, die vor allem auf dem Element des fremden Heels gegründet war. Das gab in den Anfängen die Möglichkeit außerhalb der eigentlichen Promotionen namhafte Wrestler für einzelne Matches oder Storylines nach Puerto Rico zu holen und wenn nötig auch Titelgürtel zu vergeben. Schöner Nebeneffekt: Noch eher unbekannte Wrestler konnten so ihre Karrieren vorantreiben. Eines der jüngeren Beispiele ist Daniel Bryan.
Wer sich ein bisschen auskennt, fragt sich nun, warum Daniel Bryan als jungen Beispiel gilt, schließlich hat der seine Dekade in der WWE und AEW bereits vollgemacht. Was glorreich begann und viele Namen hervorbrachte, die von der Insel aus die Welt eroberten, brach innerlich aus verschiedenen Gründen zusammen. Mehrere Promotionen wurden gegründet, es gab über die Jahre hinweg verschiedene Allianzen mit u.a. Ring of Honor (ROH) und Total Nonstop Action Wrestling (TNA), aber auch finanzielle Probleme, die schließlich zum Ende führten. Legitime Rivalitäten zwischen Promotionen, die meist auf Wrestlingschulen gründeten, wurden bald auch ernsthaft ausgetragen und man arbeite eher gegeneinander als miteinander. Es würde zu weit führen, hier detailliert Entstehungen und Beendigungen aufzuführen, grob kann man aber Jahre und die namhaftesten Rivalen einteilen. In den 1960er Jahren war es der Sportkommentator Jose Antonio Geigel, der sich mit einigen Wrestlern zusammenschloss und einen Grundstein für organisierte Wrestlingshows legte. Wichtig hierfür war auch der Verkauf von Fernsehrechten an Telecadena Perez Perry. Der ausländische Promoter Arturo Mendoza kaufte nach nur einem Jahr die Promotion und verhalf ihr zu einem enormen Aufschwung. Übrigens darf hier nicht der Rückschluss zum derzeitigen PR Star Mike Mendoza gezogen werden, der zwar mittlerweile in der dritten Generation wrestlet, bürgerlich aber Víctor Ortiz heißt. 1973 wurde Captiol Sports Promotions (CSP) von Carlos Colón und Víctor Jovica gegründet, für die ihre Fernsehübertragung bald zum wichtigsten Bestandteil wurde. Daneben gab es noch das World Wrestling Council (WWC), das sich vor allem in den ländlichen Regionen ausbreitete und dort für ausverkaufte Events sorgte. Ein weiterer Meilenstein war der Beitritt von Capitol Sports zur National Wrestling Alliance (NWA), der für einen Zustrom prominenter Wrestler sorgte, Dusty Rhodes, Ric Flair, André The Giant, Randy Savage, um nur einige zu nennen. Unrühmlich ist die Fehde zwischen Frank Goodish und José González, die schließlich außerhalb des Rings und der Storyline ausgetragen wurde und mit dem Tod Goodishs endete. Schließlich kehrten immer mehr Talente CSP den Rücken und einige schlossen sich zu Americas Wrestling Federation (AWF) zusammen, jedoch nur zwei Jahre, dann brach diese auseinander. CSP hingegen erkannte eine neue Umsatzquelle und integrierte Frauenwrestling. Nach vielen Rückschlägen ging CSP Mitte der 1990er Jahre pleite und reorganisierte sich neu als World Wrestling Council (WWC). Fast gleichzeitig wurde die World Wrestling Association (WWA) u.a. von Juan Rivera ins Leben gerufen und fungierte als direkte und starke Konkurrenz. 1999 wurde die International Wrestling Association (IWA) gegründet, die schließlich einen Vertrag mit der WWE schloss und dadurch auch ausländische Wrestler für sich einnehmen konnte. Friedlich blieben die Promotionen nicht lange. Wieder einmal spielt Juan Rivera eine große Rolle, der unterschrieb bei der IWA, wurde dann von der WWC vor Gericht gezerrt, weil er den bei CSP verwendeten TNT-Charakter immer noch weiterführte, schließlich änderte er den Namen, behielt aber sein gesamtes Gimmick bei. Die Rivalitäten und Storylines der 2000er Jahre sind nur teilweise gescripted, größtenteils fußen sie auf realen Auseinandersetzungen und Anfeindungen der Promotionen untereinander. Es ging um Gimmicks, Geld und Geschäfte, die teilweise im Ring, teilweise vor Gericht ausgetragen wurden und gleichzeitig aber auch zu neuen Allianzen mit bekannten amerikanischen Promotionen führte, von denen Puerto Rico profitierte. In den 2010ern standen sich WWL und WWC gegenüber, arbeiteten zusammen und doch gegeneinander. Wrestling verliert in den 2000er Jahren an Bedeutung, interne Streitigkeiten und politische Hürden zerstören fast den einstigen Eckpfeiler puertoricanischer Kultur. Es würde viel zu weit führen, die gesamte Wrestlinggeschichte Puerto Ricos anzuführen, doch zwei Eckpfeiler seien noch genannt. Im Oktober 2017 fegt Hurrikan Maria über den Inselstaat und hinterlässt ein unfassbares Trümmerfeld. Die Auswirkungen legen fast das komplette Leben der Insel lahm – auch das Wrestling (was sicherlich nicht das Wichtigste war damals, aber hier geht es um den Sport). Danach ging es mit La Liga weiter, doch so schnell baut sich nichts auf. 2020 legt COVID-19 die Welt lahm, ein weiterer, herber Rückschlag für den Volkssport. Doch die Zeit bleibt nach dem ersten Schock nicht ungenutzt. Orlando und Eddie Colón sowie Mike Chioda gründen 2021 Latin American Wrestling Entertainment (LAWE), nachdem sie erst die WWC kaufen wollten, was an Victor Jovica scheiterte. Im Oktober 2021 gab es die erste Veranstaltung, seit Februar dieses Jahres wird Adrenalina im TV gezeigt. Verbissen arbeiten die Puertoricaner daran, Wrestling wieder groß zu machen – und sie scheinen mit LAWE einen guten Ansatz gefunden zu haben. Im Mai wurde der erste Titel vergeben, im Juli findet ein großes Wrestling Sommerfest statt. Die Social Media Arbeit von LAWE ist bemerkenswert – und die Wrestler könnten nicht besser sein.
Werfen wir einen genaueren Blick auf LAWE, denn hier tummelt sich über kurz oder lang jeder. Man kennt Wrestling, klar, die WWE begleitete einen schon in Kindertagen, es gab die Helden – und Corona sei Dank, seit 2020 schaue ich sogar wieder sehr regelmäßig Raw und Smackdown. Doch als alter Fan kommt man nicht umhin, vieles zu bemängeln. Die Unternehmenspolitik störte bald, die Entlassungswelle aus Kostengründen war die größte Farce der letzten Jahre – denn der Gewinn steigt ins Unermessliche. Das Superstargehabe nervt unheimlich und die Storylines würde mein dreijähriger Neffe spannender schreiben. Einziger Lichtblick war beim Royal Rumble 2021 der „NXT-Guy“ Damian Priest, in dem ich endlich eine positive Zukunft für die WWE sah. Priest ist stolzer Boricua, legt eine verdiente, steile Karriere hin und hat natürlich auf seinen Social Media-Kanälen Freunde und Kollegen unter seinen Followern. Einer davon ist Angel Fashion, selbst professioneller Wrestler, die beiden necken sich gerne mal auf Instagram, man schaut sich das Profil an und stößt auf ein geniales Bild. Angel Fashion ist Teil der Gruppierung La Anexion, hauptsächlich vertreten durch ihn, Mark Davidson und Mike Mendoza (ja, der), Gimmick: Gas- und Totenkopfmasken. Auf einem Promofoto verdeckt die Maske halb Fashions Gesicht, er lugt dahinter hervor mit roten Kontaktlinsen. Damit hat er mich gecatcht. So kommt man auf LAWE, schaut sich ein bisschen um und erkennt: Da wollen ein paar Wrestler was wirklich Cooles aufbauen. Der Roster ist klein, gerade mal 23 Wrestler laut Website, darunter drei Frauen (die definitiv ihren Mann stehen!), und abwechslungsreich. Durch die Teaser neugierig geworden, wollte ich unbedingt den ersten großen Event Sangre Nueva sehen, auch hieran ist Fashion schuld, hatte ich den mittlerweile auf YouTube einige Male bei AEW Dark gesehen und war recht angetan von seinem Stil. Aber die Spannung nehme ich mal vorweg: Bei LAWE sieht man einen deutlichen Unterschied in seinem Wrestlingstil, allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, woran das liegt. Bald bekommt man mit, dass in wenigen Wochen der erste LAWE Champion gekrönt werden soll und die Promotion hat sich eine tolle Story dazu ausgedacht – großartig vor allem auch deswegen, weil sehr viel geredet wird (klar) und man die Story trotz schlechter Spanischkenntnisse versteht – wenn die Herren nicht gerade wütend irgendwas in Mikro brüllen und das in einem Tempo, dass man sich fragt, wann Luft geholt wird (Fashion verstehe ich so gut wie nie, aber er redet viel und flucht auch gerne mal). Die Story baut sehr auf Mike Mendoza auf, selbst wenn er gerade nicht kämpft, fällt sein Name in gefühlt jedem zweiten Satz.
Tja, Mike Mendoza, das dürfte die Person sein, die ich am meisten unterschätzt habe. Das erste Match, das ich mit ihm gesehen habe, war eher unterer Durchschnitt, wenig überzeugend – sein Gegner auch nicht gerade. Er war der Jungspund, der gerne bei den Großen mitspielen würde, wahrscheinlich sein Lebtag Wrestlingfan und würde gerne wen auch immer imitieren. Ein gescriptetes arrogantes Arschloch, kein Gramm Fett am Körper, Personal Trainer mit einer scheinbar recht ruhigen Art, versucht sich mit eigener Wrestling Schule Espiritu Pro Wrestling Dojo 2018. Nett, aber überschätzt. Lo siento mucho, Mike! Es tut mir ehrlich leid, jemals so schlecht und abwertend von ihm gedacht zu haben! Bereits das zweite Match, das ich mit ihm gesehen habe, gegen Baltazar Bruno auf dem Weg zum Finale der LAWE-Champion-Krönung, hat mich restlos begeistert, doch dazu später mehr. Mike Mendoza ist Wrestler in dritter Generation, was erstmal nichts heißt. Aber wer seit über zehn Jahren im Ring steht, 2014 „Most Improved Wrestler“ war, 2017 „Revelation of the Year“ und „Match of the Year“ und zwölf Titel gewonnen hat, der hat was drauf. 2018 bricht er sich bei einem Sprung außerhalb des Rings das Wadenbein, steht auf, steigt erneut auf das dritte Seil und wagt einen weiteren Sprung – es ist eine total bescheuerte Aktion, die ihn seine komplette Karriere hätte kosten können, aber dafür verdient er auch großen Respekt. Manchmal scheint er das Bein zu entlasten und schonen zu wollen, einen Move anders zu machen, bei einem Sprung extra nicht zu sehr auf diesem Bein zu landen, vielleicht scheint das nur so, weil man weiß, dass es diese Verletzung gab, vielleicht ist das aber auch ein unbewusstes Tun von ihm. Beim Kampf um den ersten LAWE Titel springt er von der Empore der Zuschauerränge auf seine beiden Kontrahenten – es soll das Bild des Abends werden, glücklicherweise bleibt er unverletzt. Angefixt durch das Match gegen Bruno, das ich bereits über zehn Mal gesehen habe, habe ich weitere Matches gesucht, wurde fündig und kann mich nur nochmals aus tiefstem Herzen entschuldigen, dass ich ihn dermaßen unterschätzt habe. Nicht nur, dass Mendoza sich für den Sport in Puerto Rico einsetzt und vieles auf den Weg gebracht hat, um Wrestling wieder an die Spitze zu bringen. Er hat seine persönlichen Erfolge und ist scheinbar ein guter Lehrer für seine Schüler. Vermutlich hat es ihm – sollte das je sein Traum gewesen sein – sehr gut getan, dass er nicht auf’s Festland gewechselt und bei der WWE oder AEW als bloße Nummer untergegangen ist. Die Wrestlingwelt hätte einen großartigen Wrestler verloren, das Talent wäre zertrampelt worden. Mendoza hat seinen eigenen Stil, rau, hart, er ist ein guter Seller, der auch mal oversellt, nur ganz selten verkauft er den harten Schlag gegen die Brust oder das Aufschlagen auf der Matte leider ziemlich mies. Aber das stört bei ihm nicht mal, weil er den nächsten Schlag dafür um so ehrlicher einsteckt. Er ist kein Schauspieler – das sind übrigens die wenigsten PR Wrestler, sondern eben genau das: Wrestler – und das heißt: Wir kämpfen richtig, wir stecken die Schläge und Tritte ein, wir stecken verdammt viele ehrliche Treffer und Schmerzen ein. Wenn Mendoza im Ring steht, tanzt er, lebt den Wrestlertraum, verkörpert den Stolz eines Volkes. Er nimmt – und das tun nicht viele – Rücksicht auf seine Gegner, ist um deren Sicherheit bei fast jeder Aktion bemüht, scheint manchmal Tipps zu geben oder zumindest geben zu wollen, als wäre selbst der Titelkampf eine Trainingsstunde, bei der die Kontrahenten nur noch mehr voneinander lernen können, um noch besser zu werden und das Publikum noch mehr zu begeistern, er ermuntert, er verkauft manche missglückte oder schlechte Aktion viel besser, als sie ist – und die Arroganz, die er sich eigentlich verdient hätte und in den Promos auch raushängen lässt, verschwindet. Er spielt mit dem Gegner und dem Publikum, er steckt ein, er teilt auch aus, er nimmt Risiken auf sich für die Show, für den gelebten Traum. Jeder Wrestlingfan, dem es nicht um die Show drumherum geht, sondern um den Sport, sollte sich unbedingt Mendoza ansehen. Dieser Mann lebt Wrestling, er liebt, was er tut und das kann er ohne Glitzer und Superstar-Gebrüll vermitteln durch das, was er im Ring darbietet und durch eine Ausstrahlung, die live ziemlich krass sein muss, durch seine Fähigkeit, seine Schüler und Gegner mitzureißen. Wenn die Welt einen wirklichen Superstar sucht und keine gezüchteten WWE-Angestellten, hat sie ihn in Mike „El Escorpion“ Mendoza für das (nicht nur puertoricanische) Wrestling des 21. Jahrhunderts gefunden.
Angel Fashion als weiterer Teil von La Anexión ist drei Jahre älter und hat sein Glück bei der WWE versucht, war bei AEW Dark während der Coronaphase zu sehen und steht immer wieder für verschiedene Independent Wrestling Promotionen im Ring. Bei ihm kommt mir zuerst das Wort „heißblütig“ in den Sinn, er trägt sein Herz auf der Zunge und liebt Kontaktlinsen und das Spiel mit der äußeren Erscheinung. Er selbst nennt sich Spear King, hat dabei aber seinen eigenen Stil, ein kurzer, schneller Angriff, er zieht die Beine an und landet ziemlich hart auf den Knien. Wenn er nicht für die AEW im Ring steht, ist sein Stil dreckiger, brutaler, die Moves kompakter. Seinen Charakter lebt er vor allem auf Instagram voll aus mit harten Ansagen, Videozusammenschnitten mit rockiger Musik und natürlich immer wieder mit Bildern, die eine gewisse Selbstverliebtheit nicht leugnen können. Dennoch gibt es auch mal eine andere Seite von ihm, viel Witz und Dank seiner Freunde auch immer wieder Reels und kurze Videos, in denen der arme Kerl entweder formvollendet auf nasser Straße ausrutscht oder gerne zum Kreischen gebracht wird. Er ist derjenige, der am meisten redet, immer wieder im Vordergrund steht bei Promos von La Anexión und manchmal fragt macht sich, wie Mendoza und Fashion zusammenarbeiten können, so gegensätzlich sind sie.
Vielleicht hilft hier der Dritte im Bunde, Mark Davidson, der zwischen den beiden vermittelt und in seiner dargestellten Art manchmal sehr ruhig erscheint, dann aber wieder aufbrausend ist und auch nicht gerne abwartet, um im Ring den Ton anzugeben. Spontan könnte ich nicht mal seinen Stil beschreiben. Er scheint klein, wendig, ein Kraftpaket, das sich durchwindet und immer wieder seinen Gegner überrascht. Manchmal erinnert er mich an Gimli aus Herr der Ringe – im absolut positiven, kämpferischen Sinn. Zwischen 2016 und 2019 ist er mehrfacher WWL-Champion und da ist noch sehr viel mehr drin. Er hat sich rasant und mit viel Fleiß zu einem großartigen Wrestler entwickelt. The White Shadow macht seinem Namen oftmals alle Ehre, indem er sich tatsächlich eher still anpirscht und dann sehr gezielte, präzise Aktionen ausführt. Trainiert wurde er von Star Roger, der auch zum LAWE Roster gehört und gegen seinen Schüler im Rahmen der Suche nach dem ersten LAWE Champion antritt. Wie sehr Davidson die Erfahrung zugute kam, sieht man jedes Mal im Ring. Roger ist lange und erfolgreich im Geschäft, man kann sagen, er ist der Superstar der Insel und bereits jetzt sowas wie eine lebende Legende, die in der internationalen Wrestlingwelt bekannt und erfolgreich ist. Weitere Schüler aus dem LAWE Kader sind Vanilla Vargas und OT Fernandez. Vargas war zunächst als Managerin unter anderem von Angel Fashion tätig, bevor sie selbst erfolgreich in den Ring stieg. Nach der Babypause zurück, scheint sie wieder untrennbar an seiner Seite zu stehen. OT Fernandez hat seine Erfahrungen vor allem in den USA und Mexiko gesammelt. So jung er auch wirken mag, der unerfahrene Jungspund ist er nicht mehr. Leider war für ihn die Reise bei Cima de Campeones früh vorbei durch einen Beinbruch, aber er wird sicherlich mit alter Stärke zurückkehren. Nächste Frau im Roster ist La Destructora Nancy und was nach einem vielversprechenden Namen klingt, wird im Ring belegt. Sie kämpft sehr aggressiv, ein Wirbelwind, der gerne mal alles umwirft, was sich in den Weg stellt. Da müssen sich auch Männer in Acht nehmen, außer vielleicht Baltazar Bruno. Er wirkt wie der Adam Scherr von LAWE. Groß und still. In den Promos wird beschrieben, dass Mike Mendoza ihn in der Hand hat, Bruno spricht kein Wort, hat aber den Respekt von allen. Als wirklicher Schüler Mendozas, hat er einiges gelernt – und im Match gegen diesen sein Können unter Beweis gestellt. Die beiden funktionieren sehr gut im Ring, auch sonst dominiert Bruno nicht nur durch seine Körpergröße und lässt die Gegner gerne mal abprallen. Speziell ist El Cuervo de Puerto Rico. Der Kampfstil ist ziemlich eigen, er ist schnell und sehr agil, das Gimmick als Rabe ist richtig gut und mal was anderes. Bisher etwas zu kurz gekommen ist meiner Meinung nach Damian Fenrir. Der Costa Ricaner trat nur kurz auf, sticht aber sofort durch den durchtrainierten Körper ins Auge und kann durchaus einiges einstecken – aber auch austeilen. Mehr von ihm sieht man eher auf internationaler Bühne bei AEW Dark und anderen Promotionen. Mir ist nicht ganz klar, warum ihn keiner fest und alleinig im Kader hat, vielleicht ist er zu ungestüm und unsauber, aber man sollte ein Auge auf ihn werfen, einen Push hätte er verdient, dieser würde aber nicht in die derzeitigen Storylines von LAWE passen. Wer einen schönen Kämpfer sehen möchte, der durch Sprünge, sauber ausgeführte Kampfsportelemente und Seiltanz auffällt, muss sich Samuel Olmo ansehen. Habe ich bei Mendoza gesagt, er tanzt, Olmo tut es nicht minder, aber anders – und wer Undertakers Spaziergänge auf dem obersten Ringseil geliebt hat, wird Olmo verehren. Mit einem MMA- und Kickboxhintergrund hat er einen eigenen Stil, der sich von der ursprünglichen rauen puertoricanischen Tradition abhebt. Auch er ist ein Schüler Mendozas und hat eine große Zukunft vor sich. Nicht nur als Team mit Mechawolf 450 macht Bestia 666 von sich reden. Er ist der Sohn von Damian 666, einer mexikanischen Wrestlinglegende, dessen Gimmick er weitgehend übernommen hat. Meistens sieht man ihn jedoch nicht bei LAWE im Ring, sondern für andere Promotionen wie NWA. Tag Team Partner Mechawolf dürfte ebenfalls bekannt sein. Mehrere Titel ruhen auf seinen Schultern, er wirkt hart, unnahbar, ein aggressiver, hungriger Wolf. Nebenbei schlägt sein Herz für die Musik, gibt es doch das Monsterwolf Music Label und die gleichnamige Band, die gerade am Debütalbum arbeitet. Durch die Storyline von LAWE hat Riviero Rivas einen gewaltigen Push erhalten. Er ist ein erfahrener Kämpfer, der in der Vergangenheit immer wieder auf sich aufmerksam gemacht hat und bei dem man sich wohl fragen muss: Kann LAWE ihn halten oder wird er irgendwann einen Vertrag bei den größeren Promotionen in den USA unterzeichnen? Und genau mit dieser Storyline stoßen wir an unsere Grenzen. Nicht im Roster auf der Website aufgeführt sind einige Wrestler, die bei der Krönung des ersten Champions große Rollen gespielt haben. Es sei an dieser Stelle nicht verraten, wer gewinnt, wenn man sich mit puertoricanischer Wrestlinggeschichte beschäftigt, wundert der Sieger nicht, auch nicht, was nach dem Sieg geschehen ist, ansonsten sitzt man mit offenem Mund da und fragt sich: Warum?
Wer nicht auf der Website steht, aber es bis ins Finale geschafft hat, ist Pedro Portillo III. Seine Stärke sind ganz klar die Promos, die er leidenschaftlich ausspielt. Da vergisst man gerne mal, dass er irgendwann ja auch noch im Ring bestehen muss. Über Portillo alias Peter The Bad Romance alias Peter Galleano findet man so ziemlich gar nichts raus. Man muss lange suchen, bis man weiß, dass er für die WWC im Ring stand, seit 2009 aktiver Wrestler ist und zwischen 2015 und 2019 mehrfacher WWC Junior Heavyweight Champion war. Alte Matches von ihm sind etwas spannender als die der letzten Monate. Schönere Moves, besseres Sells, gut, die extremen Elemente wie Reißzwecken, echte Kopfverletzungen und blutverschmierte Wrestler müssen vielleicht nicht immer sein. Bei LAWE glänzt er derzeit mehr durch die bereits erwähnten Promos, seine Nähe zu Orlando Colón und Dennis Rivera. Portillo hat eingeschworene Fans, die ihm vor kurzem seinen Chant bescherten, der vor allem europäischen Fußballfans bestens bekannt sein dürfte. White Stripes‚ „Seven Nations Army“ wurde ja schon immer gerne für sportliche Erfolge verwendet, nun aber wird aus voller Kehle gesungen: „Oh, Pedro Portillo!“ – damit dürfte er wirklich den besten Chant des ganzen LAWE haben. Mit Colón hat er natürlich El Presidente an seiner Seite, der eine steile Wrestlingkarriere hinter sich hat. Als Neffe von Carlos Colón, der ihn auch trainiert, und Cousin von Carlito, tritt er in große Fußstapfen. Die meiste Zeit seiner Karriere verbringt er als Tag Team zusammen mit seinem Cousin Edwin, besser bekannt als Primo, bei der WWE. Zwar können die beiden Titel erkämpfen und sind auch beliebt bei den Fans, jedoch wird man das Gefühl nicht los, dass die WWE sie zuweilen etwas stiefmütterlich behandelt. 2020 wird Orlando Colón im Rahmen der großen Entlassungswelle bei der WWE entfernt. Seltsamerweise verlieren viele Fans den Kontakt und bekommen gar nicht mit, dass Colón auf Puerto Rico weitermacht mit LAWE. Umso überraschter zeigte man sich auf Facebook, als man in einem Thread über ehemalige Wrestler auf Colón zu sprechen kam, der ja leider still und heimlich aufgehört hätte – und dort trotz reger Beteiligung nur eine Person dementieren konnte auf LAWE verwies. Dort mimt er nun den cholerischen Präsidenten, der gerne überall seine Finger im Spiel hat, Portillo als ersten Champion sehen möchte und ein großes persönliches Problem mit Mendoza hat – das er zusammen mit Rivera auslebt. Rivera selbst ist erst spät zum Wrestling gekommen, hat das Feld vorher seinem Bruder Juan Rivera überlassen, war aber immer mit dem Wrestling eng verbunden. Er war Fabrikarbeiter und Bassspieler in einer Band, bevor er schließlich selbst in den Ring stieg. 2007 debütierte er, war bei IWA und WWL zu sehen, 2012 startete er einen Wrestlingblog. Rivera versuchte sich bei der WWE, wurde jedoch nicht unter Vertrag genommen. Seinen Weg hat er trotzdem gemacht. Seit 2018 moderiert er gemeinsam mit Juan Ramírez den Podcast La Vuelta – und steht nun fest an der Seite von Orlando Colón bei LAWE.
Long story short: In Puerto Rico geht es aufwärts. Neben den großen Promotionen gibt es zahlreiche kleine Schulen, die in alter Tradition gegeneinander antreten und sich mächtig einheizen. Die Szene wächst und mit ihr die Rivalitäten – und gleichzeitig auch wieder das Interesse am einstigen Volkssport. Die Boricua brennen mehr und mehr für die Veranstaltungen, LAWE breitet sich aus und wächst – und das Schöne: Nicht nur der Roster auf der Website, nicht nur die großen Namen treten auf, auch vielversprechende junge Wrestler, die beginnen, ihren Weg zu gehen und das Gelernte umzusetzen. Sie brennen dafür, die lassen sich feiern und feiern sich selbst und keiner geht arrogant an ihnen vorbei und schiebt sie beiseite, nein, eben diese großen Namen scheinen sie aufzunehmen und zu akzeptieren. Es gibt noch viele, die erwähnt werden müssten, Pulli La Bella, das beste Beispiel für die Toleranz der Puerto Ricaner und ein mutmachendes Zeichen für die LGBTQ-Gemeinde; Alfredo Méliès, JC Jexx, Reckless Harris, Adam Riggs, Jon Justice, der großartige Willie Urbina – natürlich alle hinter den Kulissen, die LAWE möglich machen, nicht zuletzt LuchaTeesPR, die für zahlreiche Wrestler Shirts erstellen und vertreiben (und einen weltweiten Versand ermöglichen. Muchas gracias!). Aber das würde eine ganze Website füllen. Wer interessiert ist, sollte den stolzen Luchadores auf ihren Social Media Kanälen folgen – und ab und zu mal bei uns auf stage-reptiles.com vorbeischauen.
Baltazar Bruno schrieb mir vor einiger Zeit: „We are pouring our heart & soul to rise Wrestling in Puerto Rico like it was once before.“ – das tun sie, das spürt man und das übertragen sie auf die Zuschauer. Nicht nur in PR, sondern hoffentlich bald weltweit, denn diese Leidenschaft, dieses Herzblut, das investiert wird, verdienen viel mehr Aufmerksamkeit und Respekt.
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Photos: (c) LAWE (4), Clker-Free-Vector-Images (1)
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