LP: George Harrison – All Things Must Pass


Als Beatles Fan wird man öfter mit der Frage konfrontiert, welcher denn der Lieblingsbeatle sei. Meine Antwort fiel immer schon intuitiv auf George, da ich Paul oder John als langweilige Antwort empfand und vielleicht ein bisschen edgy sein wollte. Zudem liebte ich schon immer seine Abbey Road Songs und fand, dass er cooler aussah als Ringo – somit war die Auswahl für mich klar.

Jedoch habe ich mich bis vor circa einem Jahr überhaupt nicht mit den Solo-Diskografien der Jungs beschäftigt – ein großer Fehler!

Als mein Kumpel mir begeistert erzählte, dass All things must pass remastered wird und in diversen, zum Teil absurd teuren SUPER UBER MEGA BANGER DELUXE Editionen erscheinen wird, hatte ich nur Fragezeichen in den Augen. Das musste ich ändern, da meine Aussage des Lieblingsbeatles einfach nicht so recht validiert war.

Am 27. November 1970 erschien das erste Soloalbum von einem der Fab Four nach der offiziellen Trennung der Gruppe. Ausgerechnet der Silent Beatles George, der auch schon 1968 als erster Pilzkopf ein Soloalbum mit „Wonderwall Music“ herausbrachte, war auch der Erste, der nach der Trennung veröffentlichte. Er setzte mit seinem 3 LP Mammutwerk ein ganz schönes Statement, mit dem es ihm spätestens gelang aus dem Schatten von Lennon/McCartney zu treten.

Viele der Songs wurden noch zur Beatleszeit geschrieben und von dem legendären Songwriter Duo abgelehnt. Zu recht?

Seite A:

A1 I‘d Have You Anytime:

Wurde zusammengeschrieben mit seinem guten Freund Bob Dylan, wobei George die Verse und Bob den Refrain beisteuerten. Er ist ein smoother Einstieg in das Album mit schönen Gitarrenakzenten und wachsender Dynamik, wenn es zum Refrain übergeht.

A2 My Sweet Lord:

Der wohl bekannteste und erfolgreichste Solosong von George. Er chartete auf Nr. 1 in den USA und war somit auch die erste Solo-Beatles Nr. 1. Dabei war Harrison selbst noch skeptisch, da der Track mantraartig ist und er nicht wusste, wie die Rezeption des britischen Publikums bezüglich der Verehrung der Hindu Religion steht, der George sich nach der Zeit in Indien gewidmet hat. Die Symbolik des Hinduismus wie beispielsweise das Om sowie der Ausspruch „Hare Krishna“ spielen auch in den folgenden Alben ein wichtige Rolle. Wie viele Songs auf dem Album hat dieser Track etwas sehr Hypnotisches an sich und zieht den Hörer in seinen Bann. George schafft es, eine einzigartige Stimmung zu kreieren und er regt an, selber den Chant mitzusingen.

Peter Frampton spielt auf diesem Track Akustikgitarre und es ist der erste Albumsong mit Ringo on drums.✌️

A3 Wah-Wah:

Der erste Song, der für das Album aufgenommen wurde. Mich hat dieser Song einfach beim ersten Mal Hören umgehauen und es gelingt ihm immer wieder. Dieser Track ist ein Beispiel für die berühmte Wall of Sound und die extreme Verwendung von Echo vom Co-Produzenten Phil Spector. Man wird einfach zerdrückt von gefühlt 140 Gitarren und 26 Drummern. Der Text, die Guitarfills, die Bläser, alles passt wunderbar zusammen. Für einige wirkt es vielleicht ein wenig übertrieben, aber ich finde ihn genial. Der Song behandelt Georges Gefühle nach dem kurzzeitigen Ausstieg aus den Beatles, als sie in den Twickenham Studios für den 1970er Lindsey-Hogg Film Let it Be aufnahmen. „Wah-Wah“ steht hierbei sowohl für das bekannte Effektpedal, ist aber auch Slang für Kopfschmerzen, die er von den Streitigkeiten mit Paul bekommen hat. George selber war kein Fan von dem Mix des Songs respektive des ganzen Albums. Ein gewisser Eric Clapton sah es aber ähnlich wie ich

A4 Isn’t It A Pity:

Die B- Seite zu „My Sweet Lord“. Auch dieser Song beschreibt die Trennung der Beatles und ist der längste Song des Albums. Die slide guitar und auch wieder der Text sind in einem sehr angenehmen Einklang. Er hat eigentlich einen traurigen Touch, aber ist sehr schön und nachdenklich verpackt, sodass man auch bei diesem Song gute Vibes kriegt. Gerade zum Ende hin nimmt der Song nochmal ordentlich Fahrt auf und bekommt schöne Akzente auf der Orgel von Billy Preston, bekannt aus den „Let it Be“-Sessions, serviert.

Seite B:

B1 What Is Life:

Der gute Laune Song des Albums. Eigentlich von George für Preston geschrieben, wurde er schließlich doch von ihm aufgenommen. Er stellt lyrisch wunderbar die Frage, was das Leben eigentlich sei ohne die Liebe der Partnerin. Der Song hat im Übergangsteil den Ansatz, dass die Instrumente nacheinander einsteigen, was mir immer besonders gut gefällt. Erst eine verzerrte Gitarre mit dem Riff, dann der Bass von Klaus Voormann, seit der Zeit in Hamburg Freund der Beatles und Schöpfer des Covers zu „Revolver“, und dann eine shufflende Gitarre. Im Anschluss kommen die Drums und die restliche Band setzt ein. Hier passt alles. Musik und Lyrik in einer wundervollen Symbiose.

B2 If Not For You:

Ein weiterer Song den er zusammen mit Dylan geschrieben hat. Bob veröffentlichte ihn schon im August des selben Jahres auf seinem elften Studioalbum „New Morning“. Der Text beschreibt die Wichtigkeit der Beziehung des lyrischen Ichs zu seinem Freund respektive Partner. Dylan-typisch ist hierbei der Einsatz der Mundharmonika.

B3 Behind That Locked Door:

Noch ein Song mit Dylan Bezug. George hat diesen Song für Bobs Comeback 1969 geschrieben. Erneut eine schöne Melodie, wenngleich ein wenig schwächer in meinen Augen als alles bisherige.

B4 Let It Down:

Sehr konträr zu dem Song zuvor, ist dieser wieder so ein in-die-Fresse-Track, zumindest im Intro mit lauten Bläsern und Gitarren, Klavier und allem, was sonst noch so im Studio herumstand. Danach wird es wieder unerwartet soft, um im Refrain wieder Stoff zu geben. Der Song ist extrem dynamisch und kontrastreich, wodurch ein angenehmer Touch für diese Albumseite erzeugt wird.

B5 Run Of The Mill:

„Everyone has choice when to or not to raise their voice – it’s you that decides“, welch genialen Worte, die zu jedem Streit passen. „No one around you will carry the blame for you“, ebenfalls wahre Worte. Dieser Song ist für mich lyrisch und melodisch einfach ein Meisterwerk mit dem wellenförmigen Verlauf und der Art, wie hier Gesang und Melodie miteinander verbunden werden. Einer der besten Songs des Albums, der abermals auch durch das starke Gitarrenspiel noch verstärkt wird. Hier wird mit einem Kapodaster alles höher gespielt als üblich, wodurch die positive Stimmung zusätzlich untermalt wird.

Seite C

C1 Beware Of Darkness:

Seite C geht direkt wieder so stark weiter. Immer wieder ein Schmunzeln meinerseits wenn George „take kör“ anstatt „care“ sagt. Wieder Dynamisch, wieder schön, wieder nachdenklich – ein klassischer George. „Beware of greedy leaders“ ist auch wieder so eine zeitlose Zeile.

C2 Apple Scruffs:

Wieder klangtechnisch ein wenig unerwartet, er ist im Vergleich zum Rest eher puristisch mit Akustikgitarre und Mundharmonika, zudem ist er auch schneller als die Songs zuvor.

Er behandelt die „Apple scruffs“, also die Mädels, die täglich vor den Apple Studios der Beatles in der Savile Row in London standen und nur darauf warteten, ihre Helden zu sehen, wie sie sich auf den Weg zu ihren Aufnahmesessions machten.

C3 Let It Roll:

Ein tribute song für den Vorbesitzer des Anwesens Harrison’s Friar Park, das zum Homestudio umfunktioniert wurde und Standort des Coverfotos ist.

C4 Awaiting On You All:

Ein absoluter Gute-Laune-Hit, der in gewohnter Georgemanier die Wichtigkeit von Glauben und Gott zeigt. „You don’t need no passport, you don’t need no visa – you don’t need to designate or emigrate before you can see Jesus“. Frei nach dem Motto: Man braucht nicht viel außer zu glauben, um glücklich zu sein. Zudem ist auch eine sehr spitzfindige Zeile über den Papst enthalten.

C5 All Things Must Pass:

Als 14. Lied darf endlich auch der Titeltrack mal ran. Während den Get back-Sessions sieht man auch, wie dieser Song von Paul und John abgelehnt wurde für ein Beatles-Album. Er war ihnen wohl zu schlecht und man brauchte eher etwas Bahnbrechendes wie „Maxwells Silver Hammer“.

Aus meiner Sicht ist dies ein wirklich traumhafter und sehr emotionaler Track mit einer Botschaft, die in gewisser Art und Weise meine Denkweise verändert hat. Alles muss vorbeigehen, sowohl die schönen als auch die traurigen Sachen, die einem im Leben widerfahren.

„A mind can blow those clouds away“ ist ebenfalls wieder eine Zeile, die ich hervorheben will. Alles geht von einem selber aus und seiner Stimmung beziehungsweise Einstellung. Das gesamte Album ist wie als würde man ein Buch lesen, welches nicht nur sehr hilfreich ist, sondern darüber hinaus auch nicht gerade stümperhaft musikalisch untermalt ist.

Seite C empfinde ich als die beste Seite eines in seiner Gesamtheit starken Albums.

Seite D

D1 I Dig Love:

Anders als der Titeltrack ist dieser Song lyrisch nicht ganz so anspruchsvoll, sondern wirkt fast schon belanglos. Hierbei steht die Liebe in allen Formen zu jeder Tageszeit im Vordergrund, dazu passen auch die kräftigen Drums und Georges slide.

D2 Art Of Dying:

Auch hier das Intro wieder – was soll man dazu sagen … wahnsinnig stark! Die Gitarre von Georges guten Kumpel Clapton hört man sofort raus, und er zaubert richtig! Der Song beschreibt etwas, was George sein Leben lang beschäftigt hat, nämlich die Kunst „richtig“ zu sterben bzw. sich darauf vorzubereiten und wieder aufzuerstehen, wie es auch in der Dokumentation Living in a Material World von Regisseur Martin Scorsese (Casino, GoodFellas) thematisiert wird. Hierbei geht es nach hinduistischer Tradition darum, dass die Seele unbedingt den Körper verlassen muss um nach dem Tod weiterzuleben. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich, sondern erfordert Training. Der Text bezieht sich stark auf das, was wichtig ist und was eben nicht. Passend dazu beschreibt George das Paradoxon des Materialismus, dass man unbedingt alles haben muss, aber sobald man es hat, man es eigentlich gar nicht braucht. Da dies aber ein Album voller Kontraste ist, passt diese Einstellung von George wenig zu dem 600er Mercedes und dem riesigen Friar Park.

D4 Hear Me Lord:

Nach einer alternativen Version von „Isn’t it a pity“ (D3) folgt der Abschlusssong des „normalen“ Songteils des Albums. Abermals wird der Lord thematisiert in einer Art Klagegebet, in dem um Vergebung gebeten wird. Der Teil „above and below us“ begeistert mich jedes Mal, weil durch den kurzen Break und die andere Betonung es auf einmal nach einem ganz anderen Song klingt! Ein wahrlich krönender Abschluss für die zweite Platte.

Apple Jam

Die dritte Platte des Albums besteht weniger aus klassischen Songs, sondern mehr aus zum Teil langen Instrumentals, die aber aufgrund der Besetzung und Qualität nicht zu verachten sind. Jedoch ist dies in meinen Augen eher etwas für richtige Fans. Eine interessante Entscheidung.

A1 Out of the Blue:

Eröffnet die große Jam Session, die sich auf Platte 3 befindet und beginnt gefühlt mitten im Song. Ziemlich bluesige Nummer, die durch die Bläser sehr groovy daher kommt. Hier übernimmt den zweiten Gitarrenteil, anders als den Credits zu entnehmen, nicht Eric Clapton, sondern nach eigener Aussage Klaus Voormann. Am Schlagzeug sitzt Jim Gordon, der Drummer von Derek and the Dominos und zudem spielt auch der Bassist der Supergroup, Carl Radle, mit. Der Song hat einen ziemlich kernigen fetten Sound.

A2 it’s Johnny Birthday

Das 49 sekündige Stück wurde anlässlich Lennons 30. Geburtstag von George allein aufgenommen und ist an die Little Richard Nummer „Congratulations“ angelehnt. Ein verzerrter witziger Geburtstagsgruß.

A3 Plug Me In

Heftiger Übergang von der Kirmesnummer in den eher harten Song „Plug me in“. Alle Musiker geben ordentlich Gas! Hier ist auch Mr. Slowhand wieder vertreten.

A4 I Remember Jeep

Der Start erinnert an ein startendes UFO und die Effekte kommen im Song immer mal wieder zurück, hierfür hat Harrison seinen Moog benutzt. Auf der Nummer sind 2 von 3 Cream Member zu hören. Beware of Mr. Baker. Ginger spielt auf dem Track Schlagzeug, Billy Piano und Klaus zupft am Bass. Eric und George sind auch wieder gut drauf. Sehr proggy in seiner Gesamtheit und für mich aufgrund des guten Zusammenspiels und dem crazy Sound der interessanteste „Song“ auf Apple Jam. Das Klatschen zum Ende stammt von John und Yoko. Jeep ist der Name von Erics Hund, der ihm kurz vor den Aufnahmen weggelaufen ist.

A5 Thanks For The Pepperoni

An „Roll over Beethoven“ angelehnt, den George schon auf einem meiner Lieblingsalben With The Beatles übernommen hat. Ebenfalls wieder sehr fetzig. Wieder Eric und wieder ein tolles und tempogeladenes Zwischenspiel der Jungs untereinander. Hier spielt der Traffic Gitarrist Dave Mason wie schon bei „Plug Me In“ mit. Ein ziemlich knallender Abgang für diesen unüblichen Teil eines Albums, das sonst bis zum Jam eher entspannt war.

Ob man sich jetzt unbedingt bei jedem Durchgang den Apple Jam reinziehen muss, sei dahingestellt. Aber das Album an sich besticht neben genialem Songwriting extrem durch die Stimmung, die dem Hörer vermittelt wird. All Things Must Pass ist ein Meisterwerk und nicht umsonst immer wieder in den Listen der besten Beatles Soloalben abwechselnd mit der Plastic Ono Band und Imagine auf Rang 1.

Es ist das stärkste Harrison Album und für mich auch die beste Soloscheibe. Sie ist vielseitig und einfach nur schön. Genau das richtig Album für einen sonnigen Tag.

Aus retrospektiver Sicht ist dieses Album auch wichtig, um die Qualität von George darzustellen und ihn nicht als bloßen Gitarristen von Lennon/McCartney anzusehen. George hatte eine ganz besondere Art, Songs zu schreiben und zu produzieren und das merkt man hier besonders. Es gibt einfach keinen schlechten Track. Das Album hat in meiner Sammlung einen hohen Stellenwert, da man es bei jedem Durchhören anders wahrnimmt und andere Songs als beste betiteln würde.

Deshalb kann ich jedem nur ans Herz legen, sich diese LP einfach mal als Gesamtwerk anzuhören. Vielleicht werdet ihr ja auch solche George Fans wie ich!

5/5

George Harrison – All things must pass
Universal, 2021
LP Deluxe Edition: 82,99 €
CD: 19,99 €

Tracklist
01 I‘d Have You Anytime
02 My Sweet Lord
03 Wah-Wah
04 Isn’t It A Pity (Version One)
05 What Is Life
06 If Not For You
07 Behind That Locked Door
08 Let It Down
09 Run Of The Mill
10 Beware Of Darkness
11 Apple Scruffs
12 Ballad Of Sir Frankie Crisp (Let It Roll)
13 Awaiting On You All
14 All Things Must Pass
15 I Dig Love
16 Art Of Dying
17 Isn’t It A Pity (Version Two)
18 Hear Me Lord
19 Out Of The Blue
20 It’s Johnny Birthday
21 Plug Me In
22 I Remember Jeep
23 Thanks For The Pepperoni

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