Live: Judas Priest – 27.06.2022 – Zenith München


Auf die meisten Konzerte musste man ja zwei Jahre warten, so auch auf Judas Priest. Immerhin wollte man 2020 endlich auch die Songs vom Album Firepower live hören. Im Gegensatz zu anderen Formationen, haben sich die Briten nicht dazu durchgerungen, gleich mal die ganze Tour abzusagen und eben irgendwann nach der Pandemie, deren Namen nicht genannt werden darf, eine neue anzusetzen. Stattdessen wurde brav jedes Jahr ein neuer Termin bekanntgegeben und 2022 sah es so gut aus, dass es endlich klappen würde. Und? Klappte auch! Am 27. Juni war der Andrang groß. Endlich wollten die Fans wieder ins Zenith und richtig abrocken. Es ist ein überwältigendes Gefühl, wenn man nach zwei Jahren (und da ist es egal, ob man nun schon auf dem ein oder anderen Nach-COVID-19-Konzert gewesen ist oder nicht) zu einer Location kommt und die Metaller und Rocker wiedersieht, die Bandshirts, die neuen und alten Tattoos, die Bierbecher, die Helga-Rufe, die kleinen Gruppen, die ein paar Zeilen des Lieblingssongs brüllen, der Geruch nach überteuertem Standfraß, die Last-Minute-Ticketverkäufer, die vor der Halle stehen. Es ist ein bisschen wie Nachhausekommen, endlich wieder unter Gleichgesinnten sein, endlich wieder davontragen lassen vom Bass, der lauten Musik, der Lightshow und den jubelnden, feiernden Fans. Außerdem haben wir ja nachträglich noch 50 Jahre Judas Priest zu feiern, 50 Jahre, Hardrock pur.

Der Einlass ist entspannt, wir können vor den Wellenbrecher, stehen in den ersten Reihen, warten auf den Anfang – denn bevor die Briten kommen, erwarten wir Australier: The Dead Daisies haben sich als Support angekündigt und das ist schon eine kleine – oder auch größere – Legende, die da auf die Bühne kommen wird. Der Gänseblümchentotenschädel leuchtet schon im Hintergrund, das Backdrop wird an diesem Abend zigfach fotografiert – „Mein neues Profilbild“, „Das ist so schön veggie!“, was die toten Gänseblümchen nun damit zu tun haben, sei dahingestellt.

Pünktlich geht es los. Die Begeisterung im Zenith ist förmlich greifbar, man weiß, wer dort auf die Bühne kommt, keine kleine, unbedeutende Newcomergruppe, die bei Priest für Stimmung sorgen soll, sondern ausgewachsene Rocklegenden. Sänger und Bassist Glenn Hughes stand mit Deep Purple und Black Sabbath auf der Bühne, prägte den Sound der erstgenannten in den 1970er Jahren durch seine unverkennbare Stimme. Die Stationen sind vielfältig und namhaft, wenn Hughes kommt, weiß man, man bekommt was geboten, absolute Qualität und ein Stimmwunder. Mit 70 Jahren steht er auf der Bühne und man merkt ihm das Alter nicht an. So manch ein Jungspund hat nicht ansatzweise die Power, die Hughes und seine Bandkollegen an den Tag legen. Eine Stunde lang greifen die vier in die Saiten und bearbeiten die Felle. Dabei kommen nicht nur eigene Songs aus den Lautsprechern, sondern auch sehr gelungene Cover von Creedence Clearwater Revival und Deep Purple. Bei vielen Liedern zeigt sich das anwesende Publikum textsicher. Ein toller Auftritt, der irgendwie viel zu schnell zu Ende ist.

Es folgt eine kurze Umbaupause. The Dead Daisies dürften fast alle Fans bereits in die Halle gelockt haben, die sich während der Viertelstunde noch mal ein bisschen leert. Die letzte Kippe vor den Altrockern aus Birmingham. Noch ein Bier, noch mal einen besseren Platz gesucht. In den ersten Reihen ist der Sound gut, weiter hinten merkt man dann doch, dass nichts abgehängt ist und das Zenith das altbekannte Soundproblem hat. Dafür wird man schnell abgelenkt vom Bühnenaufbau mit zwei kleinen Erhöhungen an den jeweiligen Seiten, so dass Rob Halford einige Stufen nach oben gehen kann. Allgemein ein bisschen auf Schrotthalde gemacht, findet sich überall das Judas Priest Logo, das schließlich auch von der Hallendecke herabgelassen wird, überdimensional und bunt leuchtend. Ein krasser Effekt zu Beginn, als das Logo in tiefrot erstrahlt und der Jubel keine Grenzen mehr kennt. Im Hintergrund laufen zu jedem Song passende Filmchen ab – die Frage, ob Halford auch in München mit der Harley über die Bühne cruisen wird, wird später beantwortet. Vom Band kommen die Kollegen von Black Sabbath mit „War Pigs“, danach „Battle Hymn“, ein bisschen ungewöhnlich, dass man solche Songs als Entrance nutzt, aber warum denn eigentlich auch nicht? „One Shot at Glory“ bildet dann den wirklichen Start. Es geht los, schwere sägende Gitarrenriffs aus den Sechssaitern von Richie Faulkner und Andy Sneap, knallende Drums von Scott Travis, Auftritt Rob Halford – die Legende. Eine weitere Legende hält sich dezent etwas im Hintergrund. Urgestein und Bassist Ian Hill ist das Mitglied, das am längsten dabei ist. Seit 1970 zupft er an den vier dicken Kabeln. Erst seit ’73 dabei ist der unverwechselbare Shouter Rob Halford. Die konzertlose Zeit konnte man super nutzen und seine Biografie lesen und so den Sänger von Priest noch mal von einer anderen Seite und sehr offen erzählend kennenlernen. Nun steht er also vor dem ausverkauften Zenith, freut sich sichtlich darüber und knallt gleich als zweiten Song „Lightning Strike“ rein, vom immer noch aktuellen Album Firepower. Übrigens der einzige Song dieses Albums in dieser Nacht. Die beiden Axemänner Faulkner und Sneap machen ihre Sache sehr gut. Dass K.K. Downing und Glen Tipton nicht mehr dabei sind, ist zwar schade, aber zu verschmerzen. Halford posiert, nimmt die komplette Bühne für sich ein, ist irgendwie omnipräsent. Er läuft von links nach rechts, die Stufen nach oben, posiert für jedes Foto von Profis und Laien, geht nach hinten, kommt wieder zurück. Nicht, dass er alleine da oben stehen würde, aber alle Augen scheinen auf den Fronter gerichtet zu sein, das Sängerschicksal oder einfach die Anziehung einer großartigen Ausstrahlung. Song Nummer fünf wird dann mehr von der Halle gebrüllt, als von ihm gesungen. Gibt es ein Priest-Konzert ohne „Turbo Lover“? Früher war das einige Jahre so. Das „ungeliebte“ Album mit den Gitarrensynthesizern wollte man live nicht darbieten, aber – bei den Fans wurde und wird das Album mittlerweile genauso hochgeschätzt wie der Rest des Backkatalogs. Also gebt dem Pöbel, wonach er brüllt und lasst die Meute mal so richtig abgehen. Was man auch kennt: Halfords Klamottenwechsel. Die Jacken und Mäntel werden getauscht, die Hosen, das ganze Outfit. Markiert auch immer wieder kleine Abschnitte, kleine Zäsuren im Konzert. „Hell Patrol“, „A Touch of Evil“ werden abgefeiert als das Intro eines Uraltkrachers aus den Boxentürmen knallt. „Victim of Changes“ aus dem Jahre 1976 bringt die Fans zum Rasen. Das folgende „Blood Red Skies“ ist nur ein Übergang zu einem weiteren Alltimehit. Es folgt das Fleetwood Mac Cover, “The Green Manalishi”, dann Joan Baez’ “Diamonds & Rust” – schließlich noch so ein Pflichtsong: „Painkiller“. Das Zenith kocht! Zwei Jahre des Wartens haben sich absolut gelohnt. Perfekter könnte der Abend gar nicht mehr sein. Die Band entschwindet, vom Band kommt „The Hellion“, immer noch wartet man auf die Harley. Jeder Judas Priest Fan weiß, dass zwei Songs auf jeden Fall noch fehlen. Aber erst mal stehen „Electric Eye“ und „Hell Bent for Leather“ auf der Setlist – und da hört man sie auch schon brummen. Milwaukee-Eisen in V2 Anordnung. Den aktuellen Lärmschutzrichtlinien zufolge hört sich die Harley aber mittlerweile eher wie eine gedrosselte Zündapp an. Egal – wat mut, dat mut. Halford hat einmal mehr das Outfit gewechselt, präsentiert sich im knappen Lederslip, wenn das einer darf und kann, dann er – und nein, sowas kann sich bei weitem nicht jeder 70-Jährige erlauben! Dann wird’s dunkel, fette rote Rauschschwaden tauchen die Bühne in ein unheimliches Licht und zwei glutrote Augen starren durch die Halle. Ein riesiger aufblasbarer Stier taucht auf der Bühne auf, und endlich kommt der Song, für den ich auf jedes Judas Priest Konzert gehe – und das könnten die Briten zwei Stunden lang in Dauerschleife spielen: „Breaking the Law“! Ich hab keine Ahnung, warum, aber das ist mein favorite live song ever – nicht nur von Judas Priest. Eigentlich ist der Song recht einfach gestrickt, aber die Hookline ist perfekt, eingängig, mitreißend. Kyra ist glücklich! Den Abschluss bildet dann aber natürlich „Living After Midnight“, auch ein Klassiker, der einfach nicht fehlen dar. Halford lässt sich danach noch lange von der Menge feiern, bedankt sich selbst gemeinsam mit den Bandkollegen bei den Dead Daisies und den Fans.

Ein absolut gelungener Abend, ein tolles Konzert, vergessen und (hoffentlich) vorbei die Pandemie, es darf wieder gerockt werden – und das Zenith hat einmal mehr einen regelrechten Abriss erlebt.

Setlist Judas Priest:
01 – One Shot at Glory
02 – Lightning Strike
03 – You’ve Got Another Thing Comin’
04 – Freewheel Burning
05 – Turbo Lover
06 – Hell Patrol
07 – The Sentinel
08 – A Touch of Evil
09 – Victim of Changes
10 – Blood Red Skies
11 – The Green Manalishi (With the Two Prong Crown)
12 – Diamonds & Rust
Encore:
13 – Electric Eye
14 – Hell Bent for Leather
15 – Breaking the Law
16 – Living after Midnight

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