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Negro Navarro, als dieser Name in den Sozialen Medien auftauchte, schlugen die Herzen der Wrestlingfans höher. Zumindest derer, die den Mexikaner bereits kannten und damit meist schon weiter über den Tellerrand großer Acting-Promotions hinausgesehen haben und eine gewisse alte Schule zu schätzen wissen. Sobald man wusste, dass Espiritu Pro Wrestling Dojo eine wahre Legende eingeladen hatte, in den Hausring zu steigen, vermutete man, dass es nur einen Gegner für Navarro geben konnte, nämlich CEO und Founder Mike Mendoza. Niemals würde er sich nehmen lassen, einen solchen Kampf zu bestreiten, oder? Man mag ihm vielleicht einiges nachsagen, ob er der arrogante Kerl ist, der wirklich teilweise sehr rücksichtslos durch die puertoricanische Wrestlingszene geht oder nicht, das mögen andere beurteilen, die ihn anders, vielleicht auch besser kennen. Aber dass er viel für eben genau jene Szene und deren Wiederaufbau getan hat und tut, das kann niemand bestreiten, genauso wenig, dass Mendoza bereits jetzt eine lebende Legende ist. Den Kampf hat er nicht bestritten, sondern ein Tag-Team-Match draus gemacht. Denn zu Navarro gesellte sich Espartaco, ebenfalls mexikanische Wrestlinglegende und es war noch gar nicht lange her, dass die beiden sich in einem erbitterten Titelkampf im Ring gegenüberstanden. Mendoza nutzte den Besuch der beiden Mexikaner aus und bot einen Tag vor „Master Series“ ein Seminar für interessierte Wrestlingschüler an, geleitet von Navarro, Espartaco und natürlich Großvater und Coach-Legende El Vikingo. Wenn man die drei nebeneinander sieht, steht man als Fan schon mal ehrfürchtig mit offenem Mund da und denkt an vergangene Zeiten, großartiges Wrestling, als Mendoza noch irgendwas zwischen einem schmutzigen Gedanken und einem kleinen Lausebengel war – und selbst ich kenne diese Matches nur nachträglich aus dem Internet. Die Ankündigungen versprachen – wie immer – einen spannenden Abend im Espiritu Fitness Center in San Juan. Was die Zuschauer, die nicht dabei sein konnte, leider verpassten, weil auf IWTV im Zusammenschnitt nicht gezeigt, waren die Auftritte der Newbies, wie beispielsweise die großartige Nahir Robles, die man sonst eher als rasende Reporterin mit ihrem unverwechselbaren Gruß „Hola, hola“ oder als Model kennt. Aber alles hat seine zeitliche Begrenzung, so auch die Nachschau bei IWTV.
Zu den „Master Series“. Angekündigt war ein Rachematch von Yaide und Adam Riggs, die sich am Ende ihres Tag-Team-Kampfes vom vorherigen Event „No Actors, wrestlers“ richtig in die Haare bekommen hatten. Wieso, weshalb, warum, kann man hier noch einmal sehen. Das musste leider aufgrund einer Erkrankung von Adam Riggs kurzfristig abgesagt werden. Mehr Zeit für beide, ihre Wut zu schüren. Dafür erlebten wir ein neues Tag Team, das – so viel sei vorweg genommen – in mehrerlei Hinsicht brutal einschlug. Nach diesem Abend sind beide nur noch als Fuerza Recia bekannt, übersetzt bedeutet das soviel wie starke Kraft und der Name ist sowas von Programm! Reckless Harry Williams und Baltazar Bruno stecken dahinter und haben ihren ersten Auftritt als Team im Dojo gegen Gravedad Zero, Samuel Olmo und Justin Dynamite. Eine gute und zugleich sehr schlechte Wahl. Man weiß, dass Dynamite seit einiger Zeit Schulterprobleme hat und er hat im Vorfeld angekündigt, dass dies sein letzter Kampf vor einer Pause sein würde. Es kann im Grunde nur schiefgehen – oder Olmo wird alleine im Ring stehen.
Die heilige Halle ist voll, als Harry Williams als erster aus dem improvisierten Lockerroom tritt, wo sonst schweißtreibend trainiert wird. Er wirkt konzentriert und ein bisschen furchteinflößend, aus dem Rekruten ist ein ernstzunehmender Wrestler geworden, vor dem eine gewisse Karriere liegt, da bin ich mir sehr sicher. Ihm folgt Baltazar Bruno, der mit Sprechgesang empfangen wird. Der stumme Hüne schreitet zum Ring, wie zwei Raubtiere stehen die beiden links und rechts neben Yaide, die bei diesem Match ihre zweite Leidenschaft als Announcerin auslebt. Gravedad Zero werden lautstark empfangen, vor allem Olmo hat seinen Fanclub scheinbar dabei – und zu dem muss ich noch was sagen. Bei „No Actors“ hatte ich mich ja sehr über die Fraktion Los Muchachos Wrestling aufgeregt, was ich wegen der Aktion von damals immer noch tue, aber eines muss man ihnen lassen: Sie sind ein grandioser Support für das puertoricanische Wrestling und auch wenn man vielleicht die ein oder andere Aktion ziemlich scheiße findet, so sind die Jungs doch recht harmlos und ein wichtiger Bestandteil der Szene. An diesem Abend feuern sie zuerst einmal Olmo an, der sich gebührend feiern lässt. Ein neuer Referee ist auch im Ring, der mit den Stiefeln, wie er in den Wochen zuvor auf Instagram vorgestellt wurde. Gong, es geht los. Olmo vs. Bruno. Ersterer schickt den Hünen erstmal auf die Knie, das währt nicht lange, ein bisschen Katz- und Mausspiel, abklatschen, erster Pinversuch. Das geht schnell los. Dann stehen plötzlich Fuerza Recia alleine im Ring, dann wieder alle vier, die wild aufeinander einprügeln. Die Stimmung im Publikum ist gut. Man jubelt, man klatsch, man schreit, feuert an. Ein Match, das wirklich Spaß macht, tough, kraftvoll, doch immer mit der Sorge um Dynamite, der immer wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht seine bereits getapte Schulter hält. Man muss sagen, dass ihn niemand zu diesem Match gezwungen hat, es war seine freie Entscheidung, er wollte das und vielleicht wusste er auch in vollem Umfang, worauf er sich einlässt. Dennoch leidet man brutal mit, mit jeder Aktion gegen ihn, wird man als Zuschauer angespannter. Da ich bereits später an dem Abend wusste, was passiert, weil ich einen bestimmten Ausschnitt in einem Fanvideo gesehen hatte, hab ich ihn wirklich für verrückt erklärt. Man will nicht, dass sich einer der Akteure ernsthaft verletzt. Egal, was manchmal der Show zuliebe dargestellt wird, das ist immer noch ein sehr reeller, sehr körperlicher Kampf, der alles abverlangt und der zu ernsthaften Verletzungen führen kann, der auch Karrieren beendet – was im Falle von Justin Dynamite Jahrzehnte zu früh wäre. Aber davon später, momentan stehen der Angeschlagene und Williams im Ring, schenken sich nichts, gehen aufeinander los und scheinen dem Match ein schnelles Ende bereiten zu wollen. Aber dafür sind die Gegner doch zu stark. Bereits nach diesen ersten Minuten wird deutlich, dass hier keine Rookies ein bisschen im Ring spielen, sondern ernstzunehmende Wrestler einen tollen Kampf zeigen. Die Mischung aus Technik und Stärke, die Schnelligkeit, die Augenhöhe, mit der sich beide Teams begegnen, stechen deutlich heraus. Der Kampf könnte auch woanders stattfinden als im Espiritu Fitness Center, er könnte eine Halle füllen und eine Menge begeistern. Die Professionalität zeigt sich neben vielem anderen vor allem in Dynamite, der trotz Schmerzen keine halben Sachen macht oder Olmo für sich kämpfen lässt (was ich ihm bei den letzten beiden Events ein bisschen vorgeworfen hatte). Dynamite steht nun auf dem Seil, will einen Move anbringen gegen Williams, der keine Gnade kennt und dafür sorgt, dass sein Gegner ins Seil fällt, was die Schulter ziemlich angreift. Während Dynamite sich umdreht, nimmt Williams Anlauf, springt von hinten in den Angeschlagenen, der vom Ring springt und gegen den Pfosten, der davorsteht, an dem er sich nicht halten kann. Ich möchte hier mal kurz auf diese Fake-Vorwürfe eingehen. Ja, dieser Move mag abgesprochen gewesen sein, deswegen ist nichts Fake. Die Schulterverletzung war zu jederzeit in diesem Match real und wenn Du mit dieser Verletzung gegen einen Pfosten knallst, ist es egal, wie abgesprochen die Choreographie eines Kampfes ist. Dynamite bleibt liegen und schreit, Yaide rennt panisch zu ihm, nachdem sie Mike Mendoza informiert hat, der sofort da ist. Ja, nette Show, alles gut, aber die Sorge von den beiden ist nicht nur gespielt. Während die beiden, der Verletzte, Olmo und der Referee im Backstage verschwinden, steht Team Fuerza Recia fassungslos im Ring. Und nun? HALLO? Das hier ist noch nicht vorbei! Die beiden springen ins Publikum, brüllen durch die Halle und der Referee kann sie nicht davon abhalten, ebenfalls im abgesperrten Bereich zu verschwinden. Man hört Schläge, Schreie, Stöhnen, der Referee wird rausgescheucht, Bruno trägt Olmo auf den Schultern zurück in den Ring. Bring es zu Ende, lautet die sehr deutliche Botschaft. Und wieder einmal muss Olmo gewaltig einstecken. EPWD ist kein gutes Pflaster für ihn. Trotzdem versucht er alles, kommt aber nicht an gegen die Übermacht von Bruno, alleine schon gar nicht. Er wird angefeuert, liegt am Ringboden, wird Spielball von Williams, lässt sich aber nicht pinnen. Es ist ein Aufbäumen, bei dem man sich fragt: Wie willst Du das gewinnen? Aber Aufgeben ist keine Option. Dann wieder Bruno und ein bisschen muss man sich fragen, ob die beiden ihn am Leben lassen werden. Aber dann wehrt sich Olmo, bäumt sich auf gegen den Riesen, schafft aber den Pinnversuch nicht. Erneuter Tumult, Dynamite rennt zum Ring zurück, eine aufgelöste Yaide hinter ihm her, ein – sagen wir – engagierter Mendoza, der ihn davon abhalten möchte, aber die Entscheidung seines Schülers respektiert und schließlich Yaide vom Ring wegschiebt. Keiner kann einen Wrestler aufhalten. Ehrlich gesagt, als ich die Aufnahme zum ersten Mal gesehen habe, ein Fanvideo auf Instagram, war ich sauer auf Mendoza, er trägt eine gewisse Verantwortung und hätte meiner Meinung nach Justin Dynamite unbedingt davon abhalten müssen. Aber zum einen ist der selbst für sich verantwortlich und muss wissen, was er tut, zum anderen kann man einen echten Wrestler von rein gar nichts abhalten, zum Dritten ist es zu einfach, immer alles Mendoza in die Schuhe zu schieben, nur weil er ein willkommener Prellbock ist. (Ich tue es später am Abend trotzdem nochmal.) Also Dynamite ist zurück, will abgeklatscht werden, Olmo verneint, muss den nächsten Angriff wegstecken und kriecht dann doch zu seinem Tag-Team-Partner. Der scheint derart wütend und rasend (vor Schmerz) zu sein, dass er brutal auf den frisch-eingewechselten Gegner losgeht. Jede Aktion, jeder Schlag scheint Dynamite selbst wehzutun, er ist nun mal Rechtshänder und die rechte Schulter ist verletzt, aber er ist professioneller Wrestler, EPWD-Schüler und das ist ein Qualitätsmerkmal. Das hört erst auf, wenn einer nicht mehr eigenständig den Ring verlassen kann – oder eben gepinnt wird. Das ist dann auch Dynamite. Olmo geht mit einem Stuhl auf die beiden Gegner los, eine Mischung aus Wut und Sorge im Gesicht, Yaide beugt sich weinend über ihren Lebensgefährten, das ist irgendwas zwischen Tragik, Liebesromanze und echtem Wrestling. Das erste Match, das wir gesehen haben, hat schon mal richtig gezeigt, wie hoch mittlerweile das Niveau der Kämpfer ist, die bei EPWD trainieren und im Ring stehen, wie sehr man Erfolg haben möchte, wie weit man dafür geht – und auch, wie sehr man sich entwickelt hat. Heißer Anwärter für das Match des Abends und absolut einer Master Series würdig. Der Weg des Verletzten wird wohl in absehbarer Zeit weg von der Insel führen, darf man Gerüchten Glauben schenken. Das trifft unheimlich, aber er hat es so sehr verdient und da draußen wartet Großes auf ihn. An dieser Stelle noch einmal gute Besserung an Justin Dynamite!
Weiter geht es mit Felix Aldea. Zugegeben, mit ihm konnte ich lange wenig anfangen, fand ihn bei „No Actors“ auch etwas zu grün hinter den Ohren, ein bisschen erscheint er wie der Notnagel, der eine Lücke füllen muss und auch ran darf, aber der Weg ist noch sehr weit. (Spoiler: Der Weg ist vielleicht noch weit, aber ein gutes Stück ist schon zurückgelegt und mittlerweile hat er mich beeindruckt.) Geplant war er laut angekündigten Matches nicht für diesen Abend, aber man muss ja ausgleichen. (Übrigens gibt es hier einen Schnittfehler in der IWTV-Aufzeichnung, der an sich egal ist, aber der das Handwerk zeigt, diese Unschuld, diese unheimliche Kraftanstrengung, immer abzuliefern, Events zu planen, durchzuführen, Talente zu fördern, Zuschauer zu unterhalten, Fans zu akquirieren, alles aus verschiedenen Perspektiven aufzunehmen und dann zu schneiden, zu kommentieren, nicht zu lang auf die Veröffentlichung warten zu lassen.) Zurück zu „Master Series“, Aldea ist im Ring. Wer kommt denn jetzt? Oh, Eros! „A man that is chosen by the Gods themselves“, so die Kommentatoren. Der fehdet ja gerade sehr leidenschaftlich mit Hijo del Enigma. Er bekommt die Buh-Rufe, schert sich nicht drum, es geht los. Felix beweist schnell Kraft, scheint sich schneller in den Kampf einfinden zu können, probiert vieles aus, was er gelernt hat, manches misslingt. Es ist ein technisches Match, ein Kontrast zum vorangegangenen Kampf. Den beiden schaut man einfach nur zu. Sicherlich könnte man einige Moves kommentieren, aber das ist recht langweilig beim Lesen. Ich erwische mich wirklich dabei, wie ich den beiden nur zusehen möchte, das ist ein gutes Zeichen. Many ist in diesem Fall die beste Ringrichterwahl. Er ist besonnen, macht seine Sache gut, zeigt auch Präsenz im Ring. Mehrere Pinversuche von beiden gehen ins Leere und enden bei zwei. Drop Kicks, Spine Busters, Closelines – es ist noch ein bisschen die Suche nach dem eigenen Stil, nach dem letzten Schliff, aber die Zeit haben beide noch und hier auch die Plattform, um sich auszuprobieren. Eros gewinnt schließlich, was keine Überraschung ist, aber Felix hat hier sehr gut abgeliefert. Ich bin wirklich beeindruckt und denke, da muss man ein Auge drauf werfen.
Schon geht es weiter, gerade mal 30 Minuten sind vorbei, eine Stunde steht uns noch bevor. Nun der Kampf des Abends: Negro Navarro & Espartaco gegen Pure Culture, El Gentil und Hijo del Enigma. Es war eine gute Wahl, die vier aufeinandertreffen zu lassen. Technik und Erfahrung mit etwas jungem Esprit (Hijo del Enigma). Man hat sich auf diesen Kampf gefreut und die beiden Veteranen werden mit großem Jubel zur Bühne geführt. Das ist wie eine Auszeichnung für das Dojo und ich würde wirklich nicht gleichzeitig tippen und den Kampf anschauen, wenn ich ihn nicht bereits einmal komplett gesehen hätte. Film ab und genießen! Natürlich ist das schnell mit einem Augenzwinkern zum Kampf Mexiko gegen Puerto Rico erklärt worden und natürlich ist das Publikum dann doch auf der Seite von Puerto Rico, klar, Heimvorteil. Der Entrance ist übrigens Bon Jovi „Livin‘ on a Prayer“ und El Gentil springt auf den Ringrand und rockt. Ja, er schwingt die Hüften, klatscht im Takt und fordert das Publikum auf, mitzumachen, das klatscht auch recht bald, wartet auf den Refrain und singt dann aus voller Kehle mit, die Musik verstummt, das Publikum singt weiter. Eine herrliche Szene! Im Allgemeinen ist El Gentil mega gut drauf, ein kleiner Rockstar an diesem Abend. Es geht los. El Gentil und Negro Navarro stehen sich gegenüber, ersterer möchte noch Händeschütteln, aus Respekt, letzterer vergeudet keine Zeit und schnappt sich den Arm, der kunstvoll verdreht wird. Der Puerto Ricaner kann sich kurz befreien, wird dann aber vom Erfahreneren auf die Matte befördert, langsam, fast schon liebevoll. Der Pin wird nur durch ein Fuß auf dem unteren Ringseil verhindert. Das Match ist langsam, würdevoll, so technisch, wie man es kaum noch sieht. Es ist ganz alte Schule und einfach schön. Man sieht und spürt gegenseitigen Respekt, kein Hass, keine Zerstörungswut, kein aufeinander Einschlagen. Dafür pure Technik, Kraft durch vollendetes Ringen. Es ist sowas wie Slow-Wrestling, ohne langweilig zu sein, mit viel Interaktion mit den Zuschauern, mit viel Freude beim Zusehen. Navarro führt El Gentil vor, als er einen Sleeper Hold anbringt, der so gar keine Wirkung zeigt. Jetzt möchten andere aber auch mal ran. Abklatsch auf beiden Seiten und Espartaco und Hijo del Enigma stehen sich gegenüber. Sofort wird „Enigma, Enigma“ skandiert, was Espartaco gar nicht so toll findet. Die beiden sind, wenn man das sagen kann, etwas zurückhaltender zu Beginn, es wird auch mehr mit dem Publikum interagiert als gekämpft für eine Weile. Beide versuchen einen Pin, doch die Schultern sind nicht auf der Matte, es wird nicht mal angezählt. Kurzzeitig ist Enigma in Bedrängnis, nicht wegen Espartaco, der Verschluss der Maske unter dem Kinn hat sich geöffnet – doch dafür hat jeder Verständnis und baut diese kurze Pause einfach mit ein. Navarro ist der einzige Unmaskierte in diesem Match, selbst der Ringrichter trägt eine Maske (und Stiefel). Plötzlich aber stehen alle im Ring, es wird diskutiert, dann bleiben El Gentil und Espartaco. Mit einem Mal kommt ein bisschen Tempo rein, dann gehen beide über das oberste Seil und bleiben am Boden liegen. Im Ring gehen die beiden Übriggebliebenen aufeinander los. Enigma schickt Navarro zu Boden, zweimal. Es wird schnell. Die Ruhe vom Anfang ist vorbei, es werden mehr Moves gezeigt, Navarro verknotet den Puerto Ricaner regelrecht und hält ihn, auf dem Rücken liegend, über sich. Hieraus ergibt sich ein Problem, das viele übersehen: Wenn Navarro mit beiden Schultern die Matte berührt, würde das als Pinversuch von Enigma gelten, der Referee müsste nur noch zählen und nach drei Sekunden wäre alles vorbei. Dann passiert es. Navarro will Enigma pinnen, schiebt ihn über seinen Kopf, so dass die Schultern von Enigma den Boden berühren. Es scheint unmöglich, sich hieraus zu befreien, der Referee zählt an: 1 – 2 – 3. Das war’s! Aber für wen denn eigentlich? Beide Kämpfer haben mit beiden Schultern (soweit von der Zuschauerperspektive aus sichtbar) den Boden berührt. Wer hat denn nun wen besiegt und warum? Beide feiern sich einen Augenblick, bis sie verstehen, was passiert ist. Dann gestikuliert der Ringrichter wild und erklärt beide zu Verlierern. Damit will sich jedoch niemand zufrieden geben, das Publikum ist hier etwas zu still für meine Begriffe, entweder begreift es nicht, was gerade passiert, oder es ist ihm egal. Ich hingegen feiere diese Szene total. Wie geht es weiter? Da sind ja noch Espartaco und El Gentil, die nun aufeinander losgehen und das Match entscheiden wollen. El Gentil versucht es zuerst, scheitert bereits bei 1. Espartaco lässt den Referee immerhin bis 2 zählen. Der Puerto Ricaner wird angefeuert, die beiden verknoten sich einmal mehr im Ring, allerdings stehend und dann versteht man nicht so ganz, was passiert, denn plötzlich beendet der Referee das Match und erklärt El Gentil zum Sieger. Man musste sehr genau hinsehen, um das zu verstehen. Sieg für El Gentil, oder? Nein, Sieg für Puerto Rico! Der Ringrichter drückt Enigmas Arm entschieden runter, nein, der Jüngere hat nicht gewonnen. Das Publikum ist da jedoch anderer Meinung – und dann kommt die beste Lösung überhaupt: Jeder hat gewonnen, El Gentil und Negro Navarro, Espartaco und Hijo del Enigma, Puerto Rico und Mexiko. Nein, meint der Ringrichter erneut, doch er hat keine Chance und verlässt schließlich den Ring. El Gentil greift zum Mikrofon, bedankt sich bei den Gegnern, bei den beiden Legenden und macht seine Verehrung deutlich. Großartig. Dann ist er wieder ganz der Rockstar, der zusammen mit dem Publikum „Livin‘ on a Prayer“ singt, Navarro tut so, als würde er einschlafen. Dann ergreift er das Wort und bittet um Ruhe. Er bedankt sich für die Einladung, den Kampf und diese Erfahrung in Puerto Rico. Ein tolles Abschlussbild. Espartaco singt dann noch. Können wir einfach einen Cut machen und damit den Abend enden lassen? Das ist einfach nur schön!
Sorry, aber der Cut ist hart. Wir sind gerade noch in schönster Feierlaune, Schnitt, Mike Mendoza bricht geradezu hinter dem Vorhang hervor (können wir ihm da bitte mal eine Spanplatte hinstellen, die er kunstfertig mit diesem Auftritt zerstört?). Ja, ich gebe es zu, ich bin beim ersten Mal voll erschrocken bei diesem Cut und seinem Rumgewirbel. Für so viel Power war ich da gerade nicht bereit. Zumal man leider seine Musik in der Aufnahme so gut wie gar nicht hört. Wir haben noch 40 Minuten Video, zwei Kämpfe, ein Publikum, das mich gerade mal wieder sehr enttäuscht, außer einer kreischenden Frau hört man wenig Zustimmung, sogar einige Buh-Rufe und überhaupt: Kann man den Kerl nicht einmal feiern in seiner eigenen Hütte? Es ist eine Open Challenge, die bevorsteht, und wenn wir ehrlich sind, es gibt nicht wirklich eine große Auswahl an Gegnern. Mein Tipp war Alfredo Melies. Naja, nun tritt aber der Hausherr erstmal auf, sichtlich besserer Laune als letztes Mal, greift zum Mikrofon. Kurze Ansage, Entrance Melies. Natürlich kann nur er es sein, verspricht gut zu werden. Mendoza applaudiert und honoriert den Mut seines Gegners, dann sorgt er dafür, dass die Plätze geräumt werden, also wird es wohl mal eben durch die Stuhlreihen gehen, fraglich ist nur, wer geschleudert werden wird. Er schleicht unruhig und gleichzeitig geschmeidig wie eine schwarze Raubkatze durch den Ring und erinnert mich sofort an Rilkes Gedicht „Der Panther“. Dieses Mal wirkt er hochkonzentriert, sein Fitnesslevel scheint er für das LAWE Summerfest nochmal hochgeschraubt zu haben und zu halten (naja, was anderes wäre auch sehr seltsam); er wirkt noch trainierter und kräftiger, drahtiger, agiler, aber auch unruhiger und ernster, manchmal suchend. Wie so oft streckt er seinem Gegner zu Beginn die Hand entgegen, Handshake, Alfredo will sich wegdrehen, wird zurückgehalten und kassiert einen Tritt in die Fresse. Dieser Angriff erscheint so unvorhersehbar, so brutal, so unpassend. Melies geht sofort zu Boden, rollt aus dem Ring, Mendoza nimmt Anlauf, stürzt sich auf ihn, setzt ihn schließlich auf einen Stuhl, psst, man muss die Schläge hören. Doch dann wehrt Melies einen Angriff ab und ist nun seinerseits derjenige, der zuschlägt und einen Anlauf startet, jedoch erneut hart abgewehrt wird. Am Ende springt Mendoza auf ihn, scheint kaum zu halten zu sein, in Rage, warum auch immer. Er hat hier einen sehr würdigen Gegner gefunden, der ihm durchaus Paroli bietet, aber verlieren möchte der Hausherr auf keinen Fall, das steht nicht auf dem Plan für heute. Zurück in den Ring und ein erster Pinversuch, doch der Herausforderer reißt die Schulter nach oben. Wirklich? Na gut, dann eben weiter. Melies in der Ringecke, es gibt immer wieder ein Aufbäumen von ihm, dann wehrt sich El Escorpion, so deutlich überlegen hier, als wäre das ein Trainingskampf. Diese Brutalität scheint nicht hierher zu gehören, nicht ins Dojo, nicht in diesen Ring. Es gab schon einige harte Begegnungen hier, aber warum tickt Mendoza so aus? Dass er gegen Melies gewinnen kann, weiß hier jeder, dass er dafür nur einen Bruchteil der Härte bräuchte, die er hier an den Tag legt, auch. Was also ist in ihn gefahren? Es gibt eine Szene, in der beide abwartend wirken, aber nicht aufeinander, sondern auf etwas anderes. Anfänglich hatte ich das kritisiert, aber nachdem ich das komplette Match gesehen hatte, wusste ich, dass es nur ein kurzer Moment war, der nicht andauerte. Irgendetwas muss aber noch passieren. Kommt Yaide in den Ring gestürmt – das war meine heimliche Hoffnung, nachdem ihr Match abgesagt werden musste – oder taucht ein anderer im Ring auf, der sich mit dem Master anlegen und Melies zu Hilfe eilen möchte? Ich wollte das nicht schreiben, aber ich muss einfach: Mike, diese Brutalität, diese Präzision an Tritten und Schlägen, diese absolute Dominanz, diese Wut, die wünschen wir uns manchmal von Dir in LAWE Matches, wenn Du Dich ein wenig zu billig verkaufst. Wieder hagelt es Schläge und Tritte, anders kann man das Match gar nicht beschreiben. Die Technik steht irgendwo hinten an. Kurzzeitig dominiert Melies mit Flying Ellbows, einer ordentlichen Closeline und einem Missile Dropkick, und wird dafür immens gefeiert. Es kommt sogar zum Pinversuch, den der Referee versaut. Er braucht viel zu lange, bis er endlich da ist, endlich zu zählen beginnt. Kurze Auszeit für Mendoza, der sich freikicken kann, Melies macht deutlich, was er von der Aktion hält. Neckbreaker von Melies, er führt jetzt deutlich und automatisch steigt die Anspannung, man starrt gebannt auf den Bildschirm, schafft es El Academico, den Scorpion zu besiegen? Wieder versagt der Ringrichter, der allgemein nicht seine beste Leistung hier zeigt. Mendoza wälzt sich aus dem Ring, doch Alfredo ist nun wütend und holt ihn zurück. Er steigt auf das oberste Seil, Mendoza schubst den Referee, der dagegen stürzt und dadurch Melies zu Fall bringt. Sofort ist der Angreifer auf den Beinen, wittert eine Chance, klettert nun seinerseits auf das oberste Seile, doch Melies rollt sich aus dem Weg. Die beiden kämpfen verbissen, Pinversuch – oder doch nicht? -, Mendoza kann dem nur entgehen, indem er sich am Seil festhält, aber der Gegner hat anderes im Sinn, wuchtet Mendoza auf die Schultern und setzt zu einer enormen Powerbomb an. Das muss es gewesen sein, oder? Wieder geht es nur bis 2. Mendoza wirkt sichtlich angeschlagen, doch dann wehrt er sich, drei Kicks gegen den Herausforderer, der kontert mit German Suplex und Closeline, klettert auf das oberste Seil, Mendoza rollt sich weg, die Szene von eben wiederholt sich, nun steht er auf dem obersten Seil, springt Melies auf den Rücken, versucht zu pinnen, der Referee zählt in Höchstgeschwindigkeit, aber schafft es trotzdem nur bis 2. Was ist da los? Wie parteiisch ist der Unparteiische? Ratlos sitzt Mendoza am Boden. Was kann er noch tun? Also gut, nochmal, er stürzt sich auf den Kontrahenten setzt zum Finisher an, drückt die Schultern auf den Boden, der Ringrichter kann nicht noch schneller zählen – Melies kickt aus! Und ja, man freut sich drüber. Mendoza hingegen wirkt, als würden ihm langsam die Felle davonschwimmen, was soll er denn noch tun? Er kann doch hier nicht eine Open Challenge fordern und dann verlieren? Damit hat er zumindest nicht gerechnet. Melies hingehen ist wütend und baut sich hinter dem Hausherrn auf, brüllt, ein bisschen fragend, verwirrt, irritiert dreht sich Mike zu ihm um, beide stehen auf, Mendoza ist schneller – und dann hat der Pinversuch auch endlich Erfolg. Er lächelt, lässt sich feiern, nur feiert ihn kaum einer. Dann applaudiert er seinem Herausforderer und lobt ihn schließlich: Du hast echt Eier. Danke für dieses Match.
Ja, danke muss man schon sagen, denn wir haben hier etwas geboten bekommen. Alle Achtung, das war gut. Doch dann kommt Unruhe in die Halle und die Fans, was ist da los? Warum wird „Oooh Pedro Portillo“ angestimmt? Und wütend wie ein kleiner Giftzwerg, dem man Schneewittchen geklaut hat, stapft der LAWE Champion in das Espiritu Fitness Center. Die Bilder gingen rasch durch die Social Media Kanäle – und es war das erste Mal, dass mir gar nichts dazu einfiel. Es fühlte sich falsch an, ein unerlaubtes Eindringen ins Dojo, eine Invasion in die heiligen Hallen, in einen Ort, der seine eigenen Regeln und Stories hatte, der trotz allem entfernt war von LAWE, von dortigen Fehden. Ein Ort, in dem es mal um etwas anderes ging. Aber er ist hier, er lässt sich von den Los Muchachos feiern, stürmt in den Ring, springt rum. „Was machst Du hier“, fragt Mendoza und drückt ihm das Mikro an die Brust. Portillo würdigt ihn keines Blickes, schaut wie ein König auf sein Volk vor dem Ring. Dann hält er seine Rede, dass die Veranstaltung bessere wäre, wenn er dabei wäre und der Ring endlich mit Ruhm gefüllt wäre, jetzt, wo er sich darin befände. Mendoza hält es mit dem griechischen Dichter Äsop und fordert: Hic Rhodus, hic salta! – naja, sinngemäß, wörtlich fordert er den Invasor dazu auf, hier und jetzt die Sache auszutragen. Und dann bekommt der Hausherr einen Schlag in den Rücken, der ihn zu Boden wirft. Fäuste und Füße schlagen und treten auf ihn ein, auf Melies ebenfalls. Reckless Harris Williams und Baltazar Bruno sind in den Ring gekommen und haben scheinbar ihre Seite gewählt. Während Portillo sich noch ein bisschen an Melies abreagiert, stürmen El Gentil und Hijo del Enigma herein und vertreiben die Neuverbündeten, Gekreische aus dem Publikum, Drohungen der Kontrahenten. Und dann wird mal eben klargemacht, dass es im November im Espiritu Fitness Center einen Showdown geben wird – Mendoza nickt nur überlegen grinsend. What? Um ganz ehrlich zu sein, ich bin zwiegespalten, was diese Vermischung der Promotionen und Storylines angeht. Es hat natürlich eine gewisse Tradition in Puerto Rico, alles ein bisschen zu vermischen, das ist ein paar Mal schon sehr schiefgegangen, manches wurde auch irgendwann sehr persönlich. Man pusht sich gegenseitig dadurch und es kennt sowieso jeder Wrestlingfan der Insel alle Storylines, weil es eben ein überschaubarer Rahmen ist. Aber diese ewige Fehde Mendoza – Portillo hat zuweilen einen gewissen Nervfaktor, da sie nicht weitergeht. Alle wenden sich gegen Mendoza, er muss immer verlieren, die Gründe versteht keiner mehr so richtig und man will mal etwas anderes sehen. Keinen übermächtigen Portillo, der seinen Titel nicht verteidigt, sondern einfach innehat, keinen verlierenden Mendoza, der so viel besser sein könnte und technisch einem Portillo absolut überlegen ist. Portillo hat andere Stärken, er kann was, keine Frage. Nun bricht das Ganze in EPWD ein mit seinen eigenen Stories und Stars. Ja, vielleicht hat es an Gegnern für Mendoza gefehlt, vielleicht langweilt er sich, alles verständlich, ich will gar nicht den wohldurchdachten Plan dahinter infrage stellen, das wäre vermessen. Aber aus Zuschauersicht kann das langweilig werden und als EPWD-Zuschauer erwartet man wirklich was Besonderes, was Großes, etwas … naja, Portillo kann nicht einfach den Schlagring ziehen, Dennis Rivera kann nicht einfach eingreifen, Cuervo und Rivas können nicht im Hintergrund lauern und sich ebenfalls auf Mendoza stürzen (theoretisch ja, aber es muss ja doch ein bisschen Abwechslung her). Oder werden die Tag Team Champions von LAWE kurzerhand durch Fuerza Recia ersetzt, der Schlagring kommt mit und der Referee ist dann zufällig bestochen und wendet sich gegen Mendoza? Was auch immer im November geschieht, geben wir dem Event eine Chance, es wird auf keinen Fall langweilig werden, denn den Ruf seines Dojos wird Mendoza für diese Fehde kaum auf’s Spiel setzen.
Zurück zu den „Mater Series“, ein Kampf fehlt noch. Bei der Ankündigung war ich der Annahme, dass es sich um ein Titelmatch handelt, aber weit gefehlt. Herausforderer Androide 787 kann sich an diesem Abend nur die Chance auf ein Titelmatch gegen El Atleta Manu erkämpfen. Nun, warum nicht? Die beiden sind die längsten Schüler des Dojos, haben sich in unterschiedlichen Ringen bereits bewiesen, Manu ist seit über seinem Jahr unangefochtener Champion und natürlich gibt es viele, die das ändern wollen. Der strahlende Sunnyboy Androide 787 betritt zuerst den Ring, dann gehen das „Manu, Manu“-Skandieren los und der Champ erscheint. Er macht klar, wem der Titel gehört und dass er mit dem Herausforderer sehr kurzen Prozess machen möchte, fast schon war dessen Forderung bei „No Actors“ eine Beleidigung. Und noch etwas stört ihn: Mendoza hatte Androide diesen Kampf um die Chance auf den Titel quasi geschenkt. Wann stehen denn endlich mal Gegner hier, die ihre Titelchancen richtig verdient haben? Androide ist davon wenig beeindruckt, denn heute will er Manu deutlich zeigen, wie er sehr diese Chance verdient hat. Bevor der Gong ertönt, rast er auf Manu zu, greift ihn an, Referee Many möchte aber einen klaren Beginn und separiert die beiden. Eine kurze Unterbrechung im schnellen, harten Angriff gegen den Titelverteidiger. Der sieht nicht aus wie der würdige EPWD-Champion, doch dann steht er außerhalb des Rings und gewinnt die Oberhand. Mit Wucht schmeißt er Androide auf den Boden, schlägt mit einem Stuhl auf ihn ein, schmeißt ihn durch die Reihen, zurück in den Ring. Respektlosigkeit kann und wird Manu nicht stehen lassen, das macht er deutlich. Es gibt es paar Moves, die nicht okay sind, aber Ringrichter Many lässt sie durchgehen. Als die beiden erneut außerhalb des Rings sind, dieses Mal seitlich Richtung Ausgang, muss der verletzte Bengie Lopez eilig von seinem Stuhl aufstehen und humpelnd Platz machen – oh, wie sehr vermissen wir Bengie Lopez nach seinem LAWE Debüt! Androide fliegt gegen die Tür und bleibt liegen. Manu brüllt, geht einmal um den Ring, er wirkt wie ein Gorilla in Rage, als habe man King Kong die Weiße Frau weggenommen – dabei geht es heute nicht mal um den Titel. Manu konzentriert sich erst auf den Rücken seines Gegners, zieht ihn dann brutal an den Haaren, als Many endlich eingreift, entbrennt eine wütende Diskussion zwischen den beiden. Was ist denn in Manu gefahren? Schon jetzt ist klar, das Match ist nicht schön, auf eine gewisse Art nicht einmal gut, es ist einfach nur brutal und fast scheint es, als wolle man diese schönen, technischen Matches, die man früher am Abend gesehen hatte, komplett aus den Köpfen der Zuschauer treten. Mendoza vs. Melies war schon rau, hatte aber hier und da noch seine gewissen Ansätze und Phasen, die nicht von roher Gewalt bestimmt waren. Aber das hier? Will er seinen Herausforderer verletzen? Es scheint so, als wolle er ihm um jeden Preis wirklich wehtun, ihn in den Boden stampfen. Die Menge ist laut, ein bisschen aufgekratzt, aber man merkt auch, dass nicht mehr alle so uneingeschränkt dahinterstehen. Die Pins bleiben Versuche, so sehr sich Manu auch bemüht, Androide gibt nicht auf. Es gibt Momente, das fragt man sich, was die beiden ersten Dojo-Studenten in all den Jahren gelernt haben. Die Grundsätze wie Respekt und Ehre waren es wohl weniger. Zumindest zeigen sie diese nicht hier. Zwischendurch gewinnt Androide wieder die Oberhand, zeigt einige schöne Moves, versucht den Pin, aber Many braucht viel zu lange, um zu reagieren. Die Zeit nutzt Manu, dann rollt er aus dem Ring, angeschlagen, aber noch lange nicht fertig. Er schmeißt einen Becher in das Gesicht des anderes, neuer Pinversuch. Schließlich konzentriert sich Androide auf den Arm von Manu, schwächt ihn deutlich, möchte Manu zur Aufgabe zwingen. Der Referee übersieht viel zu lange den Fuß auf dem Seil. Was ist los? Ist das ein Extreme Rules Match, ohne dass man es weiß? Etwas später das gleiche Spiel mitten im Ring, doch dieses Mal kann sich Manu befreien. Er hat nun Probleme mit dem rechten Arm, aber das macht ihn nur noch wütender. Ein Sprung, Androide weicht aus, überwältigt Manu, pinnt ihn. Der Ringrichtiger zählt Manu aus, übersieht dessen Hand am Seil, was einen sofortigen Abbruch des Pinversuchs bedeutet hätte. Komischerweise wird aber trotzdem das Match nicht offiziell per Glocke beendet. Manu diskutiert, das Publikum diskutiert, Many sieht sich irritiert um, Androide liegt ausgelaugt am Boden, weiß noch gar nicht so recht, was passiert ist. Many entschließt sich dazu, das Match weiterlaufen zu lassen. What? Das ist wie die Videoschiedsrichterentscheidung in der Bundesliga – und die ist scheiße, sind wir doch mal ehrlich. Keiner versteht mehr so richtig, was eigentlich los ist. Androide denkt, er habe gewonnen, Manu, er habe verloren, Many hält nun doch den Arm von Androide nach oben und erklärt ihn zum Sieger, Manu schlägt den Herausforderer von hinten mit dem Titelgürtel nieder und geht auf ihn los, nun ertönt doch der Gong und markiert das offizielle Ende des Kampfes. Was bitte ist hier los? Es geht Schlag auf Schlag, alles passiert so wahnsinnig schnell, so dass man die einzelnen Facetten kaum mitbekommt. Eros stürmt in den Ring, um seinem Liebsten zu Hilfe zu kommen, Manu schickt ihn sofort auf die Matte und verschwindet im Lockerroom. Er kommt mit Kabelbindern zurück, zieht Androide aus dem Ring, fesselt ihn an den Ringpfosten. Das Publikum grinst, Manu greift nach dem Kendostick, der schon die ganze Zeit hochgehalten wird. Das wird wehtun. Und ganz ehrlich: ist das notwendig? Manu schlägt kräftig zu, wird angefeuert, es ist wie ein brutales Hochschaukeln einer wilden Meute. Die Kabelbinder reißen, Androide liegt auf dem Boden, doch Manu ist noch nicht fertig, stapft in den Ring und schlägt auf Eros ein. Der Kendostick ist längst zerbrochen, Splitter sind durch’s Publikum geflogen, die Reaktion darauf später in den Sozialen Medien ist semipositiv. Das hier ist nur noch Gemetzel und das müsste nicht sein und bitte beendet werden. Warum zerstört man ein Event wie „Master Series“ dort dermaßen? Ein neuer Kendostick, weitere Schläge treffen Eros, dann springt Androide in den Ring, um nun seinen Liebsten zu retten, geht jedoch unter den Schlägen zu Boden. Viel zu spät kommen El Gentil und Mike Mendoza in den Ring und vertreiben Manu, der sich feiern lässt. Und der Hausherr kniet zwar neben dem angeschlagenen Androide, grinst aber eine bestimmte Person im Publikum an, die einen der zerbrochenen Kendosticks in der Hand hält und macht eine deutliche Geste. Warum erwähnt? Ich liebe schmutzige kleine Details und hab mich dieses Mal damit ziemlich zurückgehalten. Vor allem aber, weil mir schon klar ist, wer da steht und wie wichtig diese Person für EPWD geworden zu sein scheint und dass die Wahl, ihm den Kendostick für Manu in die Hand zu drücken recht gut war. Aber es war unnötig in meinen Augen. „Master Series“ hätte nicht so brutal und blutig werden müssen, wie das Mendoza und Manu gemacht haben. Ja, auch das gehört zum Wrestling, auch hier gibt es Meister, aber es ist nicht der beste Abschluss für einen Abend mit Navarro und Espartaco, die etwas ganz anderes hier gezeigt haben.
Was bleibt als Fazit? Die Kritik ist minimal und beschränkt sich auf die Brutalität, die mich bei anderen Events gar nicht gestört hätte, für mich hier aber einfach nicht ganz reinpasste. Lässt aber die Frage offen, ob es mal eine Art EPWD-Extreme Rules geben wird – was wohl eher mit einem klaren Nein beantwortet werden wird, weil die Location zu klein ist und die Sicherheit des Publikums nicht gewährleistet werden kann und die Wrestler sich dann nicht richtig austoben können. Mein Favorit des Abends ist klar Justin Dynamite, der trotz Verletzung einen überzeugenden, tollen Kampf geliefert hat und gezeigt hat, was es heißt, professioneller Wrestler zu sein. Großartig! Abgeliefert hat auch Androide 787, der sich die Titelchance redlich verdient hat in meinen Augen. Wir haben ein großartiges neues Tag Team mit Baltazar Bruno und Harry Williams, das hoffentlich bestehen bleibt – und denen ich jetzt schon große Chance auf diverse Tag Team Titel vorhersage. Tolle Idee, die beiden zusammenzubringen – und bitte mal gegen Mike Mendoza und Mark Davidson, das wird ein absoluter Main Event! Das Match des Abends kann ich gar nicht benennen. Highlight war natürlich Negro Navarro & Espartaco vs. Pure Culture, gar keine Frage. Aber auch Mendoza vs. Melies war gut und sehr spannend, wenngleich ein ganz anderer Ansatz. Nachhaltig begeistert hat mich gleich das erste Tag Team Match. Daher teilen sich alle drei diesen Platz. Alles in allem mal wieder ein gelungenes Event, das hier auf die Beine gestellt wurde, Abwechslung, Spannung, Überraschungen, gute Kämpfe, für dieses Event ein bisschen zu viel Extreme Rules und erneut eine Präsentation der Weiterentwicklung der Wrestler und ein Beleg für die Entwicklung und Qualität von Espiritu Pro Wrestling Dojo.
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