Für manche Konzerte fährt man schon mal ein Stückchen. Der W brachte uns ins knapp 200 km entfernte Nürnberg, für mich in die alte Heimat aus meiner Studentenzeit und den geilsten Schuppen in Franken, in den Hirsch. Klein, fein, gemütlich und mit richtig geilen Konzerten, hat mich der Hirsch schon vor über zehn Jahren begeistert und war damals die zweite Heimat. Nun also ging es endlich mal wieder zurück und zum W. Stephan Weidner, Mastermind und außergewöhnlicher Songschreiber der Böhsen Onkelz einmal solo zu erleben, das konnten wir uns nicht entgehen lassen. Im Gepäck hatte er das Gitarrenduo Vagabundos de Lujo und ein eigenes Set von zwei Stunden.
Angekommen in Nürnberg, fiel sofort die Security auf, sowas geht auch freundlich, wie man gesehen hat. Die Jungs und Mädels machen ihren Job, müssen aber nicht irgendwelche sonstigen Defizite damit kompensieren, das muss man auch mal sehr positiv erwähnen. Ebenso der Umgang mit der Akkreditierung, die wir zwar hatten, auch schriftlich, von der vor Ort aber niemand etwas wusste – schon gar nicht von der Fotoakkri. Dies wurde sehr freundlich gelöst. Für mich war einiges neu, früher sah es im Hirsch noch etwas anders aus, aber die Location ist noch besser geworden. Auch für das leibliche Wohl wird gesorgt und er Pizza- und Currywurst-Stand fand großen Zuspruch. Um uns herum sah man vor allem Der W– Shirts, den Aufdruck Böhse Onkelz und Rammstein. Der Musikgeschmack des Publikums war also auch außerhalb des heutigen Headliners gut.
Um Punkt 20 Uhr betreten die Vagabundos de Lujo die kleine Bühne. Das Gitarrenduo von Ibiza ist in den Jahren zu guten Freunden von Weidner und den Onkelz geworden und auch schon lange keine Unbekannten mehr in deren Umfeld. Und was machen die beiden? Stimmung! Beginnend mit dem Cover von „Auf gute Freunde“, hatten sie sofort das Publikum auf ihrer Seite. Das sang lautstark mit und wer kennt diesen Evergreen der Böhsen Onkelz nicht? Jeder konnte mitsingen und jeder tat dies auch. Hier wurde wieder deutlich, wie eingeschworen die Fans von Frankfurts ganzem Stolz sind und dass La Familia nicht nur ein Gedanke ist, sondern gelebt wird. Es folgte ein buntes Potpourri aus Coverversionen von Rammstein, Metallica, Iron Maiden und weiteren. Natürlich wurde „Mexiko“ durch den Hirsch gegrölt, schließlich steht bald eine Weltmeisterschaft bevor – nun ja, da wird man sich beim Public Viewing eben warmfeiern müssen, während unsere Elf in Katar schwitzt – im doppelten Sinn. Hier kann man sich einer gewissen Kritik an dieser WM nicht erwehren. 45 Minuten darf das Duo die Bühne besetzen und einen besseren Support kann man sich kaum vorstellen. Die Stimmung ist super, ausgelassen, man freut sich auf den Hauptact und doch bleibt man nicht vor der Türe stehen und ignoriert die Vorgruppe, sondern spendet ordentlich Applaus. Eine Sache gibt es, die von Seiten der Fans immer zelebriert wird. Egal ob bei den Onkelz, beim W oder sogar vor und nach den Supports. Der wunderbare Fangesang „Oh wie ist das schön … sowas hat man lange nicht gesehn, so schön, so schön“. Der Song wird überall und immer wieder angestimmt – und alle singen begeistert mit.
Umbau gibt es nicht, zwei Gitarren und zwei Musiker müssen von der Bühne geräumt werden, was diese auf zwei Beinen selbst tun und dann könnte es eigentlich schon losgehen. Kurze Pinkelpause, neues Bier holen, die Instrumente ein letztes Mal gestimmt, Der W tritt auf. Unter großem Jubel betritt Stephan Weidner „mit seiner Band“, wie lautstark gesungen wird, die Bühne und legt sofort ordentlich los. Anders als bei den Onkelz, hängt hier der Bass nicht unter den Eiern, sondern wird gleich von einem ganz anderen gespielt. Weidner nimmt das Mikro in Beschlag und rockt zwei Stunden lang die Show. Ältere und neuere Songs wechseln sich ab, dem Publikum ist es egal, es scheint keinen einzigen Song zu geben, der weniger gut ankommt, was super selten vorkommt. Außerdem glänzen die Anwesenden durch überragende Textkenntnis. Das Set ist gut abgestimmt. Schnelle, laute Kracher im Skastil wechseln sich ab mit den traurigen Balladen über Tod, Opfer von Vergewaltigungen und unschuldig im Gefängnis Sitzenden. Trotz dass der W gesundheitlich etwas angeschlagen ist, merkt man ihm nichts an. Er springt über die Bühne, kommuniziert und interagiert mit dem Publikum und zeigt auch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Nur gegen Ende hört man es dann doch an der Stimme. Sichtlich Spaß hat er im ausverkauften Hirsch und verbalisiert dies auch. Nach den großen Hallen, die er im September mit den Onkelz gefüllt hat, ist es auch mal wieder ein Fest, in den kleinen Schuppen mit ihrer besonderen Stimmung und Dynamik zu spielen. In den vorderen Reihen wird munter gepogt, ein MoshPit hat sich gebildet, da geht es sehr rau zu und auch etwas blutig. Aber das ist man gewohnt irgendwie. Trotzdem ist alles friedlich und die Stimmung wahnsinnig locker, ruhig, entspannt. Man hat Spaß, man feiert und es ist so herrlich anders als in München. Ich bin sehr positiv überrascht, nachdem ich eine Woche zuvor in der Landeshauptstadt das absolute Konzertdebakel mit Security-Totalausfall erlebt hatte. So machen Konzerte Spaß. Gute Musik, tolle Performance, entspannte Leute ohne Sozialphobie – sprich: Man kann auch normal kommunizieren, ohne blöd angemacht oder einfach stehengelassen zu werden. Ganz ohne Instrument kann der Weidner dann aber doch nicht. Die Gitarre wird mal wieder in die Hand genommen und dreckig abgerockt. Irgendwann kommt auch ein Megaphon zum Einsatz für einen besonderen Effekt beim Gesang. Der W hat zwar Spaß, man merkt dann doch irgendwann, dass er angeschlagen ist. Positiv: Man darf ja das Handy in der Hand halten, sogar mal ein Foto machen oder ein kurzes Video. Dadurch sieht man weiter hinten auch mal auf die Bühne – so ein kleiner Nebeneffekt, der vielen Bands, die einfach nur teuer und schlecht geworden sind, genauso wie die kostenlose Werbung und Begeisterung danach, total egal ist. Oder sagen wir es anders: Manche habe es halt nötig, einen auf dicke Eier zu machen, der W hat einfach welche und braucht das Getue nicht.
Zurück zum W. Die Ansagen zwischen den Liedern haben es zum Teil in sich. Da geht es mal lachend um das Ende einer Beziehung, das nicht so easy war und in einem entsprechenden Song verewigt wurde – lautstark mitgesungen natürlich. Dann es geht um Suizid, „In stürmischer See“, und nicht ohne Stolz erzählt Weidner, dass „Das letzte Boot über den Acheron“ zum größten Teil von Sohnemann Elvis geschrieben wurde. Man wartet auch irgendwie darauf, dass der Nachwuchs, der bereits bei einer Onkelz-Tour dabei war, zum festen Bestandteil von Papas Band wird, aber Elvis scheint auch eigene musikalische Pläne zu verfolgen. Es gibt Sozial- und Gesellschaftskritik, das gehört auch dazu, und Weidner bekommt die Unterstützung der Fans. Nach zwei Stunden ist es vorbei, noch eine ordentliche Zugabe, dann rufen die Fans zwar einer weiteren, aber es muss mal Schluss sein, auch Weidners Gesundheit zuliebe, der hat schließlich noch einige Auftritte vor sich. Es war ein gelungenes Konzert, ein Fest, das richtig Spaß gemacht hat – und frei nach den Onkelz, haben beide Seiten noch lange nicht genug.
Setlist Der W:
Das Lied vom Blut
Lektion in Wermut
Der Berg bewegt sich nicht
Alles wieder anders
Urlaub mit Stalin
Herz voll Stolz
Mordballaden
In stürmischer See
Für Dich
Das letzte Boot über den Acheron
Machsmaulauf
Keiner kann es besser
Justitia
Kosmogenesis
Mein bester Feind
Schlag mich (bis ich es versteh)
Schatten
Nein, nein, nein
Haus aus Spiegeln
Stille Tage im Klischee
Geschichtenhasser
Gewinnen kann jeder
Operation Transformation

















