2019 formierte sich in Lyon die Band De Marbre aus vier Musikern, alle mit unterschiedlichem Background. Dahinter steckte die Idee, ein eigenes musikalisches Universum entstehen zu lassen, das eine Mischung aus Post Punk, ätherischer Atmosphäre und lautem Rock ist. Killing Joke meets The Cure. Daraus entsteht „Darkadelic“ – und was das genau ist, haben wir uns mal angehört.
In ihrem Debütalbum präsentieren sich die vier Franzosen von ihrer besten Seite. Feu de Veines ist der Titel dieses Albums, das gerade mal acht Songs lang ist, aber auch die können eine Band ganz gut vorstellen.
„Digitale pourpre“ ist der Starter und es beginnt sphärisch, wandelt sich langsam, indem Bass und Gitarre übernehmen, nach fast zwei Minuten dann auch der französische Gesang. Etwas arrogant gelangweilt, ruft sofort Bilder eines Sängers hervor, der auf der Bühne eine etwas leidenschaftliche Beziehung mit Mikro und Mikroständer führt, die nur er versteht und das Publikum erst nach einiger Zeit zu schätzen weiß – nämlich dann, wenn es exzessiv wird, doch davon ist man im ersten Song noch weit entfernt. Abwechslung gibt es dennoch, denn das Sphärische verschwindet bald und weicht einem Sound, der vermutlich etwas kraftvoller sein soll, allerdings mit viel gebremsten Schaum zurückhaltend in den Boxen hängenbleibt. Hier fehlt der letzte tiefe Atemzug, um den wirklichen musikalischen Befreiungsschlag zu wagen. Doch als „digitaler Vorlauf“ ist es okay. Passt übrigens recht gut in dunklere Clubs. „Idole invisible“ ist eher mein Wetter. Die Gitarre wird härter, allgemein wird es etwas rockiger, hier kann man leichte Einflüsse von Killing Joke erkennen. Der Gesang ist anders, weg mit gelangweilter Arroganz, hin zu nachdrücklicher unterdrückter Wut, die herausbrechen will, sich aber noch zurückhält und nicht so richtig den Weg finden will. Fraglich ist, ob der französische Text gut oder schlecht ist, aber darauf achtet man bald schon gar nicht mehr. „New moment“, auch der dritte Song hat wieder seinen eigenen Stil und ein bisschen sucht man die Kohärenz, aber dann beginnt wieder das Sphärische und man kann den Bogen zur ersten Nummer schlagen. An sich ist es ruhig, wird aber zwischendurch gesanglich kraftvoll, was aber schnell wieder verebbt. Diese kurzen Ausbrüche im Refrain sind ziemlich gut und fast schon ist es schade, dann diese so schnell wieder vergehen und man sich wieder dem Sphärischen hingibt. Es ist ein Stück Post Punk, das sich hier versteckt, aber durchgezogen wurde es nicht. Übrigens bleibt der Text auch nicht Englisch. „You’re the ghost“ – da haut mich die Stimme schon weg. Wenn nicht immer dieser Backgroundgesang käme, könnte man diese tiefe, ruhige Stimme mal richtig genießen. Hier haben wir die obligatorische Ballade, eine langsame Nummer, irgendwas zwischen dem engumschlungenen Tanz im Club und der tränenreichen Szene an der Klippe … wird dann nur zerstört. Minute zwei wird schneller, zerstört die aufgebaute Ruhe und Melancholie. Gut, man könnte noch sagen, dass man in dieser Szene nun von der Klippe wegrennt, den Hügel hinunter über das nasse Gras, getrieben von Schmerz und Gefühlen und einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Geist. Gut tanzbar nun, hätte ich das jederzeit in der Gothicszene gesehen, ein bisschen The Cure auf Französisch. Nur der Anfang, der dauert dann eine Spur zu lange, das Ruhige ist ein bisschen zu ausführlich.
„Aucun exit“, das fängt schon gut an, ja, aber ich merke doch, wie ich mit der Zeit abdrifte. Das Mid Tempo zieht zwar wirklich mit und es gibt auch wieder diese härteren Ausbrüche, aber mittlerweile geht mir der Stilmix auf die Nerven. Es ist gut und schön, wenn man Stile vermischen und etwas Eigenes machen möchte. Das bringt Neues und Abwechslung, aber hier wird nicht mal innerhalb einer Nummer ein Stil beibehalten, als würde De Marbre jedes Mal zeigen wollen: Wir machen alles anders und wollen mixen, mixen, mixen. Aber dann muss man Barkeeper werden und nicht Musiker. Als Hörer möchte man sich auch mal auf etwas einlassen können und nicht jedes Mal unterbrochen werden. Musik transportiert Gefühle, Stimmungen, erzählt kleine Geschichten, berührt, aber hier wird man immer wieder herausgerissen aus seinem Hörerlebnis. So auch bei „Aucun exit“, das am Ende hart wird, dabei war das eine Nummer, die mal recht gleichbleibend war. „Sous verre“, unter Glas, sphärisch, wie Dschungel, neugeboren im Nichts, das Herumschwirren überdimensionaler Insekten, die einem Angst machen, könnte man hier eine neue Welt erkunden wie in einem Science Fiction Blockbuster? Die Gitarre setzt ein, nach einer Minute der Gesang, wieder Französisch. Darauf reite ich so rum, weil die Band sich selbst als eine Mischung aus Englisch und Französisch beschreibt, aber das Englische so wenig ist und in den Hintergrund tritt, dass sie ernsthaft darüber nachdenken sollten, nur auf Französisch zu singen. Aber „Sous verre“ ist gut, richtig gut, die Melodie prägt sich ein, das Tempo ist gut gewählt, es gibt wieder einen Bruch nach etwa zwei Dritteln des Songs, dann wird es ein bisschen zur Predator-Stimmung. Das ist ja nicht schlecht, aber warum zieht ihr nicht einmal was durch? Ich brauch keinen kompletten Stilmix in jedem einzelnen Song. Für sich genommen wären beide Teile wirklich gut, aber so merke ich, wie mich das wütend macht, unruhig, unzufrieden. „Sillon“, ach, ich erwarte schon gar nichts mehr. Wieder beginnt es ruhig, also jetzt könntet ihr aber mehr Abwechslung in eure Anfänge bringen, bitte. Aber die Stimme, Wolfsheim, absolut, überhaupt klingt „Sillon“ bis 1:35 wie das Erfolgsduo. Danach ein gepresstes Aufbäumen. Lasst den Scheiß doch bitte einfach weg. Ihr zerstört gute Nummern, ihr zerstört eure eigenen Songs. Klar, Musik hört und versteht jeder anders, aber das hier … es geht danach gut weiter, aber meine Stimmung ist zerstört. Schlechter Song, das ist das, was hängenbleibt und das ist schade, denn es ist an sich ein recht guter Song. Und zack, wieder dieses gepresste Schreien, ich dreh durch. Dann Cut, Pause, der Song klingt aus und hört doch nicht auf, Sphäre, Rauschen, das Meer? Diese Ruhe, die dieser Teil übertragen könnte, stellt sich überhaupt nicht ein. Plötzlich ein ganz anderes Riff, das eine Melodie aufbaut, wir sind immer noch beim gleichen Lied. Wie kann das sein? Übrigens wäre beides recht annehmbar gewesen, wenn man einfach Lied 1 und Lied 2 daraus gemacht hätte.
Nun ja, man weiß ja, dass jedes schlechte Album auch etwas sehr Gutes hat: Das letzte Lied. Titeltrack „Feu de Veines“, ich erwarte nichts mehr, die Nummer ist auch noch 7:12 Minuten lang und bevor sie anfängt, schießt mir der Gedanke durch den Kopf: Manches Ende ist eben lange und schmerzhaft. „Feu de Veines“ will nochmal alles herausholen und alles zeigen. Der Anfang ist gut, kraftvoll, würde an sich das verkörpern, was die Band scheinbar auch sein will, tanzbar und gut für jeden Club. Die beste Nummer auf der Scheibe und man fragt sich, warum die Band das nicht durchzieht.
Es hört sich vernichtend an und zugegeben, zwischendurch hat man manchmal das Bedürfnis, auszuschalten. Zuweilen sind mit De Marbre die Pferde ein bisschen durchgegangen, zu sehr wollte man sich abgrenzen und alles mixen, was man musikalisch eben so mag. Aber das muss nicht immer funktionieren. Abwechslung auf einem Album ist ja okay, innerhalb der Songs, wenn es bei jedem passiert, ist zu viel. Der Hörer möchte sich auf etwas einstellen, sich seinen Gedanken und Emotionen hingeben, sich treiben lassen in dem, was die Musik ihm bietet. Doch das kann er nicht. Er wird jäh herausgerissen und nicht ernstgenommen. Für De Marbre ist das schlecht, denn auch wenn einzelne Nummern oder auch nur Teile davon clubtauglich sind, ist fraglich, ob sie sich damit fest in die Gehörgänge einnisten können. Für ein Debüt, das Vorstellen, wer man ist und wohin man will, ist es okay, kein Ausreißer, kein brachiales erstes Werk, das man im Plattenregal haben muss und überall feiert. Es bleibt abzuwarten, was nachkommt, womit De Marbre weitermachen werden. Aber bei aller Kritik: Reinhören lohnt sich dennoch.
3/5
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De Marbre – Feu de Veines
Independent, März 2023
Tracklist:
1. Digitale pourpe
2. Idole invisible
3. New moment
4. You’re the ghost
5. Aucun exit
6. Sous verre
7. Sillon
8. Feu de Veines