CD: Veritas Maximus – Glaube und Wille


Rockige Gesellschaftskritik

Veritas = die Wahrheit. Maximus = der Superlativ von groß. Es drängt sich die schnelle Übersetzung ‚die größte Wahrheit‘ auf, aber wer etwas Latein beherrscht, weiß, das wäre zu schnell und einfach gedacht. Die Formen der beiden Worte passen so nicht zusammen. Hier stellt sich tatsächlich die Frage: „Was hat sich der Künstler dabei gedacht?“ Es gibt viel Raum für Spekulation, so ist Maximus durchaus ein gebräuchlicher römischer Name gewesen und Veritas kann andere Bedeutungen haben wie z.B. Wirklichkeit, Ehrlichkeit oder gar Unparteilichkeit. Wer möchte, kann gerne darüber meditieren und darum gibt es an dieser Stelle keine weiteren Gedanken dazu.

Immerhin ist der Titel der CD mit „Glaube und Wille“ nicht so viel weniger uninteressant. Bei ersterem fällt einem sofort die Religion ein und letzteres kann schnell mit Durchsetzungskraft gleichgesetzt und damit negativ besetzt werden, aber weit gefehlt. Schon nach den beiden ersten Liedern wird klar, dass ein persönlicher Bezug auf den Künstler, den Texter, also Kevin Russell, viel wahrscheinlicher gewollt ist. Außerdem legen die Lyrics nahe, den Glauben an sich selbst und seinen eigenen Willen zu überdenken oder gar zu hinterfragen.

Das Cover, Gold auf Schwarz, zeigt ein Gebilde, das an ein Wappen erinnert, das Zeichen der Band. Die Buchstaben V und M, versehen mit Schwingen und Schwanzfedern, die einem Phönix gehören sollen, sowie dem Schriftzug der Band und einer Kugel mit schwer zu deutendem Inhalt, muten erhaben an.

Das Booklet ist ebenfalls sehr ansprechend gestaltet. Die Liedtexte sind vollständig abgedruckt und zu jedem Song gibt es eine passende, teils offensichtlich wohl überlegte Grafik. Nicht jedermanns Sache wird die Art des Textsatzes sein. Es sind keine Zeilen oder Strophen, sondern je ein Block Fließtext, der Refrain immer fett gedruckt, ironisches auch mal in Anführungszeichen, gut zum Mitlesen, aber nicht besonders übersichtlich.

Abgerundet wird die äußere Erscheinung mit Fotos der Band und zwei Sinnsprüchen, die einem entgegen springen, wenn man die Hülle aufklappt. Das eine ist ein Zitat des Stoikers Marcus Aurelius (oft nur Marc Aurel genannt): „Die Menschen sind füreinander da. Also belehre oder dulde sie“, das andere anonym: „Das Universum ist weit, vor allem gegen Ende“. Hier ebenfalls wieder viel Stoff zum Nachdenken. Insbesondere bei der Frage, wie die beiden Sprüche zusammenpassen; wenn das überhaupt impliziert werden soll, können viele Antworten gefunden werden.

Alles in allem zeigt sich, dass in das gesamte Werk viele Gedanken, viel Arbeit und Zeit gesteckt wurde und so kann gleich einem Begriff widersprochen werden, der ständig im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung fällt: Das Soloprojekt des Böhse Onkelz-Sängers Kevin Russell. Sicherlich ist er der Hauptverantwortliche, derjenige, der den Stein ins Rollen brachte, er hat die Texte verfasst und der Rest hat sich darum herum entwickelt, aber ohne Musiker, Designer usw. geht es natürlich nicht. Warum ist das erwähnenswert? Beim Betrachten und Hören drängt sich der Gedanke auf, dass auch die anderen Beteiligten kreativ sein durften und nicht nur auf Anweisung gehandelt haben.

Die von Oliver Lohmann geschaffene Musik rockig zu nennen, scheint teilweise nicht ganz ausreichend. Das eine oder andere Stück könnte auch unter Metal laufen, andere sind getragener. Abwechslungsreich, mit hörenswerten musikalischen Variationen, nimmt einen der Sound mit. Insbesondere die lebhaften Gitarren (Oliver Lohmann und Simon Gauf) sorgen immer wieder für ansprechende Passagen, Bassist (Thomas Neitsch) und Schlagzeuger (Gerd Lücking) bekommen ebenfalls die Möglichkeit, etwas mehr von ihrem Können zu zeigen und werten den Gesamteindruck deutlich auf.

So wie bei vielen Sängerinnen und Sängern ist die Stimme von Kevin Russell sicherlich etwas, an dem sich die Geister scheiden können. Nur dass sich hier der Vergleich zu früher aufdrängt und denjenigen, denen die Klarheit gefallen hat, wird diese vielleicht zu kurz kommen, denn die gibt es auf dieser Scheibe weniger. Mittlerweile hören wir zumeist ein Reibeisen, das oft Unruhe ausstrahlt und manchmal energisch wird, was allerdings gut zu den jeweiligen Texten passt. Offene und ehrliche Aussagen, authentisch verpackt.

Die Songs enthalten eine deutliche Botschaft, sollen zum Nachdenken anregen, meist mit einem leicht missionarischen Anklang, manchmal auch einem sehr deutlichen.

Ganz klar wird dies gleich beim Einsteiger Keine Macht den Drogen. Schonungslos direkt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, beschreibt Kevin hier aus eigener Sicht die Gefahren und die Folgen von Drogenkonsum. Die harten Gitarrenklänge unterstreichen die Ausführungen gekonnt.

Ebenfalls nicht leise kommt die Aufforderung Erkenne dich selbst daher. Es scheint wieder ein sehr persönliches Werk zu sein. So wird der Hörer ermutigt, sich selbst zu betrachten, dabei ehrlich zu sein und mit bzw. an dem zu arbeiten, was er sieht, um an sich selbst zu wachsen. Die schon durch das Zitat von Marc Aurel angedeutete Nähe zur stoischen Philosophie wird hier eindeutig vertieft und kann als verdichteter Lebensratgeber gesehen werden.

Gemäßigt und mit einem unaufdringlichen Gitarrensolo geht es weiter. Die Zeilen von Veni Vidi Veritas sind schwerer zu deuten. Vieles lässt sich aus dem Text lesen. Eine Abgrenzung, eine Anklage, eine Abrechnung mit der Vergangenheit, nur leider ist nicht klar, an wen oder was sich die Worte richten und damit auch nicht die tatsächliche Bedeutung. Das macht aber nichts, denn es bleibt wie immer die Freiheit, eigene Interpretationen für das Ganze oder auch nur Teile davon zu finden.

Schwungvoll hüpfend kommen die ersten Noten von Heimat daher. Mit schmachtenden Erklärungen rechnend, wird man überrascht. Zuerst erfolgt eine klare Abgrenzung gegen jegliche Intoleranz, egal von wem sie geäußert wird. Heimat wird relativiert und auch wenn es schön ist zu lieben, woher man kommt, ist das nicht alles. Sich zuhause zu fühlen, wo man gerade ist und zu erkennen, es gibt nur eine Welt, die wir uns teilen, sind deutliche Aussagen.

Die Forderung nach Ehrlichkeit, in erster Linie sich selbst gegenüber, steht nicht alleine. Vernunft und Gelassenheit gehören dem Text nach ebenfalls dazu, sich das Leben zu erleichtern. Es mag vor allem zu Anfang nicht einfach sein, bringt aber weiter. Eine scheinbar simple Idee mit viel Tiefe, mit musikalischem Nachdruck inszeniert.

Dunkle Mollklänge leiten ein Stück mit bedrückter, fast bedrohlicher Stimmung ein. Selbst der auflockernde, gesanglose Part lässt die Laune nicht steigen. Trotzdem scheint es, als müsse man mit den Noten vorangehen, ohne sich dem Gesamteindruck entziehen zu können. Bei dem Inhalt eine passende Intonierung, denn als Verfechter des Bösen dürfen sich die Päpste, oder zumindest viele davon, und sonstige Kirchenvertreter angesprochen fühlen. Ein Rundumschlag durch die Jahrhunderte, der mit den letzten Enthüllungen und einer klaren Provokation endet.

Ebenfalls ruhiger, eingeleitet mit ein paar Takten Geigenspiel und alles andere als fröhlich, gleitet der Sound von Schicksalsflügel dahin. Eine Abrechnung mit sich selbst, mit Fehlern der Vergangenheit; Gedanken und Gefühle, die in einem Neuanfang münden, der genauso offen beschrieben wird.

Umso krasser erscheint das Verschärfen des Tempos bei Bild tilt, obwohl der Unterschied faktisch nicht so groß ist. Es geht etwas mehr zur Sache, denn das Thema darf aufregen. Ein Schmählied auf die BILD, allerdings weniger auf die Lesenden als vielmehr die Verantwortlichen und die Gesellschaft an sich.

Es folgt ein weiterer Ansatz, über seinen Platz im Universum zu reflektieren und das eigene Leben in die Hand zu nehmen, auch wenn das Kein Ende nehmen wird. Eigentlich eine mögliche Beschreibung des Ist-Zustandes mit der Aufforderung, diesen als Ausgangspunkt zu nutzen. Die Musik vermittelt diese Aufbruchsstimmung eher weniger. Der gitarrenlastige Teil bildet hierzu einen gelungen Kontrapunkt.

Vom Schlagzeug vorwärts getrieben kommt der nächste Song recht druckvoll daher. Die negativen Seiten der übermäßigen Informations- und Kommunikationskultur im Internet werden in Satansmedium pointiert kritisiert – natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und in teilweise sehr klaren Worten.

Ein elektronisch verzerrter Ton, der an ein Echolot erinnert, leitet das Lied Noahs Erben ein. Das zweite Wort ‚Abartigkeit‘ beschreibt sowohl den Ton als auch das, was hier angeprangert wird.

Katzenfan Kevin schreibt sich in diesem Lied den Frust über den Umgang der Menschen mit Tieren aller Art von der Seele.

Getragene Riffs leiten das letzte und mit fast zwölf Minuten längste Stück ein. Ruhig geht es weiter, ergänzt mit Orgeltönen und dann doch fast aggressiven Gitarren. Des Teufels Geleit ist eine Ballade des Grauens, in der die Gier nach Macht und Reichtum der Kirche an einigen Beispielen verdeutlicht wird. Der längere rein musikalische Teil bietet eine Denkpause, bevor sogar eine positive Figur der christlichen Geschichte gefunden wird. Das Finale besteht aus harten Worten, denen sich der eine oder andere Kirchenfürst auch heute noch nicht verschließen sollte.

Insgesamt eine Scheibe, die als gelungen bezeichnet werden kann. Im Musikalischen könnte vielleicht der eine oder andere Blick über den Tellerrand nicht schaden, aber das ist Geschmackssache.

Ein Werk, das nachdenklich stimmt, wenn auf die Worte geachtet und nicht nur der Sound genossen wird.

Anspieltipp: 7, Schicksalsflügel

4/5

Veritas Maximus – Glaube und Wille
K28 GmbH, 2014
Gesamtlänge: 1:04:43
CD: 14,99 €
Vinyl: 21,99 €
MP3: 9,79 €
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Tracklist:
Keine Macht den Drogen
Erkenne dich selbst
Veni Vidi Veritas
Heimat
Ehrlichkeit
Verfechter des Bösen
Schicksalsflügel
Bild tilt
Kein Ende
Satansmedium
Noahs Erben
Des Teufels Geleit

 

[Vielen Dank für dieses Gastreview!]

 

2 Kommentare

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